Nutz: Herr Ischinger, die neue Regierung - schwarz-blau - wird heute Mittag vereidigt. Die EU will die bilateralen Beziehungen einfrieren. Was bedeutet das nun konkret für das deutsche Verhalten?
Ischinger: Das bedeutet für das deutsche Verhalten - genau wie für das Verhalten der anderen EU-Partnerstaaten -, dass, wie schon zu Wochenbeginn von der portugiesischen Präsidentschaft verkündet, auf politischer Ebene bilateraler Kontakte mit der neuen österreichischen Regierung nicht vorgesehen sind. Das bedeutet konkret, dass etwa bilaterale Besuche zwischen Ministern seitens der EU mit der neuen österreichischen Regierung nach dieser Planung nicht vorgesehen sind.
Nutz: Es werden aber keine Botschafter abgezogen oder ein Einreiseverbot für Herrn Haider verhängt?
Ischinger: Das trägt die Verabredung, die die portugiesische Präsidentschaft zum Wochenbeginn verkündet hat, nicht mit. Nur ist es so: Dies ist eine Verabredung, die zum Wochenbeginn - also vor der Regierungsbildung - im Vorfeld unter den 14 anderen Mitgliedsstaaten getroffen wurde. Jede Verabredung dieser Art kann natürlich revidiert, ergänzt, erweitert, verschärft - aber auch in die andere Richtung verändert werden. Das bleibt abzuwarten, und ich gehe davon aus, dass die EU-Partner die Gespräche darüber in den kommenden Tagen und Wochen intensiv weiter führen werden.
Nutz: Nun ist aus Frankreich zu hören, ‚möglicherweise müssten neue Maßnahmen gegen Österreich ergriffen werden'. Was kann denn damit gemeint sein?
Ischinger: Das müsste man die französische Regierung fragen. Ich kenne die französischen Überlegungen hierzu nicht. Es ist hier und dort zu hören gewesen aus der einen oder anderen EU-Hauptstadt, dass an Einschränkungen beispielsweise des Tourismus mit Österreich gedacht sei. Dies ist bisher nicht Gegenstand der - in Anführungsstrichen - "Beschlussfassung" -, es ist ja kein förmlicher Beschluss der Europäischen Union, sondern eine Absprache. Es war also bisher nicht Gegenstand der Beschlussfassung. Also für uns, für Berlin, gilt die Verabredung von Montag. Die hat zum Gegenstand, dass hochrangige politische, bilaterale Kontakte nicht zustande kommen sollen. Sie hat weiterhin zum Gegenstand den Verzicht auf Förderungen österreichischer Kandidaturen in internationalen Beziehungen, und sie hat schließlich drittens zum Gegenstand die Verabredung, dass die österreichischen Vertreter in unseren Hauptstädten nicht auf politischer, sondern auf technischer - also niedrigerer - Ebene wahrgenommen werden. Das bedeutet aber eben gleichzeitig, dass man diese Botschafter nicht etwa jetzt nach Hause schickt.
Nutz: Herr Ischinger, was erhoffen sich denn die Regierungschefs der EU dadurch? Das ist immerhin eine Regierung, die demokratisch gewählt worden ist.
Ischinger: Also, wenn man sich das Bild der Reaktionen bei uns und in den anderen Hauptstädten der Europäischen Union, aber auch darüber hinaus anschaut, dann finde ich es ganz wichtig, zu betonen, dass es hier nicht darum geht, hysterisch überzureagieren. Wir wollen hier nicht dramatisieren, aber wir wollen und wir dürfen auch nicht in das Gegenteil verfallen. Wir wollen also auch nicht bagatellisieren. Wir wollen diese politische Entwicklung in Österreich nicht unterschätzen in ihren möglichen Auswirkungen und Weiterungen auf die gesamte europäische Politik. Das war der Kern der Sorge, der die Staats- und Regierungschefs und die Außenminister dazu veranlasst hat, in dieser Form ein Signal zu setzen. Nun haben wir die neue Regierung, nun wird man natürlich schärfstens zu beobachten haben, was sich aus den Worten und Ankündigungen und aus den Erklärungen der letzten Stunden und Tage in Österreich ergibt. Wie gesagt: Das wird die Aufgabe auch der Diplomaten sein, nun genau zu beobachten, was nun tatsächlich politisch gemacht wird jenseits der verbalen Ankündigung.
Nutz: Jörg Haider hat gestern abend im Deutschen Fernsehen von einem ‚Triumph' gesprochen, von einem demokratischen Wechsel, der trotz Einmischen von außen gelungen sei. Klingt das so, als verdankte er diesen Triumph nun gerade der Entscheidung der Europäischen Union, dass die Mahnung nun quasi das Gegenteil erreichte?
