Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv

Fußball-WM in Katar
USA-Iran: Das politisch aufgeheizte Spiel

Iran gegen die USA – an politischer Brisanz schon kaum zu überbieten. Vor dem Hintergrund, dass es im direkten Duell um den Achtelfinal-Einzug bei der WM geht, noch einmal brisanter. Die Anti-Regime-Proteste bringen noch einmal mehr Konfliktpotenzial.

Von Matthias Friebe | 29.11.2022
Iranische Fans vor dem WM-Stadion in Katar
Iran-Fan Saeed Kamalinia lebt mit seiner Frau Negim seit gut zehn Jahren in den USA. (Deutschlandradio / Matthias Friebe)
Applaus von iranischen Journalisten, als Irans Nationaltrainer Carlos Queiroz das Podium im Internationalen Medienzentrum der WM betritt. Ein iranischer Journalist erklärt nach der PK, der Applaus sei nicht politisch zu verstehen, man wolle ihm danken von Mensch zu Mensch, dafür, dass er für den Iran eintritt und sich wehrt gegen das in seinen Augen respektlose Verhalten in westlichen Medien.
Die Stimmung am Tag vor dem politisch und sportlich brisanten Spiel zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten ist angespannt. Der iranische Verband hat offiziell Beschwerde bei der FIFA eingelegt, weil der US-Verband in den sozialen Medien eine Tabelle mit einer veränderten iranischen Flagge veröffentlicht hatte, eine Solidarisierung mit den Protesten dort. Deshalb erklärt Carlos Queiroz bei der Pressekonferenz, er wünsche sich, dass man für künftige Turniere lerne, die Politik aus dem Spiel zu halten. Es sei doch die Mission, zu unterhalten.
Und wieder Applaus für Queiroz. Er wird nicht müde zu betonen, dass er Menschenrechtsfragen, wenn schon bei seinen Medienterminen, dann gerne auch bei allen Teams thematisiert gesehen hätte, denn er stehe mit seinem iranischen Team für diese Fragen überall ein. Aber und dann folgt zum wiederholten Male seine Mission.

Iran-Fan: "Kritische Spieler werden als Geiseln genommen"

Am Abend spielen zehn Kilometer entfernt Brasilien und die Schweiz. Auf der Tribüne fiebert auch Iran-Fan Saeed Kamalinia mit seiner Frau Negim mit. Seit gut zehn Jahren leben die beiden Sportfans in den USA. Sie tragen T-Shirts, auf denen „Women Life Freedom“ zu lesen ist. Es ist der Slogan der iranischen Protestbewegung gegen das Regime.
Drei starke Worte sagt Kamalinia, er unterstützt die von Frauen angeführte Revolution in seinem Heimatland. Als er hört, was Nationaltrainer Queiroz wenige Stunden zuvor gesagt hat über Sport als Unterhaltungsobjekt, wird er ernst. Verletzt sei er davon, wenn seine Liebsten auf der Straße getötet werden, wie um alles in der Welt könne man vom Fußball dann unterhalten werden? Beim ersten Spiel gegen England hatte das Nationalteam geschwiegen zur Nationalhymne. International als mutiges Zeichen geachtet, kommt das längst nicht bei allen gut an.
Vom Fußball-Team, dass aufgrund der großen Aufmerksamkeit ziemlich sicher sei, habe man sich mehr erwartet. Mutigere Zeichen als nur zu schweigen und das auch nur im ersten Spiel. Im Team seinen Spieler, die die Regierung unterstützen, aber auch kritische Spieler. Und die würden quasi als Geiseln genommen, so Kamalinia.
Auch auf den WM-Tribünen wird stellvertretend dieser Kampf ausgetragen. Es geht auch darum, wer in der Mehrheit ist. Beim Spiel gegen Wales beobachten die Fans, wie regimetreue Anhänger mit Bussen zum Stadion gebracht werden. Darunter auch Arbeitsmigranten aus Bangladesch und Nepal, Hauptsache, die große Masse ist für das Regime. Saeeds Frau Negim ergänzt, die ganze Absurdität zeige sich schon allein darin, dass nur um der Welt möglichst viel Normalität vorzugaukeln diese Anhänger weitergefeiert hätten, auch nach sechs Gegentoren gegen England.

Politische Fragen bei der Pressekonferenz unerwünscht

Dieser Kampf um die Deutungshoheit, er ist spürbar auch im Pressezentrum. Auf die Frage eines US-Journalisten, ob man ihn als Unterstützer der iranischen Regierung bezeichnen könne, sagt dieser Iraner: Er sei für den Iran - und dann wird’s spannend. Weil er im Iran lebe, habe er die einzig richtige Meinung dazu. Überhaupt was hätten politische Fragen auf einer Fußball-Pressekonferenz verloren, sagt der Journalist, der in den letzten Tagen auf Twitter sich zu kaum anderem als der politischen Seite dieser WM geäußert hat.
Kurz nach dem Iran kommt auch das US-Team ins Pressezentrum. Die gleichen Journalisten, denen eben noch alles zu politisch war, holen jetzt zum Gegenangriff aus, fragen zum Beispiel nach US-Kriegsschiffen im Persischen Golf. Schließlich eine Frage an US-Kapitän Tyler Adams, der eine Belehrung vorausgeht. Dann wollen sie von ihm wissen, wie er für ein Land spielen kann, in dem Schwarze systematisch diskriminiert werden. Adams antwortet, er habe Hoffnung, so lange man eine Entwicklung spüren könne. Bildung sei alles, er habe ja gerade auch vom Journalisten die Aussprache gelernt.

Sieger der Partie steht im Achtelfinale

Es ist der erste verbale Schlagabtausch vor einer Partie, die auch sportlich brisant ist. Der Sieger steht im Achtelfinale, zum ersten Mal überhaupt hat der Iran die Chance dazu. Man wolle ein Lächeln auf die Gesichter der Fans zaubern und alle stolz machen, auch den Fußball, sagt Trainer Carlos Queiroz.
Die Hoffnung, das wird bei den regierungstreuen Journalisten deutlich: ein Erfolg des Teams soll helfen im Heimatland. „Peace to Iran, thank you Team Melli“ jubelte eine Anhängerin nach dem 2:0-Sieg gegen Wales in eine BBC-Kamera. Den Erfolg hätten alle Iraner egal welcher politischen Meinung gefeiert, sagen auch die Journalisten.
Das entlockt Negim Kamalinia im Stadion nur ein zynisches Lachen. Dann seien sie wohl keine Iraner. Am vergangenen Freitag beim zweiten Spiel der iranischen Mannschaft wurde sie mit ihrem Mann für mehrere Stunden von der Polizei festgehalten. Zweieinhalb Stunden habe es gedauert, schließlich hätten sie aber von einem Moment auf den anderen gehen dürfen, als sie die Polizisten nach ihren Dienstausweisen gefragt hatten.
Während der WM wird Katar von Sicherheitskräften aus 18 Ländern unterstützt, darunter auch Iran. Anfragen dazu lassen sowohl die FIFA als auch das katarische Supreme Committe unbeantwortet. Für Aufregung sorgte in den letzten Tagen zudem ein geleaktes Audio aus iranischen Regierungskreisen.
Aus dem geht hervor, dass Katar offenbar behilflich ist, regimekritische Fans ausfindig zu machen. Vor diesem Hintergrund beginnt ab 20 Uhr deutscher Zeit also diese brisante Partie. Sportlich geht es ums Achtelfinale und zudem um die Sicherheit kritischer iranischer Fans. Besorgt sei er, sagt Saeed Kamalinia. Trotzdem will er mit seiner Frau und einem Freund da sein, die Mannschaft unterstützen und für die Menschenrechte einstehen – mit ihren T-Shirts und „Women Life Freedom“.