DLF: Herr van Miert, in einer Woche treffen sich die europäischen Staats- und Regierungschefs in Österreich, um darüber zu beratschlagen, wie die EU bürgernäher werden kann. Haben Sie nicht das Gefühl, daß es auf diesem Sondergipfel auch darum geht, unter dem Deckmantel 'Subsidiarität' die Kompetenz der Kommission zu beschneiden, speziell vor allem Ihre Kompetenz als Wettbewerbskommissar?
van Miert: Ja, das könnte schon sein, daß es einige gibt, die daran denken. Aber, wissen Sie, manchmal ist es so, daß man meint, man soll immer mehr machen beim Nachbarn - und weniger bei sich zu Hause. Unsere Kompetenzen - die üben wir aus auf Basis bestehender Verträge, erstens. Und daran wird sich nichts ändern. Zweitens: Wie gesagt, es ist manchmal sehr widersprüchlich, wie die Regierungen sich verhalten. Einerseits bekommen wir immer mehr Klagen, und da müssen wir ran. Es ist uns nicht überlassen, zu sagen: 'Das tun wir nicht'. Wenn es eine Notwendigkeit gibt, dann müssen wird dran. Zum Beispiel Öffentliche und Privatsender. Da haben wir sämtliche Beschwerden seit mehreren Jahren. Und das Tribunal erster Instanz hat uns schon verurteilt, weil wir das nicht rasch und schnell genug gemacht haben . . .
DLF: . . . der Europäische Gerichtshof . . .
van Miert: . . . vor einigen Wochen ist das sogar passiert. Und auch, wenn man über Buchpreisbindung redet. Man soll nie vergessen: Wir haben damit angefangen, weil es darüber Beschwerden gab. Man soll nie vergessen: Die Kommission übt hier manchmal eine Verantwortlichkeit aus wie ein Schiedsrichter, unparteiisch. Wir können uns davor nicht drücken, das ist uns nicht erlaubt.
DLF: Selbst der designierte Bundeskanzler Schröder hat im Sommer vor dem Europaparlament gesagt, daß er wolle, daß die staatliche Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen mehr auf der regionalen und lokalen Ebene entschieden werden sollte. Viele Bürger fragen auch einfach: 'Warum mischt sich Brüssel ein, wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung entscheidet, das Geld des deutschen Steuerzahlers dazu zu verwenden, deutsche Unternehmen zu unterstützen?'
van Miert: Ja, das ist ganz einfach deswegen, weil die deutschen Behörden und deutsche Politik immer uns fragen, strenger zu sein beim Nachbarn - wenn die öffentliche Beihilfen oder Steuervergünstigungen erhalten. Also, wir sind immer mehr gefordert - auch aus Deutschland -, strenger aufzutreten. Aber, wenn es in Deutschland passiert, dann sollen wir die Augen zu machen. Das geht doch nicht, das kann doch wohl nicht ernst sein. Und zweitens: Wenn es um kleine und mittelgroße Unternehmen geht, darf man in der ganzen Europäischen Union Beihilfen leisten - im bestimmten Rahmen. Also, das ist nichts neues, das darf man heute schon tun. Übrigens haben wir seit Jahren schon vorgeschlagen - und endlich auch eine Verordnung bekommen -, daß es nicht mehr notwendig ist, daß man die individuellen Fälle, also die Einzelfälle, anmeldet. Also, in der Zukunft braucht man das sowieso nicht mehr zu tun. Also, ich weiß es wirklich nicht, was man damit meint; das ist sowieso schon von uns auf den Weg gebracht. Es ist manchmal leider so in Deutschland, daß man die Leute nicht richtig informiert . . .
DLF: Sie haben ja . . .
van Miert: . . . entschuldigen Sie. Noch mal: Was ist das für ein Quatsch. Wenn man zum Beispiel jetzt sagt 'Mehr Subsidiarität': Seit drei Jahren sagen wir den deutschen Behörden: 'Bitte, es gibt hier eine Klage gegen die West-LB: Sucht das mal aus, macht das mal selber'. Oder Klagen seitens Privatfernsehen gegen öffentliches Fernsehen: 'Bitte, macht das mal selber'. Aber, wenn man das selber nicht macht auf nationaler Ebene, dann soll man sich nicht darüber wundern, daß das bei uns ankommt, und daß wir dann dazu verpflichtet sind, das zu bearbeiten und gelegentlich auch Beschlüsse zu fassen. So ist die Realität. Man soll endlich mal ein bißchen ehrlicher mit seiner eigenen Öffentlichkeit umgehen.
DLF: Wie ist denn eigentlich die Philosophie der europäischen Wettbewerbspolitik?
van Miert: Das kommt hauptsächlich aus Deutschland. Also, die deutschen Behörden damals - das war zu Zeiten Ludwig Erhards - haben zu recht gemeint, daß eine Marktökonomie und eine soziale Marktwirtschaft für Wettbewerbsregeln Behörden verlangt, die dafür sorgen, daß diese Regeln eingehalten werden. Der gemeinsame Markt ist nicht nur für Unternehmen da, er ist auch da für Kunden, für die Bevölkerung.
DLF: Sie haben vor einem Monat in Deutschland den Ludwig-Erhard-Preis erhalten. In der Laudatio hieß es, Sie seien ein Anwalt des Wettbewerbs. Von der politischen Überzeugung her sind Sie aber Sozialist, flämischer Sozialist. Empfinden Sie das nicht als Widerspruch, daß ein Linker wie Sie für Deregulierung, für die Entfaltung der Marktkräfte, für den freien Wettbewerb streitet?
van Miert: Nein, ganz im Gegenteil. Man ist für eine soziale Marktwirtschaft oder nicht. Wenn man schon für eine soziale Marktwirtschaft ist, dann muß man auch dafür sorgen, daß es ordentlich funktioniert. Denn Markt an sich: Man soll da nicht naiv sein, das ist nicht ein Spielchen zwischen Gentleman, das ist hart, knallhart. Und wenn einer eine dominante Position erreichen kann, und das auch gegen die anderen ausspielen kann, dann wird das gemacht. Wir finden noch immer Kartelle, noch eine ganze Menge sogar, und ich bin nicht sicher, ob wir alles schon aufgedeckt haben. Also, da passiert manches. Wenn man dann keine Spielregeln hat und auch keine Autorität hat, keine Behörde hat, die dafür sorgt, daß diese Spielregeln eingehalten werden, dann funktioniert einfach die Marktwirtschaft nicht, dann wird es sicher auch keine soziale Marktwirtschaft sein. Also, wenn man dann schon an eine soziale Marktwirtschaft glaubt und sich dafür einsetzt, dann muß man auch das tun, was zum Beispiel die Kommission hier als Verantwortlichkeit bekommen hat im Wettbewerbsbereich. Also, ich sehe bisher da überhaupt keinen Widerspruch. Und auch deswegen, weil es in der Europäischen Union keine 'Staaten im Staat' geben soll. Auch die mächtigsten Unternehmen müssen die Spielregeln respektieren. Aber man weiß, daß es in mehreren Mitgliedstaaten einen traditionellen Hang gibt, wo bestimmte Unternehmen sich über die Gesetze hinweggesetzt haben. Das soll es in Europa nicht geben.
DLF: Kann man denn alles mit der Elle 'freier Wettbewerb' messen? Also, um es konkret zu machen: Kritiker werfen Ihnen vor, daß Sie bei der von Ihnen monierten Buchpreisbindung Bücher nur als Ware, nicht aber als Kulturgut betrachten.
van Miert: Ach, was ist das wieder für ein Unsinn. Wissen Sie, in Deutschland ist das wie eine heilige Kuh. Anscheinend ist es sehr schwierig, darüber mal offen zu reden . . .
DLF: . . . aber man ist bislang ganz gut damit gefahren, mit dieser heiligen Kuh . . .
van Miert: . . . ja, aber es gibt anderen Orts andere Systeme, die anscheinend auch gut funktionieren . . .
DLF: . . . was stört Sie denn an dem System? . . .
van Miert: . . . nein, das ist einfach - weil es einfach auch so in der Vergangenheit so gemacht worden ist. Und der EUGH: Wir müssen dafür sorgen, daß, was der EUGH für Recht spricht, daß das auch eingehalten wird. Und in diesem Fall haben wir uns sehr viel Zeit gelassen. Übrigens: Es gab auch Beschwerden, wie Sie wissen. Und wenn man auf deutscher Ebene immer sagt: 'Macht doch', dann haben wir immer gesagt: 'Das sehen wir als Subsidiarität an' - dann darf man das tun. Auch in Frankreich gibt es so ein System. Aber in Frankreich - wissen Sie - werden jetzt 25 Prozent der Bücher in Supermärkten verkauft. Trotz der Buchpreisbindung. Inzwischen gibt es diese Internet-Verkäufe. Das entwickelt sich alles ganz schnell, die Lage ändert sich, und anscheinend sind bestimmte Leute nicht bereit, diese Realität mal ins Auge zu fassen. Aber wenn man bestimmte Anregungen macht, wenn man sagt: 'Na ja, wenn es da wirklich um Kulturbücher geht' ... und so weiter und so fort: Meinetwegen kann man dann aufgrund einer dieser Kulturparagraphen auch eine Ausnahme dafür bekommen. Aber dann sagt man in Deutschland: 'Nein, das wollen wir nicht'. Das gibt es in anderen Mitgliedstaaten schon, aber das will man nicht. Ja, was will man dann? Will man dann ein System, wovon man sagt: 'Ja, das brauchen wir, um die Literaturbücher zu finanzieren' und so fort, und so weiter. Aber die Tatsache ist: Mehr als 40 Prozent der Literatur in Deutschland - das sind Übersetzungen, meistens aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo es keine Buchpreisbindung gibt. Wenn man sagt, man müßte was tun für die kleinen Buchhändler: Ja, dann tut mal was. Aber was heute passiert: Man verpflichtet diese kleinen Buchhändler, die Bücher, die man nicht verkauft, zwei Jahre im Keller zu lassen, sozusagen - ohne daß sie Rabatte anbieten können. Oder wenn es um große Buchhändler geht: Die bekommen natürlich größere Rabatte als die kleinen. Da soll man mal was für die kleinen tun.
DLF: Glauben Sie denn, daß bei einem Ende der Buchpreisbindung es für den Verbraucher es ein größeres Angebot gibt und daß es auch ein billigeres Angebot gibt?
van Miert: Ja, sehen Sie: Wo es keine Buchpreisbindung gibt, da gibt es ein sehr großes Angebot. Das stimmt nicht, daß man sagt: Wenn es keine Buchpreisbindung gibt, daß das Angebot verringert wird. Das stimmt nicht, die Tatsachen belegen das nicht. Und zweitens: Auch dort, wo es eine Buchpreisbindung gibt, gibt es Konzentration. Bertelsmann zum Beispiel: Die haben jetzt offen gesagt, die möchten die Größten werden in der Welt, um die Bücher über das Internet zu verkaufen. Das ist ja o.k., wenn Bertelsmann das so machen will., warum eigentlich nicht? Aber bitte: Da muß man doch auch mal darüber nachdenken, was das alles an Konsequenzen haben wird, auch auf die Buchpreisbindung.
DLF: Die wird sich sowieso überholen, Ihrer Ansicht nach?
van Miert: Ja, in verschiedenen anderen Ländern ist das inzwischen schon passiert, oder die Konsequenz der Buchpreisbindung ist verringert. Zum Beispiel hat man in verschiedenen Mitgliedstaaten die Schulbücher schon rausgenommen oder versucht, die Schulbücher herauszunehmen. Also, das ist alles in Bewegung. Und nochmals: Wenn man in Deutschland meint, man möchte die Buchpreisbindung beibehalten, dann soll man das tun, dann soll man ein Gesetz machen in Deutschland.
DLF: Der österreichische Bundespräsident Klima hat ja vorgeschlagen, daß es in Österreich demnächst ein Gesetz geben könnte, daß die Bücher, die aus Deutschland importiert werden nach Österreich, nicht unter den deutschen Preisen verkauft werden dürfen. Würde das Ihnen entgegenkommen?
van Miert: Nein, das glaube ich nicht. Ich bitte seit Jahren um Vorschläge, damit man endlich mal ernsthaft reden kann, und nicht, daß man immer diese Reaktionen bekommt, wie 'na ja, van Miert - der sieht Bücher nicht als Kulturgut'. Das ist alles völliger Unsinn. Anscheinend hat man nicht die richtigen Argumente, um zu diskutieren, und man fängt dann an, so etwas zu tun.
DLF: Wann werden Sie denn entscheiden?
van Miert: Ja, wir haben inzwischen die Reaktionen seitens des Börsenvereins bekommen. Es wird noch eine Studie geben, die wir vor einem Jahr - oder so - in Auftrag gegeben haben. Ich habe mich dazu verpflichtet, diese Studie abzuwarten und zu sehen, ob es da etwas neues gibt. Und dann wird es weitergehen. Aber ich kann nur anregen, daß man endlich mal ernsthaft versucht, Lösungen herbeizuführen, statt immer wieder über politischen Druck Sachen zu versuchen, die gegen die europäische Rechtsprechung sind.
DLF: Bei der Buchpreisbindung da werfen Ihnen die Kritiker ja vor, daß Sie die kleinen Läden kaputtmachen. Sonst ist es ja oft umgekehrt. Da heißt es, Sie hindern die Großen daran, durch Fusion und Absprachen global wettbewerbsfähig zu werden. Also, ohne auf die Fälle konkret einzugehen - da ist ja zum Beispiel die Entscheidung in Sachen Allianz: Lufthansa/United Airlines, oder auch die Entscheidung in Sachen Reedereien -: Manchmal hat man natürlich den Eindruck, daß in Europa strengere Maßstäbe der Wettbewerbspolitik gelten als in den USA. Benachteiligt das dann in so einem Fall nicht die europäischen Unternehmen?
van Miert: Sie sehen selbst, wie widersprüchlich manchmal diese Kritiken sind. Aber damit muß man leben, das ist halt so. Es stimmt sicher nicht, daß wir gegen Großunternehmen sind. Das ist völlig falsch. Wir haben inzwischen, seit ich dafür zuständig bin, ich glaube 600 bis 700 Großfusionsfälle bearbeitet. In 10 Fällen haben wir 'nein' gesagt. In 20 bis 30 Fällen haben wir Auflagen miteinander verhandelt. Sonst haben wir immer - und es ging nur um Großfusionen - 'ja' gesagt. Aber natürlich: Wir müssen darauf achten - das ist unsere Aufgabe -, daß genügend Wettbewerb übrig bleibt, daß der Markt funktioniert. Sonst hat man auch keine Marktwirtschaft mehr. So einfach ist das. Und gegenüber den Vereinigten Staaten haben wir eine Politik, die vergleichbar ist. Und wir arbeiten auch mit den Amerikanern zusammen, weil es gelegentlich auch Fälle gibt über den Atlantik oder sogar weltweit - im Bereich Fluggesellschaften oder Telekom und eine ganze Menge anderer Bereiche. Also, es gibt immer mehr Fälle, die weit darüber hinausgehen, was die Europäische Union an sich vorstellt.
DLF: Aber noch sind die Maßstäbe natürlich nicht 100 Prozent deckungsgleich, und wäre es nicht logisch, daß man - sage ich mal - eine weltweite Kartellbehörde hätte, wie sie ja auch vor wenigen Tagen der Präsident des Bundeskartellamtes gefordert hat?
van Miert: Ja, seit einigen Jahren haben wir als Europäische Kommission, übrigens von der Union unterstützt, gesagt, daß man weltweit auch anfangen muß, miteinander - auch mit Asien und Südamerika - zusammenzuarbeiten. Mit Amerika, den Vereinigten Staaten, haben wir schon ein Kooperationsabkommen. Und das funktioniert hervorragend. Es gab nur ein Fall, wo das nicht geklappt hat, das war Boeing. Aber sonst hat es bis jetzt immer geklappt, hervorragend geklappt.
DLF: Das heißt, man kommt ohne so eine weltweite Behörde aus?
van Miert: Nein, das sage ich nicht. Es gibt immer mehr Probleme weltweit. Das stimmt, da hat Herr Wolf recht. Aber wir sagen das auch seit mehreren Jahren. Deswegen diskutiert man auch jetzt schon darüber im Rahmen der Welthandelsorganisation, weil wir als Europäische Kommission die Initiative ergriffen haben. Die Amerikaner sind da nicht so sehr einverstanden, die möchten es lieber weiter über die bilaterale Schiene machen. Wir meinen, man soll darüber hinaus auch was gemeinsam tun, weltweit, multilateral. Die Globalisierung ist da und wird sich weiter durchsetzen. Dann braucht man weltweit auch ein Minimum an Spielregeln und schließlich auch die eine oder andere Form von Autorität. Das ist logisch. Aber - wie immer - wird das viel Zeit brauchen. Da muß man wahrscheinlich schrittweise in diese Richtung marschieren. Aber wir sind grundsätzlich dafür - und nochmals: Wir sind eigentlich die ersten, die gesagt haben: Hier müssen wir anfangen, etwas zu tun.
DLF: Lassen Sie uns auf einen Fall zu sprechen kommen, den Sie selbst eben schon erwähnt haben: Sie haben in Frage gestellt, daß ARD, ZDF und andere Rundfunkanstalten mit ihren Gebühren Sport und Unterhaltungsshow finanzieren dürfen. Was ist denn daran so schlimm eigentlich?
van Miert: Erstens: Es gibt kein 'van Miert-Papier', es gibt nur ein Arbeitspapier auf Ebene meiner Dienststelle, um mit nationalen Behörden zu diskutieren. Warum braucht man so ein Arbeitspapier? Das ist, weil es viele Klagen gibt aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal - und jetzt auch aus Großbritannien. Meistens geht es um Klagen und Beschwerden seitens des Privatfernsehens gegen öffentliche Fernsehanstalten. Natürlich ist die Lage sehr unterschiedlich in den verschiedenen Mitgliedstaaten. Diese Klagen gibt es teilweise schon seit 3 - 4 Jahren. Ich muß ehrlich zugeben: Wir wußten das nicht genau und wissen es heute auch noch nicht hundertprozentig genau, wie man mit solchen Klagen und Beschwerden umgehen muß. Das ist alles neu. Und deswegen haben wir auch wieder Studien in Auftrag gegeben, um einmal genau herauszusuchen: Wie ist die Lage in Spanien, wo sie ganz anders ist als in Deutschland oder in Italien, damit wir mal so präzise wie möglich informiert sind - erstens. Zweitens: Wir versuchen, einige Kriterien herauszuarbeiten. Hier ist uns erlaubt, einige Einzelfälle zu bearbeiten. Inzwischen hat einer von diesen Beschwerdeführern gegen uns geklagt und gesagt: 'Die Kommission macht ihre Arbeit nicht'. Und der Gerichtshof in erster Instanz hat gesagt: 'Das stimmt, die Kommission hätte das schneller machen sollen'. Also, wir sitzen da zwischen zwei Feuern. Einerseits gibt es diese Beschwerden, und nochmals: Ich wünschte mir, daß die nationalen Behörden da eine Lösung herbeiführen. Das wäre normal Subsidiarität.
DLF: Aber Sie haben nicht die Absicht - wie Herr Stoiber, der bayerische Ministerpräsident, Ihnen jetzt vorgeworfen hat -, sich zum Programmdirektor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzuspielen . . .
van Miert: . . . Entschuldigung, es ist erstaunlich, was man so alles sagt in Deutschland. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Auch Herr Stoiber muß wissen, daß es Klagen gibt - zum Beispiel in Deutschland wegen der Spartenkanäle. Das ist bei uns. Und wenn Herr Stoiber meint, das sollte man in Deutschland lösen, dann sollte man das tun. Viele Probleme gibt es, weil man anscheinend nicht der Lage ist, das national zu lösen. Und dann kommt das alles zu uns. Wir haben nicht den Privaten gesagt: 'Bitte, schickt uns mal Beschwerden'. Eines Tages waren die da, weil anscheinend auf nationaler Ebene es nicht gelungen ist, das zu lösen. Und da kann ich auch nichts dafür. Aber dann soll Herr Stoiber uns das nicht ankreiden, wenn man anscheinend nicht in der Lage ist, national diese Sache zu lösen.
