Heinlein: Dennoch: Ist das Urteil Wasser auf die Propagandamühlen der NPD?
Niedermayer Das ist richtig. Aber andrerseits ist die NPD, wenn man es nüchtern betrachtet, als Partei im Parteiensystem wirklich eine Marginalie, und ich denke, sie wird es auch nach diesem Urteil bleiben, denn es hat sich ja in der Außenwahrnehmung bei den Leuten, die sie vielleicht auch wählen würden bei den nächsten Wahlen, gar nichts groß geändert. Es hätte sich etwas geändert, wenn das Verfahren durchgeführt worden wäre und das Verfassungsgericht in der Hauptverhandlung zum Schluss gekommen wäre, die NPD sei keine rechtsextremistische Partei. Das hätte als Legitimation gewirkt, auch hinein in, sagen wir mal, konservative Wählerschichten, die dann gesagt hätte, OK, jetzt hat die Partei sozusagen einen Persilschein vom obersten deutschen Gericht, jetzt ist sie für uns auch wählbar. Die ist aber nicht geschehen. Es ist ein Verfahrensfehler gewesen und eben keine innenpolitische Entscheidung.
Heinlein: Dennoch kann die NPD jetzt doch selbstsicherer in der Öffentlichkeit auftreten nach dem Motto, wir haben die Entscheidung in Karlsruhe, wir sind verfassungskonform und Anhänger, Sympathisanten der Rechten Szene könnten sich jetzt trauen, sich offene zu dieser Partei zu bekennen.
Niedermayer Sie kann das eben nicht. Sie hat eben keinen Persilschein. Die Richter haben eindeutig ihre Meinung kundgetan, was die Verfassungswidrigkeit oder nicht der Partei anbetrifft, und die Entscheidung ist ja nicht über diese Verfassungswidrigkeit gefallen, sondern sie ist eben gefallen über die Frage, ob das Verfahren angesichts dieser Schludrigkeiten, Schwierigkeiten und Fehler der Antragssteller überhaupt fortgesetzt werden kann. Das ist ja eine ganz andere Geschichte.
Heinlein: Das sagen Sie als Parteienforscher, als Politologe. Dennoch kann die NPD-Propaganda doch versuchen, jetzt die Verfassungsorgane lächerlich zu machen.
Niedermayer Das kann sie natürlich versuchen, aber diese Partei ist nicht sehr kampagnenfähig. Sie hat relativ wenige Ressourcen und kann nach außen nicht sehr viel bewirken. Sie wird möglicherweise ihre Anhänger dazu motivieren, die eine oder andere Demonstration wieder durchzuführen. Das wird ihr wieder ein wenig Medienaufmerksamkeit verschaffen, aber an sich ist es eine Partei, von der jetzt in Bezug auf Wählerstimmen - und das ist für mich eigentlich das Wesentliche - keine große Gefahr ausgeht.
Heinlein: Hätte denn ein Verbot der NPD die rechtsextreme Szene ernsthaft geschwächt?
Niedermayer Also ich habe schon immer geglaubt, dass ein Parteinverbot eigentlich nicht das wirkliche Mittel ist, um den Rechtsextremismus bei uns, der zweifellos vorhanden ist, zu bekämpfen. Das ist für mich eher ein Nebenkriegsschauplatz, der ablenkt von den wirklich wichtigen Dingen, die man machen müsste und die man zum Teil ja auch macht, um diesen Sumpf auszutrocknen. Ein Verbot der Partei hätte auf der einen Seite eine positive Auswirkung gehabt, dass man der Partei auch noch ihre letzten Ressourcen entzieht, denn man darf ja nicht vergessen, solange sie an Wahlen teilnehmen kann, bekommt sie auch, wenn sie über bestimmte Maße kommt, dann auch noch öffentliche Parteienfinanzierung, das heißt, sie wird praktisch vom Staat und von uns allen dann auch noch finanziell unterstützt. Dies wäre weggefallen. Andrerseits wäre es aber noch schwieriger geworden, die Partei durch den Verfassungsschutz zu beobachten, wenn sie in die Illegalität gedrängt worden wäre, und möglicherweise hätte ein solches Drängen in die Illegalität auch Radikalisierungseffekte zur Folge gehabt, sprich Anschläge oder Ähnliches. Das kann man nicht ausschließen. Insofern wäre ein Parteienverbot ein zweischneidiges Schwert gewesen, denke ich.
Heinlein: Sollte vor diesem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, die Bundesregierung einen juristischen Neuanlauf in Karlsruhe wagen und erneut das Verbot der NPD beantragen?
Niedermayer Nein, das würde ich ihr nicht raten. Sie sollte sich auf das konzentrieren, was wirkungsvoller zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ist, nämlich diesen Parteien politisch den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man zugegebenermaßen in einer Gratwanderung die Ängste und Sorgen auch der potentiellen Anhänger solcher Parteien ernst nimmt und versucht, sie in der Politik etwas zu berücksichtigen, und vor allen Dingen muss das gesellschaftliche Bündnis gegen Rechts aktiviert und fortgeführt werden. Das ist meiner Ansicht nach viel wichtiger als eine Partei, die unter 1 Prozent der Stimmen seit Jahren und Jahrzehnten herumdoktert, zu verbieten oder sich nur auf diese Partei zu konzentrieren. Man darf ja auch nicht vergessen, dass wir zwei weitere rechtsextreme Parteien haben, über die gar Keiner mehr redet.
Heinlein: Der politische Kampf muss im Vordergrund stehen, sagen Sie. Ist denn gegenwärtig in der Politik und der Öffentlichkeit das Problembewusstsein für die Gefahren von Rechts überhaupt noch vorhanden?
Niedermayer Das Problembewusstsein ist immer in Wellen vorhanden, wenn es entweder rechtsextreme Anschläge gibt oder wenn Ideen hochkommen, die den Rechtsextremen potentiell nützen. Insofern ist es natürlich ganz schwierig, dieses Bewusstsein auch am Laufen zu halten, wenn in dieser Weise dann nichts passiert. Gott sei Dank ist es seit einiger Zeit so, dass die Rechten keine Themenkonjunktur mehr haben, dass sie auch keine Medienpräsenz mehr haben, was ja ganz wichtig ist. Insofern denke ich, dass wir momentan und auch für die nahe Zukunft da relativ beruhigt sein können.
Heinlein: Sollte der Verfassungsschutz in diesem politischen Kampf künftig darauf verzichten, extreme Parteien wie die NPD mit V-Leuten zu unterwandern?
Niedermayer Auf keinen Fall, denn das ist ja das wirksamste Mittel, um wenigstens halbwegs die Kontrolle darüber zu behalten, was dort geschieht.
Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio