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Verfassungsreform in Belarus
Lukaschenkos Symbolpolitik

Vor einem halben Jahr keimten Proteste in Belarus wegen der wohl gefälschten Wahl auf. Präsident Alexander Lukaschenko versprach daraufhin eine Verfassungsreform, doch passiert ist bisher nichts. Am 10. und 11. Februar findet zwar eine Volksversammlung statt, doch die kritisieren Experten als reine Symbolveranstaltung.

Von Sabine Adler | 10.02.2021
Der umstrittene Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko (l.) und der Präsident des Eishockey-Weltverbands, René Fasel, begrüßen sich herzlich bei einem Treffen in Minsk am 11. Januar 2021.
Nicht häufig in der Öffentlichkeit: Der umstrittene Staatschef von Belarus Alexander Lukaschenko hier bei einem Treffen mit dem Präsident des Eishockey-Weltverbandes (www.imago-images.de)
Genau ein halbes Jahr nach der Präsidentschaftswahl in Belarus demonstrieren zwar nicht mehr hunderttausende Menschen auf den Straßen, doch trotz des Winterwetters und Corona gibt es immer noch jede Woche Proteste. Dutzende werden dabei verhaftet.
Tichanowskaja: "Bitte hören Sie nicht auf nach Belarus zu sehen, weil weniger demonstriert wird. Viele Menschen sitzen immer noch im Gefängnis."
Swetlana Tichanowskaja, Oppositionskandidatin bei der Präsidentschaftswahl im August 2020. Die Politikerin ist nach Litauen geflohen und äußerte schon Mitte Dezember die Sorge, dass das Interesse für Belarus im Ausland abflache, weil eine Lösung der politischen Krise noch immer nicht in Sicht ist.
Tausende Menschen versammeln sich auf dem Platz der Unabhängigkeit zu einem Protest. Die Demonstranten gehen in der belarussischen Hauptstadt und in anderen Städten auf die Straße und drängen weiterhin auf den Rücktritt von Präsident Lukaschenko.
Proteste in Belarus im August 2020 (picture alliance / dpa / Ulf Mauder)
Das Regime von Alexander Lukaschenko, den die Europäische Union wegen der wohl gefälschten Auszählung der Wahl nicht mehr als Präsidenten anerkennt, hat als Ausweg aus der monatelangen Patt-Situation eine Verfassungsreform angeboten. Die sagte er schon im September auf dem Höhepunkt der Massendemonstrationen gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu. Bei der Umsetzung indes spielt der seit 26 Jahren regierende Autokrat Lukaschenko auf Zeit. Das stellt der ehemalige belarussische Botschafter und Kulturminister Pavel Latuschko fest, der nach der Polizeigewalt gegen die friedlichen Demonstranten bereits im August die Seiten gewechselt hat.
"Russland spricht davon seit Monaten. Reform der Verfassung und Wahlen und das nicht später als 2021. Lukaschenko tat das nicht und erklärte, dass er die Verfassung nicht ändern wird. Und er beabsichtigt auch nicht zurückzutreten. Lawrow hat ihn an sein Versprechen gegenüber Putin erinnert."