DLF: Herr van Miert, was gehört denn Ihrer Ansicht nach zur absolut notwendigen Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten?
van Miert: Ach, das haben wir im Einzelfall schon ganz klar und deutlich demonstriert. Ich nehme jetzt den Fall 'Spartenkanäle', also da gibt es den PHOENIX und den Kinderkanal. Ich habe es auch mit meiner Dienststelle überlegt, es ist auf jeden Fall meine Meinung, und ich werde es auch bald meinen Kollegen vorschlagen, daß das akzeptabel ist. Wenn die öffentlichen Behörden meinen, es soll einen Kinderkanal geben ohne Werbung, dann gehe ich davon aus, daß es dafür gute Gründe gibt. Wenn man meint, es soll so etwas geben wie PHOENIX, wo man eine ständige Information bringt, dann scheint das in Ordnung. Die Privaten - die sind dagegen. Die haben deswegen auch geklagt. Aber ich glaube, das kann man so sehen, daß es auch zu den öffentlichen Aufgaben gehört. Die deutschen Behörden, regional und national - jetzt sind es natürlich in Deutschland in erster Linie die regionalen Behörden, die Lage ist sehr unterschiedlich auch zwischen Frankreich und Deutschland - die haben das Recht, diese Aufgaben zu definieren - es sei denn, daß es so gemacht wird, daß es zu einseitigen Vorteilen führt für die öffentlichen Fernsehanstalten, und dann auch als mögliche Konsequenz haben könnte, daß die Privaten kaputtgehen. Dann wäre es nicht mehr in Ordnung.
DLF: Wir bleiben noch einen Moment beim Fernsehen, widmen uns allerdings einem Ihrer Lieblingsthemen, Fußball. Da ist ja der Markt sehr in Bewegung gekommen. Es geht - zum Beispiel im Falle Deutschlands - um die Vermarktung der Fußballbundesligarechte durch den DFB. Der DFB hat ja eine Ausnahmegenehmigung beantragt von dem Kartellverbot - mit Verspätung. Wie ist da jetzt der Stand der Dinge?
van Miert: Ja, das wird jetzt weiter bearbeitet. Es ist erst eineinhalb oder zwei Monate her, daß wir diese Anmeldung bekommen haben. Abgesehen davon stellen wir fest - nicht, daß wir das gemacht haben -, daß es in einigen Mitgliedstaaten inzwischen eine Lage gibt, wo es die Clubs sind, die die Rechte vermarkten. In Spanien ist es so weit, Italien hat es angefangen, in den Niederlanden hat es auch schon angefangen, in Großbritannien wird es wahrscheinlich bald kommen. Und für uns ist jetzt die Frage: Kann man trotz dieser Entwicklung eine Genehmigung erteilten, also eine Zulassung erteilen, daß doch es weiter Gesamtvermarktungen gibt . . .
DLF: . . . was ja wie ein Kartell wirkt . . .
van Miert: . . . ja, was wie ein Kartell wirkt, weil: Es geht um Clubs, die auch Wirtschaftsentitäten sind. Und da muß man dafür schon gute Gründe haben. Und das ist jetzt die Frage: Gibt es die, gibt es die Überzeugung, und wird das reichen für die Kommission, um zu sagen: 'Ja, unter diesen und anderen Bedingungen kann man das genehmigen'. Ich weiß es jetzt nicht. Wie gesagt: Man hat erst die Bearbeitung angefangen.
DLF: Welches wären denn gute Gründe?
van Miert: Ja, natürlich hat das auch mit Solidarität zu tun.
DLF: Also mit den kleineren Vereinen . . .
van Miert: . . . kleinere Vereine. Aber die Frage ist natürlich auch: Läßt sich das über andere Methoden oder Lösungen herbeiführen? Wenn ich das richtig verstanden habe: In Deutschland haben für die nächste Saison die Clubs die Rechte vermarktet und gesagt: 'Ja, dann werden wir einen Fonds schaffen, und so viel Geld, das wir jetzt verdienen, wird in diesen Fonds eingezahlt'. Also, da gibt es noch viele Fragen, die noch nicht ganz gelöst sind. Wir werden das mit einem offenen Geist machen und heraussuchen, ob tatsächlich diese gemeinsame Vermarktung noch weiter vertretbar ist oder nicht. Ich weiß es bis jetzt nicht.
DLF: Haben Sie denn einen offenen Geist auch gegenüber den neuesten Entwicklungen, die sich anbahnen, also 'Ausdehnung der Championsleague' oder möglicherweise in Konkurrenz dazu diese 'Euroliga', die eine private Agentur vorhat?
van Miert: Ja, man kann natürlich Einzelunternehmen nicht das Recht entsagen oder das Recht abnehmen, solche Initiativen zu ergreifen. Aber wenn man dann schon so etwas vorhat, muß man natürlich auch die gleichen Spielregeln respektieren wie andere. Da darf man auch keine Privilegien bekommen. Zum Beispiel: Wenn es dann schon sowieso Probleme gibt mit zentraler Vermarktung, dann gilt das natürlich auch für einen neuen Verein, erstens. Zweitens: Die Leute, die damit angefangen haben, meinen, man sollte Exklusivrechte geben für 6 Jahre. Es hat inzwischen eine Begegnung gegeben, da haben wir gesagt: So geht das nicht. Das ist auch mehr wieder ein allgemeines Problem. Und auch, wenn man da meint, man sollte so eine Championship organisieren: Da gibt es nicht diese Regel, die es sonst immer gibt, daß die Clubs immer wieder unter Beweis stellen müssen, daß sie noch dazugehören - und diejenigen, die da ganz am Ende sind, die gehören dann in die Zweitliga. So ist es, nicht? Das scheint etwas normales zu sein, das zum Sport gehört. Wenn ein neues System dazu führen würde, daß das nicht mehr mitgenommen wird: Ja, das ist auch ein Problem. Die dürfen dann auch nicht etwas tun, was anderen nicht erlaubt ist. Darüber soll es kein Mißverständnis geben.
