Freitag, 19. April 2024

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US-Truppen in Osteuropa
"Damit muss Russland sich nicht gefährdet fühlen"

Die Stationierung einer weiteren Panzerbrigade der USA in Osteuropa sei keine Provokation gegenüber Russland, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, im DLF. Es sei ein Schritt, der die osteuropäischen Partner beruhige und "keine Gefährdung für Russland". Gleichzeitig bleibe die Tür für Gespräche offen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Mario Dobovisek | 31.03.2016
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rainer Arnold am 4.12.2015.
    Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold hält die Stationierung weiterer US-Truppen in Osteuropa nicht für problematisch. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Im ersten Teil des Interviews im Deutschlandfunk hatte sich Rainer Arnold zur Diskussion über eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik geäußert. Vorwürfe aus Österreich, man sei bei der Suche nach einer Lösung nicht gesprächsbereit, wies er zurück. Der SPD-Politiker betonte zudem, dass das Schließen von Grenzen keine Erfolge bringe, sondern das Problem nur in andere Länder verlagere. Er verstehe nicht, warum Österreich jetzt eine "unnötige Dynamik in die Debatte" reinbringe.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich einen anderen Sozialdemokraten, nämlich Rainer Arnold. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Deutschen Bundestag, ich grüße Sie, Herr Arnold!
    Rainer Arnold: Schönen guten Tag, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Ist die Bundesregierung gegenüber Österreich nicht gesprächsbereit, wie Hans Peter Doskozil uns heute Morgen im Interview sagte?
    Arnold: Ich kann mir das nicht vorstellen. Er hat ja in einem recht, man muss in der schwierigen Situation in Europa natürlich reden und versuchen, gemeinsam mit den Problemen umzugehen. Aber er weiß natürlich auch, in Deutschland ist hierfür nicht das Verteidigungsressort zuständig, sondern die Frage Flüchtlinge ist bei uns ausschließlich im Innenressort angesiedelt. Und das wären dann auch die richtigen Gesprächspartner.
    Dobovisek: Aber wie kann es sein, dass es da offensichtlich zu so großen Missverständnissen kommt bei Partnern, die nicht nur Partner, sondern Nachbarn sind?
    Arnold: Ja, das müssten Sie jetzt die Regierungen fragen, ich konnte das in der Kürze der Zeit nicht klären, wo diese Anfrage eingegangen ist. Das war nicht eine Frage ans Parlament, sondern eine Frage an die Bundesregierung. Ich bleibe dabei, man muss miteinander reden. Man muss aber die richtigen Gesprächspartner einladen und das ist nun mal in Deutschland der Innenminister oder seine Vertreter.
    "Das Schließen von Grenzen führt zu diesem Dominoeffekt"
    Dobovisek: Dann fragen wir den richtigen Gesprächspartner, nämlich Sie, Herr Arnold, als verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, und zwar zu einem Vorschlag, den Österreich unterbreitet: Österreich bietet der europäischen Grenzschutzagentur Frontex an den EU-Außengrenzen Unterstützung an, auch mit Soldaten. Ist das aus deutscher Sicht ein gangbarer Weg?
    Arnold: Also, die deutsche Bundeswehr darf ja Amtshilfe leisten. Und sie darf Amtshilfe durchaus auch außerhalb Deutschlands leisten. Aber ich glaube nicht, dass das im Augenblick ein vernünftiger Weg ist. Frontex ist eine zivile Mission und sollte es nach meinem Dafürhalten auch bleiben. Deutschland muss Frontex aber mit Polizei und alle Europäer müssen Frontex stärker mit Polizisten unterstützen, und wir brauchen auch die wichtige Expertise dort mit Beamten, um Entscheidungen treffen zu können. Weil, es bleibt ja dabei: Jeder, der den europäischen Boden betritt, hat zunächst mal ein Recht darauf, dass geprüft wird, ob er nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Anrecht darauf hat, hierbleiben zu können, oder ob man ihn zurückschicken kann.