Lukaschenko hält mit aller Macht an der Spitze fest

Bei einem Besuch Ende November in der weißrussischen Hauptstadt Minsk erinnerte der russische Außenminister Sergej Lawrow Lukaschenko an dessen Zusage. Seitdem wurde das Vorhaben ernsthafter vorbereitet. Doch nicht etwa als ein Referendum, von dem anfangs noch die Rede war. Sondern als sogenannte Volksversammlung, die am 11. Februar startet. Swetlana Tichanowskaja hat eine Erklärung für diesen Sinneswandel.
"Das Referendum hat er fallengelassen. Er hat die Taktik geändert, er hat verstanden, dass sich an einem Referendum niemand beteiligen würde. Also beruft er jetzt die Volksversammlung ein und ernennt die Leute, die dort vertreten sein sollen. Was soll das werden? Soll er mit seinem Spielzeug spielen. Aber die Meinung der Weißrussen ist das nicht."
 Veronika Tsepkalo, Swetlana Tichanowskaja and Maria Kolesnikova (v.l.) bei einer Wahlkampfveranstaltung für Swetlana Tichanowskaja
Swetlana Tichanowskaja (Mitte) bei einer Wahlkampfveranstaltung vor der Flucht ins Exil (imago images/ITAR-TASS)
Die Frau des lange vor der Wahl inhaftierten Oppositionspolitikers Sergej Tichanowskij, die an seiner Stelle für das Präsidentenamt kandidierte, hält nichts von der Allbelarussischen Volksversammlung, die nun statt eines Referendums die Verfassungsreform beschließen soll. Denn eine breite gesellschaftliche Diskussion, der etwas so Grundlegendes wie eine Verfassungsänderung vorangehen müsste, werde dadurch verhindert.
Stattdessen habe der Herrscher Lukaschenko, der sich mit aller Macht an der Spitze halten möchte, eine Veranstaltung wie zu Sowjetzeiten vor Augen, sagt die Politologin Tatiana Chulitskaya.
"Etwas Revolutionäres von dieser Versammlung sollte man nicht erwarten, denn dieses Format hat Lukaschenko schon 1996 eingeführt, angeblich um dem Willen des Volkes Gehör zu verschaffen. Es ist eine reine Symbolveranstaltung und zeigt höchstens, wie sich Alexander Lukaschenko den Willen des Volkes vorstellt. Das ist eine rituelle Versammlung, die am ehesten mit einem sowjetischen Parteitag zu vergleichen ist, bei dem mit Hilfe von ausgewählten loyalen Leuten so getan wird, als ob der Präsident eine breite Unterstützung des Volkes genießt."
Oder wie es Lukaschenko selbst ausdrückt: "Die Delegierten sollten Leute sein, die alle Gruppen der Gesellschaft repräsentieren, so wie das immer bei uns gewesen ist seit 1996, als wir die erste Allbelarussische Volksversammlung abhielten."

Intransparenz bei der Minsker Versammlung

Dass eine mögliche, dort beschlossene Verfassungsreform einen Ausweg aus der Krise weist, ist unwahrscheinlich, ebenso, dass Moskau das angesichts eigener Massenproteste tatsächlich noch interessiert. Was auf der Minsker Versammlung genau besprochen werden soll, welche Änderungen an der Verfassung vorgesehen sind, ist unbekannt, kritisiert der Oppositionspolitiker Pavel Latuschko aus seinem Warschauer Exil. Latuschko gehört dem Koordinierungsrat der belarussischen Demokratiebewegung an.
"Die eigentliche Tagesordnung dieser Versammlung wird verheimlicht. Zu dieser Veranstaltung des offenen Dialogs lässt man nur Leute, die auf einer bestimmten Liste stehen. In den Materialien dieser Volksversammlung steht nicht eine der Forderungen, die das Volk erhebt. Auch das Volk selbst ist nicht vertreten."
"Sie schlug mich auf den Rücken und mit dem Knie in den Bauch"
Journalistinnen und Journalisten berichten von körperlicher Gewalt gegen sich und von anderen Misshandlungen in Belarus.

Ganz allgemein heißt es in der staatlichen Ankündigung der nationalen Versammlung, dass sie – Zitat – "die Vervollkommnung der Staatspolitik und die Verbreiterung der Möglichkeiten für die breitere Beteiligung der Bürger am politischen Leben anstrebt". Doch normale Menschen, zumal solche, die der Minsker Staatspolitik kritisch gegenüberstehen, können an dem zweitägigen Treffen in Minsk gar nicht teilnehmen. Die junge belarussische Politologin Olga Dryndova erklärt, wer dabei sein darf.
"Da sind über 2000 Menschen eingeladen, die allerdings alle aus den vorstaatlichen Strukturen kommen, die natürlich den Präsidenten auch persönlich unterstützen. Ob das dann in so einer Form wiederum von der Gesellschaft wahrgenommen wird als ein Dialog oder als ein politischer Wille zu einer Veränderung, das würde ich erst einmal nicht so sagen. Also ich würde nicht ausschließen, dass so eine Veranstaltung zu weiteren Protesten führen könnte."

