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Deutsche Spuren in New Orleans

Auf Spurensuche nach deutschen Einflüssen gibt es in New Orleans viel zu entdecken: So deuten Familien- oder Ortsnamen auf die Einwanderungsgeschichte hin. Heute vermitteln der Verein Deutsches Haus und das Deutsch-Amerikanische Kulturzentrum die Immigrationsgeschichte.

Von Martina Groß | 16.06.2019
Verpackte "German 3-D Realistic" Dirndl und Lederhosen
Im Deutschen Haus gibt es Souvenirs und Speisen aus Deutschland (Martina Groß)
Ich bin mit Dietmar Felber unterwegs auf dem Friedhof Lafayette No. 1. Er unterrichtet Deutsch an der Toulane University. Der 1833 eröffnete Friedhof ist von vier großen Straßen und unzähligen kleinen Nebenstraßen durchzogen. An deren Rändern stehen Mausoleen aus weißem und grauem Stein. Tiny Houses für die Toten.
"Der John H. Felmadan. 1825 geboren, ist vermutlich so um die Jahrhundertmitte nach New Orleans gekommen. Ist 1877 gestorben. Er war ein Schuster. Aber wenn man hinten nachsieht, dann sieht man dass die ursprünglichen Einträge alle auf Deutsch waren. Nur ist es jetzt schon sehr verwittert und man kann es kaum noch lesen. Also hier oben. J. Heinrich Fellmadan. Der John Henry Felmadan, geboren in Hitzerode bei Hessen-Kassel. Geboren 1825, gestorben 1877. Das ist der Mann der vorne verzeichnet ist."
"Es gab diese sehr frühe Immigration entlang der ‚Deutschen Küste‘, das war 1720 mit der Indischen Kompanie aus Frankreich. Aber die eigentliche Immigration war in den 1850ern. Nach der Deutschen Revolution."
Brigitta Malm ist 1965 aus Deutschland nach New Orleans gekommen und geblieben. Eines ihrer Steckenpferde ist die Geschichte der Deutschen Immigranten und besonders des Turner Vereins.
Turngemeinde Turner’s Hall
Es gab sie in allen großen Städten der USA. Seit 1851 auch in New Orleans. Hier wurden frühsozialistische Ideen verhandelt. Ihre Mitglieder kamen mit der zweiten Einwanderungswelle. Viele von ihnen flohen vor den reaktionären Verhältnissen zu Hause und hofften auf ein neues, ein besseres Leben in einem demokratischen Land. In dessen Süden damals immer noch der Sklavenhandel florierte:
"Diese frühen Immigranten waren Bauern, im Unterschied zu denen nach der 48er-Revolution, das waren Ärzte, Anwälte und so weiter. Und das war ein großer Unterschied, das sieht man an den Bauten. Als ich 2001 feststellte, dass eines der schönsten Gebäude im Zentrum New Orleans von einem deutschen Architekten gebaut wurde, habe ich mich sehr gefreut. Heute befindet sich dort ‚Louisianas Stiftung für Geisteswissenschaften‘, aber es firmiert unter ‚Turner‘s Hall‘, das ist die Turngemeinde."
Das Haus an der Ecke Lafayette und O‘Keefe Street ist ein imposanter Stadtpalast, dessen streng spätklassizistischer Stil sofort ins Auge fällt. Der Turner Verein nutzte das Haus gleichermaßen als Ort für die körperliche Ertüchtigung wie für politische und kulturelle Veranstaltungen:
"Wie in allen diesen Organisationen kamen sie mit einer vagen sozialistischen Idee. Tatsächlich gründeten sie aber eine Organisation für beides: Sie machten Gymnastik, fungierten aber gleichzeitig als Wohltätigkeitsorganisation. Sie kümmerten sich um Witwen, denen sie nach dem Tod ihrer Männer Geld gaben. Es gab Theateraufführungen und Konzerte an diesen Orten."
Deutsche Vereine existierten in vielen Stadtteilen von New Orleans. Mitte der 1850er-Jahre stellten deutsche Einwanderer zwölf Prozent der Bevölkerung. Es gab unzählige deutsche Kirchen und Synagogen. Brauereien, Bäckereien und Beerdigungsinstitute. Zeitweilig erschienen über 70 Zeitschriften und Magazine auf Deutsch. Den meisten war aber nur ein kurzes Leben beschieden. Nur zwei überlebten das 19. Jahrhundert.
Deutschsein wurde unbeliebt
Die europäische Politik warf ihre langen Schatten immer auch auf die andere Seite des Großen Teichs. Die Kriege zwischen Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert, die zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert. Der Erste Weltkrieg führte zu einem vorübergehenden Publikationsverbot in deutscher Sprache und auch Unterricht in Deutsch war verboten. Viele Einwanderer wie Heinrich Feldaman, hatten ihre Namen da längst schon anglisiert. Oder wie die Familie Zweig ihren Namen in La Branche französiert. Deutschsein war nicht immer en vogue.
"Dann verloren all diese Organisationen, die Chöre, Liederkranz und andere ihre Mitglieder wegen des Ersten Weltkriegs. Damals entstand die Idee für das Deutsche Haus. Sie trafen sich alle und gründeten diesen Verein."
