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Valeria Luiselli: "Die Geschichte meiner Zähne"
Humor auf dem Niveau von Büttenreden

Valeria Luisellis Roman die "Die Geschichte meiner Zähne" erzählt vom Leben eines Wachmanns, der nach 20 Jahren seinen Job aufgibt und zum begnadeten Auktionär von menschlichen Gebissen wird. Die Botschaft, dass sich alles verkaufen lässt, wenn man es nur richtig vermarktet, lässt sich dabei allerdings nur mühsam erkennen.

Von Eva Karnofsky | 11.07.2016
    Zähne
    Auktionator Carretera versteigert Gebisse von berühmten Schriftstellern. (picture alliance/dpa/Foto: Jens Wolf)
    Valeria Luiselli hat ihren zweiten Roman "Die Geschichte meiner Zähne" ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte für die Arbeiter einer mexikanischen Saftfabrik geschrieben, wie es im Epilog des Buches heißt. In Anlehnung an die kubanischen Tabakmanufakturen, in denen während des Rollens der Zigarren vorgelesen wurde, sollten sich die Arbeiter der Fabrik jede Woche ein Kapitel laut vorlesen, so die Idee der Autorin. Dies geschah dann im Rahmen eines Lesekreises. Luiselli flocht dessen Anregungen und Kritik in die sechs Kapitel ein, die sie als Bücher bezeichnet. Das Ergebnis dieser zweifelsohne ungewöhnlichen Art, einen Roman zu schreiben, reicht allerdings qualitativ nicht entfernt an Luisellis Debutroman "Die Schwerelosen" heran.
    "Ich bin der beste Auktionator der Welt. Das weiß aber keiner, denn ich bin ein zurückhaltender Mensch. Ich heiße Gustavo Sánchez Sánchez, und man nennt mich, liebevoll, wie ich meine, Carretera. Nach zwei Cubalibres kann ich Janis Joplin imitieren. Ich kann Glückskekse deuten und wie Christoph Kolumbus ein Hühnerei auf den Tisch stellen. Ich kann auf Japanisch bis acht zählen: ichi, ni, san, shi, roku, shichi, hachi. Ich kann beim Schwimmen den Toten Mann machen. Das hier ist die Geschichte meiner Zähne", beginnt der Roman.
    Auktionator Carretera hat seine Geschichte von einem brotlosen Schriftsteller namens Roberto Bálser aufschreiben lassen. Luiselli hatte dabei wahrscheinlich den US-Animationsregisseur Robert Balser im Sinn, der den Beatles-Animationsfilm "Yellow Submarine" gedreht hat. Im Übrigen lebt "Die Geschichte meiner Zähne" davon, beliebig Dutzende Namen von Prominenten zu verwenden. So heißt ein Nachbar des Auktionators wie der argentinische Schriftsteller Julio Cortázar. Sie wollte die berühmten Namen gern aus dem Kontext reißen, begründete Luiselli dies in einem Interview. Literarischen Sinn ergibt das selten.
    Humor auf dem Niveau von Büttenreden
    "Zu jener Zeit war der andere Ratzinger, der berühmte, noch nicht Papst Benedikt XVI, sondern nur Präfekt der Glaubenskongregation. Die Flaca hatte Respekt vor ihm und vor allem Angst, denn in ihrer Zeit im Kloster hatte sie seine schaurigen Predigten im Radio gehört."
    Das ist Humor auf dem Niveau von Büttenreden, und der ist in Luisellis Roman immer wieder anzutreffen.
    Nach zwanzig Jahren gibt Carretera seinen Job in der Fabrik auf und stellt fest, dass er ein begnadeter Auktionator ist. Nach einer erfolgreichen Versteigerung besucht er aus Spaß selbst eine Auktion – und ersteigert das Gebiss von Marilyn Monroe. Der zahnlose Carretera lässt es sich implantieren und läuft fortan lächelnd durch die Welt. Und er organisiert eine Versteigerung der Zähne berühmter Schriftsteller. Carretera ist ein Meister darin, seine Auktionsangebote anzupreisen:
    "Es gibt gemarterte Gebisse. Das gilt etwa für dieses, das Frau Virginia Woolf gehörte. Als die Dame gerade erst dreißig geworden war, entwickelte ihr Psychiater eine Theorie, nach der ihr Gemütsleiden von einem Übermaß Bakterien an den Zahnwurzeln herrührte. Sie solle sich jene drei Zähne ziehen lassen, die am stärksten betroffen schienen. Es nützte nichts. Im Laufe ihres Lebens wurden ihr noch weitere Zähne gezogen."
    Weder spannend noch unterhaltsam
    Die ausführliche Beschreibung der Auktion und ihrer zehn Angebote zählt zu den stärkeren Seiten des Romans, denn Luiselli spielt darin humorvoll-doppeldeutig mit Werk und Biographie der Schriftsteller, deren Zähne zum Verkauf stehen. Sie zeigt darin bisweilen ihre gewohnte Eloquenz, die sie in "Die Geschichte meiner Zähne" in weiten Teilen vermissen lässt. Gelegentlich vergaloppiert sie sich darin auch in der Wahl ihrer Metaphern, wenn es etwa heißt, der Neid läge Carretera wie ein Faden geschmolzenen Käses in der Kehle. Die Geschichte von Carretera wird mit jedem Kapitel absurder. Schließlich verlegt er sich auf allegorische Auktionen:
    "Allegorische Auktionen waren laut Carretera 'postkapitalistische Versteigerungen für radikales Recycling, welches die Welt vor ihrem Schicksal als Mülleimer der Geschichte bewahren könnte.'"
    Man fragt sich, warum man das Buch überhaupt liest, denn in seiner Überdrehtheit ist es ist weder spannend noch unterhaltsam. Und nur mit großer Mühe kann man darin die Botschaft erkennen, dass sich alles verkaufen lässt, wenn man es nur richtig vermarktet. Nach ein paar Tagen hat man den Inhalt fast gänzlich vergessen. Es sei noch hinzugefügt, dass Valeria Luiselli das Buch durch nichtssagende Fotos aus Mexiko ergänzt, wobei sich jedoch selten erschließt, was sie damit ausdrücken will. Die Fotozeilen, fast allesamt Zitate, helfen nicht weiter. Unter einer Straßenansicht zitiert sie Keith Richards:
    "Es ist wunderbar, hier zu sein. Aber überall ist es wunderbar, da zu sein."
    Ganz von der Hand zu weisen ist er nicht, der Satz eines mexikanischen Kritikers, bei Valeria Luisellis Roman Die Geschichte meiner Zähne handele es sich um bloßes Geschwätz.
    Valeria Luiselli: "Die Geschichte meiner Zähne"
    Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz.
    Kunstmann Verlag, München 2016, 192 Seiten, EUR 16,95.