Burkhard Birke: Kleinere Parteien wie die Tierschutzpartei, vor allem aber auch die beiden Abgeordneten Jelena Hoffmann von der SPD und Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen wollen gegen die Auflösung des Parlamentes durch Präsident Horst Köhler beim Verfassungsgericht klagen. Wir sind jetzt verbunden mit dem Staatsrechtler Professor Hans-Peter Schneider von der Uni Hannover. Herr Schneider, ist die Wahl doch noch in Gefahr?
Hans-Peter Schneider: Das wird man abwarten müssen. Im Prinzip kann natürlich das Bundesverfassungsgericht die Wahl noch stoppen, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass der Weg, den der Kanzler gegangen ist über Artikel 68 und den der Bundespräsident jetzt bestätigt hat, eben doch verfassungswidrig ist, also nicht dem Grundgesetz entspricht.
Birke: Ist er Ihrer Meinung nach verfassungswidrig?
Schneider: Er ist meiner Meinung nach in der Tat verfassungswidrig. Zwar ist es so, wie der Bundespräsident gesagt hat - nur dann hätte er zu einer anderen Entscheidung kommen müssen. Wenn die Lagebeurteilung, seine Lagebeurteilung nun deutlich evident, also offensichtlich von der des Kanzlers abweicht - das hat der Bundespräsident verneint. Meines Erachtens aber hätte er zu einer anderen Einschätzung kommen müssen, weil der Bundeskanzler bisher jeden Nachweis, jeden Beleg dafür, dass er in Zukunft keine Mehrheit mehr haben wird, schuldig geblieben ist.
Birke: Spielt da auch die Äußerung des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering eine Rolle, dass der Kanzler ja das volle Vertrauen der Koalition genieße - eine Äußerung, die wenige Tage nach der Vertrauensfrage, der verlorenen Vertrauensfrage gemacht wurde?
Schneider: Selbstverständlich spielt das eine Rolle. Diese Äußerung ist natürlich auch vom Bundespräsidenten in seine Einschätzung mit einbezogen worden. Es spielen viele Äußerungen eine Rolle. Es spielen auch die Äußerungen derer eine Rolle, von denen der Kanzler glaubt, dass sie ihm das Vertrauen entzogen hätten. Sie haben ja alle erklärt, dass sie nach wie vor zur rot-grünen Koalition stehen. Diese Koalition hat bisher keine einzige Abstimmung verloren - im Gegenteil, man hat sogar in der letzten Wahlperiode, ich glaube, 32 Mal die Kanzlermehrheit erreicht. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass der Kanzler hier die Mehrheit verloren hat. Und man muss hinzufügen: Als der Kanzler am 22. Mai nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl nun die Neuwahlen hier in die Diskussion gebracht hat, damals waren ja ganz andere Gründe maßgebend, nämlich die Veränderung der Bundesratsmehrheiten und die spielen bei Artikel 68 überhaupt keine Rolle.
Birke: Herr Schneider, wir hatten heute morgen Jelena Hoffmann, die SPD-Abgeordnete, die ja klagen wird. Sie werden Sie glaube ich ja auch, in diesen rechtlichen Fragen beraten. Wird dieser Punkt, den Sie gerade genannt haben, der Hauptargumentationspunkt sein vor den Verfassungsrichtern in Karlsruhe?
Schneider: Ja, das wird einer der Punkte sein. Es gibt eine Vielzahl von Punkten, die wir vorbringen. Aber ich bitte um Verständnis, dass ich das Bundesverfassungsgericht jetzt nicht über die Medien über den Inhalt meiner Antragsschrift, die ich für Frau Hoffmann ausarbeite, hier informieren will. Das gebietet der Respekt vor dem Gericht, dass man das zunächst einmal das Gericht schriftlich wissen lässt, bevor man sich dann dazu äußert.
Birke: Aber wenn Sie vielleicht doch für den Hörer noch mal deutlich machen, wo - neben dem genannten Argument - das Hauptargument gegen diesen Weg zur Neuwahlen liegt.
