Dienstag, 16. April 2024

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US-Wahl aus jüdischer Sicht
"Trump ist ein rassistischer Demagoge"

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump ist für die meisten US-Juden nicht wählbar. "Rassismus widerspricht zutiefst jüdischen Prinzipien", sagte Hannes Stein im Deutschlandfunk. Die Bibel sei "anti-rassistisch", so der New-York-Korrespondent der "Welt". Trump hingegen sei ein "rassistischer Demagoge" und "völlig unberechenbar".

Hannes Stein im Gespräch mit Andreas Main | 21.10.2016
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    Hannes Stein auf der Leipziger Buchmesse (imago / STAR-MEDIA)
    Andreas Main: Hannes Stein, zwei Prozent der US-Amerikaner sind Juden, so viel steht fest. Dennoch – es ist durchaus möglich, die Bedeutung jüdischer Stimmen bei der Wahlentscheidung zu überschätzen oder sie zu unterschätzen. Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Einfluss wirklich?
    Hannes Stein: Der Einfluss ergibt sich aus der sehr komplizierten amerikanischen Wahlarithmetik. Wir wählen ja nicht den Präsidenten, wir wählen einen 'Electorate' – also wir wählen die Wahlmänner, die den Präsidenten wählen - und zwar nach Bundesstaat.
    Nun gibt es Bundesstaaten, die geschlossen demokratisch sind. Zum Beispiel Kalifornien ist ein geschlossener Blue State, der Staat New York ein geschlossener Blue State. Aber dann gibt es die Swing States, die mal so, mal so sind. Und beide Kandidaten versuchen, diese Swing States zu schnappen.
    "Die Juden in Florida werden Clinton wählen"
    Ein besonders wichtiger Swing State ist Florida. Und Florida ist nun der Bundesstaat, in den die alten Juden gehen – wenn Sie nicht nach Israel gehen -, um dort ihren Lebensabend zu verbringen, weil das Wetter da so schön ist. Und weil die Juden zufällig in einem County sitzen, das innerhalb Floridas nun wieder sehr wichtig ist, sind die jüdischen Stimmen in Florida etwas, was immer sehr viel zählt. Das ist der Grund, warum Juden hofiert werden. Oder es ist ein Grund, es ist nicht der einzige Grund. Es gibt sehr viele Gründe.
    Aber ein Grund, warum Demokraten und Republikaner versuchen, nett zu den Juden zu sein, ist wirklich dieser Swing State Florida, der übrigens – um gleich die Auflösung zu verraten – nach den jüngsten Polls, die ich gelesen habe, in der Mehrheit Clinton wählen wird.
    Amerikanische Präsidenten als Moses
    Main: Das Judentum ist sicher eine Religion und eine Kultur des Wortes. Viele Juden sind meinungsstark – Sie auch. Kann es also sein, dass der Einfluss auf die Wahl in diesem Sinne darin begründet liegt?
    Stein: Das weniger, weil ich meine – verstehen Sie, es gibt hier so viele Leute, die schreiben. Da gibt es Gojim und Juden und Christen - und auch den einen oder anderen Muslim übrigens. Wenn man darüber hinausgeht, dass beide versuchen Florida zu schnappen – es hängt mehr mit dem Gründungsmythos der Vereinigten Staaten zusammen, der eben ein sehr philosemitischer Gründungsmythos ist.
    Die Amerikaner sehen sich eben als Leute - oder haben sich historisch gesehen - als Leute, die die biblische Geschichte nachspielen. Auszug aus Ägypten, das Gelobte Land, Kanaan; Washington war der Moses – amerikanische Präsidenten haben sich immer wieder als Moses gesehen. Es gibt so eine ganz starke Affinität zu jüdischen Erzählmustern in der amerikanischen Geschichte.
    Ich meine, es gab eine starke Geschichte – das muss man natürlich auch dazu sagen – des amerikanischen Antisemitismus. Es hat Gründe, warum während des Zweiten Weltkrieges Amerika so gut wie keine jüdischen Flüchtlinge aus Europa aufgenommen hat. Es gibt trotzdem so eine Art grundsätzliche Wohlgeneigtheit gegenüber Juden in der amerikanischen Kulturgeschichte.
    Main: Sie sind ja nun nicht als Linksradikaler bekannt, haben aber neulich in der Tageszeitung "Die Welt" Donald Trump so in Grund und Boden gerammt, dass von ihm nichts mehr übrig blieb.
    Stein: Hoffentlich bleibt von ihm nichts mehr übrig.
    "Trump ist völlig unberechenbar"
    Main: Positionieren sich jüdische Gemeinden verschiedener Couleur ähnlich eindeutig oder halten sich Rabbiner eher zurück um der gebotenen Neutralität willen?
    Stein: Jüdische Gemeinden dürfen nicht in Wahlkämpfe – das ist seit 1964 gesetzlich geregelt. Religiöse Gemeinden überhaupt haben in politischen Fragen neutral zu sein. Es ist aber so: Amerikanische Juden sind in ihrer großen Mehrheit linksliberal, wählen demokratisch in ihrer großen Mehrheit.
    Rabbiner dürfen sich nicht in den Wahlkampf einmischen. Auch Peter Berg, Chefrabbiner des Temple, der ältesten jüdischen Gemeinde in Atlanta, hält sich an die gebotene Neutralität religiöser Gemeinschaften
    Rabbiner dürfen sich nicht in den Wahlkampf einmischen. Auch Peter Berg, Chefrabbiner des Temple, der ältesten jüdischen Gemeinde in Atlanta, hält sich an die gebotene Neutralität religiöser Gemeinschaften (Foto: Ellis Vener)
    Wenn es überhaupt irgendwo Juden gibt, die eher republikanisch sind, dann ist es bei den Orthodoxen. Womit ich nicht gesagt haben will, dass alle orthodoxen Juden republikanisch sind. Ich sage nur: Das ist die einzige Gruppe, unter der man überhaupt Wähler der Republikaner findet.
    Nun ist das mit Donald Trump noch mal anders. Donald Trump ist ja nun kein – wie soll man sagen – typischer republikanischer Kandidat wie John McCain oder Mitt Romney es waren oder wie Ronald Reagan es war.
    Donald Trump ist ein rassistischer Demagoge, ein Frauenfeind außerdem. Er ist völlig unberechenbar. Und deswegen haben viele Konservative, und zwar an erster Stelle übrigens die Neocons, sehr früh gesagt, dass sie absolut gegen Donald Trump sind. Das findet man auch bei Juden.
    Antisemitische Kampagnen von Trump-Unterstützern
    Eine Geschichte, die man in diesem Zusammenhang – denke ich – erzählen sollte: Es gibt ein paar konservative Journalisten, die sehr scharf gegen Donald Trump geschrieben haben – hier in Amerika. Und sie wurden alle Ziel von extrem antisemitischen Kampagnen aus dem Trump-Lager heraus. Denn zu Trumps Unterstützern gehört die sogenannte "Alt-Right", "Alternative Right", die alternative Rechte. Das sind mehr oder weniger intellektuelle Rechtsradikale, das muss man so sagen. Die haben diese jüdischen Journalisten mit antisemitischen Emails und Twitter-Kampagnen – und zwar schärfstens, wirklich in Nazi-Sprache eingedeckt. Das ist in den Vereinigten Staaten neu. So sind jüdische Journalisten in der amerikanischen Geschichte – soweit ich weiß – noch nie behandelt worden. Für europäische jüdische Journalisten ist das beinahe die Realität. Hier in Amerika ist jetzt etwas Neues und sehr Hässliches passiert, nämlich ein ganz offenes Agieren mit nazi-haftem Antisemitismus.
    Donald Trump hat sich von diesen, seinen Unterstützern nicht etwa distanziert, sondern er hat sie sogar gerechtfertigt, denn er sagt in einem Interview: Na ja – diese jüdischen Journalisten sind ja im Grunde selber schuld.
    "In der Thora heißt es, dass wir den Fremdling lieben sollen"
    Main: Sie sind aktives Mitglied einer jüdischen Gemeinde in New York. Jetzt mal aus einer religiösen Perspektive heraus: Was ist der zentrale Punkt, der Donald Trump aus einer religiösen Perspektive heraus für Sie nicht wählbar macht?
    Stein: Dass er meine mexikanischen Brüder und Schwestern Vergewaltiger nennt und beschimpft. Ich weiß gar nicht, wie oft es in der Thora heißt, dass wir den Fremdling lieben sollen – aber ziemlich häufig, wenn ich mich richtig daran erinnere. Natürlich nicht jeden Fremdling, nicht den Fremdling, der mir die Kehle durchschneidet. Aber das tun diese mexikanischen Immigranten ja gar nicht. Nur so in Klammern: Es gibt im Moment gar keine mexikanische Immigration, es ist ein Null-Thema. Aber allein schon der Rassismus - würde ich sagen – ist etwas, was zutiefst jüdischen Prinzipien widerspricht. Die Bibel ist nicht nur kein rassistisches Buch, die Bibel ist ein anti-rassistisches Buch.
    Vergiftete Atmosphäre
    Main: Sie neigen in Ihren Publikationen nicht so sehr dazu, die Rolle des Staates hochzuschätzen, schon gar nicht so hoch wie bei Bernie Sanders. Dennoch – wir waren nicht so weit davon entfernt, dass es nach dem ersten schwarzen, einen ersten jüdischen US-Präsidenten beinahe gegeben hätte. Wäre er Ihr Mann gewesen?
    Stein: Überhaupt nicht, aber ich glaube auch nicht, dass er Präsident geworden wäre. Ich glaube nicht, dass Bernie Sanders gegen Trump viel gerissen hätte. Es gab Leute, die sagten, dass er in den Umfragen besser abschneidet als Trump. Das kam aber daher, weil die Republikaner sich noch überhaupt nicht mit ihm beschäftigt hatten. Sie hätten dann natürlich aufs schärfste gegen ihn geschossen.
    Bernie Sanders ist überhaupt nicht mein Mann, aber das ist meine persönliche Meinung. Bernie Sanders ist ein linker Sozialdemokrat und ich bin kein linker Sozialdemokrat. Aber natürlich ist linker Sozialdemokrat erstmal nicht eine ehrenrührige Sache. Man kann linker Sozialdemokrat sein, es funktioniert nur halt nicht. Der erste jüdische Präsident in Amerika wird mein Sohn, das ist doch vollkommen klar.
    Main: Also ein jüdischer US-Präsident ist möglich und denkbar im gegenwärtigen Klima der Vereinigten Staaten?
    Stein: Ja, das ist eine interessante Frage.
    Main: Ja, wenn Ihr Sohn es wird.
    Stein: Mein Sohn ist ja erst dreieinhalb. Das hat noch Zeit.
    Ich habe die Befürchtung, dass Donald Trumps Kandidatur, allein seine Kandidatur, die Sachen, die er sagt, die Sachen, die jetzt in Amerika wieder sagbar geworden sind – ich habe die Furcht, dass allein das die amerikanische Atmosphäre für eine Generation vergiften wird, weil jetzt sämtliche Rassisten aus ihren Löchern kommen.
    "Ich hoffe, ich irre mich"
    Wir sind ja jetzt in einer interessanten demografischen Situation. 2020 – also bei den nächsten Wahlen – wird die Mehrheit der amerikanischen Babys, die hier geboren wird, nicht mehr weiß sein. Das heißt, die Weißen verlieren gerade demografisch ihre Vormachtstellung, wofür auch diese Kandidatur von Trump steht: Seine Hauptwähler sind ja weiße Männer, die keine College-Erziehung haben. Bei denen erzeugt das eine ungeheure Furcht und Wut. Diese Furcht und Wut drückt sich in dieser Kandidatur aus.
    Ich fürchte aber, dass das, was dieser Mann jetzt in die Debatte geworfen hat, auch die Verschwörungstheorien – Clinton soll für die internationalen Bankiers bezahlen, was ja nun wirklich schärfstens nach den "Protokollen der Weisen von Zion" riecht, also nach antisemitischer Verschwörungstheorie – ich fürchte, dass das den Diskurs in Amerika für eine Generation vergiften wird. Aber ich hoffe natürlich, dass ich mich irre.
    Main: Hannes Stein, Journalist und Schriftsteller, er lebt in New York, mit einem jüdischen Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Amerika. Danke Ihnen, Hannes Stein, für Ihre Einschätzungen.
    Stein: Da nicht für – sagen die Hamburger.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.