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Verfassungsgericht entscheidet über Zuwanderungsgesetz

Liminski: Es hing an einem Wort, einer Stimme, ob das Zuwanderungsgesetz die Hürde des Bundesrats nehmen würde oder nicht. Schließlich wurden die Stimmen von Brandenburg geteilt, aber das hat im Bundesrat keine Gültigkeit und deshalb war der Beschluss des damaligen Bundesratsvorsitzenden umstritten und der Streit wurde vor das oberste Gericht getragen. Das will heute seine Entscheidung bekannt geben. Am Telefon begrüße ich nun Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD und Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag. Zunächst einmal guten Morgen Frau Sonntag-Wolgast!

    Sonntag-Wolgast: Guten Morgen Herr Liminski.

    Liminski: Heute, heute wird's was geben, Für die einen oder die anderen, für rot-grün oder die Opposition gibt es heute eine Art Geschenk. Sie müssen sozusagen von Berufswegen zuversichtlich sein. Dennoch die Frage an Sie: wie ist denn Ihre Einschätzung?

    Sonntag-Wolgast: Sie werden von mir keinen vorauseilenden Pessimismus erwarten. Ich bin vielmehr hoffnungsvoll gespannt. Man muss dann aber auch gleich feststellen: nicht das Gesetz wäre vor Karlsruhe für nichtig erklärt, falls Karlsruhe es eben mit Mehrheit für nicht richtig im Zustandekommen erklärt, sondern es ginge tatsächlich nur um den Ablauf der Abstimmung im Bundesrat. Ich glaube das sollte man sauber auseinanderhalten.

    Liminski: Spielen wir dann doch mal die zwei Möglichkeiten durch. Erste These 4 zu 4, also das Gesetz ist durch. Wie geht es dann weiter?

    Sonntag-Wolgast: Wenn das Gesetz durch ist, läuft alles ordnungsgemäß wie es schon läuft seit dem Sommer. Es gibt ja Vorbereitungen vor allen Dingen für den allerwichtigsten Teil dieses Gesetzes, nämlich zunächst einmal ein staatliches Integrationsangebot aufzubauen für alle, die dafür einen Anspruch haben, aber eben auch die Pflicht, an solchen Kursen teilzunehmen. Das wird maßgeblich vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg vorbereitet. Jetzt sind die Länder und Gemeinden angehalten, dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Das läuft ordnungsgemäß weiter. Es ist dann wirklich wichtig, vor allen Dingen heute, dass Klarheit herrscht und es geht auch noch mal um die dazugehörigen Vorschriften. Die sollen ja dann an diesem Freitag im Bundesrat beraten werden.

    Liminski: Können die Länder auf Verwaltungsebene noch besondere Auflagen, etwa im Bereich der Integration, draufsatteln?

    Sonntag-Wolgast: Das glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr, es wird sicherlich noch mal Diskussionen geben, ob man mit den vorhandenen Mitteln, mit den finanziellen Mitteln – der Bund bringt sich da ja ein – auskommt, wie das ganze organisiert wird. Aber dafür sind wie gesagt seit Monaten die Vorbereitungen getroffen worden, schon seit dem Sommer, wobei man sagen muss, die unionsgeführten Länder waren erst nach dem 22. September, also nach dem Datum der Bundestagswahl bereit, sich aktiv in diese Beratungen und Vorbereitungen einzubringen.

    Liminski: Zweite These Frau

    Sonntag-Wolgast: 5 zu 3 dagegen, das Gesetz ist gescheitert. Ist es damit auch tot, nichtig, oder könnte es zu einem zweiten Anlauf kommen?

    Sonntag-Wolgast: Das Gesetz ist natürlich nicht tot. Es ist ein gutes, ein ausgewogenes, ein notwendiges Gesetz, finde ich, und man darf auch nicht vergessen, dass es getragen wird von einer seltenen Einmütigkeit - das kommt wirklich nicht oft vor -, von den wesentlichen gesellschaftlichen Institutionen, Gewerkschaften, Wirtschaft, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, und es steckt ja schon voller Angebote, auch Kompromisslinien, die ja darauf ausgerichtet waren, der Union die Zustimmung möglich zu machen und zu erleichtern. Das war ja kein rot-grünes Projekt. Sie fragen, wie geht es weiter? Es werden sich bereits heute der Bundeskanzler und der Bundesinnenminister im Kabinett dazu beraten, werden dann auch voraussichtlich vor die Presse gehen, übrigens in jedem Fall, wenn das Gericht der Auffassung der Bundesregierung zustimmt auch, und dann werden in den nächsten Tagen die weiteren Schritte beraten.

    Liminski: Wird sich auch der Innenausschuss damit befassen?

    Sonntag-Wolgast: Ich gehe davon aus. Wenn wir wieder eine Grundlage haben, auf der dann Gespräche geführt werden, dann würde das sicherlich auch wieder ein Thema für den Innenausschuss sein. Es kann aber auch ganz anders laufen in Gesprächen. Das muss man einfach abwarten, wie jetzt im Lichte der Gerichtsentscheidung die weiteren Maßnahmen beschlossen werden.

