Liminski: Der Präsident der EU-Kommission versuchte es bei der Einsetzung des EU-Konvents mit historischem Flair. Europa, so sagte er vor den 105 Delegierten des Konvents in Brüssel vor einem Jahr, brauche eine Verfassung, die Gewaltenteilung, Mehrheitsbeschlüsse und die volle Einbindung der gewählten Volksvertreter vorsehe. Auch der damalige Ratspräsident Aznar ließ sich nicht lumpen und rief zur Festigung des europäischen Projektes auf. Solche Worte erinnern an die vielen Pläne zu Europa, zum Beispiel an das Projekt für den ewigen Frieden in Europa des französischen Abtes Saint Pierre vor knapp 300 Jahren schon. Der alte Fritz meinte dazu sarkastisch zu seinem Freund Voltaire: "Die Sache wäre sehr brauchbar, wenn nur nicht die Zustimmung der europäischen Fürsten und noch einige ähnliche Kleinigkeiten dazu fehlen würden." Die Fürsten tragen heute andere Namen. Die Sache selbst hat sich kaum geändert. Die Vereinigten Staaten von Europa, die dem Wunsch Prodis nach Mehrheitsbeschlüssen und supranationaler Gewaltenteilung entsprechen, sind vorerst eine Utopie. Es fehlt die Zustimmung im Detail. Darüber wollen wir nun mit Jacques Poos sprechen. Er ist der ehemalige Außerminister Luxemburgs und heutiger Abgeordneter im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Poos.
Poos: Guten Morgen!
Liminski: Herr Poos, der Verfassungskonvent arbeitet. Jedenfalls werden von Zeit zu Zeit Fortschritte bekannt gegeben. Bei den Briten regt sich offener Widerstand gegen die Verfassung. Man will ein Referendum. Das wollen auch die Spanier. Die kleineren Staaten sind meist ruhig. Ist das eine Sache der Großen?
Poos: Es sieht so aus, als sei es ein Streit zwischen großen und kleinen Staaten. In Wirklichkeit geht es um das Prinzip Rückschritt oder Forschritt der Gemeinschaftsmethode. Die Idee, mit der Präsident Giscard d'Estaing seit Jahren schwanger geht, ist es, Europa einen Präsidenten zu geben, der natürlich von den Regierungschefs bestimmt wird und schlussendlich weder einem nationalen noch dem europäischen Parlament gegenüber verantwortlich sein wird. Das ist kein Streit zwischen großen und kleinen Staaten. Das ist ein Streit über die Zukunft Europas.
Liminski: Aber werden die kleinen überhaupt noch gefragt? Beim Thema EU-Außenminister, zum Beispiel, scheint man sich unter den großen zu einigen. Es soll einer aus Deutschland werden. "Fischer bastelt an einem eigenen Königreich", wird ein Parlamentskollege von Ihnen, immerhin Vorsitzender der auswärtigen Ausschusses, zitiert. Wäre in dieser Position der Repräsentant eines kleinen Landes nicht besser? Er hätte doch weniger nationalen Lobbyismus zu befürchten.
Poos: Der Außenminister Europas hätte überhaupt keine politische Aufgabe, wenn Giscard d'Estaing mit seiner Idee zum Tragen kommt, dass es einen für längere Zeit gewählten Präsidenten der europäischen Union geben wird. Dieser wird sich laut Vorschlag von Giscard d'Estaing persönlich um die Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen Union kümmern. Er kann natürlich den Außenminister wie einen kleinen Pudel an der Leine mit auf Reisen nehmen. Ich glaube nicht, dass Fischer oder irgendein anderer sich für ein solches Amt interessieren wird.
Liminski: Wenn ich Sie richtig verstehe, kritisieren Sie Giscards Absicht, das französische Modell eines Präsidialregimes Europa überzustülpen.
Poos: Ja, ich würde sogar das Wort 'aufzwängen' benutzen. Er hat nämlich ein paar Wochen vor Schluss des Konvents diese Idee auf den Tisch gelegt. In einer Diskussion der Verfassungskommission des europäischen Parlamentes hat gerade ein französischer Abgeordneter gesagt, das sei monarchisches und antieuropäisches Manöver von Giscard. Es ist im Grunde genommen ein Rückschritt in die intergouvernementale Methode. Gibt man Europa einen Präsidenten, so hätte ich nichts dagegen, einfach in den Vertrag zu schreiben, dass der Präsident der Kommission und dem europäischen Rat vorsitzt.
