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Väterchen Bildung

Die jahrhundertealte Russische Akademie der Wissenschaften wird reformiert: Eine neu gegründete staatliche Wissenschaftsagentur wird die 436 Forschungsinstitute und rund 50.000 Mitarbeiter verwalten. Renommierte Wissenschaftler fürchten, dass der ohnehin angeschlagenen Wissenschaft in Russland weiterer Schaden zufügt wird.

Von Mareike Aden |
    Mit seinen angegrauten Haaren, der Halbglatze und seinem länglichen Gesicht sieht der 58 Jahre alte theoretische Physiker Walerij Rubakow nicht gerade aus wie ein Rebell. Er ist ruhig in Mimik und Gestik, redet klar und strukturiert, während er an seinem Schreibtisch mit einem Doktoranden eine Konferenz plant. Aus dem geschlossenen Fenster sieht man Schornsteine qualmen: Das Institut für Kernforschung liegt in einem Industriegebiet im Süden von Moskau. Aber Walerij Rubakow, einer der weltweit bekanntesten Physiker auf dem Gebiet der Teilchenphysik, hat in den letzen Monaten offen rebelliert: gegen die Reform der Akademie der Wissenschaften, die im Sommer plötzlich auf der Tagesordnung stand. Rubakow hat mit anderen vor dem Parlament demonstriert, offene Protestbriefe geschrieben und in russischen Medien appelliert.

    "Eine meiner größten Sorgen war von Anfang an, dass die ganze Reform wie eine geheime, hektische Spezialoperation ausgeführt wurde - und zwar von Leuten, die von Wissenschaft nichts verstehen und ohne die Akademie der Wissenschaften zu konsultieren. Und das wird nun wohl dazu führen, dass Leute über uns Entscheidungen treffen, denen die Wissenschaft vollkommen egal ist. Das ist ein großes Problem."

    Tatsächlich wird nun eine neu gegründete staatliche Wissenschaftsagentur das Sagen haben über die 436 Forschungsinstitute und rund 50.000 Mitarbeiter der Russischen Akademie der Wissenschaft - und über ihr Budget von umgerechnet 1,5 Milliarden Euro. Leiten wird sie ein junger, Kreml-naher Finanzexperte. Außerdem soll das jetzige Dreigestirn aus Akademie der Agrarwissenschaften, Akademie der medizinischen Wissenschaften und der eigentlichen Wissenschaftsakademie fusioniert und eine noch unbekannte Zahl der Forschungsinstitute geschlossen werden. Die Reform, heißt es aus dem Kreml, soll den Staatshaushalt entlasten und die russische Wissenschaft effektiver machen. Doch Physiker Rubakow glaubt, dass es auch um beachtlichen Immobilienbesitz der Akademie in ganz Russland geht.

    "Ein Teil davon wird sicher der Wissenschaft weggenommen - mal gucken, mit welchen Methoden das ablaufen wird. Und von allen diesen Privatisierungen und Verkäufen werden sicher bestimmte Leute im Staatsbetrieb finanziell profitieren."

    Aber vor allem Nachwuchswissenschaftler halten eine Reform generell für notwendig - wenn auch nicht in dieser Form. Ein großes Problem ist die Bezahlung: Junge Wissenschaftler und Doktoranden verdienen höchstens 500 Euro im Monat. Die 26 Jahre alte Jekaterina hat nach ihrem Doktor in Geografie deshalb die Wissenschaft verlassen und arbeitet nun als Assistentin beim Fernsehen.

    "Irgendwann steht man vor der Frage, ob deine Lebensumstände es dir erlauben, für so wenig Geld zu arbeiten. Und wenn die Antwort nein ist, muss man Konsequenzen ziehen. Ein weiteres Problem ist die innere Bürokratie, mit der man kämpft - zum Beispiel, wenn man Laborzubehör braucht. Man stellt Anträge und wenn überhaupt, dann bekommt man das Bestellte erst, wenn es zu spät ist."

    Anfang November hat Präsident Wladimir Putin überraschend angekündigt, dass es ein Jahr lang keine Massenkündigungen, Kürzungen oder Immobilienverkäufe geben soll. Doch Experten fürchten, dass man nach Ablauf des Moratoriums jene in der Akademie loswerden oder herabzustufen werde, die sich als aufmüpfig erweisen.

    Die jahrhundertealte Russische Akademie der Wissenschaften wird reformiert: Eine neu gegründete staatliche Wissenschaftsagentur wird die 436 Forschungsinstitute und rund 50.000 Mitarbeiter