    Liminski: Wo kann rot-grün der Union denn noch entgegenkommen - die Union fordert das ja dennoch -, bei der Integration, bei der Begrenzung der Zuwanderung? Will man das überhaupt?

    Sonntag-Wolgast: Schauen Sie mal, Integration ist ja im Zentrum des Gesetzes. Es geht ja tatsächlich darum, zum ersten Mal überhaupt nach 40 Jahren Einwanderung zu sagen, der Staat, das heißt Bund, Länder und Gemeinden, fühlt sich in der Pflicht, den Zugewanderten ein Angebot vor allen Dingen was den Spracherwerb, aber auch was die Kenntnisse über unsere Verfassung und so weiter betreffen zu machen. Das ist Kern des Gesetzes und es ist völlig unstrittig, dass dies in unserem Land verstärkt werden muss. Es gibt natürlich aber auch weitere wichtige Gesichtspunkte wie mehr Einfachheit und Transparenz an Stelle dieses sehr komplizierten ausländerrechtlichen Instrumentariums, das wir bisher haben. Es geht auch um Beschleunigung der Verfahren und es geht um die Begrenzung der Zuwanderung, alles im Gesetz enthalten. Wenn ich die Anforderungen und Forderungen der Union aus den letzten Tagen höre, was alles von Seiten der Union gefordert wurde, dann finde ich: schaut in das Gesetz und ihr findet das, was ihr wollt, dort vor.

    Liminski: Also keine Änderung?

    Sonntag-Wolgast: Das kann ich jetzt natürlich nicht sagen. Ich sage nur, was die wesentlichen Elemente des Gesetzes sind, auf die man immer wieder aufmerksam machen muss, denn Herr Liminski ich bin sehr sicher, dass diejenigen, die jetzt das Gesetz aus politischen Gründen torpedieren – das haben sie ja in der Anfangsphase gar nicht so stark gemacht, aber dann als die Situation sich zuspitzte und Wahlen näherrückten war ja plötzlich die Blockade gegen eine gestaltete Zuwanderung da, dass all diese Kritiker – und es gibt ja auch in der CDU unterschiedliche Lager; auch das muss man sehen; es gibt nicht nur Kritiker – die Vorteile des Gesetzes sehr wohl nutzen und sich freuen, dass wir ein verbessertes Instrumentarium haben.

    Liminski: Sehen Sie im Fall des Scheiterns die Möglichkeit oder auch die Gefahr, dass das Thema Zuwanderung in die Wahlkämpfe des nächsten Jahres gezogen wird?

    Sonntag-Wolgast: Das kann man leider nicht ausschließen. Wir haben dort ja leider vor vier Jahren in Hessen Erfahrungen gemacht, wo gegen die sogenannte doppelte Staatsangehörigkeit, was damals gar nicht das Hauptkriterium unseres neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes war, eine Campagne geführt wurde, auf die viele Menschen reagiert haben. Also ist es nicht auszuschließen, dass so etwas wieder hoch kommt, ich fürchte sogar nicht nur gegen eine gesteuerte Zuwanderung, die ja übrigens auch Begrenzung ist und die immer Rücksicht nehmen würde auf den Arbeitsmarkt und die Lage – das muss man immer wieder sagen -, sondern ich fürchte vielleicht auch gegen die Türkei, gegen die bei uns lebenden Menschen türkischer Abstammung, weil wir das ja aufgrund der aktuellen Diskussion um die Osterweiterung der EU haben.

    Liminski: Von Willy Brandt, der heute Geburtstag hätte, stammt die Einschätzung "wenn in der Politik einer auf den Tisch haut, dann beeindruckt das meistens nur den Tisch". Also starke Worte und Konfrontation bringen es nicht. Muss man nicht einen Kompromiss auf beiden Seiten suchen, also auch auf der rot-grünen Seite, statt vielleicht sogar noch eins draufzugeben?

    Sonntag-Wolgast: Ich muss noch mal sagen, dass es ein Gesetz voller Angebote an die Union war mit sehr, sehr langwierigen Beratungen, mit Hin und Her. Ich möchte auch noch mal dafür plädieren, dass wir ein Gesetz brauchen, einfach um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, dass wir Respekt und Toleranz im Zusammenleben brauchen, dass wir Integration verstärken müssen, übrigens auch als Anforderung an die Zuwanderer, sich hier verstärkt in der deutschen Gesellschaft wohl zu fühlen und vor allen Dingen Wert auf Sprachkenntnisse zu legen. Das sind die großen Angebote dieses Gesetzes. Das macht es so wichtig und eigentlich gibt es zu einer solchen gesetzlichen Lösung keine Alternative.

    Liminski: Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht über das Zuwanderungsgesetz. Das war Cornelie Sonntag-Wolgast, die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag. Besten Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio