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US-Zwischenwahlen
Treu zu Trump und moralisch flexibel

Die Mehrheit der weißen Evangelikalen unterstützt Donald Trump noch immer. Er lebt zwar nicht nach ihren sittenstrengen Grundsätzen, aber er hat sein Versprechen gehalten: Im Supreme Court gewinnen christlich-fundamentalistische Positionen Einfluss.

Von Rita Schwarzer | 06.11.2018
    US-Präsident Donald Trump und die evangelikale TV-Pastorin Paula White beim "Dinner for Evangelical leadership". White gilt als spirituelle Vertraute Trumps.
    US-Präsident Donald Trump und die evangelikale TV-Pastorin Paula White beim "Dinner for Evangelical leadership". Sie gilt als spirituelle Vertraute Trumps (imago / UPI Photo)
    Ende September in Washington DC. Zweieinhalb Tage lang treffen sich in der amerikanischen Hauptstadt evangelikale Rechtskonservative zum sogenannten "Value Voters Summit,", dem nationalen Gipfeltreffen der selbsternannten "Werte-Wähler". Veranstalter ist das Family Research Council, eine Denkfabrik der Religiösen Rechten, die sich nach eigener Darstellung für die christlichen Werte der Ehe und den Schutz ungeborenen Lebens einsetzt. Bürgerrechtsorganisationen wie das "Southern Poverty Law Center" stufen die Einrichtung dagegen als hetzerisch ein, vor allem wegen ihrer falschen und verleumderischen Propaganda gegen Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle.
    In den vergangenen drei Jahren hatte Donald Trump die Konferenz mit seiner Aufwartung gekrönt.
    "We are stopping cold the attacks ...", hatte er versprochen. "Wir stoppen jetzt sofort die Attacken auf die jüdisch-christlichen Werte", verkündete er dem jubelnden Publikum, "Wir sagen wieder Fröhliche Weihnachten!"
    "Christ, Republikaner, Amerikaner - in dieser Reihenfolge"
    Diesmal lässt Trump die Tagung aus. Stattdessen schickt er seinen Vize, Mike Pence. Ein evangelikaler Hardliner, der oft und gerne von sich sagt: "Ich bin Christ, Republikaner, Amerikaner - in dieser Reihenfolge". So auch jetzt:
    "I am a Christian, a Republican, and an American, in that order."
    Trumps Auftritt scheint inzwischen ohnehin nicht mehr nötig: Bereits im August hatten er und seine Gattin rund hundert handverlesene Evangelikale ins Weiße Haus geladen, darunter etliche Kabinettsmitglieder sowie sein informelles "Evangelical Advisory Board", 24 meist ältere, fundamentalistische Pastoren aus dem Süden des Landes, die direkten Zugang zum Präsidenten genießen und ihn regelmäßig beraten.
    Offiziell war der Empfang ins Zentrum der Macht zu Ehren der evangelikalen Führung des Landes. Nachdem die Medienleute abgezogen waren und die Türen geschlossen, kam Trump dann aber rasch auf den eigentlichen Grund dieses Abends zu sprechen: Er warnte vor einer Wahlschlappe der Republikaner bei den bevorstehenden Zwischenwahlen und malte die Folgen in den düstersten Farben: "Ich kann euch nur bitten, dafür zu sorgen, dass alle eure Leute wählen gehen. Tun sie es nicht, stehen uns zwei schlimme Jahre bevor."
    "Evangelikale unterstützen nach wie vor begeistert Donald Trump", verkündete anderntags Robert Jeffress, Pastor der First Baptist Church, einer Megakirche in Dallas, Texas, und einer von Trumps religiösen Ratgebern auf Fox TV: "Der Abend wurde fast ein bisschen zur Wahlkampf-Ralley.
    Trumps religiösem Beraterzirkel
    Und so gleicht denn auch dieses Gipfeltreffen der Erzkonservativen in der amerikanischen Kapitale einem einzigen, großen Wahlkampf-Event: "Sie, Amerikas Werte-Wähler, können über den Kurs dieses Landes bestimmen und darüber, ob es stark sein wird, unsere Verfassung bewahrt und unseren Gott, den Erschaffer, ehrt" mahnt Tony Perkins, Präsident des Family Research Councils, und ebenfalls Mitglied in Trumps religiösem Beraterzirkel.
    "Sie müssen begreifen: wir sind im Krieg", schmettert Brigitte Gabriel, eine aus dem Libanon stammende Christin in den Saal und ruft zum Beitritt in ihre "ACT for America" auf. Die Muslim- und Immigranten-feindliche Organisation gilt als größte ihrer Art.
    Mike Pompeo, Trumps evangelikaler Außenminister, ist einer ihrer Sympathisanten. Auch er hat an dieser Konferenz seinen Aufritt. Ebenso Mitch McDonnell, der Baptist und republikanische Mehrheitsführer im Senat. Dessen Zusicherung, der arg unter Druck geratene Brett Kavanaugh werde schon bald im Obersten Gericht des Landes sitzen, reißt das überwiegend weiße, ältere Publikum von den Stühlen. Als Vizepräsident Mike Pence dann noch verspricht, die angefangene Mauer entlang der mexikanischen Grenze fertig zu bauen, skandiert der Saal: "Baut die Mauer! Baut die Mauer!"
    Billy Grahams Sohn ist begeistert
    81 Prozent der weißen Evangelikalen haben Donald Trump vor zwei Jahren ihre Stimme gegeben. Einem zum dritten Mal verheirateten Milliardär und sechsfachen Bankrotteur, der mit seiner "Trump University" Tausende von Absolventen um ihr Geld betrog, im Wahlkampf mexikanische Einwanderer pauschal als Kriminelle und Drogendealer und Muslime als Terroristen verunglimpfte, der sich öffentlich über einen Behinderten lustig machte, die islamischen Eltern eines gefallenen US-Soldaten verhöhnte und damit prahlte, Frauen ungefragt küssen und zwischen die Beine greifen zu können.
    Viele von jenen, die ihm zum Sieg verholfen hatten, priesen Trumps Wahl nun öffentlich als gottgewollt. Zum Beispiel Franklin Graham, Spross des legendären Erweckungspredigers Billy Graham.
    Selbst jetzt, nachdem Trumps Beliebtheit in der Gesamtbevölkerung gerade noch um 40 Prozent herumdümpelt, bleiben weiße Evangelikale praktisch unverändert sein treuster Wählerblock. - Dabei war die erste Hälfte seiner Amtszeit von noch mehr Skandalen und Kontroversen geprägt als sein Wahlkampf.
    Wie lässt sich erklären, dass fromme Christen, die angeblich, streng nach dem Wortlaut der Bibel leben, noch immer einen Mann unterstützen, der gegen mindestens drei der zehn Gebote verstoßen hat, sich selber mehr liebt als seine Nächsten und dessen Wesen und Werte in völligem Widerspruch zu all dem stehen, was Evangelikalen heilig ist?
    "Evangelikale haben den Ruf, moralisch und theologisch dogmatisch zu sein. Die uneingeschränkte Unterstützung Donald Trumps lässt allerdings vermuten, dass sie bezüglich Moral bemerkenswert flexibel sind.", sagt Randall Balmer, Professor für Geschichte am renommierten Dartmouth College im Bundesstaat New Hampshire. Balmer ist selber evangelikal. Und er gilt als einer der angesehensten und besten Kenner seiner Glaubensgemeinschaft in den USA. - Als er aufwuchs, in den 60er und 70er Jahren, erzählt der Historiker, waren Scheidungen für Evangelikale noch tabu. Wer es trotzdem wagte, riskierte aus der Gemeinschaft geworfen zu werden oder zumindest an den Rand gedrängt.
    "Das änderte 1980, als Evangelikale sich von Jimmy Carter abwandten, einem ihrer eigenen Leute, einem guten Familien-Mann und Sonntagsschullehrer einer südlichen Baptistengemeinde. Stattdessen wählten sie den geschiedenen und zum zweiten Mal verheirateten Ronald Reagan. Sie taten dies zu einem guten Teil, weil Reagan damals gegen Abtreibung war und Carter nicht. Wenn Sie jedoch die historischen Akten jener Zeit studieren, und ich habe dies intensiv getan, dann sehen Sie: Carter hatte eine viel längere und konsequentere Linie gegen die Abtreibung als Reagen, der als Gouverneur von Kalifornien 1967 das liberalste Abtreibungsgesetz des Landes unterzeichnet hat. Das war der Beginn der rutschigen Bahn, auf die die Evangelikalen geraten sind. 2016 unterstützten sie dann keinen Kandidaten, der nicht zum zweiten, sondern zum dritten Mal verheiratet ist. Andere moralische Aspekte gingen vollends den Bach runter, etwa die Vorstellung von Ehrlichkeit und persönlicher Integrität."
    Weihnachten statt X-Mas
    Weiße Evangelikale sahen in Trump keinen der herkömmlichen Kandidaten, die sie in den Jahrzehnten zuvor unterstützt hatten, erklärt Neil J. Young, ein unabhängiger New Yorker Historiker und Publizist, der über Religion und Politik schreibt:
    "Trump versprach Ihnen, sie an die Macht zurückzubringen. Und er schien fest dazu entschlossen. Versprechen wie: "Wir werden wieder 'Fröhliche Weihnachten' sagen", mögen als Kleinigkeiten erscheinen. Für weiße Evangelikale waren sie aber von enormem symbolischen Wert. Zudem machte ihnen Trump große politische Zusicherungen. Und so entschieden sie: das war einen Deal wert".
    Oberste Priorität in diesem Pakt: die Besetzung des Supreme Court, dem höchsten Gericht des Landes:
    "Schon während des Wahlkampfs war dies stets das wichtigste Thema. Mit Trump im Oval Office erhielten weiße Evangelikalen die Möglichkeit, den Obersten Gerichtshof der USA nach rechts zu verschieben. Damit hofften sie, das Recht auf Abtreibung erschweren, vielleicht sogar rückgängig machen zu können und die gleichgeschlechtliche Ehe zu kippen."
    Mit der Ernennung Neil Gorsuchs im letzten Jahr und Brett Kavanaughs vor einem Monat, hat sich das wichtigste Ziel evangelikaler Falken bereits in der ersten Hälfte von Trumps Amtszeit erfüllt. Beide Richter waren ihre erklärten Favoriten. Und sie setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um zögerliche Republikaner im Senat dazu zu drängen, ihre Stimme einem Mann zu geben, der wegen Vorwürfen sexueller Gewalt höchst umstritten bleibt.
    "Das Gute hat über das Böse gesiegt!", triumphierte der südliche Baptistenprediger Jeffress kurz nach der Vereidigung Kavanaughs auf Fox TV. "Wir werden noch jahrzehntelang auf diese Richterwahl zurückblicken und erkennen: dies war ein kultureller Wendepunkt!"