Heuer: Hat die US-Regierung also seinerzeit gelogen oder haben die sich schlicht getäuscht?
Münkler: Vielleicht irgendwo dazwischen. Man wird ihnen schon abnehmen dürfen, dass sich zu diesem Zeitpunkt bestimmte Vorstellungen über Verbindungen als etwas gravierender dargestellt haben, als im Nachhinein bei einer genaueren Betrachtung. Das würde ich nicht in Abrede stellen. Andererseits haben die Darstellungen doch gezeigt, dass der Plan den Irak anzugreifen, schon lange vor dem 11.9. da war, sodass also in vielerlei Hinsicht der 11.9. ein Vorwand, eine Kommunikationsmöglichkeit in die eigene Bevölkerung oder was auch immer, gewesen ist, um ein in dieser Region vorhandenes Problem zu lösen. Die Verbindung mit Osama Bin Laden ist natürlich eine gewesen, die in hohem Maße konstruiert worden ist, und die Konstruktionen, die vorgenommen worden sind, die sind sicherlich auch teilweise wider besseren Wissens vorgenommen worden.
Heuer: Nun sagt Georg Bush, und ich möchte das wörtlich zitieren: "Wir haben absolut das Richtige getan. Die Welt ist besser ohne Saddam." Herr Münkler, finden Sie das auch?
Münkler: Ja, Saddam ist ja alles andere als eine erfreuliche Gestalt gewesen und unterstützenswert auch nicht. Die Frage, wie man sich zu Diktatoren vom Stil und Schlage Saddams verhält, ist eine, die man letzten Endes danach beantworten muss, ob man sagen kann: Was danach kommt, ist besser. Und das ist im Augenblick vielleicht noch nicht so klar erkennbar. Aber ich bin doch schon davon überzeugt, dass es gelingen wird, im Verlauf eines Jahres die Lage im Irak so weit zu stabilisieren, dass man dann allgemein sagen kann, dass das, was dann ist, besser ist. Allerdings ist das noch ein weiter Weg und es gibt einen Faktor, der vielleicht schwerer wiegt, nämlich die aufgelöste moralische Glaubwürdigkeit der USA. Man hat sicherlich eine Aktion gemacht mit der Wegnahme von Saddam Hussein, von der man sagen kann, dadurch ist eine grausame, üble, das Volk unterdrückende Gestalt von der politischen Macht entfernt worden. Aber was sind die Lerneffekte in der Staatenwelt? Die sind wahrscheinlich desaströs sowohl, was die Bereitschaft der USA anbetrifft, die Souveränität eines anderen Staates zu konterkarieren, als auch natürlich was ihre Informationspolitik - insbesondere den Vorwand, Massenvernichtungswaffen und Verbindung zu El Kaida - anbetrifft.
Heuer: Kann vor diesem Hintergrund im Irak überhaupt Ruhe einkehren, solange die US-Besatzer, die inzwischen dermaßen verhasst sind, im Land sind?
Münkler: Wahrscheinlich muss man die Frage andersrum beantworten: Diese Übergangsregierung kann nur an der Macht bleiben, so lange sie von amerikanischen Truppen abgestützt ist. Sie hat im Augenblick keine zuverlässigen, ihr verfügbaren Erzwingungsstäbe. Sie ist im Prinzip auf das amerikanische Potenzial angewiesen.
Heuer: Wie lange wird sie das ihrer Schätzung nach sein? Das eine Jahr, von dem Sie eingangs gesprochen haben, oder dauert das länger?
Münkler: Das wird schon länger dauern, aber innerhalb dieses einen Jahres ist jedenfalls zu erwarten, dass die Intensität des gegenwärtigen Widerstandes sicherlich auch vor der Machtübergabe abflauen wird und dass im Gefolge dessen die Erfordernis, amerikanisches Militär im Irak in dieser Zahl zu stationieren, allmählich zurückgehen wird. Aber das wird dauern.
Heuer: Glauben Sie, dass die USA nach den Erfahrungen im Irak, die ja alles andere als gut sind, nun lange Zeit von ähnlichen Kriegen Abstand nehmen?
Münkler: Die Irak-Erfahrungen haben sie jedenfalls nicht ermutigt, dass man so etwas bei nächster Gelegenheit wieder machen sollte, wobei natürlich die Irak-Erfahrungen ambivalent sind. Auf der einen Seite haben sie die Erfahrung gemacht, dass sie ein solches Regime innerhalb relativ kurzer Zeit mit relativ begrenztem Aufwand zerschlagen können. Sie haben gleichzeitig die Erfahrung gemacht, dass der Neuaufbau einer neuen stabilen Ordnung, die prosperiert und vielleicht auch demokratisch ist, sehr viel aufwändiger ist. Man muss sehen, wenn sie das voneinander trennen und sagen, okay, wir zerschlagen ein Regime, aber wir werden uns nicht die mühselige Arbeit des Nation-building anschließend an den Hals hängen, dann würde der Irak-Krieg, also der dritte Irak-Krieg eher dafür sprechen zu sagen, gut, das können wir, wir haben die entsprechenden militärischen Potentiale. Die Sache verändert sich erst dann, wenn das Problem des Nation-building, also die anschließende Stabilisierung des Landes, an ihnen hängen bleibt.