Archiv


Vaatz: Kinderlosigkeit ist "Mangel an sich"

Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz beklagt eine ökonomisch bestimmte Sicht auf den Kindermangel in Deutschland. Es sei "ein Armutszeugnis, wenn eine Gesellschaft erst feststellt, dass die Kinder fehlen, wenn die sozialen Systeme bedroht sind oder wenn die Konsumkraft bedroht ist", sagte der CDU-Politiker. "Ich betrachte eine Gesellschaft nur dann als gesund, wenn sie die Abwesenheit von Kindern als Mangel an sich empfindet", betonte er.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter. So heißt es beim deutschen Frühromantiker Novalis. Wenn man dieses Wort beim Nennwert nimmt, dann entwickeln sich die Deutschen zurück und befinden sich nun in einer Art Steinzeit, denn Kinder werden seltener. Im letzten Jahr sank die Geburtenzahl auf das Niveau von Nachkriegsdeutschland, als die Männer fehlten. Nun wird seit einiger Zeit über die Folgen der Kinderlosigkeit diskutiert. Man fürchtet um den Bestand der Sozialsysteme, um die künftigen Steuereinnahmen, um künftige Konsumenten. Aber wo sie sind, da sind sie Störfaktoren, die möglichst schnell irgendwo versorgt und betreut werden müssen, die Kinder, damit Mutter und Vater frei sind für angeblich wichtigere Tätigkeiten. Das Kind als Faktor, das Kind als Kind, gibt es das noch?

    Dies wollen wir nun am Weltfamilientag besprechen mit Arnold Vaatz, zuständig für Menschenrechte im Fraktionsvorstand der Union, deren Vize er auch ist. Zunächst mal guten Morgen, Herr Vaatz!

    Arnold Vaatz: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Vaatz, Kinder sichern die Sozialsysteme. Sie sichern die Zukunft. Das sagt auch der Bundespräsident. Das sagen alle Regierungen, die Parlamentarier und auch das Bundesverfassungsgericht, also alle staatlichen Gewalten, und seit einiger Zeit auch die Medien, die vierte Gewalt. Was sagen Sie? Würden Sie dem etwa widersprechen wollen?

    Vaatz: Man kann dem nicht widersprechen, aber es ist zugleich ein Armutszeugnis, wenn eine Gesellschaft erst feststellt, dass die Kinder fehlen, wenn die sozialen Systeme bedroht sind oder wenn die Konsumkraft bedroht ist. Kinder sind an sich ein fester Bestandteil des menschlichen Lebens. Ich betrachte eine Gesellschaft nur dann als gesund, wenn sie die Abwesenheit von Kindern als Mangel an sich empfindet. Ich glaube, dass an der Stelle unsere Gesellschaft erhebliche Defizite hat.

    Liminski: Nun leben Kinder aber nicht im beziehungslosen Raum. Eltern, Lehrer und andere müssen natürlich darauf achten, dass das Leben irgendwie weiter geht. Wir leben halt nicht in einem Kinderparadies wie Bullerbü bei Astrid Lindgren, oder halten Sie Bullerbü für mehr als eine Illusion, für mehr als nur einen Wunschtraum?

    Vaatz: Ja. Es ist vielleicht die Abbildung eines Mangels. Es ist vielleicht deshalb zu Stande gekommen, dieses Idealbild, weil man eben zunehmend feststellt, dass die Beziehungen, die Zuwendungen zu Kindern stärker verschwinden aus dem öffentlichen Leben, dass wir eben eine Lage haben, wo die Erziehung immer stärker ausgelagert wird, wo die Elterngeneration und die Kindergeneration sich immer stärker entfremden, immer mehr abgeschlossene Lebensräume, abgeschlossen voneinander, beanspruchen. Dann bilden sich solche Idealvorstellungen vielleicht heraus.

    Liminski: Ist denn dieser Traum, der eigentlich die Sehnsucht nach angenommen sein und nach Liebe ist, auch ein Menschenrecht?

    Vaatz: Man kann es mit dem Terminus Technicus Menschenrecht bezeichnen, aber es ist eigentlich das Natürlichste auf der Welt. Es ist eigentlich ein konstitutives Element des Lebens überhaupt. Ohne dieses Grundvertrauen, diese Sehnsucht nach angenommen sein, wird überhaupt nichts funktionieren. Es werden auch keine Werte Bestand haben, und es wird auch keine allgemeinen Überzeugungen von Gut und Böse und so weiter mehr geben. Aus dem Grunde kann ich nur sagen: Wo diese Sehnsucht zurückgeht oder nicht befriedigt wird, dort ist die Gesellschaft bedroht.

    Liminski: Gesellschaften werden durch das Recht strukturiert. Wie soll man denn nun Kinderfreundlichkeit schaffen oder herstellen, durch mehr Mitspracherechte für Kinder, wie es das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF fordert?

