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Verfassungsreferendum in Ruanda
Öffentliche Debatte unerwünscht

Mehr als 98 Prozent der Wähler in Ruanda haben gestern - nach offiziellen Angaben - für eine Verfassungsänderung gestimmt. Demnach könnte Präsident Paul Kagame theoretisch bis 2034 im Amt bleiben. Doch eine öffentliche Debatte hat es vor der Abstimmung nicht gegeben. Auch von Druck auf die Wähler und sogar von Verfolgungen oder Verhaftungen ist die Rede.

Von Jesko Johannsen | 19.12.2015
    Wähler stehen Schlange vor einem Wahlbüro, um ihre Stimme abzugeben.
    Der Andrang vor den Wahlbüros in Ruanda beim Referendum war groß. Doch nicht alle Unterschriften der Petition, die zum Referendum führte, sollen freiwillig abgegeben worden sein. (dpa / Jesko Johannsen)
    Ausgelassen feiern die Befürworter des Referendums ihren Sieg in Kigali. Auf einem Monitor läuft das Staatsfernsehen. Wenn neue Ergebnisse gezeigt werden, bricht Jubel aus. Das kein Ergebnis unter 90 Prozent Zustimmung liegt, reicht den Leuten aber nicht:
    "Wir erwarten mehr als 99 Prozent."
    Den Ruandern geht es aber nicht nur um einen Wahlsieg.
    "Dies ist unser Selbstbewusstsein und unsere Unabhängigkeit. Es wird gut für unsere Zukunft sein."
    "Ich finde, dass die größte Chance für Ruanda jetzt ist, dass wir nicht nur viel erreicht haben, sondern noch viel mehr erreichen können."
    Mehrheit der Ruander ist für Kontinuität
    In den Wahllokalen herrschte Einigkeit: Der 58-jährige Paul Kagame soll Präsident von Ruanda bleiben. Der Andrang ist groß. In langen Schlangen warten die Menschen, um ihre Stimme abzugeben. Angelique Mukasakinbi hat bereits gewählt. Ihr Daumen ist blau von der Tinte mit der sie ihren Stimmzettel markiert hat:
    "Ich hoffe auf einen positiven Ausgang, und dass die neue Verfassung angenommen wird, damit wir Paul Kagame 2017 als Präsident wieder wählen können."
    Und auch Innocent Bizimuremwi will, dass Kagame im Amt bleibt:
    "Es ist eine sehr wichtige Wahl. Denn dieses Referendum ist die einzige Möglichkeit, die Verfassung zu ändern und so Einfluss auf die politische Führung nehmen zu können."
    Minderheit findet kein Gehör
    Eine Mehrheit der Ruander ist für Kontinuität. Doch viele glauben, dass die Bevölkerung unter Druck gesetzt wurde und nicht frei entscheiden konnte. Auch sollen nicht alle Unterschriften der Petition, die zum Referendum führte, freiwillig abgegeben worden sein. Die Minderheit findet kein Gehör. Eine öffentliche Debatte ist unerwünscht. Die Gegner bleiben lieber anonym, wenn sie sich überhaupt äußern:
    "Wir trauen uns nicht, etwas zu sagen, weil dann unser Leben in Gefahr ist. Einige Menschen sind im Gefängnis gelandet. Andere werden verfolgt oder sind verschwunden."
    "Ich bin dagegen, weil er doch gesagt hatte, dass er nur zweimal antreten wird. Die ganze Abstimmung ist eine Lüge."
    Oppositionspartei hatte erfolglos gegen Referendum geklagt
    Auch im Wahllokal ist Anspannung spürbar. Die Wähler können nicht frei sprechen. Interviews werden unterbrochen oder beobachtet.
    Die Oppositionspartei "Demokratische Grüne Ruandas" ist die einzige, die sich offen gegen eine dritte Amtszeit des Präsidenten und die Verfassungsänderung ausspricht. Sie hatte erfolglos gegen das Referendum geklagt. Vorstandsmitglied Leonard Gashugi konnte die Wahl gestern nur noch beobachten:
    "Wir hatten einige Probleme und nur eingeschränkte Möglichkeiten. Uns blieb nicht genug Zeit. Aber wir haben versucht, unsere Sicht über die Medien zur Sprache zu bringen."
    Kritik der internationalen Gemeinschaft an Referendum
    Eine Kritik, die von der internationalen Gemeinschaft geteilt wird. Am Tag vor dem Referendum hatten Botschafter aus der ganzen Welt vor dem Parlament Ruandas ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht. Etwa EU-Botschafter Michael Ryan und seine amerikanische Kollegin Erica Barks-Ruggles:
    "Die gesamte Europäische Union ist besorgt darüber, dass zwischen der Ankündigung des Referendums und der Abstimmung nicht genügend Zeit für blieb, um Kritik an der Verfassungsänderung zu äußern."
    "Dieses Tempo ließ keinen Raum für Information. Wie soll die ruandische Bevölkerung wissen, worüber sie abstimmt?"
    Der Abgeordnete Zeno Mutimura von der Regierungspartei RPF hat hingegen keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Referendums:
    "Was ist Demokratie, wenn nicht der Wille der Menschen in einem Referendum oder durch ihre Parlamentarier ausgedrückt wird? So verstehe ich Demokratie."
    EU kritisiert Menschenrechtslage in Ruanda
    Ruanda boomt. Die Wirtschaft wächst mit bis zu acht Prozent pro Jahr. Das Land ist sicher und stabil. Kigali eine der modernsten und saubersten Hauptstädte Afrikas. Präsident Kagame gilt als Macher dieses Erfolgs. Aber auch als autokratischer Machthaber. Widersacher verschwinden, die Medien gelten nicht als frei, die Europäische Union kritisiert die Menschenrechtslage in Ruanda.
    Auch Kagame hat gestern abgestimmt. Er betont immer wieder, dass der Wunsch nach einer Verfassungsänderung nicht von ihm ausgegangen sei:
    "Ich will das nicht. Das was passiert, ist der Wille der Menschen. Fragen sie die, warum sie das wollen."
    Jetzt hängt alles von ihm ab. Noch hat er sich nicht geäußert, ob er noch einmal kandidieren will:
    "Wir werden es sehen, wenn die Zeit dafür gekommen ist."
    Sein Versteckspiel wirkt nach dem Referendum jedoch aufgesetzt. Ein demokratischer Machtwechsel in Ruanda im übernächsten Jahr ist nahezu unwahrscheinlich geworden.