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Verbraucherschutz
Barley: Musterfeststellungsklage besser als Sammelklage

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat heute gegen den VW-Konzern die bundesweit erste Musterfeststellungsklage eingereicht. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte im Dlf, damit könnten Verbraucher schneller, bequemer und kostengünstiger ans Ziel kommen als etwa mit einer Sammelklage.

Katarina Barley im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Berlin: Katarina Barley (SPD), Bundesjustizministerin, spricht in der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag. Themen der 59. Sitzung der 19. Legislaturperiode sind unter anderem die Mietpreisbremse, Wohnungsbau, Diesel-Fahrverbote und Religionsfreiheit.
    Katarina Barley (SPD), Bundesjustizministerin (Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Man habe das Instrument zwar extra wegen des VW-Abgasskandals schneller durchgebracht, so Barley. Gedacht sei es aber vor allem für kleinere Fälle.
    In einer Musterfeststellungsklage würden die klagebegründenden Tatsachen, die alle gemeinsam haben, festgestellt. Bei VW betreffe das etwa die Fragen: Wurde bei den Abgastests manipuliert? Hatte der Konzern Kenntnis davon? Ist ein Schaden entstanden? Die genaue Schadenshöhe müsse allerdings später in Einzelverfahren geklärt werden.
    Bei einer Sammelklage, die viele Kritiker der Musterfeststellungsklage vorgezogen hätten, gebe es erhebliche Nachteile, meint die Bundesjustizministerin. Erstens würde sie sehr viel länger dauern, da der einzelne Schaden jedes teilnehmenden Klägers festgestellt werden müsste. Außerdem trage der Verbraucher bei einer Sammelklage ein höheres finanzielles Risiko. Zudem habe man als Kläger mit dem Verfahren der Musterfeststellungsklage erst einmal nichts zu tun, sondern könne abwarten, ob die spätere eigene Klage Erfolg haben könnte.
    "VW würde Folgeprozesse verlieren"
    Das der Musterfeststellungsklage zugrunde liegende Gesetz ist heute in Kraft getreten. Die Verbraucherschützer wollen mit der Klage gegen VW erreichen, dass der Autohersteller wegen manipulierter Abgassteuerung für den Schaden von Millionen von Volkswagen-Besitzern gerade stehen muss. Dabei geht es um Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Skoda und Seat. Besitzer dieser Autotypen oder Verbraucher, die einen dieser Wagen verkauft haben, können sich der Klage kostenlos anschließen. Sollte die Musterfeststellungsklage erfolgreich sein, müssen die Verbraucher mögliche Schadensersatz-Ansprüche allerdings noch individuell einklagen.
    Barley glaubt, dass VW jeden dieser individuellen Folgeprozesse verlieren würde, sollte im Verfahren der Musterfeststellungsklage festgestellt werden, dass der Konzern wissentlich manipuliert habe und somit einen Schaden verursacht habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Jörg Münchenberg: Vor der Sendung habe ich Justiz- und Verbraucherministerin Katarina Barley, SPD, zunächst gefragt, ob die Aufarbeitung des Dieselskandals letztlich auch der Lackmustest für das neue Verbraucherrecht ist.
    Katarina Barley: Es ist der erste Anwendungsfall, und wir haben ja auch deswegen dieses Gesetz so schnell durch den Bundestag gebracht, damit die Betroffenen im Dieselskandal noch zu ihrem Recht kommen können, weil zum Jahresende die Verjährung droht, also es müssen sich auch wirklich alle, die davon noch profitieren wollen, zügig melden. Es sind allerdings eigentlich andere Anwendungsfälle, die wir im Kopf hatten. Es ging mehr um die kleinen Ärgernisse, die kleinen Beträge, die Gebühren, die paar Euro, für die man am Ende nicht zum Anwalt oder sogar zum Gericht geht, aber sich trotzdem höllisch ärgert. Eigentlich war für solche Fälle gedacht, dass man sich dann an einen Verband wenden kann, der solche Klagebegehren sammelt und das dann für einen durchficht.
    Münchenberg: Lassen Sie uns trotzdem beim Thema Diesel mal bleiben, wenn das natürlich auch jetzt sozusagen die erste Anwendung für die Musterfeststellungsklage ist. Was kann denn hier mit diesem neuen Instrument in Sachen Dieselbetrug überhaupt erreicht werden?
    Barley: Das Wesen einer Musterfeststellungsklage ist, dass man die klagebegründenden Tatsachen, die alle Fälle gemeinsam haben, verbindlich feststellen kann. Also in diesem Fall wären das Fragen, wie ist tatsächlich manipuliert worden, wussten die Verantwortlichen, also ist das dem Konzern auch zuzurechnen, ist dabei ein Schaden entstanden. Das sind allgemeine Fragen, die dann geklärt werden können. Es bleiben nur die Fragen offen vor, die für jeden Fall unterschiedlich sind, also die genaue Schadenshöhe zum Beispiel würde da nicht festgestellt werden.
