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US-Schulsystem
Rassendiskriminierung per Eignungstest

Rassentrennung an Schulen erklärte der Oberste Gerichtshof in den USA vor 65 Jahren für verfassungswidrig - doch in New York gehen schwarze und weiße Kinder weiterhin getrennt in öffentliche Schulen. Schuld sind die Aufnahmetests, die ohne kostspieligen Privatunterricht schwer zu schaffen sind.

Von Heike Wipperfürth | 04.10.2019
Schüler in einer amerikanischen Highschool
Weiße Schüler in den USA gehen überproportional häufig auf die besseren Schulen (imago/Westend61)
"Ich kenne die weißen Schüler nicht, die in eine andere Schule in unserem Gebäude gehen. Wir dürfen nicht mit ihnen sprechen."
Kürzlich im Gemeinschaftsraum der Lehrerorganisation "Teach for America" in Manhattan. Etwa 50 Mitglieder der Schülerorganisation "Teens Take Charge" tauschen ihre Erfahrungen mit Rassentrennung in New Yorker Schulen aus. Sie sind schwarz, weiß, Latino und asiatischer Abstammung.
"Unsere Schulen trennen uns voneinander, aber hier können wir uns über die Ungerechtigkeiten in unserem Schulsystem austauschen", sagt dieser Schüler. Er ist nicht allein.
Immer mehr Schüler, Eltern und Pädagogen setzen sich für die Integration der 1.800 öffentlichen New Yorker Schulen ein; die New York University bietet ein Seminar für weiße Eltern an, die sich mit ihrem eigenen Rassismus auseinandersetzen wollen. Große Aufmerksamkeit erregte im vergangenen Juni eine Demonstration von mehr als 400 Schülern und Schülerinnen vor dem New Yorker Bildungsministerium, um für mehr Integration zu kämpfen.
Die Parole dort: "What do we want? Integration. When do we want it? Now."
Weiße gehen in die besseren Schulen
Hintergrund für den wachsenden Aktivismus sei, dass auch 65 Jahre nach der offiziellen Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen durch den obersten Gerichtshof immer noch 90 Prozent der schwarzen und Latino-Schüler in 900 Schulen gehen, in denen weniger als zehn Prozent der Schüler weiß sind, sagt Taylor McGraw, ein Pädagoge, der "Teens Take Charge" vor zwei Jahren gegründet hat.
Rassismus in den USA - das Erbe der Sklaverei
Die Zeit der Sklaverei ist ein dunkles Kapitel, mit dem sich die USA bis heute schwer tun. Zwar sind Sklaverei und Rassentrennung längst abgeschafft, doch der Virus des Rassismus grassiert weiterhin, kritisieren Menschenrechtler.
Ziel seiner Organisation sei, die vielen Aufnahmeverfahren in Primary-, Middle- und High Schools abzuschaffen, damit schwarze und weiße Kinder gemeinsam miteinander lernen können. Laut McGraw sind die Tests Bildungsbarrieren, weil schwarze und Latino-Eltern mit geringem Einkommen sich keinen Privatunterricht leisten können, um ihre Kinder darauf vorbereiten.
"In jeder Schule sollte es ein Mindestmaß an akademischer und sozioökonomischer Vielfalt geben. Es geht nicht, dass alle wohlhabenden und leistungsstarken Kinder in die gleiche Schule gehen."
Kinder profitieren von gemeinsamem Unterricht
Auch empirische Studien zeigten, dass alle Kinder profitieren, wenn sie gemeinsam unterrichtet werden: "Das Konzept, gute und unterdurchschnittliche Schüler zusammenzubringen, geht auf. Die Klassenbesten gehen sowieso auf ein gutes College und die schwächeren Schüler profitieren davon, wenn sie mit besseren Schülern im gleichen Klassenzimmer sitzen."
Das findet auch Michael Perlberg. Der Schulleiter gründete vor vier Jahren MS 839, eine Middle School in Brooklyn, welche die multikulturelle Vielfalt in ihrer Nachbarschaft wiederspiegeln soll.
Sein Konzept ist einfach: Es gibt keine Aufnahmeprüfung, die Schulplätze werden per Losverfahren vergeben. 40 Prozent der 300 Plätze sind zudem für einkommensschwache Schüler reserviert. Michael Perlberg:
"Wir haben eng mit Lehrern, Schülern und Eltern zusammengearbeitet, um klar zu machen, wie es in einer integrierten Schule zugeht. Unser Lehrplan ist nicht eurozentrisch, sondern integriert die reichen Erfahrungen aller unserer Familien."
Eine Gravur zeigt eine Sklavenauktion in den USA um 1870. Eine Frau umarmt dabei schützend Ihre Tochter. Um sie herum stehen Männer mit Hüten und der Auktionator auf einem Fass.
Anti-Rassismus-Bewegung in den USA: Die historische Wunde
Die Initiative "Coming to the Table" bringt in den USA die Nachfahren von Sklaven und von Sklavenbesitzern zusammen. Neben ideeller Wiedergutmachung geht es den Machern auch um politische Veränderungen.
Diversität ohne Eignungstest
Der Erfolg seines Konzeptes lässt aufhorchen: Zehn ehemals segregierte Middle Schools in der Nähe von MS 839 bieten ihren Sechstklässlern seit diesem Herbst ähnliche Diversitätspläne an: Bewerber brauchen keine Testergebnisse mehr vorzulegen, um angenommen zu werden, entschieden Eltern und Pädagogen nach langen Diskussionen.
Das freut auch New Yorks Bürgermeister Bill De Blasio:
"Das Konzept funktioniert, weil es von der Gemeinschaft mitentschieden wurde."
Die Segregation aber bleibt ein großes Problem. Denn De Blasio hält sich bei Diskussionen über Schulintegration weitgehend zurück. So hat er keine Entscheidung getroffen, als das New Yorker Bildungsministerium vorschlug, Programme für talentierte und begabte Schüler abzuschaffen, weil nur 18 Prozent der schwarzen oder Latino-Schüler den Eignungstest schaffen. Dabei machen sie 70 Prozent der New Yorker Schüler aus.
"Wir brauchen mehr Eliteschulen, damit wir nicht dazu gezwungen sind, 5.000 Plätze zwischen 80.000 Achtklässlern aufzuteilen und eine Gruppe gegen die andere auszuspielen."
Alleine in den nächsten vier Wochen finden acht Veranstaltungen statt, in denen Experten darüber nachdenken, wie sie die Chancengleichheit verbessern können. Dass sie schnell eine Lösung finden, glaubt keiner.