    Und das Ganze, was Österreich diskutiert, zeigt doch, dass Deutschland eigentlich mit seiner Haltung recht hatte: Jeder nationale Weg, auch das nationale Schließen von Grenzen führt zu diesem Dominoeffekt. Und am Ende hat Griechenland und Italien die Probleme an der Backe und eine Küstengrenze kann man eben nicht mit einem Zaun schützen, dazu braucht man die gegenüberliegenden Küstenanrainer. Deutschland ist diesen schwierigen Weg gegangen und ich glaube, das ist der einzig vernünftige Weg. Außengrenzen schützen, individuelles Recht auf Asyl gewährleisten und gleichzeitig dann unsere humanitäre Verantwortung auch wahrnehmen, indem man dann Kontingente von Flüchtlingen direkt aufnimmt, die nicht aufs Meer schickt. Und ich bin auch froh, dass die Vereinten Nationen gestern diesen Weg noch mal deutlich aufgezeigt haben und durchaus Länder gefunden haben, zum Beispiel Kanada, die bereit sind, auch Kontingentflüchtlinge aufzunehmen.
    Dobovisek: Aber insgesamt viel zu wenige Länder, das lernen wir auch aus den Nachrichten.
    Arnold: Ja, das müsste mehr sein.
    "Wir können doch nicht Italien und Griechenland alleinlassen"
    Dobovisek: Also gilt dieser Gipfel von gestern in Genf in der Öffentlichkeit zumindest als gescheitert. Kommen wir aber zurück zu Österreich, kommen wir zurück zu den Staaten, die da heute tagen: Werfen Sie diesen Staaten, wenn Sie sagen, das sind nationale Alleingänge, mangelnde Solidarität vor?
    Arnold: Ein Stück weit ist es schon so, dass die doch erkennen müssen: Das Schließen der Grenzen verlagert das Problem zunächst mal immer ins Nachbarland. Und es ist dann nicht besonders solidarisch. Und das Nachbarland wird dann auch schließen. Und am Ende ist es so, wie wir in Deutschland gesagt haben: Es landet in Italien, Griechenland, möglicherweise bald auch in Bulgarien, wenn Schlepper neue Wege finden, und es kann keine europäische Lösung sein. Wir können doch nicht wie in der Vergangenheit Italien und Griechenland dann mit dieser schwierigen Problematik alleinlassen. Wir sind also auch dort in der Pflicht zu helfen. Und ich glaube, der Weg ist jetzt in den europäischen Beschlüssen aufgezeichnet. Insofern verstehe ich auch nicht so ganz, warum Österreich jetzt eine zusätzliche, unnötige Dynamik in die Debatte reinbringt. Man hat sich in Europa verständigt und, ich finde, auf vernünftige Maßnahmen geeinigt, die im Übrigen auch erste Erfolge zeigen, und man muss diesen Weg jetzt weitergehen.
    Dobovisek: Jetzt befassen sich Verteidigungspolitiker in anderen Ländern ganz offensichtlich mit der Flüchtlingsfrage. Ist das allein eine Verfassungsfrage der beteiligten Länder - wir haben ja gelernt, in Deutschland ist das eben die Innenpolitik und nicht die Verteidigungspolitik - oder sagt uns das ganz deutlich, dass wir in Fragen der Flüchtlingspolitik inzwischen längst bei der Festung Europa angelangt sind und da auch über einen militärischen Schutz sprechen?
    Arnold: Nein, es kann keinen militärischen Schutz geben, weil es rechtswidrig wäre, Menschen…
    Dobovisek: Aus deutscher Sicht?
    Arnold: Nein, auch aus anderer Sicht. Auch der österreichische Minister sagt ja, er will zwar eine schnelle Prüfung, aber will ja niemanden aufs Meer zurückschicken, völlig ausgeschlossen. Ein deutscher Soldat müsste übrigens solche rechtswidrigen Befehle verweigern. Er dürfte nicht nur verweigern, sondern er müsste gesetzwidrige Befehle verweigern. Nein, es ist eine andere Kultur. Wir Deutschen haben eine stringente Trennung in der inneren und äußeren Sicherheit, andere Länder kennen dies so nicht. Bei uns dürfen Soldaten eben nur Amtshilfe leisten und nicht staatliche Gewalt - so wie Polizisten - durchsetzen. Und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht und andere Länder haben eine andere Kultur und die respektieren wir auch.