DLF: Herr van Miert, so viele Kritiken, die Sie auf sich gezogen haben, so daß manche Sie schon als 'everybody's Buhmann' bezeichnet haben, vor allem in Deutschland: Wie fühlt man sich denn?
van Miert: Das stimmt wirklich nicht. Ich muß sagen: Ich bekomme auch in Deutschland sehr viel Beifall. Ich weiß nicht, warum die Presse das nicht zur Kenntnis nimmt, aber so ist es halt, erstens. Und zweitens: Ich bekomme sehr viel Post aus Deutschland, sehr viel Briefe, wo man manchmal sagt: 'Ja, also wir sind sehr zufrieden, daß die Kommission das macht. Bitte, mach weiter'.
van Miert: Ja, das könnte schon sein, daß es einige gibt, die daran denken. Aber, wissen Sie, manchmal ist es so, daß man meint, man soll immer mehr machen beim Nachbarn - und weniger bei sich zu Hause. Unsere Kompetenzen - die üben wir aus auf Basis bestehender Verträge, erstens. Und daran wird sich nichts ändern. Zweitens: Wie gesagt, es ist manchmal sehr widersprüchlich, wie die Regierungen sich verhalten. Einerseits bekommen wir immer mehr Klagen, und da müssen wir ran. Es ist uns nicht überlassen, zu sagen: 'Das tun wir nicht'. Wenn es eine Notwendigkeit gibt, dann müssen wird dran. Zum Beispiel Öffentliche und Privatsender. Da haben wir sämtliche Beschwerden seit mehreren Jahren. Und das Tribunal erster Instanz hat uns schon verurteilt, weil wir das nicht rasch und schnell genug gemacht haben . . .
DLF: . . . der Europäische Gerichtshof . . .
van Miert: . . . vor einigen Wochen ist das sogar passiert. Und auch, wenn man über Buchpreisbindung redet. Man soll nie vergessen: Wir haben damit angefangen, weil es darüber Beschwerden gab. Man soll nie vergessen: Die Kommission übt hier manchmal eine Verantwortlichkeit aus wie ein Schiedsrichter, unparteiisch. Wir können uns davor nicht drücken, das ist uns nicht erlaubt.
DLF: Selbst der designierte Bundeskanzler Schröder hat im Sommer vor dem Europaparlament gesagt, daß er wolle, daß die staatliche Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen mehr auf der regionalen und lokalen Ebene entschieden werden sollte. Viele Bürger fragen auch einfach: 'Warum mischt sich Brüssel ein, wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung entscheidet, das Geld des deutschen Steuerzahlers dazu zu verwenden, deutsche Unternehmen zu unterstützen?'
van Miert: Ja, das ist ganz einfach deswegen, weil die deutschen Behörden und deutsche Politik immer uns fragen, strenger zu sein beim Nachbarn - wenn die öffentliche Beihilfen oder Steuervergünstigungen erhalten. Also, wir sind immer mehr gefordert - auch aus Deutschland -, strenger aufzutreten. Aber, wenn es in Deutschland passiert, dann sollen wir die Augen zu machen. Das geht doch nicht, das kann doch wohl nicht ernst sein. Und zweitens: Wenn es um kleine und mittelgroße Unternehmen geht, darf man in der ganzen Europäischen Union Beihilfen leisten - im bestimmten Rahmen. Also, das ist nichts neues, das darf man heute schon tun. Übrigens haben wir seit Jahren schon vorgeschlagen - und endlich auch eine Verordnung bekommen -, daß es nicht mehr notwendig ist, daß man die individuellen Fälle, also die Einzelfälle, anmeldet. Also, in der Zukunft braucht man das sowieso nicht mehr zu tun. Also, ich weiß es wirklich nicht, was man damit meint; das ist sowieso schon von uns auf den Weg gebracht. Es ist manchmal leider so in Deutschland, daß man die Leute nicht richtig informiert . . .
DLF: Sie haben ja . . .
van Miert: . . . entschuldigen Sie. Noch mal: Was ist das für ein Quatsch. Wenn man zum Beispiel jetzt sagt 'Mehr Subsidiarität': Seit drei Jahren sagen wir den deutschen Behörden: 'Bitte, es gibt hier eine Klage gegen die West-LB: Sucht das mal aus, macht das mal selber'. Oder Klagen seitens Privatfernsehen gegen öffentliches Fernsehen: 'Bitte, macht das mal selber'. Aber, wenn man das selber nicht macht auf nationaler Ebene, dann soll man sich nicht darüber wundern, daß das bei uns ankommt, und daß wir dann dazu verpflichtet sind, das zu bearbeiten und gelegentlich auch Beschlüsse zu fassen. So ist die Realität. Man soll endlich mal ein bißchen ehrlicher mit seiner eigenen Öffentlichkeit umgehen.
DLF: Wie ist denn eigentlich die Philosophie der europäischen Wettbewerbspolitik?
van Miert: Das kommt hauptsächlich aus Deutschland. Also, die deutschen Behörden damals - das war zu Zeiten Ludwig Erhards - haben zu recht gemeint, daß eine Marktökonomie und eine soziale Marktwirtschaft für Wettbewerbsregeln Behörden verlangt, die dafür sorgen, daß diese Regeln eingehalten werden. Der gemeinsame Markt ist nicht nur für Unternehmen da, er ist auch da für Kunden, für die Bevölkerung.
DLF: Sie haben vor einem Monat in Deutschland den Ludwig-Erhard-Preis erhalten. In der Laudatio hieß es, Sie seien ein Anwalt des Wettbewerbs. Von der politischen Überzeugung her sind Sie aber Sozialist, flämischer Sozialist. Empfinden Sie das nicht als Widerspruch, daß ein Linker wie Sie für Deregulierung, für die Entfaltung der Marktkräfte, für den freien Wettbewerb streitet?
van Miert: Nein, ganz im Gegenteil. Man ist für eine soziale Marktwirtschaft oder nicht. Wenn man schon für eine soziale Marktwirtschaft ist, dann muß man auch dafür sorgen, daß es ordentlich funktioniert. Denn Markt an sich: Man soll da nicht naiv sein, das ist nicht ein Spielchen zwischen Gentleman, das ist hart, knallhart. Und wenn einer eine dominante Position erreichen kann, und das auch gegen die anderen ausspielen kann, dann wird das gemacht. Wir finden noch immer Kartelle, noch eine ganze Menge sogar, und ich bin nicht sicher, ob wir alles schon aufgedeckt haben. Also, da passiert manches. Wenn man dann keine Spielregeln hat und auch keine Autorität hat, keine Behörde hat, die dafür sorgt, daß diese Spielregeln eingehalten werden, dann funktioniert einfach die Marktwirtschaft nicht, dann wird es sicher auch keine soziale Marktwirtschaft sein. Also, wenn man dann schon an eine soziale Marktwirtschaft glaubt und sich dafür einsetzt, dann muß man auch das tun, was zum Beispiel die Kommission hier als Verantwortlichkeit bekommen hat im Wettbewerbsbereich. Also, ich sehe bisher da überhaupt keinen Widerspruch. Und auch deswegen, weil es in der Europäischen Union keine 'Staaten im Staat' geben soll. Auch die mächtigsten Unternehmen müssen die Spielregeln respektieren. Aber man weiß, daß es in mehreren Mitgliedstaaten einen traditionellen Hang gibt, wo bestimmte Unternehmen sich über die Gesetze hinweggesetzt haben. Das soll es in Europa nicht geben.
DLF: Kann man denn alles mit der Elle 'freier Wettbewerb' messen? Also, um es konkret zu machen: Kritiker werfen Ihnen vor, daß Sie bei der von Ihnen monierten Buchpreisbindung Bücher nur als Ware, nicht aber als Kulturgut betrachten.
van Miert: Ach, was ist das wieder für ein Unsinn. Wissen Sie, in Deutschland ist das wie eine heilige Kuh. Anscheinend ist es sehr schwierig, darüber mal offen zu reden . . .
DLF: . . . aber man ist bislang ganz gut damit gefahren, mit dieser heiligen Kuh . . .
van Miert: . . . ja, aber es gibt anderen Orts andere Systeme, die anscheinend auch gut funktionieren . . .
DLF: . . . was stört Sie denn an dem System? . . .
van Miert: . . . nein, das ist einfach - weil es einfach auch so in der Vergangenheit so gemacht worden ist. Und der EUGH: Wir müssen dafür sorgen, daß, was der EUGH für Recht spricht, daß das auch eingehalten wird. Und in diesem Fall haben wir uns sehr viel Zeit gelassen. Übrigens: Es gab auch Beschwerden, wie Sie wissen. Und wenn man auf deutscher Ebene immer sagt: 'Macht doch', dann haben wir immer gesagt: 'Das sehen wir als Subsidiarität an' - dann darf man das tun. Auch in Frankreich gibt es so ein System. Aber in Frankreich - wissen Sie - werden jetzt 25 Prozent der Bücher in Supermärkten verkauft. Trotz der Buchpreisbindung. Inzwischen gibt es diese Internet-Verkäufe. Das entwickelt sich alles ganz schnell, die Lage ändert sich, und anscheinend sind bestimmte Leute nicht bereit, diese Realität mal ins Auge zu fassen. Aber wenn man bestimmte Anregungen macht, wenn man sagt: 'Na ja, wenn es da wirklich um Kulturbücher geht' ... und so weiter und so fort: Meinetwegen kann man dann aufgrund einer dieser Kulturparagraphen auch eine Ausnahme dafür bekommen. Aber dann sagt man in Deutschland: 'Nein, das wollen wir nicht'. Das gibt es in anderen Mitgliedstaaten schon, aber das will man nicht. Ja, was will man dann? Will man dann ein System, wovon man sagt: 'Ja, das brauchen wir, um die Literaturbücher zu finanzieren' und so fort, und so weiter. Aber die Tatsache ist: Mehr als 40 Prozent der Literatur in Deutschland - das sind Übersetzungen, meistens aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo es keine Buchpreisbindung gibt. Wenn man sagt, man müßte was tun für die kleinen Buchhändler: Ja, dann tut mal was. Aber was heute passiert: Man verpflichtet diese kleinen Buchhändler, die Bücher, die man nicht verkauft, zwei Jahre im Keller zu lassen, sozusagen - ohne daß sie Rabatte anbieten können. Oder wenn es um große Buchhändler geht: Die bekommen natürlich größere Rabatte als die kleinen. Da soll man mal was für die kleinen tun.
DLF: Glauben Sie denn, daß bei einem Ende der Buchpreisbindung es für den Verbraucher es ein größeres Angebot gibt und daß es auch ein billigeres Angebot gibt?
van Miert: Ja, sehen Sie: Wo es keine Buchpreisbindung gibt, da gibt es ein sehr großes Angebot. Das stimmt nicht, daß man sagt: Wenn es keine Buchpreisbindung gibt, daß das Angebot verringert wird. Das stimmt nicht, die Tatsachen belegen das nicht. Und zweitens: Auch dort, wo es eine Buchpreisbindung gibt, gibt es Konzentration. Bertelsmann zum Beispiel: Die haben jetzt offen gesagt, die möchten die Größten werden in der Welt, um die Bücher über das Internet zu verkaufen. Das ist ja o.k., wenn Bertelsmann das so machen will., warum eigentlich nicht? Aber bitte: Da muß man doch auch mal darüber nachdenken, was das alles an Konsequenzen haben wird, auch auf die Buchpreisbindung.
DLF: Die wird sich sowieso überholen, Ihrer Ansicht nach?
van Miert: Ja, in verschiedenen anderen Ländern ist das inzwischen schon passiert, oder die Konsequenz der Buchpreisbindung ist verringert. Zum Beispiel hat man in verschiedenen Mitgliedstaaten die Schulbücher schon rausgenommen oder versucht, die Schulbücher herauszunehmen. Also, das ist alles in Bewegung. Und nochmals: Wenn man in Deutschland meint, man möchte die Buchpreisbindung beibehalten, dann soll man das tun, dann soll man ein Gesetz machen in Deutschland.
DLF: Der österreichische Bundespräsident Klima hat ja vorgeschlagen, daß es in Österreich demnächst ein Gesetz geben könnte, daß die Bücher, die aus Deutschland importiert werden nach Österreich, nicht unter den deutschen Preisen verkauft werden dürfen. Würde das Ihnen entgegenkommen?
van Miert: Nein, das glaube ich nicht. Ich bitte seit Jahren um Vorschläge, damit man endlich mal ernsthaft reden kann, und nicht, daß man immer diese Reaktionen bekommt, wie 'na ja, van Miert - der sieht Bücher nicht als Kulturgut'. Das ist alles völliger Unsinn. Anscheinend hat man nicht die richtigen Argumente, um zu diskutieren, und man fängt dann an, so etwas zu tun.
DLF: Wann werden Sie denn entscheiden?
van Miert: Ja, wir haben inzwischen die Reaktionen seitens des Börsenvereins bekommen. Es wird noch eine Studie geben, die wir vor einem Jahr - oder so - in Auftrag gegeben haben. Ich habe mich dazu verpflichtet, diese Studie abzuwarten und zu sehen, ob es da etwas neues gibt. Und dann wird es weitergehen. Aber ich kann nur anregen, daß man endlich mal ernsthaft versucht, Lösungen herbeizuführen, statt immer wieder über politischen Druck Sachen zu versuchen, die gegen die europäische Rechtsprechung sind.