Liminski: Wäre es nicht ehrlicher zu sagen: "Freunde, der politische Integrationsprozess geht nicht oder kaum weiter, denn auch dieser Präsident wird ja so nicht kommen. Entweder wir sind ein Wirtschaftsclub oder wir probieren es mit mehreren Geschwindigkeiten, nehmen also ein Europa mit unterschiedlicher Integrationsdichte in Kauf." Wäre das nicht ehrlicher?
Poos: Das wäre sicher ehrlicher. Ich hoffe, dass der Konvent und die nachfolgende Regierungskonferenz eine tragbare Formel für das Europa der zwei Geschwindigkeiten in die Verfassung einschreiben wird. Es ist mir nämlich heute schon klar, dass verschiedene der jetzigen fünfzehn Mitgliedsstaaten und vielleicht auch ein paar der neuen kein politisches Europa und keine gemeinsame, von den Amerikanern autonome und unabhängige Außenpolitik der europäischen Union wollen. Man muss also die Möglichkeit schaffen, dass also ein Kerneuropa oder diejenigen Staaten, die das wollen, in diese Richtung vorpreschen können.
Liminski: Das ist so oder so ein Europa der großen oder ein Europa mit unterschiedlichen Integrationsgraden oder Geschwindigkeiten. Wo ist in diesem Konzept die Rolle der kleinen?
Poos: Es gibt eigentlich keinen Streit zwischen den großen und den kleinen. Es sei denn, es geht um das Stimmrecht im Rat oder um die Sitze im europäischen Parlament. Dann gibt es natürlich immer auch verschiedene Interessen. Aber die Vergangenheit lehrt uns, dass zu den großen Fragen, wie zum Beispiel Krieg oder Frieden im Irak, sich große und kleine Staaten gegenüberstanden. Es waren große und kleine in den beiden Lagern zu finden. Dasselbe gilt auch für Fragen, die mit der europäischen Wirtschaftsunion oder mit dem europäischen Binnenmarkt zusammenhängen. Die Länder klassieren sich zu jeder Frage anders.
Liminski: Was kann denn der Konvent dann leisten? Wäre zum Beispiel eine genauere Verteilung der Kompetenzen zwischen Staaten, Regionen und der Zentrale in Brüssel möglich? Mit dieser Kleinigkeit, dem Prinzip der Subsidiarität wäre doch schon viel gewonnen.
Poos: Ja, darüber herrscht ja auch schon fast eine Einigkeit. Man will dieses Prinzip der Subsidiarität, das schon heute im Vertrag vorhanden ist, verbessern. Es herrscht auch schon eine Einigkeit über die Einschreibung der europäischen Menschenrechtskonvention in die Verfassung. Man ist darüber einig, dass es überhaupt eine Verfassung, einen Verfassungsvertrag gibt. Das halte ich für einen großen Fortschritt. Man kann nicht sagen, dass der Konvent bisher schlechte Arbeit gemacht hat. Nur diese Präsidialidee, dieser monarchische Gedanke von Giscard könnte vielleicht alles scheitern lassen. Ich hoffe, dass der Präsident sich von den vielen Stimmen, die sich gegen diese Idee bereits hörbar gemacht haben, beeindrucken lässt.
Liminski: Vielen Dank, Herr Poos!
Link: Interview als RealAudio
Poos: Guten Morgen!
Liminski: Herr Poos, der Verfassungskonvent arbeitet. Jedenfalls werden von Zeit zu Zeit Fortschritte bekannt gegeben. Bei den Briten regt sich offener Widerstand gegen die Verfassung. Man will ein Referendum. Das wollen auch die Spanier. Die kleineren Staaten sind meist ruhig. Ist das eine Sache der Großen?
Poos: Es sieht so aus, als sei es ein Streit zwischen großen und kleinen Staaten. In Wirklichkeit geht es um das Prinzip Rückschritt oder Forschritt der Gemeinschaftsmethode. Die Idee, mit der Präsident Giscard d'Estaing seit Jahren schwanger geht, ist es, Europa einen Präsidenten zu geben, der natürlich von den Regierungschefs bestimmt wird und schlussendlich weder einem nationalen noch dem europäischen Parlament gegenüber verantwortlich sein wird. Das ist kein Streit zwischen großen und kleinen Staaten. Das ist ein Streit über die Zukunft Europas.
Liminski: Aber werden die kleinen überhaupt noch gefragt? Beim Thema EU-Außenminister, zum Beispiel, scheint man sich unter den großen zu einigen. Es soll einer aus Deutschland werden. "Fischer bastelt an einem eigenen Königreich", wird ein Parlamentskollege von Ihnen, immerhin Vorsitzender der auswärtigen Ausschusses, zitiert. Wäre in dieser Position der Repräsentant eines kleinen Landes nicht besser? Er hätte doch weniger nationalen Lobbyismus zu befürchten.
Poos: Der Außenminister Europas hätte überhaupt keine politische Aufgabe, wenn Giscard d'Estaing mit seiner Idee zum Tragen kommt, dass es einen für längere Zeit gewählten Präsidenten der europäischen Union geben wird. Dieser wird sich laut Vorschlag von Giscard d'Estaing persönlich um die Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen Union kümmern. Er kann natürlich den Außenminister wie einen kleinen Pudel an der Leine mit auf Reisen nehmen. Ich glaube nicht, dass Fischer oder irgendein anderer sich für ein solches Amt interessieren wird.
Liminski: Wenn ich Sie richtig verstehe, kritisieren Sie Giscards Absicht, das französische Modell eines Präsidialregimes Europa überzustülpen.
Poos: Ja, ich würde sogar das Wort 'aufzwängen' benutzen. Er hat nämlich ein paar Wochen vor Schluss des Konvents diese Idee auf den Tisch gelegt. In einer Diskussion der Verfassungskommission des europäischen Parlamentes hat gerade ein französischer Abgeordneter gesagt, das sei monarchisches und antieuropäisches Manöver von Giscard. Es ist im Grunde genommen ein Rückschritt in die intergouvernementale Methode. Gibt man Europa einen Präsidenten, so hätte ich nichts dagegen, einfach in den Vertrag zu schreiben, dass der Präsident der Kommission und dem europäischen Rat vorsitzt.
Liminski: Wäre es nicht ehrlicher zu sagen: "Freunde, der politische Integrationsprozess geht nicht oder kaum weiter, denn auch dieser Präsident wird ja so nicht kommen. Entweder wir sind ein Wirtschaftsclub oder wir probieren es mit mehreren Geschwindigkeiten, nehmen also ein Europa mit unterschiedlicher Integrationsdichte in Kauf." Wäre das nicht ehrlicher?
Poos: Das wäre sicher ehrlicher. Ich hoffe, dass der Konvent und die nachfolgende Regierungskonferenz eine tragbare Formel für das Europa der zwei Geschwindigkeiten in die Verfassung einschreiben wird. Es ist mir nämlich heute schon klar, dass verschiedene der jetzigen fünfzehn Mitgliedsstaaten und vielleicht auch ein paar der neuen kein politisches Europa und keine gemeinsame, von den Amerikanern autonome und unabhängige Außenpolitik der europäischen Union wollen. Man muss also die Möglichkeit schaffen, dass also ein Kerneuropa oder diejenigen Staaten, die das wollen, in diese Richtung vorpreschen können.
Liminski: Das ist so oder so ein Europa der großen oder ein Europa mit unterschiedlichen Integrationsgraden oder Geschwindigkeiten. Wo ist in diesem Konzept die Rolle der kleinen?
Poos: Es gibt eigentlich keinen Streit zwischen den großen und den kleinen. Es sei denn, es geht um das Stimmrecht im Rat oder um die Sitze im europäischen Parlament. Dann gibt es natürlich immer auch verschiedene Interessen. Aber die Vergangenheit lehrt uns, dass zu den großen Fragen, wie zum Beispiel Krieg oder Frieden im Irak, sich große und kleine Staaten gegenüberstanden. Es waren große und kleine in den beiden Lagern zu finden. Dasselbe gilt auch für Fragen, die mit der europäischen Wirtschaftsunion oder mit dem europäischen Binnenmarkt zusammenhängen. Die Länder klassieren sich zu jeder Frage anders.
Liminski: Was kann denn der Konvent dann leisten? Wäre zum Beispiel eine genauere Verteilung der Kompetenzen zwischen Staaten, Regionen und der Zentrale in Brüssel möglich? Mit dieser Kleinigkeit, dem Prinzip der Subsidiarität wäre doch schon viel gewonnen.
Poos: Ja, darüber herrscht ja auch schon fast eine Einigkeit. Man will dieses Prinzip der Subsidiarität, das schon heute im Vertrag vorhanden ist, verbessern. Es herrscht auch schon eine Einigkeit über die Einschreibung der europäischen Menschenrechtskonvention in die Verfassung. Man ist darüber einig, dass es überhaupt eine Verfassung, einen Verfassungsvertrag gibt. Das halte ich für einen großen Fortschritt. Man kann nicht sagen, dass der Konvent bisher schlechte Arbeit gemacht hat. Nur diese Präsidialidee, dieser monarchische Gedanke von Giscard könnte vielleicht alles scheitern lassen. Ich hoffe, dass der Präsident sich von den vielen Stimmen, die sich gegen diese Idee bereits hörbar gemacht haben, beeindrucken lässt.
Liminski: Vielen Dank, Herr Poos!
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