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Verfassungsrechtler Horst Dreier
"Staat ohne Gott"

Das christliche Kreuz hat in einer staatlichen Schule oder Behörde nichts zu suchen, findet der Verfassungsrechtler Horst Dreier. Der Staat dürfe sich mit keiner Religion identifizieren, schreibt er in seinem aktuellen Buch. Das sei die Voraussetzung für Religionsfreiheit.

Von Annette Wilmes | 07.05.2018
    Ein Kreuz im Klassenzimmer einer Grundschule. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand)
    Kreuz im Klassenzimmer (Picture Alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Der Verfassungsrechtler Horst Dreier beleuchtet in seinem Buch Profil und Problematik des säkularen Staates: "Staat ohne Gott heißt nicht Welt ohne Gott, auch nicht Gesellschaft ohne Gott und schon gar nicht Mensch ohne Gott", so Dreier. "Was heißt es aber dann? Und dann kommt mein Zugriff, der verfassungsrechtliche, auch verfassungshistorische, auch ideengeschichtliche Zugriff, wie es zu dieser spezifischen Form eines säkularen Staates gekommen ist, der gerade nicht zwingend zur Folge hat, dass die Gesellschaft immer säkularer wird und dass die Menschen sich immer mehr von Gott abwenden."
    Der säkulare Staat schafft vielmehr die Voraussetzungen für Religionsfreiheit, indem er sich absolut neutral verhält und sich durch keine Religion legitimiert.
    Religionsfreiheit und Neutralität
    Er gewährt jedoch nicht nur Religions-, sondern auch Weltanschauungsfreiheit. Der Atheist hat im modernen säkularen Staat die gleichen Rechte und Pflichten wie etwa der Katholik, der Protestant, der Buddhist oder der Moslem.
    Der freiheitliche säkulare Staat ruht auf zwei Säulen. Das ist einmal die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit und auf der anderen Seite die Pflicht des Staates zur Neutralität. Das heiße jedoch nicht, dass der Staat Religionen feindlich gegenüber steht.
    Dreier schreibt: "Säkularität des Staates ist 'kein anti-religiöses Projekt'. Denn gerade weil umfassende Religionsfreiheit gewährt wird, ist insbesondere den Glaubensgemeinschaften breiter Raum zur Entfaltung, zur hör- und sichtbaren Praxis, auch zur Einmischung in öffentliche Angelegenheiten gegeben."
    Vom Gottesgnadentum zum säkularen Staat
    Der Weg dahin war lang und schwierig, erläutert Horst Dreier. Noch bis 1918 gab es mit dem so genannten "landesherrlichen Kirchenregiment" eine Verquickung von Kirche und Staat.
    Horst Dreier: "Und wenn sie noch weiter zurück denken an Formen des Gottesgnadentums, an staatskirchenrechtliche Formen und so weiter und so weiter, wo eben gerade die Programmatik immer hieß, Staat mit Gott, mit Gott Staat machen. Also hat der Staat sich dann mit einer gewissen Auffassung von Gott, mit einer bestimmten Religion oder Konfession identifiziert."
    Elemente davon existieren heute noch, zum Beispiel treibt der Staat Kirchensteuern ein. Darin unterscheidet sich der säkulare Staat vom streng laizistischen System. Horst Dreier zeichnet die Geschichte der Säkularisation nach und den Begriff "Säkularisierung" beleuchtet er in all seinen Facetten.
    Kritik am Bundesverfassungsgericht
    Denn die allgemeine Debatte sei mitunter erschwert, weil jeder unter dem Begriff etwas anderes verstehe. Vor allem in den Kulturwissenschaften, in der Germanistik und Romanistik, in der Theologie, der Philosophie und der Politikwissenschaft sei von Säkularisierung in zahlreichen Variationen die Rede.
    Dreier aber geht es darum, den Begriff präzise zu gebrauchen: "Wenn der Verfassungsrechtler sagt, säkularer Staat, dann sagt er nur, der Staat hat keine Religion und keine Weltanschauung zu praktizieren oder zu propagieren. Aber er kann sehr wohl einhergehen mit sehr vielen religiös engagierten Bürgern."
    Die Lektüre dieses Buches ist anspruchsvoll. Aber durch die klare Themengliederung und die unaufgeregte sachliche Sprache hält Dreier auch den nicht rechtswissenschaftlich gebildeten Leser im Bann. Zumal er immer wieder griffige Beispiele bringt. Seine Kritik an der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts macht er am Kruzifix-Beschluss und an den Kopftuchfällen fest.
    Feierliche Präambel mit Gottesbezug
    Dreier sagt: "Da wird wie mit einer Goldwaage abgewogen und wie immer bei solchen Abwägungsprozessen ist das Ergebnis dann eigentlich relativ beliebig. Wenn wir in solchen Konfliktfällen mal stärker auf die objektivrechtliche Pflicht des Staates zur Neutralität schauen würden, dann ließen sich die Fälle relativ klar und relativ deutlich entscheiden: wenn der Staat neutral ist, dann bedeutet das, die Amtsträger müssen neutral sein, und dann hat in der Schule und im Gericht ein Kreuz genauso wenig zu suchen wie ein Kopftuch, das ich als religiöses Symbol trage. Punkt, aus, Ende der Diskussion."
    Der Präambel des Grundgesetzes, in der es einen Gottesbezug gibt, hat Horst Dreier ein ganzes Kapitel gewidmet. Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes sei es darum gegangen, etwas "Feierliches" in die Verfassung zu schreiben, erläutert Dreier.
    Sie haben sich nicht auf Gott berufen, und ihn auch nicht angerufen, wie es in den Verfassungen mancher Staaten geschieht, zum Beispiel in der Schweiz oder in Irland.
    "Das Grundgesetz sagt, im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott, und das ist eigentlich was ganz anderes, das ist eigentlich eine Demutsformel, die sagen will, wir sind uns der Fehlbarkeit und der Vorläufigkeit und der Irrtumsanfälligkeit unseres Tuns bewusst", so Dreier. "Aber damit will das Grundgesetz nicht sagen, das Grundgesetz statuiert gewissermaßen die Existenz Gottes. Davon kann keine Rede sein."
    Horst Dreier liefert eine hervorragende Analyse und gleichzeitig ein Plädoyer für den freiheitlichen säkularen Staat.
    Horst Dreier: "Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne"
    C.H. Beck Verlag, 256 Seiten, 26,95 Euro.