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Ver.di: Längere Öffnungszeiten sind ein Nullsummenspiel

Lieselotte Hinz, Ver.di-Verhandlungsführerin in Nordrhein-Westfalen, glaubt nicht, dass längere Öffnungszeiten zu mehr Umsatz im Einzelhandel führen. Nur solange die Konkurrenz nicht ebenfalls mit den Öffnungszeiten nachziehe, zahle sich diese Maßnahme für ein Unternehmen aus. Ver.di werde auch für Dezember Streiks planen, denn an den Zuschlägen für Nachtarbeit dürfe nicht gerüttelt werden.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Mancher mag es kaum glauben: Nächstes Wochenende öffnen schon die ersten Weihnachtsmärkte. Das Weihnachtsgeschäft steht unmittelbar vor der Tür. Im Einzelhandel will nun erstmals die Gewerkschaft ver.di mitten in der Vorweihnachtszeit streiken. Die Streiks laufen übrigens schon, nur haben das bisher wenige mitbekommen. Ein Thema neben den Löhnen sind die Zuschläge für Nachtarbeit; der Einzelhandel will die Zuschläge senken, obwohl oder weil immer mehr Läden ihre Öffnungszeiten ausdehnen. Die Warenhauskette Kaufland öffnet heute Nacht probeweise in zwei von 500 Warenhäusern rund um die Uhr. …Am Telefon ist nun Lieselotte Hinz, Verdi-Verhandlungsführerin in NRW. Guten Morgen, Frau Hinz!

    Lieselotte Hinz: Ja, guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Wie finden Sie das denn, wenn eine Warenhauskette rund um die Uhr, nachts, immer geöffnet hat, nicht am Sonntag, aber sonst immer?

    Hinz: Ja, wie finde ich das? Mein Kollege von ver.di hat darüber etwas gesagt. Ich meine, das es nicht notwendig ist, dass Kaufhäuser, dass Einzelhandelsgeschäfte rund um die Uhr öffnen, weil wir sagen, dass man das Interesse des Kunden, das Interesse des Einzelhandels und auch das Interesse der Beschäftigten abwägen muss. Ich habe mich sehr gewundert, dass Sie so viele positive Hinweise von den Beschäftigten bekommen haben. Ich höre vieles andere, weil Beschäftigte im Einzelhandel haben Familie, Beschäftigte im Einzelhandel haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu vereinbaren, Nachtarbeit ist gesundheitsschädlich. Ich denke, das müssen wir ernst nehmen, und das nehmen wir in der Tarifrunde auch ernst.

    Meurer: Möglicherweise wird das eben alles gemacht mit Freiwilligen, die gerne nachts arbeiten, die keine Familie haben und die Zuschläge haben wollen.

    Hinz: Ach, wissen Sie, das mit der Freiwilligkeit ist immer solch eine Sache. Wenn Sie auf einen Arbeitsplatz angewiesen sind und wenig Alternativen haben, ist die Freiwilligkeit sehr schnell hergestellt. Wenn Sie anders fragen würden, wo jemand und wann jemand lieber arbeiten würde, tags oder nachts, ich denke, dann bekommen Sie andere Antworten.

    Meurer: Schaffen die neuen Öffnungszeiten mehr Arbeitsplätze? Eben haben wir gehört, eine ganze Reihe von Ganzzeitverträgen und viele Teilzeitverträge.

    Hinz: Also es gibt eine Umschichtung, das haben Sie gesagt, zwischen Vollzeit und Teilzeit ist das eine. Es gibt sicherlich – das ist auch in Ihrem Bericht deutlich geworden – in einzelnen Filialen dann, wenn geöffnet wird, länger geöffnet wird, kann es einen Anbau von Arbeitsplätzen geben. Das haben wir in anderen Vertriebsschienen auch erlebt. In dem Moment, wenn die Konkurrenz ebenfalls öffnet – Sie haben von Kaufland gesprochen –, wenn die Konkurrenz ebenfalls öffnet und der Umsatz nicht mehr so kommt wie erwartet, dann wird es mit den Arbeitsplätzen zurückgehen. Der Kunde – und das ist ja nun eine Binsenweisheit – kann den Euro nur einmal ausgeben. Und dann wird der halt nachts ausgegeben und nicht am Tag. Und das geht sofort auf die Umsätze. Also es ist ein Nullsummenspiel im Durchschnitt. Es kann, wie gesagt, in einzelnen Unternehmen funktionieren, aber nur solange, wie sie sich einen Konkurrenzvorteil geschaffen haben.

    Meurer: Werden sie von ver.di, Frau Hinz, versuchen, die Arbeitgeber sozusagen auszubremsen bei den längeren Öffnungszeiten, indem Sie sagen, bei den Zuschlägen wird nicht gerüttelt?

    Hinz: Wir haben eher eine Position in der Tarifrunde, dass wir sagen, bei den Zuschlägen wird nicht gerüttelt. Wir werden im Dezember mit den Beschäftigten im Einzelhandel Streiks organisieren, weil die Beschäftigten im Einzelhandel entscheiden, wie ihre Arbeitsbedingungen in Zukunft gestaltet sind. Wir sind dabei, die Arbeitskämpfe zu planen, und, wie Sie so schön sagen, die Arbeitgeber in ihrem Verlangen, die Zuschläge zu streichen, auszubremsen.

    Meurer: Zuschläge gibt es im Moment ab 18.30 Uhr, nämlich 20 Prozent Zuschlag. Das gibt es, glaube ich, in keiner anderen Branche so früh. Kann man das vertreten?

    Hinz: Warum sollen wir das nicht vertreten? Wir haben in den letzten Jahren immer wieder in der Frage der Auseinandersetzung um Ladenöffnungszeit versucht, in den Tarifverträgen einen Ausgleich zu schaffen. Die 20 Prozent Spätöffnungszuschläge am Samstag und auch am Abend ab 18.30 Uhr sind ein Ausgleich für Menschen, die zu ungünstigen Arbeitszeiten arbeiten müssen, die im Prinzip ihren Service anbieten und ihre Dienstleistung anbieten, damit andere Menschen, die Sie ja auch interviewt haben, einkaufen gehen können und die Dienstleistung in Anspruch nehmen. Dafür ist es ein Ausgleich. Es gibt auch in anderen Branchen im Übrigen, das ist kein Einzelhandelsspezifikum, unterschiedliche Zuschlagsregelungen für Schichtarbeit. Die Schichtarbeit ist unterschiedlich in den Tarifverträgen der verschiedenen Branchen definiert. Es ist nicht einmalig im Einzelhandel.

    Meurer: Der Einzelhandel arbeitet ja sehr viel mit Zeitarbeitskräften und Aushilfen, gerade im Moment, deswegen spüren wir ja so wenig vom Streik. Kriegen die Aushilfen auch die Zuschläge?

    Hinz: Die Aushilfen bekommen die Zuschläge überwiegend nicht. Wenn es Aushilfen sind, die durch Leiharbeit von Zeitarbeitsfirmen zur Verfügung gestellt werden. Wenn Aushilfen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber eingestellt werden, müssen auch die Aushilfen die Zuschläge bekommen.

    Meurer: Dann sind ja die Zeitarbeitsfirmen sozusagen das ideale Instrument, um ver.di auszuspielen?

    Hinz: Das machen die Arbeitgeber ja zurzeit auch, und das kritisieren wir auch, und wir haben im Prinzip auch dieses Thema zum Thema gemacht und unseren Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen angeschrieben, ob das der Sinn des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist, dass im Prinzip Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, um Tarifverträge nach unten zu schrauben und gegebenenfalls als Streikbrecher eingesetzt werden. Das kritisieren wir. Leiharbeit war immer gedacht als eine Form, bestimmte Umsatzspitzen auszugleichen und einen Ausgleich und Beschäftigungsflexibilität bei schwankenden Umsätzen herzustellen. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz hatte nicht zum Ziel, Tarifdumping zu betreiben und Streikbrechereinsatz zu organisieren. Das kritisieren wir.

    Meurer: Wir sehen, Frau Hinz, Ihre Streikpläne für Weihnachten aus?

    Hinz: Wir sind dabei, bundesweit, mit den Beschäftigten im Einzelhandel darüber zu diskutieren, und wir werden ab sofort, ab nächstes Wochenende, durchgängig in Filialen des Einzelhandels streiken, im gesamten Bundesgebiet. Das wird Schwerpunkte geben in Unternehmen, und es wird Schwerpunkte in Regionen geben.

    Meurer: Wird man das denn diesmal merken, oder werden nicht wieder die Zeitarbeiter und Aushilfen alles auffüllen?

    Hinz: Ach, wissen Sie, das mit den Märkten ist ja immer auch eine unterschiedliche Wahrnehmung. Die Arbeitgeber haben das und auch die Kunden in einigen Bereichen haben das sehr wohl gemerkt. Ich habe sehr viel auch Ladengeschäfte während unserer Streikphasen gesehen in SB-Warenhäusern, wo Theken nicht besetzt waren, wo zusätzlich Schlangen an der Kasse waren, wo Ware nicht aufgefüllt war. Also es ist schon spürbar bei mehr Tagesstreiks, ja. Die Arbeitgeber werden Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einsetzen, das kritisieren wir, das werden wir nicht verhindern können. Wir sind aber dabei, andere Formen der Störung auch zu prüfen, auch bei Streikbrechereinsatz, um sichtbar zu machen, dass die Beschäftigten im Einzelhandel für ihre Interessen und für ihren Tarifvertrag kämpfen.

    Meurer: Lieselotte Hinz war das, die ver.di-Verhandlungsführerin im nordrhein-westfälischen Einzelhandel heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Frau Hinz, schönen Dank, wiederhören.

    Hinz: Ja, wiederhören.