DLF: Bei der Buchpreisbindung da werfen Ihnen die Kritiker ja vor, daß Sie die kleinen Läden kaputtmachen. Sonst ist es ja oft umgekehrt. Da heißt es, Sie hindern die Großen daran, durch Fusion und Absprachen global wettbewerbsfähig zu werden. Also, ohne auf die Fälle konkret einzugehen - da ist ja zum Beispiel die Entscheidung in Sachen Allianz: Lufthansa/United Airlines, oder auch die Entscheidung in Sachen Reedereien -: Manchmal hat man natürlich den Eindruck, daß in Europa strengere Maßstäbe der Wettbewerbspolitik gelten als in den USA. Benachteiligt das dann in so einem Fall nicht die europäischen Unternehmen?
van Miert: Sie sehen selbst, wie widersprüchlich manchmal diese Kritiken sind. Aber damit muß man leben, das ist halt so. Es stimmt sicher nicht, daß wir gegen Großunternehmen sind. Das ist völlig falsch. Wir haben inzwischen, seit ich dafür zuständig bin, ich glaube 600 bis 700 Großfusionsfälle bearbeitet. In 10 Fällen haben wir 'nein' gesagt. In 20 bis 30 Fällen haben wir Auflagen miteinander verhandelt. Sonst haben wir immer - und es ging nur um Großfusionen - 'ja' gesagt. Aber natürlich: Wir müssen darauf achten - das ist unsere Aufgabe -, daß genügend Wettbewerb übrig bleibt, daß der Markt funktioniert. Sonst hat man auch keine Marktwirtschaft mehr. So einfach ist das. Und gegenüber den Vereinigten Staaten haben wir eine Politik, die vergleichbar ist. Und wir arbeiten auch mit den Amerikanern zusammen, weil es gelegentlich auch Fälle gibt über den Atlantik oder sogar weltweit - im Bereich Fluggesellschaften oder Telekom und eine ganze Menge anderer Bereiche. Also, es gibt immer mehr Fälle, die weit darüber hinausgehen, was die Europäische Union an sich vorstellt.
DLF: Aber noch sind die Maßstäbe natürlich nicht 100 Prozent deckungsgleich, und wäre es nicht logisch, daß man - sage ich mal - eine weltweite Kartellbehörde hätte, wie sie ja auch vor wenigen Tagen der Präsident des Bundeskartellamtes gefordert hat?
van Miert: Ja, seit einigen Jahren haben wir als Europäische Kommission, übrigens von der Union unterstützt, gesagt, daß man weltweit auch anfangen muß, miteinander - auch mit Asien und Südamerika - zusammenzuarbeiten. Mit Amerika, den Vereinigten Staaten, haben wir schon ein Kooperationsabkommen. Und das funktioniert hervorragend. Es gab nur ein Fall, wo das nicht geklappt hat, das war Boeing. Aber sonst hat es bis jetzt immer geklappt, hervorragend geklappt.
DLF: Das heißt, man kommt ohne so eine weltweite Behörde aus?
van Miert: Nein, das sage ich nicht. Es gibt immer mehr Probleme weltweit. Das stimmt, da hat Herr Wolf recht. Aber wir sagen das auch seit mehreren Jahren. Deswegen diskutiert man auch jetzt schon darüber im Rahmen der Welthandelsorganisation, weil wir als Europäische Kommission die Initiative ergriffen haben. Die Amerikaner sind da nicht so sehr einverstanden, die möchten es lieber weiter über die bilaterale Schiene machen. Wir meinen, man soll darüber hinaus auch was gemeinsam tun, weltweit, multilateral. Die Globalisierung ist da und wird sich weiter durchsetzen. Dann braucht man weltweit auch ein Minimum an Spielregeln und schließlich auch die eine oder andere Form von Autorität. Das ist logisch. Aber - wie immer - wird das viel Zeit brauchen. Da muß man wahrscheinlich schrittweise in diese Richtung marschieren. Aber wir sind grundsätzlich dafür - und nochmals: Wir sind eigentlich die ersten, die gesagt haben: Hier müssen wir anfangen, etwas zu tun.
DLF: Lassen Sie uns auf einen Fall zu sprechen kommen, den Sie selbst eben schon erwähnt haben: Sie haben in Frage gestellt, daß ARD, ZDF und andere Rundfunkanstalten mit ihren Gebühren Sport und Unterhaltungsshow finanzieren dürfen. Was ist denn daran so schlimm eigentlich?
van Miert: Erstens: Es gibt kein 'van Miert-Papier', es gibt nur ein Arbeitspapier auf Ebene meiner Dienststelle, um mit nationalen Behörden zu diskutieren. Warum braucht man so ein Arbeitspapier? Das ist, weil es viele Klagen gibt aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal - und jetzt auch aus Großbritannien. Meistens geht es um Klagen und Beschwerden seitens des Privatfernsehens gegen öffentliche Fernsehanstalten. Natürlich ist die Lage sehr unterschiedlich in den verschiedenen Mitgliedstaaten. Diese Klagen gibt es teilweise schon seit 3 - 4 Jahren. Ich muß ehrlich zugeben: Wir wußten das nicht genau und wissen es heute auch noch nicht hundertprozentig genau, wie man mit solchen Klagen und Beschwerden umgehen muß. Das ist alles neu. Und deswegen haben wir auch wieder Studien in Auftrag gegeben, um einmal genau herauszusuchen: Wie ist die Lage in Spanien, wo sie ganz anders ist als in Deutschland oder in Italien, damit wir mal so präzise wie möglich informiert sind - erstens. Zweitens: Wir versuchen, einige Kriterien herauszuarbeiten. Hier ist uns erlaubt, einige Einzelfälle zu bearbeiten. Inzwischen hat einer von diesen Beschwerdeführern gegen uns geklagt und gesagt: 'Die Kommission macht ihre Arbeit nicht'. Und der Gerichtshof in erster Instanz hat gesagt: 'Das stimmt, die Kommission hätte das schneller machen sollen'. Also, wir sitzen da zwischen zwei Feuern. Einerseits gibt es diese Beschwerden, und nochmals: Ich wünschte mir, daß die nationalen Behörden da eine Lösung herbeiführen. Das wäre normal Subsidiarität.
DLF: Aber Sie haben nicht die Absicht - wie Herr Stoiber, der bayerische Ministerpräsident, Ihnen jetzt vorgeworfen hat -, sich zum Programmdirektor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzuspielen . . .
van Miert: . . . Entschuldigung, es ist erstaunlich, was man so alles sagt in Deutschland. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Auch Herr Stoiber muß wissen, daß es Klagen gibt - zum Beispiel in Deutschland wegen der Spartenkanäle. Das ist bei uns. Und wenn Herr Stoiber meint, das sollte man in Deutschland lösen, dann sollte man das tun. Viele Probleme gibt es, weil man anscheinend nicht der Lage ist, das national zu lösen. Und dann kommt das alles zu uns. Wir haben nicht den Privaten gesagt: 'Bitte, schickt uns mal Beschwerden'. Eines Tages waren die da, weil anscheinend auf nationaler Ebene es nicht gelungen ist, das zu lösen. Und da kann ich auch nichts dafür. Aber dann soll Herr Stoiber uns das nicht ankreiden, wenn man anscheinend nicht in der Lage ist, national diese Sache zu lösen.