    "Das kostet die Zeit und Geld und Imageschade"
    Münchenberg: Aber genau das werfen ja auch Kritiker hier ein und sagen, das Prinzip Voraussetzung für den Schadensfall wird festgestellt, aber über die Höhe des Schadens, da werden dann wieder andere Gerichte drüber entscheiden, und zwar im Einzelfall, das heißt, da müssen die einzelnen Personen dann doch wieder klagen. Das alles hört sich ja nicht nach sehr schnellen Lösungen an, und da fragt man sich ja schon auch, was ist der Vorzug zu der bestehenden Gesetzgebung.
    Barley: Ja, ich halte diese Kritik für völlig unberechtigt, weil wenn man jetzt eine Sammelklage im klassischen Sinne eingeführt hätte, wie ja andere das gefordert haben, dann müsste man in diesem Verfahren, wo jetzt schon sich 25.000 Leute gemeldet haben, jeden einzelnen Schaden feststellen. Das würde unfassbar lange dauern. Was man jetzt bekommt, ist sozusagen eine Art Vorprüfung, also als Betroffener weiß ich dann, werde ich mit meinem Begehren Erfolg haben. Und dann mit diesem Musterfeststellungsurteil in der Hand kann ich mich an den Konzern wenden, kann sagen, hier, ich hab dieses Urteil, ich bin betroffen, das ist die Kopie meines Kaufvertrages, und kann dann sagen, ich möchte von dir x Euro haben, oder man kann sagen, mach mir ein Angebot, wie viel du mir zahlst. Natürlich hat ein Konzern bei 25.000 Betroffenen überhaupt kein Interesse daran, dass die alle nachher noch mal eine eigene Klage führen. Die werden nicht 25.000 Einzelklagen nachher führen, das kostet die Zeit und Geld und Imageschaden. Es besteht eine ganz hohe Wahrscheinlichkeit, dass die dann versuchen werden, für den Fall, dass es positiv ausgeht natürlich, sich dann mit den einzelnen Betroffenen zu einigen.
    Münchenberg: Aber wenn man das mal festmacht am Verhalten von Volkswagen in den letzten Monaten: Man hat am Anfang des Dieselbetruges, als das Ganze aufgeflogen ist, Transparenz, Kooperation versprochen, jetzt hat sich aber im Nachhinein herausgestellt, dass VW natürlich mauert, hinhält. Also warum soll gerade so ein Konzern dann plötzlich auf die Konsumenten zugehen?
    Barley: Weil sie wissen, dass sie jeden Folgeprozess verlieren würden. Das wissen sie ganz sicher, weil ja alle Tatsachen, die es dafür bräuchte, schon rechtsverbindlich festgestellt sind durch diese Musterfeststellungsklage. Das heißt, sie wissen ganz genau, sie können es vielleicht noch rauszögern, sie können es niemals verhindern, und das in 25.000 Fällen. Jeder vernünftig denkende Unternehmer wird sagen – wir kennen solche Fälle auch aus der Vergangenheit, dass man dann sagt, okay, dann versuche ich, das Ganze, wenn ich schon zahlen muss, möglichst schnell und möglichst geräuschlos abzuräumen.
    "Die Musterfeststellungsklage ist das bessere Modell"
    Münchenberg: Volkswagen aber zeigt sich jetzt erstaunlich gelassen, obwohl eben die neue Gesetzgebung heute in Kraft tritt und obwohl eben auch Verbraucherzentrale und ADAC angekündigt haben, dass sie klagen werden. Volkswagen sagt, weist schon mal vorsorglich darauf hin, das wird sich Jahre alles hinziehen. Ist das nun Abschreckung oder eben vielleicht doch die Gewissheit, dass man vielleicht doch kaum was zu befürchten hat?
    Barley: Na ja, also natürlich haben die keinerlei Interesse daran, dass jetzt möglichst viele Leute sich melden, das ist doch klar. Und es wird auch nicht von heute auf morgen gehen, da darf man sich auch keine Illusionen machen. Diese Prüfung wird schon auch Zeit in Anspruch nehmen, das ist ein Gerichtsverfahren, das man allerdings sowieso hätte, auch wenn man alleine klagen würde. Der Vorteil ist eben, für die Betroffenen jetzt ist es kostenlos, und sie haben mit dem Verfahren selbst erst mal gar nichts zu tun. Sie müssen keine Schriftsätze lesen und gutheißen, sie müssen sich nur in diesen Listen eintragen lassen und sagen, dass sie betroffen sind. Das heißt, sie können ganz in Ruhe, ohne Geld zu investieren, abwarten, wie geht eigentlich dieses Prüfungsverfahren, dieses Vorprüfungsverfahren, so nenne ich es jetzt einfach mal, wie geht das eigentlich aus, und können sich danach entscheiden, wie sie weiter verfahren.
