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Vereine in der Corona-Krise
"Da bricht ein Geschäftsmodell zusammen"

Viele Sportvereine sind durch die Coronakrise in finanzielle Nöte geraten. Der DOSB hat den Finanzbedarf durch die Pandemie auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt. Der Sportwissenschaftler Lutz Thieme bezweifelt, dass die Summe wirklich so hoch ist. Dennoch sei ein Rettungsschirm notwendig, sagte er im Dlf.

Lutz Thieme im Gespräch mit Matthias Friebe |
Wegen der Coronakrise ist Sport in den Vereinen in Deutschland derzeit verboten. Ein Schild mitten auf dem Fussballplatz warnt die Bürger in Pforzen im Allgäuf vor der Benutzung des Platzes.
Sportvereine leiden unter geschlossenen Sportstätten. (imago images / MiS)
Mehr als eine Milliarde Euro - so groß soll der finanzielle Schaden für die Sportvereine durch die Coronakrise sein. Das geht aus der Hochrechnung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) hervor. Dieser fordert deshalb einen Notfallfonds aus Steuermitteln. Doch es gibt unterschiedliche Meinungen, ob diese Summer der Realität entspricht. Während FDP-Politkerin Britta Dassler meinte, die Summer könne sogar noch höher sein, wirft Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses, dem DOSB vor, mit unbelegbaren Zahlen zu hantieren.
12.000 Euro sollen die Vereine durchschnittlich durch die Coronakrise verlieren. Diese Zahl hat der DOSB auf Grundlage eine Umfrage ermittelt. Bei 90.000 Sportvereinen ergibt das eine Summe von mehr als einer Milliarde Euro.
Die Turnhalle des TSC Eintracht Dortmund
DOSB-Schadensschätzung - Wackelige Hochrechnung
Mehr als eine Milliarde Euro – so groß soll der finanzielle Schaden der Coronakrise für die deutschen Sportvereine sein. Aber an der Summe gibt es Zweifel.
"Man hätte sagen müssen, dass diese Hochrechnung ganz viele Unbekannte enthält", sagte der Sportwissenschaftler und ehemalige Präsident des Landessportbunds Rheinland-Pfalz, Lutz Thieme, dem Dlf. "Ob die Summe deutlich höher ausfallen kann, wage ich zu bezweifeln. Wenn man sich die Vereinslandschaft anschaut, hat man es eher mit kleineren Vereinen zu tun. Die bewegen nicht so viel Geld. Da sind einige Ausreißer von größeren Vereinen dabei und wenn ich die hochrechne, komme ich auf die vom DOSB angegebene Summe."
"Solidarität der Mitglieder ist immer wieder zu spüren"
Ein Rettungsschirm sei dennoch notwendig. Denn laut Thieme gehe es gerade den Vereine und auch Verbänden schlecht, die eigene Sportstätten unterhalten, oder mit geselligen Verstanstaltungen in ihrem Budget planen. "Da ist man schon betroffen", so Thieme. Das gleiche gelte für semi-professionelle Mannschaftssportarten, die noch nicht so viele Sponsoren hätten und sehr stark auf Zuschauereinnahmen angewiesen seien. "Da bricht ein Geschäftsmodell zusammen." Sorgen, dass der Sport durch die Coronakrise nachhaltig geschädigt wird, habe er aber nicht. "Die Solidarität der Mitglieder ist vor Ort immer wieder zu spüren." Dazu weist Thieme auch darauf hin, dass es auch auf Länder- und kommunaler Ebene bereits Rettungspakete für den Sport gegeben habe.
Aber: Viele Vereine sind nicht erst durch die Coronakrise in Schwierigkeiten geraten. Die Mitgliederzahlen in Sportvereinen stagnieren seit Jahren. Eine Entwicklung, die Corona laut Thieme jetzt noch verschärfe. Denn mit geschlossenen Sportstätten sei es schwierig, neue Mitglieder zu gewinnen. "Insofern haben wir im Breitensport einen Mitgliederrückgang zu erwarten", sagte Thieme. "Allerdings dürfte der kein Maß annehmen, dass er viele Vereine finanziell so belastet, dass sie an der Existenzgrenze stehen."
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DOSB-Präsident Hörmann - „Es wird kein Athlet zu irgendetwas gezwungen“
DOSB-Präsident Alfons Hörmann reagierte mit Erleichterung auf die Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen. Jedem Sporttreibenden stehe es aber frei, weiter auf den Sport zu verzichten.
Thieme sieht in der Coronakrise aber auch Chancen für die Vereine. "Viele Mitglieder spüren den Wert des Sportvereins wieder, wenn er plötzlich nicht mehr da ist. Es ist der Verein, der eine Plattform für den sozialen Austausch über Generationen und Sportarten hinweg bietet. Eine der Erkenntnisse aus der Coronakrise ist dann doch, dass wir nicht nur Online kommunizieren wollen. Dafür ist der Sportverein prädisziniert."
Rettungsschirm für Sport und Kultur
Als eine weitere Möglichkeit für finanzielle Hilfe sieht Thieme auch einen Rettungsschirm für gemeinnützige und zivilgesellschaftliche Einrichtungen insgesamt. Dieser würde dann dem Sport, aber auch der Kultur gleichzeitig zugute kommen. "Ich glaube, der Sport und die Kultur sind gut beraten, darauf hinzuweisen, dass die Finanzkraft der Kommune, gerade für den Sport und die Kultur als freiwillige Aufgaben der Kommunen, von essentieller Bedeutung ist. Damit vor Ort aufrecht erhalten werden kann, was beiden Bereichen nützt. Nämlich die Infrastruktur und Plattform für kulturelle Aktivitäten oder sportliche Aktivitäten zu sein. Von daher ist die finanzielle Handlungsfähigkeit von Kommunen eigentlich das, von denen Kultur und der Sport lebt." Einen Rettungsschirm auf Bundesebene halte er auf jeden Fall für sinnvoll. "Ob wir am Ende wirklich eine Milliarde brauchen, wage ich zu bezweifeln."