DLF: Herr van Miert, was gehört denn Ihrer Ansicht nach zur absolut notwendigen Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten?
van Miert: Ach, das haben wir im Einzelfall schon ganz klar und deutlich demonstriert. Ich nehme jetzt den Fall 'Spartenkanäle', also da gibt es den PHOENIX und den Kinderkanal. Ich habe es auch mit meiner Dienststelle überlegt, es ist auf jeden Fall meine Meinung, und ich werde es auch bald meinen Kollegen vorschlagen, daß das akzeptabel ist. Wenn die öffentlichen Behörden meinen, es soll einen Kinderkanal geben ohne Werbung, dann gehe ich davon aus, daß es dafür gute Gründe gibt. Wenn man meint, es soll so etwas geben wie PHOENIX, wo man eine ständige Information bringt, dann scheint das in Ordnung. Die Privaten - die sind dagegen. Die haben deswegen auch geklagt. Aber ich glaube, das kann man so sehen, daß es auch zu den öffentlichen Aufgaben gehört. Die deutschen Behörden, regional und national - jetzt sind es natürlich in Deutschland in erster Linie die regionalen Behörden, die Lage ist sehr unterschiedlich auch zwischen Frankreich und Deutschland - die haben das Recht, diese Aufgaben zu definieren - es sei denn, daß es so gemacht wird, daß es zu einseitigen Vorteilen führt für die öffentlichen Fernsehanstalten, und dann auch als mögliche Konsequenz haben könnte, daß die Privaten kaputtgehen. Dann wäre es nicht mehr in Ordnung.
DLF: Wir bleiben noch einen Moment beim Fernsehen, widmen uns allerdings einem Ihrer Lieblingsthemen, Fußball. Da ist ja der Markt sehr in Bewegung gekommen. Es geht - zum Beispiel im Falle Deutschlands - um die Vermarktung der Fußballbundesligarechte durch den DFB. Der DFB hat ja eine Ausnahmegenehmigung beantragt von dem Kartellverbot - mit Verspätung. Wie ist da jetzt der Stand der Dinge?
van Miert: Ja, das wird jetzt weiter bearbeitet. Es ist erst eineinhalb oder zwei Monate her, daß wir diese Anmeldung bekommen haben. Abgesehen davon stellen wir fest - nicht, daß wir das gemacht haben -, daß es in einigen Mitgliedstaaten inzwischen eine Lage gibt, wo es die Clubs sind, die die Rechte vermarkten. In Spanien ist es so weit, Italien hat es angefangen, in den Niederlanden hat es auch schon angefangen, in Großbritannien wird es wahrscheinlich bald kommen. Und für uns ist jetzt die Frage: Kann man trotz dieser Entwicklung eine Genehmigung erteilten, also eine Zulassung erteilen, daß doch es weiter Gesamtvermarktungen gibt . . .
DLF: . . . was ja wie ein Kartell wirkt . . .
van Miert: . . . ja, was wie ein Kartell wirkt, weil: Es geht um Clubs, die auch Wirtschaftsentitäten sind. Und da muß man dafür schon gute Gründe haben. Und das ist jetzt die Frage: Gibt es die, gibt es die Überzeugung, und wird das reichen für die Kommission, um zu sagen: 'Ja, unter diesen und anderen Bedingungen kann man das genehmigen'. Ich weiß es jetzt nicht. Wie gesagt: Man hat erst die Bearbeitung angefangen.
DLF: Welches wären denn gute Gründe?
van Miert: Ja, natürlich hat das auch mit Solidarität zu tun.
DLF: Also mit den kleineren Vereinen . . .
van Miert: . . . kleinere Vereine. Aber die Frage ist natürlich auch: Läßt sich das über andere Methoden oder Lösungen herbeiführen? Wenn ich das richtig verstanden habe: In Deutschland haben für die nächste Saison die Clubs die Rechte vermarktet und gesagt: 'Ja, dann werden wir einen Fonds schaffen, und so viel Geld, das wir jetzt verdienen, wird in diesen Fonds eingezahlt'. Also, da gibt es noch viele Fragen, die noch nicht ganz gelöst sind. Wir werden das mit einem offenen Geist machen und heraussuchen, ob tatsächlich diese gemeinsame Vermarktung noch weiter vertretbar ist oder nicht. Ich weiß es bis jetzt nicht.
DLF: Haben Sie denn einen offenen Geist auch gegenüber den neuesten Entwicklungen, die sich anbahnen, also 'Ausdehnung der Championsleague' oder möglicherweise in Konkurrenz dazu diese 'Euroliga', die eine private Agentur vorhat?
van Miert: Ja, man kann natürlich Einzelunternehmen nicht das Recht entsagen oder das Recht abnehmen, solche Initiativen zu ergreifen. Aber wenn man dann schon so etwas vorhat, muß man natürlich auch die gleichen Spielregeln respektieren wie andere. Da darf man auch keine Privilegien bekommen. Zum Beispiel: Wenn es dann schon sowieso Probleme gibt mit zentraler Vermarktung, dann gilt das natürlich auch für einen neuen Verein, erstens. Zweitens: Die Leute, die damit angefangen haben, meinen, man sollte Exklusivrechte geben für 6 Jahre. Es hat inzwischen eine Begegnung gegeben, da haben wir gesagt: So geht das nicht. Das ist auch mehr wieder ein allgemeines Problem. Und auch, wenn man da meint, man sollte so eine Championship organisieren: Da gibt es nicht diese Regel, die es sonst immer gibt, daß die Clubs immer wieder unter Beweis stellen müssen, daß sie noch dazugehören - und diejenigen, die da ganz am Ende sind, die gehören dann in die Zweitliga. So ist es, nicht? Das scheint etwas normales zu sein, das zum Sport gehört. Wenn ein neues System dazu führen würde, daß das nicht mehr mitgenommen wird: Ja, das ist auch ein Problem. Die dürfen dann auch nicht etwas tun, was anderen nicht erlaubt ist. Darüber soll es kein Mißverständnis geben.
DLF: Herr van Miert, so viele Kritiken, die Sie auf sich gezogen haben, so daß manche Sie schon als 'everybody's Buhmann' bezeichnet haben, vor allem in Deutschland: Wie fühlt man sich denn?
van Miert: Das stimmt wirklich nicht. Ich muß sagen: Ich bekomme auch in Deutschland sehr viel Beifall. Ich weiß nicht, warum die Presse das nicht zur Kenntnis nimmt, aber so ist es halt, erstens. Und zweitens: Ich bekomme sehr viel Post aus Deutschland, sehr viel Briefe, wo man manchmal sagt: 'Ja, also wir sind sehr zufrieden, daß die Kommission das macht. Bitte, mach weiter'.