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Venezuela
Vom Leid der Kleinunternehmer

Jeden Tag gibt es neue Krisennachrichten aus Venezuela. Unter dem Mangel an fast allem - vor allem Strom und Wasser - leiden vor allem kleine Firmen. Waschsalons halbieren den Betrieb, Getränkeverkäufer haben kein Bier mehr, für die Zutaten ihrer Hot-Dogs stehen die Standbetreiber oft stundenlang Schlange. Und die Inflation nimmt kein Ende.

Von Anne-Katrin Mellmann | 02.05.2016
    Sie sehen eine Frau, die einen Fisch putzt, rechts und links stehen Kinder.
    Es fehlt an vielem in Venezuela, vor allem an Strom und Trinkwasser. (AFP / Juan Barreto)
    Wirtschaftskrise, extremer Mangel an Alltagsprodukten, Strom- und Wasserknappheit treffen die Bevölkerung wie nie zuvor. Kleinen Unternehmern geht die Luft aus. Unterstützung erhalten sie nicht. Im Gegenteil: Maßnahmen der Regierung, wie Strom- und Wasserrationierung, vergrößern ihre Probleme.
    Im Waschsalon der Portugiesin Maria in Caracas laufen nur noch 4 der 8 Maschinen. Die anderen sind defekt. Ersatzteile gibt es nicht. Waschmittel auch kaum. Deshalb muss Maria ihr Geschäft nach 35 Jahren aufgeben.
    "Ich lebe seit 1966 hier, habe aber noch nie so viel Traurigkeit erlebt. Wegen der Gewalt, weil es nichts zum Essen gibt, man für alles Schlange stehen muss … es ist zum Verzweifeln. Dabei ist Venezuela ein so schönes Land, hat ein herrliches Klima, tolle Menschen. Ich weiß nicht was hier geschieht. Es tut mir weh, das zu sehen."
    Aus Angst vor Repressalien will Maria ihren Nachnamen nicht nennen. Wie so vielen ist ihr unverständlich, warum die Politiker es nicht schaffen, die Lage der Bevölkerung zu verbessern. Die Regierung stellt die Zeit um, damit es abends länger hell ist und die Menschen weniger Strom verbrauchen, lässt die Beamten aus dem gleichen Grund nur noch an zwei Tagen in der Woche arbeiten, schaltet den Strom stundenweise ab, doch an der Wurzel packt sie das Übel der Krise nicht. Das ölreiche Venezuela gewinnt Elektrizität fast ausschließlich aus Wasserkraft. Obwohl in jeder Dürreperiode zuerst das Wasser und dann der Strom knapp werden.
    "Den Krieg haben sie uns erklärt"
    Getränkeverkäufer David stapelt leere Bierkisten. Bier verschwindet allmählich vom Markt, nachdem der größte Hersteller wegen Mangels an Zutaten seine Produktion einstellen musste. David verkauft nur noch einige Erfrischungsgetränke. Doch auch die könnten bald verschwinden, denn es gibt kaum noch Zucker. In diesen Tagen macht sich David aber vor allem Sorgen um seine teuren Kühltruhen. Sie können kaputt gehen, wenn der Strom abgeschaltet wird.
    "Meine Frau und ich haben das Geschäft gekauft und viel investiert, in der Hoffnung, unser Leben zu verbessern und uns eine Zukunft aufzubauen. Aber hier werden Unternehmer wie der Abschaum der Gesellschaft behandelt. Den Krieg haben sie uns erklärt, obwohl wir alles aufrechterhalten."
    Gebetsmühlenartig schiebt die sozialistische Regierung die Schuld für die Krise auf die Unternehmer: Sie führten einen Wirtschaftskrieg gegen das Land. Doch auch David muss stundenlang anstehen, um in den leeren Läden wenigstens etwas zum Essen ergattern zu können. Nur Dank des Erfindungsreichtums von Kleinunternehmerinnen wie Fernanda können die Venezolaner noch Fast Food am Straßenrand kaufen. Die rundliche 28-jährige verkauft Hot Dogs. Für die Zutaten steht sie täglich Schlange:
    "Wir müssen diese Situation irgendwie überstehen. Manchmal passiert es mir sogar, dass ich umsonst anstehe, weil schon alles ausverkauft ist."
    Paradox: Für Geldscheine ist kein Geld da
    Und wenn sie mit ihren beiden kleinen Töchtern nach Hause kommt, ist kein Wasser da.
    "Sie haben uns schon für eine oder sogar zwei Wochen das Wasser abgedreht. Wie soll man Zuhause ohne Wasser zurechtkommen? Auch für ein Geschäft ist es lebenswichtig. Wenn es mal Wasser gibt, sammle ich es in Kübeln oder Plastikflaschen, in allem, was ich habe. Was anderes bleibt mir nicht übrig bleibt. Schlimm ist das."
    Kaum Wasser, oft kein Strom, wenig Lebensmittel. Aber in Venezuela kennt selbst der Mangel noch eine Steigerung: Die Zentralbank bekommt keine neuen Geldscheine mehr. Auch die müssen, wie fast alles, importiert werden. Da Venezuela den ausländischen Druckereien aber Devisen schuldet, liefern die nicht mehr. Und das bei einer horrenden Inflation, in der der größte Geldschein, 100 Bolívares, nur noch etwa acht Eurocent wert ist. Jeder Kauf erfordert so Tüten voller Scheinen, aber der Nachschub versiegt: Kein Geld für Geld.