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USA müssen friedliche Entwicklung im Irak fördern

Sylvie Reichel: Die amerikanische Regierung hat die Lage im Nachkriegs Irak falsch eingeschätzt. Dies gab vergangene Woche Präsident Georg W. Bush öffentlich zu. Und die Bilder aus Nadschaf unterstrichen seine Worte noch. Die US-geführten Truppen hatten sich wochenlang Gefechte mit den Milizen des Schiitenführer Mukteda El Sadr geliefert. Alle Verhandlungen scheiterten, bis Großayatollah Sistani eingriff, mit einer Pilgerschar auf die Imam-Ali-Moschee zumarschierte und El Sadr zum Aufgeben überredete. Allerdings verließen die Aufsässigen als freie Männer das Heiligtum und die amerikanischen Soldaten müssen mit leeren Händen aus Nadschaf abziehen. Wahrscheinlich werden sich El Sadr und seine Kämpfer nun an anderen Orten sammeln und erneut für Unruhe sorgen. Verhält sich damit die amerikanische Militärführung korrekt? Darüber möchte ich mit Professor Karl Meessen sprechen, er ist Völkerrechtler und Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls in Jena. Herr Meessen, beim Einmarsch der US-geführten Truppen im Irak und auch als der Folterskandal von Abu Ghureib bekannt wurde, stand immer die Frage im Vordergrund, inwieweit wird das Völkerrecht verletzt? Die Präsenz der amerikanischen Soldaten und ihrer Verbündeten ist nun inzwischen durch die UNO legitimiert. Verhält sich die US-Militärführung dann im Einklang mit dem Völkerrecht?

Moderation: Sylvie Reichel |
    Karl Meessen: Die völkerrechtliche Lage hat sich geändert, und zwar in dem Augenblick, als die jetzige provisorische Regierung die Macht im Irak übernahm, denn mit dieser Regierung ist abgemacht, dass die amerikanischen Truppen nur solange und nur in soweit im Einsatz bleiben, als die Regierung zustimmt. Damit haben wir eine einverständliche Regelung jetzt als Grundlage des Vorgehens der Amerikaner mit dem Irak.

    Reichel: Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, um nicht einen Streit zwischen der Regierung und der militärischen Führung der Amerikaner ausbrechen zu lassen?

    Meessen: Die Regierung setzt die Grenzen, die irakische Regierung könnte den Amerikanern Grenzen setzten und wenn die Amerikaner diese Grenzen überschreiten, die von der Regierung gesetzt werden, dann müsste man zurückgreifen auf die, wie sie richtig gesagt haben, bedenkliche Grundlage des Eingreifens. Und insofern sehe ich dann sofort ein Problem. Im Übrigen gibt es natürlich Grenzen, die sich dadurch ergeben, dass für Kampfhandlungen das Völkerrecht auch in einem solchen Konflikt gilt. Da gibt es das humanitäre Völkerrecht, das die Menschen schützen soll. Diese Regeln müssen allerdings auch von beiden Seiten eingehalten werden. Bei den Auseinandersetzungen in Nadschaf muss man ja auch sagen, dass die El Sadr Milizen die heiligen Stätten als Schutzschild genutzt haben. Ein Sieg in Nadschaf war in meinen Augen nie möglich. Insofern bin ich sehr froh, dass durch das Eingreifen von Sistani, eine jedenfalls nicht jetzt weiter blutige Auseinandersetzung in Nadschaft stattfindet und vor allem, dass nicht die heiligen Stätten in größerem Umfang beschädigt wurden, denn das sind Dinge, die über Jahrzehnte hinweg in Erinnerung bleiben.

    Reichel: Und die US-Militärführung hat sich ja auch ganz strikt daran gehalten, diese Moschee eben nicht zu beschädigen.

    Meessen: Es war sehr, sehr klug, dass sie das nicht gemacht haben, so wie ja auch im Zweiten Weltkrieg Deutschland zerbombt war, aber unsere Kirchen, zum großen Teil jedenfalls, überlebt haben.

    Reichel: Die amerikanische Regierung hat sich nach dem Sturz von Saddam Hussein vier Aufgaben gestellt: Sicherheit herstellen, die Grundversorgung gewährleisten, Bedingungen für einen Wirtschaftsaufschwung schaffen und die Weichen für eine demokratische Zukunft schaffen. Bis jetzt scheint keiner dieser Punkte wirklich erfüllt. Vielleicht noch am ehesten der letzte Punkt. Welche Verantwortung hat die amerikanische Regierung gegenüber den Irakern?

    Meessen: Die amerikanische Regierung kann sich da nur bemühen, denn man muss sehen, dass durch die Geiselnahmen mit Enthauptungen - elf Enthauptungen waren es bisher, habe ich gestern in der Zeitung gelesen - für einen Wirtschaftaufschwung denkbar schlechte Bedingungen geschaffen werden, denn das bedeutet ja, dass Investoren sehr, sehr vorsichtig operieren müssen und das Land derzeit noch meiden. Aber die Amerikaner müssen eben auch ihrerseits, nachdem sie durch den Beginn des Konflikts eine Verantwortung auf sich genommen haben, ihr möglichstes tun, um wenigstens jetzt eine friedliche Weiterentwicklung vorzubereiten. Man muss ja sagen, es hätte noch schlimmer kommen können und es sind wohl auch noch nicht alle Probleme im Irak gelöst. Das heißt, wir stehen sicher noch vor einer unsicheren Zukunft, was die Entwicklung im Irak angeht.

    Reichel: Wie stark müssen denn auch örtliche Besonderheiten berücksichtigt werden, zum Beispiel die große Bedeutung und auch Legitimation von geistlichen Führern, die ja nicht unbedingt auf demokratischer Basis beruht?

    Meessen: Das ist sehr, sehr schwer. Der Irak ist eben ein Land, das eine Demokratie nie gekannt hat. In den 50er Jahren wurde das Königreich übrigens blutig beseitigt. Die Königsfamilie wurde ermordet und dann kam es zu einigen Diktaturen, aus denen sich dann seit 1975/79 Saddam Hussein als der Führer herausgestellt hat und er sein Land Jahrzehnte lang unterdrückt hat und trotz der Niederlage im Golfkrieg von 1991 war es dem irakischen Volk nicht möglich, sich Saddam Husseins selbst zu entledigen, obwohl ja eine Mehrheit gegen ihn stand, insbesondere die Schiiten, die ja die Mehrheit des Volkes ausmachen. In so einer Situation einen demokratischen Aufbau zu vollziehen, geht nur schwierig und auch nur langsam. Ich glaube aber, dass der Schritt zur Bildung der provisorischen Regierung, die ja anerkannt worden ist, ein richtiger Schritt war. Dem müssen nun die Wahlen folgen. Die Amerikaner sind ja im Augenblick auch im Irak durch einen ihrer besten Diplomaten vertreten, Negroponte, der UNO-Botschafter war. Das ist eine allererste Wahl zu einer Vertretung der Amerikaner, was man allein daran sieht, dass man von ihm fast nichts gehört hat seit der Amtsübergabe, während der "Vizekönig" Bremer doch viel Beobachtung von der Presse auf sich zog.