    Dobovisek: Das heißt, die anderen Länder dürfen das schon?
    Arnold: Andere Länder dürfen das und dürfen auch Soldaten dann zur Grenzsicherung einsetzen. In Deutschland ist das ausgeschlossen, wir brauchen das auch nicht. Wir müssen unsere Bundespolizei wieder so aufstocken, die Weichen sind ja gestellt, dass die Bundespolizei auch in der Lage ist, ihre Aufgaben zu bewerkstelligen.
    Dobovisek: Vielen Dank, Rainer Arnold von der SPD, für den Moment. Wir wollen gleich weiter miteinander sprechen, und zwar darüber, dass die USA über 4.000 Soldaten mit Panzern nach Osteuropa entsenden wollen. Dazu Martin Ganslmeier aus Washington:
    ((Bericht: USA verstärken Truppenpräsenz in Osteuropa))
    Dobovisek: Fassen wir zusammen, 4.200 US-Soldaten mindestens und 250 Kampfpanzer nach Osteuropa. Rainer Arnold ist weiterhin mit uns im Gespräch, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Der Ukraine-Konflikt ist alles andere als ausgestanden, in Syrien sind sich Russland und der Westen ebenfalls weiter uneins. Ist das Entsenden von Kampfpanzern sozusagen vor die Tore Russlands das richtige Signal?
    Arnold: Also, für uns bleibt es wichtig, dass der NATO-Russland-Vertrag, die Grundakte eingehalten wird. Und die lautet eben: keine dauerhafte Präsenz größerer Truppenkontingente in Osteuropa. Und deshalb gehen die USA ja den Weg, zu rotieren. Also, die werden nicht die Soldaten auf Dauer in Polen oder in Estland stationieren, sondern sie werden zu Übungszwecken durch einzelne osteuropäische Länder gehen. Das heißt, wir halten die NATO-Russland-Grundakte ein, das ist für uns wichtig. Auch wenn Herr Putin durchaus seine militärischen Muskeln immer deutlicher zeigt. Dass das osteuropäische Partner schneller nervös macht als uns Deutsche, kann ich verstehen, und deshalb müssen wir die Balance finden, die Osteuropäer verstehen, ihre Sorgen aufnehmen, deutliche Zeichen setzen und auf der anderen Seite nicht unnötiges Öl ins Feuer gießen. Und 4.000 Soldaten sind wirklich nur ein Zeichen, das ist ja keine Gefährdung für Russland. Aber Putin weiß…
    "Wenn Putin irgendwo zündelt an den Grenzen, hat er es mit den USA zu tun"
    Dobovisek: Na ja, Kampfpanzer sind schon ein ziemlich starkes Zeichen, zumal 250 Kampfpanzer dann möglicherweise ab und zu mal über die Grenze fahren, um den Vorgaben gerecht zu werden. Also, noch einmal die Frage: Ist das nicht genau das Öl ins Feuer, das Sie gerade eben vermeiden wollen?
    Arnold: Angesichts der Sorgen, die unsere osteuropäischen Partner haben, ist das ein vernünftiger Kompromiss. Wir hatten ja ganz andere Wünsche geäußert, und da sagen gerade wir Deutschen - ich bin froh, die Obama-Administration ähnlich wie wir -, nein, wir wollen die Grundakte einhalten. Aber gleichzeitig ist es natürlich ein Symbol, dass Putin weiß: Wenn er irgendwo zündelt an den Grenzen, hat er es sofort auch mit den USA zu tun. Das beruhigt die Menschen in Osteuropa angesichts deren Geschichte, die nun mal noch mal eine andere ist wir Deutsche haben, und angesichts der Krise um die Ukraine sicherlich ein Stück weit. Und ich kann das verstehen.
