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Was Trump-Wähler wollen

Warum haben so viele Amerikaner Donald Trump unterstützt? Das hat sich die US-Soziologin Arlie Russell Hochschild schon lange vor seinem Wahlsieg gefragt. Sie ist ins Herz der amerikanischen Rechten gereist. Ihr Buch "Fremd in ihrem Land" ist ein gesellschaftliches Psychogramm.

Von Katja Ridderbusch | 11.09.2017
    Donald Trump bei einer Wahlkampagne in New Orleans, Louisiana am 4 März 2016. Er hält den 20 Monate alten Curtis Ray Jeffery während einer Rede vor Anhängern bei einer Rally am Flughafen Lakefront in New Orleans, Louisiana, USA, auf seinem Arm.
    Donald Trump bei einer Wahlkampagne in New Orleans, Louisiana am 4 März 2016. (Dan Anderson / DPA)
    "These are the forgotten men and women of your country, but they will not be forgotten long..."
    Die vergessenen Männer und Frauen Amerikas würden nicht mehr lange vergessen sein, donnerte Donald Trump im Sommer 2016. Und tatsächlich sollte ein beachtlicher Teil der Bevölkerung zwischen Rostgürtel und Golfküste wenige Monate später Trump zum Präsidenten wählen - als Retter aus dem Sumpf der Frustration.
    Arlie Russell Hochschild, Soziologin an der Universität von Berkeley in Kalifornien, tut einen mutigen Schritt: In ihrem neuen Buch "Fremd in ihrem Land" wirbt sie um Verständnis, gar Sympathie für jene Menschen, die Trump möglich machten, viele von ihnen weiße, männliche Vertreter der Unter- und unteren Mittelschicht.
    Linksliberale Blase
    Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen. Die Originalausgabe sorgte bereits vor einem Jahr in den USA für Diskussionen: Da hielten die meisten Beobachter Trump noch für einen bizarren Systemfehler, und seinen Wahlsieg für nahezu ausgeschlossen.
    Hochschilds Motivation: Sie will verstehen, wirklich verstehen, was die Menschen treibt, die scheinbar gegen ihre eigenen Interessen die ultrakonservative Tea Party unterstützen. Im US-Rundfunk räumt die Autorin ein: Ihr eigenes Leben in einer Blase aus linksliberalen Gleichgesinnten habe ihr lange Zeit den Blick verstellt:
    I was living in an enclave, and that I didn't understand the people with whom I knew I had deep disagreements ...
    Sie habe in einer völlig anderen Welt gelebt, sagt sie, und die Menschen einfach nicht verstanden, deren Ansichten so verschieden von ihren eigenen seien. Deshalb beschließt sie, ihre intellektuelle Westküsten-Enklave zu verlassen und sich aufzumachen zu einer Reise ins Herz der amerikanischen Rechten.
    Verstehen, was die Trump-Wähler treibt
    Als Ziel wählt sie Louisiana im Süden der USA. Louisiana ist der zweitärmste unter den 50 Bundesstaaten. Hier stimmten 58 Prozent der Wähler für Trump.
    Hochschild begleitet sechs Menschen, die sich politisch allesamt dem rechten Flügel der Republikaner nahe fühlen. Ihr Ziel: "die Empathiemauer zu überwinden", wie sie schreibt. Die Geschichten dieser Protagonisten gehören zu den stärksten Passagen des Buches - die Autorin erzählt sie lebendig, behutsam, unaufgeregt.
    Da ist zum Beispiel Lee Sherman. Ehemaliger Arbeiter in einem Chemiewerk. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Giftmüll im nahen Bayou zu entsorgen. Seit einem Arbeitsunfall ist er Invalide; er wird zum Umweltschützer, kämpft gegen die Verseuchung der Flussarme. Zugleich ist er ein strammer Anhänger der Tea Party, die die Befugnisse der Umweltbehörde einschränken will.
    Das gehe nur schwer zusammen, schreibt Hochschild: "Im Leben eines einzigen Mannes, Lee Sherman, spiegelten sich beide Seiten des großen Paradoxes wider: das Angewiesensein auf staatliche Unterstützung - und deren grundsätzliche Ablehnung."
    Der große Widerspruch, an dem sich Amerika-Experten seit der Trump-Wahl abarbeiten: Dass diejenigen, die am lautesten gegen den Wohlfahrtsstaat zu Felde ziehen, seine Dienste - in Form von Lebensmittelgutscheinen beispielsweise - am eifrigsten in Anspruch nehmen.
    Gegner von "Big Government"
    Oder dass die Feinde staatlicher Eingriffe Regulierung zwar im Prinzip ablehnen, aber bei bestimmten Themen die starke Hand des Staates dann doch am Werk sehen wollen:
    "Für erklärte Gegner von "Big Government" ist es schon erstaunlich, wie viel Macht sie dem Staat in der Frage der Abtreibung einräumen wollen, die ja eigentlich eine Angelegenheit des Einzelnen ist."
    Doch die Autorin macht es sich nicht einfach. Sie sucht nach einer Erklärung jenseits der Klischees und der oberflächlichen Logik. Sie sucht ein Narrativ dort, wo sich das Leben der Menschen "anfühlt", wie sie schreibt. Hochschild nennt das die "Tiefengeschichte", und die erzählt sie als Parabel in drei Szenen.
    "In der ersten Szene warten die Menschen in einer Schlange. Darauf, dass sich nach einem Leben voll harter Arbeit der amerikanische Traum für sie erfüllt. Sie sind müde. Die Schlange bewegt sich nicht. Aber die Leute sind geduldig. Doch dann drängeln sich einige Leute vor. Und wer sind die Vordrängler?
    Es sind Schwarze und Frauen, die infolge der sogenannten Affirmative Action, einer Serie von Erlassen der US-Regierung, bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden müssen. Es sind Immigranten, die von staatlichen Sozialleistungen profitieren und Amerikanern angeblich ihre Arbeitsplätze wegnehmen.
    Fremde Welt der Abgehängten
    Und dann ist da noch derjenige, der die Schlange beaufsichtigen soll: der Präsident. Als Hochschild ihre Interviews führt, (war) ist das noch Barack Obama.
    "Er scheint den Leuten zu signalisieren, dass es in Ordnung ist, sich vorzudrängeln. Er scheint sie gar zu ermutigen. Und die Leute, die geduldig in der Schlange gewartet haben, fühlen sich verraten, zurückgedrängt und ungerecht behandelt."
    Fast alle Protagonisten in ihrem Buch hätten bei den Präsidentschaftswahlen für Trump gestimmt, schreibt die Autorin im Nachwort zur deutschen Ausgabe. Die wenigsten, weil sie ihn für den perfekten Kandidaten hielten. Sie lehnten seinen protzigen Lebensstil, seine Scheidungen und sein wüstes Gebaren ab, aber sie sähen auch keine politische Alternative.
    "Obwohl (Trump) Milliardär war, hatten (sie) den Eindruck, er erkenne das Leid und die Verluste der arbeitenden amerikanischen Bevölkerung an. (Auch) fanden sie, die Demokratische Partei habe ihnen nichts zu bieten, sondern habe ihnen das Gefühl vermittelt, kulturell fremd in ihrem Land zu sein."
    Chronik der Marginalisierten
    Mit ihrem Buch reiht sich Arlie Hochschild in eine Reihe liberaler Denker ein, die zuletzt in die fremde Welt der Trump-Wähler eingetaucht sind: die Historikerin Nancy Isenberg mit "White Trash", einer Geschichte der Unterschicht in den USA. Oder der Unternehmer J.D. Vance mit seiner Autobiografie "Hillbilly Elegie".
    "Fremd in ihrem Land" ist eine Chronik der Marginalisierten. Was das Buch auszeichnet, ist der Ton: neugierig, beobachtend, unmittelbar und mitfühlend, aber niemals herablassend. Vor allem kommt das Buch ganz ohne strenge Belehrungen aus. Auch das macht es so lesenswert, besonders in Deutschland.
    Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten.
    Campus-Verlag, 429 Seiten, 29,95 Euro.