    Münchenberg: Frau Barley, Sie haben die Sammelklagen schon angesprochen. Warum hat eigentlich die deutsche Politik das nicht zugelassen, dass sich Verbraucher und Industrie oder Wirtschaftsunternehmen auf Augenhöhe begegnen? Bei den Urkapitalisten in den USA ist das ja möglich.
    Barley: Ja, ich hab es eingangs schon erwähnt. Die Sammelklage hat natürlich Vorteile, nämlich dass Sie danach dann sofort einen vollstreckbaren Titel in der Hand haben, sie hat allerdings auch ganz gravierende Nachteile, die hier an dem Dieselverfahren sehr deutlich werden. Das eine ist, Sie müssten immer erst mal was zahlen. Solche Sammelklagen sind für die Menschen, die sich daran beteiligen, ja nicht umsonst, sondern es ist ein ganz normales gerichtliches Verfahren – anders bei der Musterfeststellungsklage, die erst mal für die Betroffenen umsonst ist, kostenlos. Das Zweite ist der Zeitfaktor. Wenn Sie eine große Anzahl von Betroffenen haben und Sie müssen den Anspruch komplett von der Prüfung, ob der Vertrag wirksam ist, bis zu der Frage, wie hoch ist im Einzelfall jeweils der Schaden, wenn Sie das alles durchprüfen müssen, dann dauert das Ganze viel, viel länger. Und ich bin der festen Überzeugung, dass die Musterfeststellungsklage das bessere Modell ist, weil sie einen gleichen Effekt erzielt, so einen ähnlichen Effekt erzielt, aber schneller, bequemer für die Betroffenen und kostengünstiger.
    "Den Schaden wiedergutmachen"
    Münchenberg: Aber gehört zur Wahrheit eben nicht auch, dass sich das trotzdem tatsächlich auch Jahre hinziehen wird?
    Barley: Jedes Verfahren vor Gericht ist ein Verfahren vor Gericht, da werden Gutachten eingeholt, da werden möglicherweise Zeugen gehört. Wissen Sie, der Dieselskandal, der ist ja eigentlich nicht meine Zuständigkeit sozusagen, es ist beim Verkehrsministerium angesiedelt, aber das, was ich tun kann als Justizministerin, ist, dass ich den Betroffenen, wenn sie das Gefühl haben, ihnen geschieht Unrecht, dass sie sich wehren können. Und das ist das, was ich tun kann – mal davon abgesehen, was möglicherweise mein Kollege Verkehrsminister erreichen kann in Verhandlungen mit den Konzernen. Aber was ich tun kann, ist, einen Rechtsweg zu eröffnen, der es viel, viel leichter macht als bisher, zu seinem Recht zu kommen. Wie die Gerichte dann entscheiden werden, das liegt natürlich auch nicht in meiner Hand.
    Münchenberg: Frau Barley, noch eine abschließende Frage: Das Diesel-Spitzentreffen ist ja längst vorbei, passiert, muss man sagen, ist relativ wenig. Es gibt die Umtauschprämien, aber das ist sozusagen ja ein Konjunkturprogramm noch für die Autokonzerne obendrauf. Bei der Hardware-Nachrüstung ist nichts passiert, da mauert die Industrie. Wie bewerten Sie denn das Vorgehen, auch das Verhalten der Konzerne?
    Barley: Ja, normalerweise, wenn ein Problem auftritt zwischen dem Verkäufer und dem Käufer, dann ist das etwas, was auch diese beiden Parteien miteinander regeln müssen. Normalerweise ist das ja kein Politikum. Hier hat es so eine Dimension und natürlich auch durch die Manipulationen, die da erfolgt sind, eine Komponente, dass die Politik sich auch einschalten muss. Aber es ist klar, es ist die ureigenste Verantwortung der Automobilhersteller selbst, den Schaden, den sie angerichtet haben, auch wiedergutzumachen.
    Münchenberg: Aber haben Sie den Eindruck, die übernimmt auch diese Verantwortung?
    Barley: Sie versuchen alles, was möglich ist, um ihren Beitrag so gering, wie es unbedingt nötig ist, zu halten. Das kann man wirtschaftlich verstehen, ob sie letztendlich selbst gut damit beraten sind, wage ich zu bezweifeln, denn der Automobilkauf ist immer auch Vertrauenssache, und ich fände es gut, wenn da auch noch Gesten hin zu den Verbrauchern erfolgen würden. Ich glaube, das wäre auch in eigenem Interesse.
    Münchenberg: Bundesjustiz- und Verbraucherministerin Katarina Barley, SPD, heute Morgen im Deutschlandfunk zum neuen Instrument der Musterfeststellungsklage und zur Aufarbeitung des Dieselskandals.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.