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US-Wahlkampf
Die Stimme der "alten, weißen Männer"

Es sei alles durcheinander, sagte der frühere Botschafter der USA in Deutschland, John Kornblum, im DLF. Hillary Clinton und die Demokraten definierten das neue Amerika. Die Eliten stünden fest hinter ihr. Aber es gebe auch die Gruppe der "alten, weißen Männer". Diese seien aufgebracht. Wie sie abstimmen werden, sei unmöglich vorauszusehen, so Kornblum.

John Kornblum im Gespräch mit Bettina Klein | 01.08.2016
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    John C. Kornblum, ehemaliger Botschafter der USA in Deutschland (dpa / Horst Galuschka)
    Bettina Klein: Gut drei Monate noch bis zu den Präsidentschaftswahlen in den USA, rund 100 Tage, das ist praktisch gar nichts. Die Zeit wird verfliegen und nehmen wir den Vorwahlkampf zum Maßstab, wird es noch ein paar kräftige Überraschungen geben. Die Wahlkampfzüge sitzen gewissermaßen nach den Parteiversammlungen der Demokraten und Republikaner jedenfalls auf dem Gleis und rollen gewissermaßen aufeinander zu. Ziehen wir doch mal ein Fazit und schauen, was wir jetzt zu erwarten haben, mit dem früheren Botschafter der USA in Deutschland, mit John Kornblum! Er steht den Clintons nahe, er war unter Bill Clinton Diplomat und wir erreichen ihn heute Morgen in den USA. Grüße Sie, Herr Kornblum!
    John Kornblum: Ja, guten Morgen!
    Klein: Die Parteitage sind vorbei. Die Kandidaten stehen felsenfest. Ist das Rennen für sie schon gelaufen?
    "Demokraten vertreten die obere Elite, Republikaner vertreten die Arbeiter"
    Kornblum: Ich glaube, ja, aber man kann nicht sicher sein. Ich habe nie einen Wahlkampf erlebt, wo die Ausgangslage so unklar ist und wo die Positionen der Parteien auch so wechselhaft sind. Auf einmal sind die Demokraten die großen Patrioten, die Republikaner warnen vor dem Weltuntergang, die Demokraten vertreten sozusagen die obere Elite, die Republikaner vertreten die Arbeiter. Es ist alles durcheinander. Und deshalb ist es sehr schwierig, genaue Voraussagen zu machen. Frau Clinton führt in den Umfragen, aber Trump hat so schnell und so überraschend zugewonnen, dass man eigentlich nie sicher sein kann.
    Klein: Ich gehe davon aus, Sie unterstützen Hillary Clinton. Wo machen Sie denn die größten Hürden für einen Wahlsieg von Hillary Clinton aus, Stand heute, 1. August?
    "Die Stimmung unter der Bevölkerung ist sehr unklar"
    Kornblum: Na, die großen Hürden sind, glaube ich zweierlei. Erstens: Es ist für sie immer noch nicht möglich – und ich glaube nicht, dass sie das auf dem Konvent geschafft hat –, eine richtige Begeisterung für sich zu gewinnen. Sie ist sehr sachlich, sehr erfahren, sehr ehrlich, aber nicht aufregend und auch nicht besonders warm. Das ist die eine. Die andere ist, wie vorhin gesagt: Die Stimmung unter der Bevölkerung ist sehr unklar. Besonders unter den berühmten alten weißen Männern, die immer noch einen ziemlich großen Anteil an der Wahlbevölkerung haben. Sie scheinen aufgebracht zu sein, sauer zu sein, Stimmungen, die man auch in Europa jetzt im Moment hört. Und es ist so gut wie nicht möglich vorauszusehen, wie diese Leute abstimmen werden.
    Klein: Sie haben es angesprochen, nach Ihrer Einschätzung gelingt es Hillary Clinton bis heute nicht, eine gewisse Wärme und Verbindlichkeit auszustrahlen und die Wähler wirklich zu begeistern, obwohl sie eigentlich ja wissen kann, dass es darauf möglicherweise jetzt auch ankommt. Weshalb gelingt das nicht Ihrer Meinung nach?
    "Sie ist immer sozusagen die Klassenbeste gewesen"
    Kornblum: Ja, das ist schwer zu sagen. Sie ist immer sozusagen die Klassenbeste gewesen. Und wenn man ihre Laufbahn anschaut, ist es nicht nur, seitdem sie mit Bill Clinton verheiratet war, auch davor war sie engagiert in verschiedenen Sachen. Sie hat sich ja für Kindergarten für arme Kleinkinder eingesetzt, sie hat sich auch in Südamerika und so engagiert. Sie tut immer das Gute, aber hat irgendwie nicht das Talent, das Gute irgendwie anziehend oder aufregend zu machen.
    Klein: Das ist eine persönliche Eigenschaft und daran wird sie auch nichts ändern können, sagen Sie?
    "Die neuen Eliten stehen fest hinter den Demokraten"
    Kornblum: Nein, das wird sich nicht ändern, nein. Und für sie spricht im Moment, dass sie und ihre Partei das neue Amerika eigentlich definieren. Das neue Amerika wird nicht mehr so weiß sein, nicht mehr so industriell sein, nicht mehr so ländlich, männlich sein, und die neuen Gruppen, die Einwanderergruppen, aber auch die neuen Eliten stehen fest hinter den Demokraten. Und das sollte eigentlich genug sein. Aber man muss abwarten, wie gesagt, wir haben so viele Überraschungen erlebt, man kann nicht sicher sein, welche noch ausstehen.
    Klein: Schauen wir auf den Faktor weibliche Wähler: Da sind ja auch einige darunter, die eben ihr das auch nicht verziehen haben, dass sie eben damals zu Bill Clinton gehalten hat und dass sie eben auch nicht so richtig wissen sozusagen, wie viel Ehrgeiz dahintersteckt, der eben wirklich etwas "over the top" ist. Manche sagen ja, dass die Wahlen jetzt auch sehr stark entschieden werden von den Frauen, die sich nach den frauenfeindlichen Ausfällen von Donald Trump hinter ihr scharen werden. Glauben Sie, das ist ein wichtiger Faktor?
    "Clinton schneidet besonders schlecht ab bei den jüngeren Frauen"
    Kornblum: Ein sehr, sehr wichtiger Faktor. Die Republikaner haben schon seit 15 Jahren oder mehr, waren immer in der Minderheit bei den Frauen. Und dieses Mal laut Umfragen gibt es 60, 70 Prozent der Frauen, die sich schon für Frau Clinton ausgesprochen haben. Aber hier ist eine sehr interessante Entwicklung, die man wahrscheinlich lange diskutieren wird, und das heißt, dass Hillary Clinton besonders schlecht abschneidet bei den jüngeren Frauen. Die Frauen, die sie und wahrscheinlich ihres Altersgleichen sagen würden, wir haben den Weg für euch bereitet, ihr seid ja jetzt so erfolgreich im Leben, weil Frauen wie Hillary Clinton vor 50 Jahren für euch gekämpft haben. Aber das scheint irgendwie nicht zu klingen, das scheint irgendwie nicht genug zu sein für diese jungen Frauen, die irgendwas mehr von ihr erwarten. Und dieses Mehr ist auch sehr schwierig zu definieren.
    Klein: Halten Sie das nur für eine Art von Undankbarkeit oder ist auch ein Faktor, den wir beobachten konnten, dass … Die jungen Frauen haben eben Bernie Sanders unterstützt im Vorwahlkampf, viele haben sich gewundert … Dann war eine Analyse, gerade in den Zeiten der Allgegenwart von sozialen Netzwerken, von Twitter und Facebook, von Videos und Fotos fiel eben auch auf, wie wenig Authentizität sie ausgestrahlt hat. Und deswegen haben – das war eben eine Analyse – viele dann eben diesem älteren Herrn, der etwas älter wirkt als Hillary Clinton, obwohl er nicht viel älter ist, ihre Stimme gegeben.
    Die jungen Frauen erwarteten von Clinton "was Zukunftsweisenderes"
    Kornblum: Ja, so ungefähr. Ich meine, Undankbarkeit ist ein schwieriges Wort. Ich würde in diesem Fall das nicht sagen, ich glaube, diese jungen Frauen sind ihr doch dankbar. Nur, sie erwarten was anderes von ihr, sie erwarten was Moderneres, was Zukunftsweisenderes. Und sie erwarten was von ihr, was sie wahrscheinlich – das sage ich mit aller Freundlichkeit –, das sie wahrscheinlich selber nicht definieren können.
    Klein: Herr Kornblum, schauen wir noch mal auf diesen jüngsten Hackerangriff und die sogenannte E-Mail-Affäre: Da wurden also Tausende von E-Mails des demokratischen Parteiapparates an die Öffentlichkeit gegeben dank Wikileaks.
    Es ist die Vermutung dahinter, dass Russland oder russische Geheimdienste, russische Hacker dafür verantwortlich sind, Russland bestreitet das. Jetzt hat Hillary Clinton gestern auch wieder im Interview gesagt, es war Russland, obwohl das eigentlich noch gar nicht erwiesen ist, denn das FBI ermittelt. Versucht man da auch so ein bisschen davon abzulenken, dass da wirklich nicht ganz saubere Geschichten gelaufen sind während des Vorwahlkampfes, wenn wir jetzt denken an den Umgang mit Bernie Sanders?
    Kornblum: Na, ein bisschen natürlich. Aber ich glaube, dieses Kapitel ist jetzt abgeschlossen. Bernie Sanders hat auch sehr stark und sehr positiv für Hillary Clinton gesprochen auf dem Konvent. Nein, ich glaube, das Problem ist ein anderes, und es ist ein Größeres, das wir eigentlich gemeinsam in der westlichen Welt haben: Wenn man den Zeitungen glaubt, dann sind die Experten – Regierungsexperten, aber auch private Experten – ziemlich darüber im Klaren, dass es russische Quellen waren. Das bedeutet nicht, dass es die russische Regierung war, aber russische Quellen waren. Aber das ist natürlich nicht das erste Mal.
    "Man weiß, dass die Chinesen das machen"
    Es hat ja vor drei, vier Jahren schon ein Riesenhacking bei Sony-Filme gegeben von Nordkorea, wo ja unglaubliche Geheimnisse und so von Sony, Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht worden sind. Man weiß, dass die Chinesen das machen, und natürlich weiß man auch, dass der Westen auch nicht mit weißen Westen so rumläuft.
    Diese Sache zeigt, wie schwierig es in der Zukunft sein wird, diese elektronischen Maßnahmen, die elektronischen Mittel einzureihen. Die NATO hat schon eine lange Diskussion gehabt, ob man Beteiligungswahl ausrufen würde oder nicht. Und man ist auch zu keinem Schluss gekommen. Das ist ein sehr schwieriges Thema.
    Klein: Was würde das denn bedeuten, wenn sich das bestätigt, dass das eben Russland war?
    Kornblum: Die Zeitungen heute, die Sonntagszeitungen in Amerika haben viele Artikel darüber gehabt, was sollte jetzt der Präsident machen? Sollte es jetzt Sanktionen geben? Ist das eine Frage von einer starken politischen Reaktion, just zu dem Zeitpunkt, wo man versucht mit Ach und Krach, eine gemeinsame Politik in Syrien zu finden? Die Antwort ist: Man weiß nicht, was man machen soll.
    Klein: Man weiß nicht, was man machen soll, vielleicht noch mal abschließend dann der Blick auf die Außenpolitik insgesamt, wo natürlich der Umgang mit Russland auch ein Faktor ist: Gesetzt den Fall, es käme so, wie Sie im Augenblick vermuten – sicher ist es nicht –, Hillary Clinton wird Präsidentin, was bedeutet das dann für die Verbündeten? Sie war ja auch außenpolitisch nicht immer einer Meinung mit Obama, also zum Beispiel als es damals um Syrien, die sogenannten roten Linien ging.
    Kornblum: Ja.
    Hilary Clinton würde die atlantische Partnerschaft unterstützen
    Klein: Worauf können sich die Verbündeten denn im Fall Hillary einstellen?
    Kornblum: Na, erstens wird sie natürlich stabil, sehr loyal und auch, meine ich, auch sehr offen für Zusammenarbeit sein. Man wird eine Präsidentin haben, die wirklich das Atlantische Bündnis und die atlantische Partnerschaft innehat und jetzt auch unterstützen wird.
    Aber die Frage ist natürlich nicht nur das, sondern was macht man jetzt bei all diesen Fragen? Und da wird man sehr auf Europa schauen und – das brauche ich nicht zu sehr zu betonen – auch sehr auf Angela Merkel.
    "Beziehungen zwischen Frau Clinton und Frau Merkel sehr positiv"
    Klein: Also auf mehr Eigenverantwortung, so hieß es ja schon vor acht Jahren, als Obama ins Amt kam. So viel mehr Eigenverantwortung war es dann nicht, aber die Tendenz geht ja eindeutig dahin. Also, das ist auch das, was Clinton erwarten wird?
    Kornblum: Sie wird das erwarten. Aber ich weiß aus persönlicher Erfahrung, dass die Beziehungen zwischen Frau Clinton und Frau Merkel sehr gut und sehr positiv sind. Ich glaube nicht, dass es nur eine Frage von Eigenverantwortung sein wird, sondern man wird sehr auf sie bauen als eine Partnerin, der man wirklich vertrauen kann.
    Was für eine Politik Trump führen würde, wisse man nicht
    Klein: Und Trump wird sich wirklich zurückziehen aus allen NATO-Verpflichtungen, oder müssen wir das ein bisschen mit Humor nehmen, sage ich mal, und er wird von diesen Positionen dann auch wieder zurückgehen?
    Kornblum: Ja, Humor ist ein bisschen zu stark für mich, Humor habe ich nicht bei ihm. Aber ich würde sagen, gerade jetzt, er hat wieder Äußerungen heute gemacht, die zeigen, dass er eigentlich keine objektive Linie hat. Er sagt mehr oder weniger, was ihm in den Kopf kommt und so. Wenn er in dem Fall gewinnen würde, man könnte eigentlich überhaupt nicht wissen, was für eine Politik er führen würde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.