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Verbraucherschutz
Frühwarnsystem gegen Lebensmittelbetrug

Der Kampf gegen Lebensmittelbetrug setzt auf neue und verbesserte Methoden. Behörden überprüfen Nahrungsmittel mittlerweile mit NMR-Spektroskopie auf ihre Zusammensetzung. Noch effektiver ist eine Art Frühwarnsystem, das potenziellen Betrug vorab berechnet - anhand von Wirtschaftsdaten.

Von Volker Mrasek | 30.10.2018
    Ein Ei, aufgenommen am Montag (10.01.2011), mit einem Schild mit einem Totenkopf-Zeichen, in Osterode am Harz. Der Skandal um giftiges Dioxin in Eiern und Fleisch nimmt immer größere Dimensionen an.
    Dioxin in Eiern, Pferdefleisch in der Lasagne - Betrug an Lebensmitteln wird oft erst erkannt, wenn es schon zu spät ist (picture alliance / Frank May)
    Ulrich Busch klappt seinen Laptop auf: "Die Problematik ist einfach: Wir haben immer den Skandal. Und messen dann."
    Im Nachhinein also und damit zu spät. Gepanschte oder gestreckte Lebensmittel sind dann meist schon vermarktet, wie zum Beispiel beim Pferdefleisch-Skandal vor fünf Jahren: "Für uns viel interessanter: die prospektiven Informationen."
    Risiko: Wenn Rohstoffe teuer werden
    Deshalb blättert sich der Biologe vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit jetzt auch nicht durch irgendwelche Analyseergebnisse, sondern durch Wirtschaftsdaten.
    "Gucken wir uns an: Haselnuss-Preis. Dann stellen wir fest, dass plötzlich der Preis sich von 5 auf fast 15 Euro verdreifacht. Dann ist für uns klar: Das ist jetzt ein Potenzial für Betrug - ohne dass wir irgendwo ein Messergebnis haben."
    Das kam später. Und tatsächlich bestätigte sich der Verdacht: Betrüger nutzten den riesigen Preissprung, um Reibach zu machen. Sie streckten Haselnuss-Paste für Eis und andere Lebensmittel einfach mit billigeren Zutaten. Darunter waren auch Erdnüsse, empört sich Helmut Tschiersky, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL:
    "Und man weiß ja: Es gibt 'ne ganze Reihe von Personen, die extrem allergisch auf Erdnüsse reagieren. Das heißt, hier haben wir neben dem Betrug auch noch ein Gesundheitsrisiko zu verzeichnen."
    Es war die erste Bewährungsprobe für ein neues Frühwarnsystem in Deutschland, gemeinsam entwickelt von bayerischen Lebensmittel-Analytikern und Statistikern der Universität München. Ein Computermodell durchsucht dabei die weltweiten Warenströme und Preistrends nach auffälligen Abweichungen. Einmal im Moment treffen sich alle Beteiligten und beraten, ob sie irgendwo aktiv werden sollen. Das BVL ist auch mit im Boot.
    "Wir arbeiten gemeinsam mit den Kollegen daran, dass dieses Modell weiterentwickelt wird und dass wir es dann auch regelmäßig in der Lebensmittelüberwachung anwenden können."
    Lebensmittel kommen in die Röhre
    Auch auf der Analyseseite gibt es aber Fortschritte. Immer mehr staatliche Untersuchungsämter wenden die NMR-Spektroskopie an. Die Messmethode kennt man aus der Medizin: Da legt man sich in eine Röhre, und der Kernspin-Tomograph, wie er dort heißt, liefert hochpräzise Gewebeschnitte.
    Lebensmittel lassen sich auf ganz ähnliche Weise durchleuchten, erläutert Thomas Kuballa, NMR-Spezialist am Chemischen Untersuchungsamt Karlsruhe:
    "Also, mit der NMR kann man praktisch den chemischen Fingerprint des Lebensmittels feststellen. Alles, was drin ist, alles, was organisch ist, kann man erfassen."
    Man erhält so praktisch das komplette Stoffinventar. Und dieser Fingerabdruck verändert sich grundsätzlich im Fall einer Verfälschung - selbst dann, wenn Pfuscher Stoffe beimischen, die die Lebensmittelkontrolleure noch gar nicht kennen und nach denen sie deshalb auch nicht gezielt suchen:
    "Einen Parameter zu fälschen ist relativ einfach für jemanden, der ein Lebensmittel fälschen möchte. Aber wenn man eben zehn, zwanzig, fünfzig oder hundert Substanzen auf einmal erfasst, die auch noch in einer gewissen Relation zueinander vorhanden sein müssen, dann ist es für einen Fälscher nahezu unmöglich, dieses zu bewerkstelligen."
    Das Katz-und-Maus-Spiel geht weiter
    Vor zehn Jahren starben in China Säuglinge, weil Milchpulver mit Melamin gestreckt worden war. Niemand hätte die Industriechemikalie damals in dem Produkt erwartet:
    "Man hat es nicht auf Melamin untersucht, im Sinne der zielgerichteten Analytik. Und so etwas würde jetzt mit diesem breiten Ansatz nicht mehr passieren."
    Die NMR-Methode sei zudem ziemlich schnell. Oft liefere sie schon innerhalb von 12 bis 24 Stunden Ergebnisse - die dann allerdings noch mit Referenzmaterialien abgeglichen werden müssen, also mit Mustern von unverfälschten Lebensmitteln. Die entsprechenden Datenbanken soll künftig das Nationale Refenzzentrum für authentische Lebensmittel bereitstellen. Es wird derzeit am Max-Rubner-Institut aufgebaut.
    Ist die Lebensmittel-Überwachung heute also besser aufgestellt als noch beim Pferdefleisch-Skandal 2013?
    "Ja, das kann man uneingeschränkt sagen."
    Andererseits weiß BLV-Präsident Helmut Tschiersky aber auch: Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Fälschern und Verfolgern geht sicher weiter.
    "Wir werden es nie schaffen, völlig auszuschließen, dass es Lebensmittelkrisen oder -skandale gibt, einfach weil jede Lebensmittel-Krise anders ist. Die Überwachungsbehörden müssen sich immer wieder auf neue Situationen einstellen."