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Verbraucherzentralen fordern besseren Anlegerschutz

Laut Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sind Betrug und Falschberatung beim Vertrieb von Geldanlagen an der Tagesordnung. Beispielsweise würden bei einer Mehrzahl der Banken trotz gesetzlicher Verpflichtung keine Beratungsprotokolle erstellt, kritisierte VZBV-Vorstand Gerd Billen.

Gerd Billen im Gespräch mit Georg Ehring | 13.09.2010
    Georg Ehring: Vor zwei Jahren brach der Finanzkonzern Lehman Brothers zusammen, die Welt stürzte in die schwerste Finanzkrise seit Langem. Verlierer waren unter anderem Sparer, die sich noch nie mit dem amerikanischen Konzern beschäftigt hatten. Sie hatten Zertifikate des Unternehmens gekauft und auf die Zusage des Anlageberaters bei ihrer Bank vertraut, der diese Geldanlage als sicher eingestuft hatte. Viele Lehman-Opfer blieben auf ihren Schäden sitzen, manche prozessieren noch heute. Nach der Finanzkrise versprachen Politiker mehr Verbraucherschutz. Gerd Billen, Vorstand beim Verbraucherzentrale Bundesverband, ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Billen.

    Gerd Billen: Guten Tag!

    Ehring: Herr Billen, wie ist das Versprechen denn eingehalten worden?

    Billen: Also noch ist es nicht eingehalten worden. Es gab zwei Dinge, die die Bundesregierung gemacht hat: Die Verjährungsfristen sind verlängert worden und es ist auch eingeführt worden, dass über jedes Anlagegespräch eine Dokumentation erstellt werden muss. Aber wenn ich mir die Realität auch in Deutschland angucke, muss ich sagen, Betrug, Falschberatung, das ist immer noch an der Tagesordnung.

    Ehring: Was ist denn die Ursache? Das Beratungsprotokoll, das Sie gerade angesprochen haben, sollte ja dafür sorgen, dass klar ist, wer was gesagt hat, wie beraten worden ist, und dann müsste die Sache doch eigentlich besser aussehen für die Verbraucher.

    Billen: Das Kernproblem besteht darin, dass wir keine ausreichende Finanzaufsicht haben, also eine Aufsicht, ob in den Banken, bei den Versicherungen, bei den freien Beratern wirklich die Regeln eingehalten werden und die Verbraucher eben nicht über den Tisch gezogen werden. Beispiel Dokumentation: Die Stiftung Warentest hatte jetzt im Sommer einen Test, wo sie festgestellt hat, die Mehrzahl der Banken und Sparkassen haben überhaupt kein Beratungsprotokoll erstellt, obwohl es eine gesetzliche Verpflichtung seit Anfang des Jahres gibt.

    Ehring: Kann man die Banken dafür nicht zur Rechenschaft ziehen, wenn sie klare Vorschriften nicht einhalten?

    Billen: Das fordern wir ein und deswegen habe ich auch den Chef der Bankenaufsicht, Herrn Sanio, deswegen angeschrieben. Jeder, der über eine rote Ampel fährt, muss mit Sanktionen rechnen. Aber ich habe den Eindruck, dass sich die Finanzindustrie wirklich weitgehend als Parallelgesellschaft bei uns etabliert hat, die selber festlegt, wann Regeln befolgt werden und wie sie befolgt werden. Umso enttäuschender ist es, dass die Bundesregierung gerade beim Thema Finanzaufsicht bisher nicht wirkliche Dinge vorgelegt hat.

    Ehring: Gerade vor wenigen Tagen wurde aber doch bekannt, dass auch der graue Kapitalmarkt künftig stärker beaufsichtigt werden soll, also zum Beispiel der Vertrieb von geschlossenen Fonds oder stillen Beteiligungen. Sind Sie da nicht mit zufrieden oder nicht mit einverstanden?

    Billen: Nein! Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und die Kanzlerin hat ja auch versprochen, dass jedes Produkt unter die Regulation kommen soll, aber es kommt nicht nur darauf an, dass die Produkte geregelt werden, sondern dass die, die die Produkte verkaufen, die die Beratungsgespräche führen, kontrolliert werden, und hier hat leider im Moment der Wirtschaftsminister durchgesetzt, dass die sogenannten freien Vermittler – und das sind über 80.000 freie Finanzvermittler in Deutschland – eben nicht unter die Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistung kommen. Also statt einer Verbesserung der Finanzaufsicht hier eine Zersplitterung, und mein Eindruck ist es, hier setzen sich bestimmte Lobbygruppen durch, die dafür sorgen, dass nicht Verbraucherinteressen wahrgenommen werden, sondern Klientelpolitik gemacht wird.

    Ehring: Ein Teil des Problems ist ja auch die Vertriebspraxis in den Banken, dass Mitarbeiter mehr Verkäufer als Berater sind. Die Banken haben ja Besserung gelobt nach der Finanzkrise. Hat sich denn da in der Praxis was geändert?

    Billen: Also in der Praxis jedenfalls zu wenig. Nach dem, was wir vom Deutschen Gewerkschaftsbund, was wir von ver.di hören, ist der Druck nach wie vor sehr hoch. Es geht eben ganz stark darum, dass bestimmte Produkte zu einem bestimmten Zeitraum angeboten und verkauft werden sollen. Es findet langsam ein Umdenken statt, aber das ist noch weit davon entfernt, dass ein Kunde sich wirklich unbesorgt und im Vertrauen in die Bank begeben kann, dass er dort das erhält, was er braucht, und nicht das, was ein Bankberater ihm verkaufen muss.

    Ehring: Ganz kurz noch zum Schluss. Wie schütze ich mich denn als Verbraucher vor einem Reinfall?

    Billen: Ich würde kein Finanzprodukt kaufen, was ich nicht verstehe. All diese kompliziert klingenden Dinge sind für viele von uns, die sich nicht Tag für Tag damit beschäftigen, nichts. Und ich würde zu einem Honorarberater oder auch in eine Verbraucherzentrale gehen, um zunächst mal mir selber eine bessere Klarheit zu verschaffen, wie viel Geld kann ich denn zu welchem Zweck wirklich anlegen, was sind da geeignete Formen, und erst so ein Stück mit besseren Argumenten und Erkenntnissen gewappnet mich dann in eine Bank oder zu einem Berater begeben.

    Ehring: Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Herzlichen Dank.