    Dobovisek: Ist das ein Alleingang der USA?
    Arnold: Nein, das ist kein Alleingang der USA, es ist ja auch nicht neu. Das ist die Folge der Debatte, die in der NATO begonnen hat und die auf dem Gipfel in Warschau im Juni des Jahres abgeschlossen wird. Die USA werden 3,4 Milliarden zusätzlich ausgeben, wir müssen jetzt aber auch mal die Zahlen insgesamt angucken: Zur Zeit des Kalten Krieges hatten wir an der Spitze 277.000 US-Soldaten in Europa. Derzeit sind es 30.000. Wir haben also eine unglaubliche Friedensdividende erhalten und das wird auch bei 4.000 plus so bleiben. Das ist kein Kalter Krieg, es ist eine kleine Dimension, damit muss Russland sich nicht gefährdet fühlen.
    Dobovisek: Fühlt es sich aber.
    Arnold: Das ist ein Gefühl. Das muss man auch ernst nehmen, deshalb drängen wir auch darauf, dass man die Gesprächsfäden und die Türen zu Russland immer offenhält und gleichzeitig aber auch sagt: Was Putin mit der Ukraine und der Krim tut, ist nicht akzeptabel. Und er verletzt eben auch das Recht, indem er zum Beispiel Raketen in Kaliningrad stationiert. Das ist nun wirklich nah bei Polen und das macht die Polen natürlich besorgt.
    "Die NATO schafft für die Osteuropäer Sicherheit"
    Dobovisek: Was bedeutet die NATO-Präsenz, die US-Präsenz in Osteuropa auch für die Bundeswehr? Auch die Bundeswehr ist ja in der Vergangenheit beteiligt gewesen an Manövern, an Übungen in osteuropäischen Staaten.
    Arnold: Es ist ein völlig normaler Vorgang, dass die NATO in allen NATO-Partnerländern übt. Auch die Bundeswehr beteiligt sich daran. Und ich meine, es ist doch klar. Der Konflikt um die Ukraine bestätigt doch eigentlich die osteuropäischen Länder, wie wichtig es für sie war, Mitglied der NATO zu werden. Die NATO schafft für die Osteuropäer Sicherheit, so wie sie für uns auch 50 Jahre lang zur Zeit des Kalten Krieges eine Gewähr für unsere Sicherheit war.
    Dobovisek: Müssen die osteuropäischen Partner, unsere osteuropäischen Nachbarländer geschützt werden vor Russland?
    Arnold: Ich glaube, deren Sorgen sind größer als die Realität. Putin weiß sehr wohl, was der NATO-Artikel fünf bedeutet, nämlich ein Angriff auf ein einzelnes Land löst die kollektive Verteidigung aus. Und insofern wäre ich da eher ein bisschen gelassen. Aber ich muss deren Historie natürlich auch sehen und verstehen und ich muss das Ziel der russischen Administration, hybride Kriege zu führen ... das ist ja in Russland durchaus auch wissenschaftlich und militärisch vorbereitet und wird dort diskutiert. Hybride Kriege heißt eben nicht unbedingt, mit Panzern in ein Nachbarland einzumarschieren, sondern Gesellschaften von innen heraus zu destabilisieren. Und am Ende kommen dann die kleinen grünen Männchen wie im Donbass. Diese Sorgen müssen wir insbesondere bei den Esten schon sehr ernst nehmen, weil dort eben diese 26 Prozent russischstämmige, Russisch sprechende Menschen leben, und die dürfen nicht infiziert werden durch Putins Propaganda. Und deshalb machen die sich dort Sorgen und deshalb versuchen wir wirklich, die Balance zu halten: Sorgen aufnehmen, deutliche Zeichen, auf der anderen Seite aber auch Russland gegenüber gesprächsbereit zu bleiben.
    Dobovisek: Rainer Arnold ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Arnold: Danke auch, schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.