Schneider: Nun, es muss eine Lage der Instabilität vorhanden sein, auf Dauer, die der Kanzler zwar zunächst einmal nach eigenem Ermessen einschätzen kann. Aber bloße Schwierigkeiten, das hat das Bundesverfassungsgericht ja 1983 gesagt, bloße Schwierigkeiten beim Regieren dürfen eben nicht ins Feld geführt werden, um Neuwahlen zu begründen. Sonst wäre es ja so, dass schon jede Kritik eines Abgeordneten, die etwas massiv vorgetragen wird, vielleicht sogar mit der Drohung, dass man sonst dem Kanzler das Vertrauen entzieht, dann zur Bundestagsauflösung führen würde. Das würde eine Disziplinierung der Abgeordneten bedeuten, die sozusagen nichts mehr zu tun hat mit dem freien Mandat.
Birke: Halten Sie es dann aber, Herr Professor Schneider, wirklich für wahrscheinlich, dass sich jetzt die Verfassungsrichter über drei Verfassungsorgane und ihre Einschätzung hinwegsetzen werden? Nämlich über den Bundeskanzler, den Bundestag und den Bundespräsidenten?
Schneider: Nein, die Einschätzung der drei Verfassungsorgane war in erster Linie politischer Art. Das Bundesverfassungsgericht hat als einzigen Maßstab das Grundgesetz. Hier spielt dann die verfassungsrechtliche Frage die ganz entscheidende Rolle. Und es muss darüber entschieden werden, ob man die Verfassung auf dem Altar der Politik opfert. Also Recht oder Politik, darüber hat das Gericht zu entscheiden.
Birke: Plädieren Sie, für die Zukunft - unabhängig jetzt vom Ausgang des Urteils - für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages?
Schneider: Ja, ich würde auch sagen, man muss diesen Fall zum Anlass nehmen, um jetzt ernsthaft über ein Selbstauflösungsrecht nachzudenken. Allerdings, hohe Mehrheiten sind erforderlich, das ist ganz klar. Mindestens Zweidrittelmehrheit, Dreiviertelmehrheit, das ist notwendig.
Hans-Peter Schneider: Das wird man abwarten müssen. Im Prinzip kann natürlich das Bundesverfassungsgericht die Wahl noch stoppen, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass der Weg, den der Kanzler gegangen ist über Artikel 68 und den der Bundespräsident jetzt bestätigt hat, eben doch verfassungswidrig ist, also nicht dem Grundgesetz entspricht.
Birke: Ist er Ihrer Meinung nach verfassungswidrig?
Schneider: Er ist meiner Meinung nach in der Tat verfassungswidrig. Zwar ist es so, wie der Bundespräsident gesagt hat - nur dann hätte er zu einer anderen Entscheidung kommen müssen. Wenn die Lagebeurteilung, seine Lagebeurteilung nun deutlich evident, also offensichtlich von der des Kanzlers abweicht - das hat der Bundespräsident verneint. Meines Erachtens aber hätte er zu einer anderen Einschätzung kommen müssen, weil der Bundeskanzler bisher jeden Nachweis, jeden Beleg dafür, dass er in Zukunft keine Mehrheit mehr haben wird, schuldig geblieben ist.
Birke: Spielt da auch die Äußerung des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering eine Rolle, dass der Kanzler ja das volle Vertrauen der Koalition genieße - eine Äußerung, die wenige Tage nach der Vertrauensfrage, der verlorenen Vertrauensfrage gemacht wurde?
Schneider: Selbstverständlich spielt das eine Rolle. Diese Äußerung ist natürlich auch vom Bundespräsidenten in seine Einschätzung mit einbezogen worden. Es spielen viele Äußerungen eine Rolle. Es spielen auch die Äußerungen derer eine Rolle, von denen der Kanzler glaubt, dass sie ihm das Vertrauen entzogen hätten. Sie haben ja alle erklärt, dass sie nach wie vor zur rot-grünen Koalition stehen. Diese Koalition hat bisher keine einzige Abstimmung verloren - im Gegenteil, man hat sogar in der letzten Wahlperiode, ich glaube, 32 Mal die Kanzlermehrheit erreicht. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass der Kanzler hier die Mehrheit verloren hat. Und man muss hinzufügen: Als der Kanzler am 22. Mai nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl nun die Neuwahlen hier in die Diskussion gebracht hat, damals waren ja ganz andere Gründe maßgebend, nämlich die Veränderung der Bundesratsmehrheiten und die spielen bei Artikel 68 überhaupt keine Rolle.
Birke: Herr Schneider, wir hatten heute morgen Jelena Hoffmann, die SPD-Abgeordnete, die ja klagen wird. Sie werden Sie glaube ich ja auch, in diesen rechtlichen Fragen beraten. Wird dieser Punkt, den Sie gerade genannt haben, der Hauptargumentationspunkt sein vor den Verfassungsrichtern in Karlsruhe?
Schneider: Ja, das wird einer der Punkte sein. Es gibt eine Vielzahl von Punkten, die wir vorbringen. Aber ich bitte um Verständnis, dass ich das Bundesverfassungsgericht jetzt nicht über die Medien über den Inhalt meiner Antragsschrift, die ich für Frau Hoffmann ausarbeite, hier informieren will. Das gebietet der Respekt vor dem Gericht, dass man das zunächst einmal das Gericht schriftlich wissen lässt, bevor man sich dann dazu äußert.
Birke: Aber wenn Sie vielleicht doch für den Hörer noch mal deutlich machen, wo - neben dem genannten Argument - das Hauptargument gegen diesen Weg zur Neuwahlen liegt.
Schneider: Nun, es muss eine Lage der Instabilität vorhanden sein, auf Dauer, die der Kanzler zwar zunächst einmal nach eigenem Ermessen einschätzen kann. Aber bloße Schwierigkeiten, das hat das Bundesverfassungsgericht ja 1983 gesagt, bloße Schwierigkeiten beim Regieren dürfen eben nicht ins Feld geführt werden, um Neuwahlen zu begründen. Sonst wäre es ja so, dass schon jede Kritik eines Abgeordneten, die etwas massiv vorgetragen wird, vielleicht sogar mit der Drohung, dass man sonst dem Kanzler das Vertrauen entzieht, dann zur Bundestagsauflösung führen würde. Das würde eine Disziplinierung der Abgeordneten bedeuten, die sozusagen nichts mehr zu tun hat mit dem freien Mandat.
Birke: Halten Sie es dann aber, Herr Professor Schneider, wirklich für wahrscheinlich, dass sich jetzt die Verfassungsrichter über drei Verfassungsorgane und ihre Einschätzung hinwegsetzen werden? Nämlich über den Bundeskanzler, den Bundestag und den Bundespräsidenten?
Schneider: Nein, die Einschätzung der drei Verfassungsorgane war in erster Linie politischer Art. Das Bundesverfassungsgericht hat als einzigen Maßstab das Grundgesetz. Hier spielt dann die verfassungsrechtliche Frage die ganz entscheidende Rolle. Und es muss darüber entschieden werden, ob man die Verfassung auf dem Altar der Politik opfert. Also Recht oder Politik, darüber hat das Gericht zu entscheiden.
Birke: Plädieren Sie, für die Zukunft - unabhängig jetzt vom Ausgang des Urteils - für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages?
Schneider: Ja, ich würde auch sagen, man muss diesen Fall zum Anlass nehmen, um jetzt ernsthaft über ein Selbstauflösungsrecht nachzudenken. Allerdings, hohe Mehrheiten sind erforderlich, das ist ganz klar. Mindestens Zweidrittelmehrheit, Dreiviertelmehrheit, das ist notwendig.