    Vaatz: Nein. Ich glaube eher, dass das ein Nebenwegschauplatz ist. Natürlich ist es eine interessante Sache, Kinder stärker auf die Techniken, auf die Funktionsmechanismen, die im Leben auf sie warten, vorzubereiten und so weiter, aber das ist nicht der Punkt. Ich glaube, das Eigentliche ist eben, ohne den Willen der Eltern, für das Kind da zu sein, ohne eine selbstlose Liebe zum Kind, ohne dass die Eltern Schaden, der dem Kind droht, als eigenen Schmerz empfinden und als eigene Niederlage empfinden, ohne dass sie die Kinder als Teil ihrer selbst empfinden, glaube ich, sind wir als Gesellschaft - das muss ich noch mal sagen - krank und zwar unabhängig davon, ob wir das als Menschenrecht bezeichnen oder nicht. Aber natürlich ist es ein Menschenrecht, angenommen worden zu sein von seinen Eltern und von seinen Verwandten.

    Liminski: Wann soll denn, wann darf denn der Staat sich dann überhaupt in die Eltern-Kind-Beziehung einmischen?

    Vaatz: Ich denke, er sollte sich so wenig wie möglich darin einmischen. Er sollte auf der anderen Seite aber einen Rahmen setzen, dass die Eltern-Kind-Beziehung nicht durch äußere Faktoren zerstört wird. Er sollte seine Einrichtungen so gestalten, dass sie gefestigt wird und nicht zerrissen wird. Das bedeutet natürlich, dass er auch insbesondere Angebote machen muss an Familien, die die Familien davor bewahren, durch Kinder beispielsweise an den Rand der Gesellschaft oder der Armut zu geraten.

    Liminski: Gestern war Muttertag, Herr Vaatz. Wenn Sie ein Plädoyer für Mütter, für Mutterliebe und Liebe zu Kindern halten, laufen Sie heute Gefahr, sich in der deutschen Macho-Gesellschaft lächerlich zu machen. Dabei sprechen sich nach einer Emnid-Umfrage aus dem April mehr als die Hälfte aller Mütter dafür aus, ihre Kinder in den ersten Jahren bis zum Kindergarten selbst zu erziehen, ihnen also mehr Zeit zu widmen, mehr Zeit als Politik und Wirtschaft für sinnvoll halten. Ist die Instrumentalisierung der Kinder ein Problem des politischen, vielleicht auch des medialen Establishments und nicht des Volkes?

    Vaatz: Es gibt eine Reihe von Anzeichen, dass es genau so ist, wie Sie vermuten. Wenn ich mal ein Beispiel nennen darf: Es hat vor kurzem ein Buch gegeben in Berlin. Eine Frau hat ihre Erfahrungen mit Lehrern zusammengeschrieben. Das ist das so genannte Lehrerhasserbuch. Nun ist der Titel sehr geschmacklos, gerade angesichts dessen, was auch mit Lehrern in letzter Zeit in Deutschland passiert ist, aber die Frau beschreibt eine Reihe von Erfahrungen, die sie mit Lehrern gemacht hat und die offenbar der Lehrerschaft nicht gut gefallen. Jetzt lesen wir also in der Zeitung von der Gewerkschaftsvorsitzenden der GEW von Berlin, nun wundere sich diese Frau, die das Buch geschrieben hat, wenn ihr und ihren Kindern an den Berliner Schulen wegen des Buches das Vertrauen entzogen würde. Das heißt mit anderen Worten, man betrachtet es als selbstverständlich, dass an den Kindern im Grunde vergolten wird, was einem an den Eltern nicht gefällt. Da muss ich sagen, fängt die Instrumentalisierung an und sie geht dann weiter, wenn man Kinder für gewerkschaftliche Forderungen von Lehrern auf die Straße gehen lässt, die sie vielleicht gar nicht selber verstanden haben.

    Liminski: Also die Instrumentalisierung der Kinder. Sehen wir die Welt der Kinder vielleicht dann zu sehr mit unseren Erwachsenenaugen?

    Vaatz: Ja. Ich glaube man appelliert ein Stück an den Zuschauer - das ist also auch ein Stück Medienrealität bei uns -, dass er nicht bemerkt, dass hier Kinder möglicherweise für ein politisches Ziel instrumentalisiert werden. Man appelliert an das Auge des Erwachsenen. Man appelliert an die Unkenntnis oder an den Mangel, sich einzufühlen in die Lage des Kindes. Nur dann kann so etwas funktionieren. Ich meine die Dinge sind schon sehr alt. Kinder sind immer für Politik instrumentalisiert worden. Aber man muss etwas dagegen tun, dass sich das fortsetzt.

    Liminski: Das war Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und in dieser Fraktion auch zuständig für Menschenrechte. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vaatz.

    Vaatz: Bitte.