Archiv


Verdienen Abgeordnete zu wenig?

Breker: Von der Bonusmeile über die Pressefreiheit hin zu einer Diäten-Diskussion. Ist das ein seltsamer oder ein ganz logischer Weg?

    Oberreuther: Logisch ist er nicht gerade. Es ist ein Weg mit Brüchen. Aber dass man ausgerechnet an dieser peripheren Skandalaffäre mit den Bonuslügen die Pressefreiheit aufhängt, ist in der Tat ein interessantes Stück, wobei man die Problematik des Datenschutzes untersuchen muss. Dass man aber endlich dazu kommt, das Gestrüpp der Abgeordnetenfinanzierung zu untersuchen, und dass man ein Plädoyer dafür hört, eine klare Regelung zu treffen, die transparenter ist als das gegenwärtige System, ist längst überfällig, denn das hätte man auch ohne die Bonusaffäre schon diskutieren müssen.

    Breker: Verdienen denn Abgeordnete so wenig, dass sie fast ganz natürlich dem Reiz von Bonusmeilen erliegen?

    Oberreuther: Die Frage ist, wer von uns, der als Abgeordneter sehr viel mehr verdienen könnte, nicht diesem Reiz auch erläge. Ich glaube, wir sollten die moralische Kirche im Dorf lassen, und wir sollten nicht die Politiker für uns alle im Volk moralisch sein lassen. Die Affäre ist, meine ich, lässlich, wobei man auf der anderen Seite sagen muss: Wenn man sich Regeln gibt, dann sind diese Regeln auch einzuhalten. Was das Einkommen des Abgeordneten betrifft, da kommt es auf die Perspektive an. Schaue ich es an aus der Perspektive eines ganz normalen Arbeitnehmers mit mittlerem oder niedrigem Einkommen, dann ist das Abgeordnetengehalt komfortabel. Schaue ich es an aus der Perspektive von Menschen, die in Führungspositionen sitzen, dann ist das Abgeordnetengehalt im Grunde lächerlich. Es erreicht noch nicht mal das Einkommen eines obersten Richters in der Republik, und man kann damit keine großen Sprünge machen. Und die Leute, die die Abgeordneten kontrollieren sollen, mit denen sie sachgemäße Lösungen in einer Zeit der Globalisierung der Ökonomie diskutieren sollen, lächeln natürlich nur über die Finanzausstattung einer solchen politischen Person.

    Breker: Die Öffentlichkeit der Einnahmen von Abgeordneten; da gibt es noch riesige Defizite bei uns.

    Oberreuther: Das glaube ich eigentlich nicht, denn Sie können natürlich die Einnahmen des Abgeordneten, zumindest die regelmäßigen Einnahmen des Abgeordneten, nach denen Sie aber, glaube ich, gar nicht fragen, relativ leicht feststellen, weil sie auch Teil der regelmäßigen Diskussion um altfällige Erhöhungen sind, für die es eigentlich in der politischen Kultur der Deutschen nie den richtigen Zeitpunkt gibt. Die andere Frage ist: Was verdienen Abgeordnete nebenher? Da haben wir eine Fülle von Regelungen, die Veröffentlichungspflichten begründen, zum Beispiel alles, was mit Vorstands-Ämtern, mit ökonomischen Tätigkeiten zu tun hat, die insbesondere auch die Unabhängigkeit im Mandat tangieren könnten. Wir haben Anzeigepflichten gegenüber dem Bundestagspräsidenten, die nicht veröffentlicht werden, aber die beim Bundestagspräsidenten sozusagen zur Kontrolle bereitliegen. Darüber hinaus zu gehen, hätte ich große Bedenken, was die Transparenzpflichten betrifft, denn wenn sie einem Selbständigen oder einem unternehmerisch Tätigen auferlegen, der Öffentlichkeit Einsicht in seine Geschäftsbücher zu verschaffen, dann werden Sie natürlich in Zukunft immer nur Lehrer, Gewerkschaftsfunktionäre und Verbandsfunktionäre im Parlament sitzen haben, und Sie werden eine Fülle von Leuten, die wir eigentlich bräuchten, ökonomisch Sachverständige, unternehmerisch Tätige, aus den Parlamenten draußen halten. Aber von Transparenzpflichten, die in Kollision mit der Mandatspflicht der unabhängigen Politikwahrnehmung zu tun haben, von Interessenkonflikten, die in diese Kollision geraten können, da, meine ich, ist die Transparenzpflicht deutlich zu fördern.

    Breker: Muss man die vielleicht erweitern, ausdehnen, oder ist das jetzige System in Ordnung?

    Oberreuther: Ich finde, man müsste zumindest das einhalten, was gegenwärtig geregelt ist. Ich habe große Bedenken, aus den genannten Gründen, über diese Regelungen hinauszugehen. Man könnte höchstens überlegen, ob das eine oder andere, was gegenwärtig anzeigepflichtig aber nicht publikationspflichtig ist, noch in den Katalog der automatischen Veröffentlichungspflichten aufnehmen muss. Aber ich wiederhole: Ein Abgeordneter, der, anders als jeder Bürger bei uns, seine gesamten finanziellen Verhältnisse offen legen muss, kann im Grunde auch nicht im Interesse der Öffentlichkeit sein.

    Breker: Die Wirtschaftsmanager verdienen einfach mehr als die Politiker. Wenn man die besten Politiker haben will, muss man dann einfach auch entsprechend hoch bezahlen?

    Oberreuther: Ich denke schon, wobei natürlich keine Garantie dafür besteht, dass wenn man das Einkommen erhöht, die entsprechenden Charaktere und Qualifikationsmuster in die parlamentarischen Mandate bringt. Nur: Der gegenwärtige Zustand, dass die Abgeordneten sozusagen in einer mittleren Spitzenposition der Beamtenschaft angesiedelt werden, etwa leitender Ministerialrat, wird natürlich niemanden dazu verlocken, ein attraktives Gewerbe, ein attraktives Amt aufzugeben und in die Politik zu wechseln. Das heißt die Parlamente kriegen zunehmend Schwierigkeiten, Sachverstand, den sie in ihrer schwierigen Entscheidungssituation brauchen, aus sich selbst heraus zu mobilisieren. Sie werden immer abhängiger von Zuarbeit von außen, von der Administration, auch von den Verbänden und von der Lobby, und das, meine ich, ist kein Zustand, den wir gemeinsam begrüßen sollten. Wir müssten Spielräume schaffen, die politische Talente aus den Unternehmen und den selbständigen Positionen es attraktiv erscheinen lassen, auch in ein politisches Mandat zu wechseln. In Amerika ist es ganz einfach. Da gehört es zur politischen Kultur, von einer Universitätsposition oder von einer Wirtschaftsposition in ein politisches Mandat zu wechseln und auch wieder zurück. Wir haben diese Eliten in Deutschland viel zu sehr voneinander abgeschottet. Das sind auf der einen Seite Besoldungsprobleme, auf der anderen Seite aber auch - das muss man sagen - Mentalitätsprobleme.

    Breker: Vielen Dank für das Gespräch.