Deutsches Haus öffnet seine Türen für die Öffentlichkeit
Nur wenige Gehminuten von der Endstation Park City der Canal Street Straßenbahnlinie entfernt steht das Deutsche Haus. Ein Neubau. Erst im November 2018 hat das Haus aus grauem Backstein, mit dem hohen, tief gezogenen Giebeldach, seine Türen für die Öffentlichkeit geöffnet. Rechtzeitig zum 90. Geburtstag des Vereins. Ich bin mit Denise Barnett in der großen Lagerhalle nebenan verabredet. Dort steht ein großer bronzener Bär. Auf seinem Kopf sitzt eine Baseballkappe; er trägt Lederhose:
"Der Berliner Bär. Die Stadt New Orleans bekam ihn vor 1992 geschenkt. Ich glaube, wir haben einen Zeitungsartikel, in dem steht, dass er den Seeleuten übergeben wurde und im Hafengebäude von New Orleans stand. Im August 1992 haben wir ihn bekommen, um ihm ein Zuhause zu geben und uns um ihn zu kümmern."
Noch muss im neuen Haus der richtige Platz für den schwergewichtigen Gast aus Berlin gefunden werden. Einen Architekturentwurf für das neue Deutsche Haus zu finden, auf den sich alle Mitglieder einigen konnten, stellte sich als schwierig heraus. Auf jeden Fall sollte es kein bayerisches Fachwerkhaus werden. Aber welches deutsche Bautradition sollte sich in der Architektur widerspiegeln? Keine einfache Aufgabe, wie Jack Gonzales, der Vorsitzende des Deutschen Hauses erzählt:
"Wir wollen für alle, die kommen, wollen offen sein und allen die Erfahrung ermöglichen. Also gibt es untereinander häufig kleine Konflikte, etwas missfällt oder wir könnten ihre Region oder Gegend besser repräsentieren. Wir wollen das auch öfter versuchen. Die Herausforderung ist, dass die Meinungen unserer deutschstämmigen Mitglieder darüber, was das bedeutet, weit auseinander gehen. Wir kämpfen jeden Tag darum, zu versuchen, allen ein gutes Gefühl von Gemütlichkeit zu vermitteln."
Für das leibliche Wohl ist natürlich auch gesorgt: Es gibt Bratwurst und Sauerkraut, Schnitzel und was die gutbürgerliche deutsche Küche sonst noch zu bieten hat. Es gibt eine große Fest- oder Bierhalle. Die auch für das große Oktoberfest genutzt wird, das jedes Jahr stattfindet. Mit Live Musik, Tanz und Dackelrennen. Wer will, kann einen Bierseidel aus einem reichhaltigen Angebot erwerben oder andere Souvenirs; ganz ohne nach Deutschland reisen zu müssen. Von 3D-Dirndl- und Lederhosen über Geschirrtücher mit Omas Weisheiten bis zu Tirolerhüten. Die Auswahl ist riesig. Und natürlich gibt es eine große Auswahl an importierten Bierseideln. All das zu finden, sei nicht einfach, erklärt Keith Oldendorf, der mich durch die Schatzkammer deutscher Souvenirs führt:
"Of course we have Biersteins, German festival wouldn‘t be complete without Bierstein. So we actually get these from the importer."
"Oh, these German 3D realistic lederhosen. Wow."
"Where do you get these things from?"
"Ah, it‘s, you kind of have to search a lot. It is not easy to find."
Geschichte deutscher Einwanderung im Kulturzentrum
Für die Geschichte deutscher Einwanderer ist das Deutsch-Amerikanische Kulturzentrum zuständig.
Das Deutsch-Amerikanische Kulturzentrum in Gretna, New Orleans
Im Deutsch-Amerikanischen Kulturzentrum werden Gegenstände ausgestellt, die deutsche Einwanderer mit nach Amerika brachten (Martina Groß)
Es liegt auf der westlichen Seite des Mississippi in Gretna. Hier treffe ich den stellvertretenden Leiter Ira Hopkins:
"Gretna wurde von Deutschen gegründet. Eigentlich hieß es Mechanicsham. Und es hieß Mechanicsham, weil der Besitzer der Destréhan Plantage Deutsche aus New Orleans hier rüber brachte. Denn das war der große Verladehafen und sie konnten sehr geschickt mit ihren Händen arbeiten. Sie bauten Zahnräder, Flaschenzüge und Dämme. Sie waren eigentlich Mechaniker. Deswegen nannte man die Gegend Mechanicsham. Denn hier haben sie sich niedergelassen."
Im Kulturzentrum ist die deutsche Einwanderung vom frühen 18. Jahrhundert bis heute thematisiert. Ausgestellt ist all das, was die Einwanderer mit in die neue Welt brachten: Handgesticktes, Küchenutensilien, Bücher und Fotografien und vor allem ihre Sprache die sich in den Liedern der Chöre erhalten hat. Hier sind ihre Tonaufnahmen zu hören. Plakate deutscher Theater- und Ballettinszenierungen. Oder Biografien deutschstämmiger Politiker, Architekten oder Geschäftsleute, die das Leben und die Kultur in New Orleans über Jahrzehnte mit gestaltet haben. Viele von ihnen sind auf dem Friedhof Lafayette No. 1 zu finden.
"Leidenheimer. Das habe ich doch gestern gehört."
"Ja, das kann sein, es gibt eine Bäckerei, die heisst so in New Orleans."
"Immer noch?"
"Der Lieferwagen fährt immer noch durch die Stadtteile, auch die Gegend hier. Da steht Leidenheimer drauf. Leidenheimer Baker. Die macht French Bread."