Ischinger: Ich meine, das ist sozusagen der falsche Ansatz. Der österreichische Bundespräsident hat doch noch gestern bestimmte Kandidaten für Ministerämter zurückgewiesen, ausdrücklich mit der Begründung, diesen Personen müsse eine rassistische Wahlkampfführung vorgeworfen werden. Also, es bedarf gar keiner Spekulation und Mutmaßungen unsererseits über die Berechtigung der Sorge, die diese europäische Reaktion ausgelöst hat. Der österreichische Bundespräsident höchstpersönlich hat sich doch diese Sorge zu eigen gemacht. Frau Nutz, was wäre denn, wenn wir nicht reagiert hätten? Wir - damit meine ich die Europäische Union.
Nutz: Es geht nicht um die Reaktion, es geht um das ‚wie'.
Ischinger: Es gibt, das will ich Ihnen gerne zugeben, es gibt nicht viele weitere und erfolgversprechende Mittel, um in einer solchen politischen Entwicklung einzuwirken. Das ist so, das ist in der Innenpolitik immer so. Wir haben es hier mit einem Vorgang europäischer Innenpolitik zu tun. Es ist gesagt worden in der Diskussion der vergangenen Tage, die Europäische Union habe ähnliches nicht getan, als schon in den 80er Jahren oder später, beispielsweise als in Frankreich die Kommunisten an der Regierung beteiligt wurden; die Europäische Union habe nicht so massiv reagiert, als in Italien Mitte der 90er Jahre die Regierung Berlusconi an die Macht kam. Ja, das ist ja richtig, dass die Europäische Union damals nicht so reagiert hat. Das kann aber nun keine Begründung dafür sein, dass man nicht jetzt - nach dem Vertrag von Amsterdam - in dem Maße, in dem die Europäische Union sich zunehmend als Wertegemeinschaft sich konstituiert hat, als außenpolitischer Akteur, auftreten möchte und sich immer enger zusammenschließt. Das kann also keine Begründung dafür sein, dass die Europäische Union einen solchen Schritt nicht jetzt ergreift. Das ist europäische Innenpolitik. Unsere Bürger müssen sich Sorgen machen über die innenpolitische Entwicklung in Portugal gegebenenfalls, oder in Irland, als ob es im eigenen Land wäre. Das ist eine Auswirkung des europäischen Zusammenschlusses, der hier bei dieser Auseinandersetzung über den österreichischen politischen Kurs unseren Bürgern überall in Europa allmählich deutlich wird. Und das ist - europapolitisch betrachtet - deswegen durchaus auch ein Fortschritt.
Nutz: Herr Ischinger, was ist mit dem von Schüssel und Haider gestern unterzeichneten Bekenntnis zu den Grundwerten der Europäischen Gemeinschaft, also quasi der Präambel zum Regierungsprogramm? Nimmt das einen Teil der Besorgnis?
Ischinger: Ich denke, man wird dieses Papier jetzt sorgfältig zur Kenntnis nehmen und studieren. Ich glaube aber, dass die 14 Regierungen zunächst abwarten wollen, was sich auf der Basis dieser Worte nun an konkreten Taten und an politischen Entscheidungen in Wien in den kommenden Tagen und Wochen ergeben wird. In der Tat ist es richtig, dass sich in diese Papier genau diese Bekenntnisse finden, die den Wertvorstellungen der Europäischen Union entsprechen. Also, vom Papier her ist das eine Entwicklung in die richtige Richtung. Und man darf auch die Vermutung äußern, dass dieser Schritt, den der österreichische Bundespräsident gefordert und initiiert hat, möglicherweise in dieser Form nicht gemacht worden wäre, wenn der Druck der Partnerstaaten nicht in dieser Form in den letzten Tagen in Wien geltend gemacht worden wäre. Also ich denke, hier zeigen sich doch die ersten Auswirkungen dieser Debatte. Und insoweit sage ich - mit aller Vorsicht -, ist dieses Papier vermutlich schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Nutz: Wir müssen hier leider einen Punkt setzen; die Nachrichten kommen in etwa einer Minute. Das war der Staatssekretär im Auswärtigen Amt zur Regierungsbildung in Österreich. Dort wird heute Mittag die Regierung vereidigt. Danke für das Gespräch.
Ischinger: Auf Wiederhören.
Link: (Hildegard Hamm-Brücher (FDP): Der Aufstieg der FPÖ==>/cgi-bin/es/neu-interview/544.html)
/cgi-bin/es/neu-interview/535.html