Opposition fordert neue Präsidentschaftswahlen

Unter dem Motto "Das Volk sind wir" macht die Opposition schon seit Tagen zu Protesten während Lukaschenkos Versammlung mobil. Denn ihre dringendste Forderung wird von dem Autokraten bislang ignoriert: die nach einer neuen Präsidentschaftswahl. Eine Verfassungsänderung mitten in der Krise kommt für sie zur Unzeit. Für Lukaschenko ist sie dagegen Mittel zum Zweck. Eine Reparatur am System, ohne dieses komplett zu ändern.
Doch anders als er es verspricht, sollen durch seine Pläne für eine Verfassungsreform seine bisherigen weitreichenden Vollmachten kaum beschnitten werden. Er soll lediglich weniger Richter am Obersten Gericht ernennen dürfen und Richter unterer Instanzen gar nicht mehr. Wer künftig für das Präsidentenamt oder Parlament kandidiert, darf keine andere außer der belarussischen Staatsbürgerschaft haben, nicht ständig im Ausland wohnen. Und wer Abgeordneter ist, kann nicht zugleich der Regierung angehören. Außerdem soll die Allbelarussische Volksversammlung ein gesetzgebendes Organ werden. Für den Oppositionellen Latuschko ein klarer Verfassungsbruch.
"Abgeordnete haben sich selbst als Delegierte dieser Volksversammlung gewählt. Und Beamte haben Delegierte aus gesellschaftlichen Organisationen ernannt, die vom Staat abhängig sind. Das ist eine Verletzung des gleichen Wahlrechts für alle. Kein Gesetz erlaubt, dass die Bürger aus Wahlprozessen ausgeschlossen werden. Wir haben es hier mit einer Nomenklatura zu tun, die sich selbst ermächtigt, aber nicht mit gewählten Vertretern. Und diese nicht gewählte Vertretung soll nun sogar ein neues Verfassungsorgan werden, auf das sich das Regime stützt anstelle der Wähler. Alle, die sich an diesem verbrecherischen Vorgang beteiligen, sollten wissen, dass sie an einem Verfassungsbruch und Umsturz mitwirken, der gegen das Volk gerichtet ist."
Ausgerechnet diese Allbelarussische Volksversammlung soll zudem künftig über die Gültigkeit des Wahlergebnisses entscheiden.
Immerhin: Der Entwurf der Verfassungsänderung sieht ein Moratorium über die Anwendung der Todesstrafe vor genauso wie die Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Doch ob das tatsächlich beschlossen und umgesetzt wird, ist offen.

Rückkehr zur Verfassung von 1994

Die im Ausland beziehungsweise im Gefängnis befindliche Opposition hat schon im Sommer zu Beginn der Proteste einen anderen Ausweg aus der politischen Sackgasse vorgeschlagen, neben Neuwahlen die Rückkehr zur Verfassung von 1994, bevor Lukaschenko Präsident war. Pavel Latuschko damals auf einer Kundgebung in Minsk.
"Ein Land wächst daran, dass die Macht wechselt, deswegen initiieren wir ein Referendum über die Rückkehr zur Verfassung von 1994, die klar die Amtszeit und die Vollmachten des Staatsoberhauptes begrenzte."
Demonstranten und Polizisten stehen sich auf den Straßen in Minsk gegenüber.
Demonstranten und Polizisten stehen sich auf den Straßen in Minsk gegenüber. (Sputnik/Viktor Tolochko)
Dass Lukaschenko mit der neuen Verfassung seinen Rückzug einläutet, wie er es zugesagt hat, wird bezweifelt. Im November hatte er angekündigt Zitat: "Mit der neuen Verfassung werde ich schon nicht mehr als Präsident arbeiten."
Doch wann das sein wird, ließ er offen. Auch seine Zusicherung, nach der Verfassungsänderung nicht wieder bei einer Wahl anzutreten, halten Kritiker für unglaubwürdig.
Bürgerinnen und Bürger fernab der staatlichen Strukturen bleiben Zuschauer der Verfassungsänderung, sie werden nicht gefragt. Die Konfliktparteien schaffen es nicht, aufeinander zuzugehen, konstatiert die belarussische Politikwissenschaftlerin Olga Dryndova.
"Für mich ist der einzige Weg dafür ein offener Dialog mit alternativen Kräften, von denen sich gerade die meisten im Ausland, im Exil befinden. Aber gleichzeitig sehe ich ja auch keine Bereitschaft von beiden Seiten, das zu machen. Wir sehen ja, dass die Exil-Kräfte die aktuelle Macht in Belarus als Terroristen benennen. Aber auch andersrum werden sie vom belarussischen Staat als Extremisten gesehen. Also, dass ist jetzt wirklich zugespitzt. Und da gibt es keine Chance, dass man sofort zum Dialog kommt nach dieser Verfassungsversammlung. Allerdings heißt es ja nicht, dass die alternativen Kräfte, die sich jetzt im Exil befinden, überhaupt nicht bereit sind, mit den staatlichen Strukturen zu sprechen."

Einfluss des Kremls auf Sergej Tichanowskij und Wiktar Babaryka?

Lukaschenkos Versuch im Oktober, ausgerechnet im KGB-Gefängnis an einer Art Rundem Tisch mit den inhaftierten Präsidentschaftskandidaten zu diskutieren, scheiterte. Sergej Tichanowskij und Wiktar Babaryka, die beide lange vor der Wahl eingesperrt worden waren, sprachen zwar mit Lukaschenko, während sich Babarykas Wahlkampfleiterin Maria Kalesnikava strikt weigerte. Doch was die Männer diskutierten, ob ihnen ein Arrangement mit dem Regime vorgeschlagen worden war, wurde nicht öffentlich.
Das System Lukaschenko - Warum Belarus eine Diktatur bleibt
Nach den mutmaßlich gefälschten Wahlen im August 2020 gehen in Belarus noch immer Tausende auf die Straßen. Aber die Chancen auf Wandel sind gering.

Der Politikwissenschaftler Siarhei Bohdan glaubt, dass Tichanowskij und Babaryka für ihren Wahlkampf die Unterstützung des Kremls bekommen haben. Ein Vorwurf, den auch schon Alexander Lukaschenko erhoben hat. Wiktar Babaryka, 56 Jahre alt, war lange Zeit Chef der Belgazprombank, die dem russischen Erdgasproduzenten Gazprom und der russischen Gazprombank je zur Hälfte gehört.
"Wenn du in bestimmten Strukturen gearbeitet hast und dann in die Politik gehst, dann musst du in den Medien erklären, was du gemacht hast und warum du deine Linie geändert hast und woher du das Geld für deine Wahlkampagne hast. Man muss Babarykas Kandidatur im außenpolitischen Kontext sehen."
Sagt Politikwissenschaftler Siarhei Bohdan. Mit außenpolitischem Kontext meint er Russland.
"Wer wollte das Regime schwächen und die Figur an der Spitze auswechseln? An erster Stelle vielmehr Putin als alle westlichen Politiker. Ich sehe einen Typen aus Gazprom, keinen einfachen Typen. Der kommt, um in unserer Politik mitzuspielen. Ich sehe einen Typen, der plötzlich aus Moskau kommt und beginnt, eine sehr teure Kampagne abseits der Opposition aufzubauen."

Sergej Tichanowskij habe ebenfalls eine große Nähe zum System Putin gehabt, sagt der Politologe Bohdan. An Tichanowskij, dem einflussreichen Blogger, der vor allem die einfachen Menschen in der Provinz zu Wort kommen ließ, stört ihn dessen grobe Rhetorik. Wenn Tichanowskij den Diktator und sein Gefolge als Tarakany, Kakerlaken, bezeichne, klinge er selbst wie Lukaschenko, wenn der sich über die Demonstranten auslasse. Für den belarussischen Politikexperten Bohdan ist Tichanowskij:
"Eine ganz unklare Figur, die vor ein paar Jahren noch Fotos mit Putin gepostet hat im Internet, der auf die besetzte Krim gefahren ist."
Präsident Putin während einer Videokonferenz mit Studierenden am 25. Januar.
Spielt auch mit in Belarus: Vladimir Putin (picture alliance/dpa/TASS/Mikhail Klimentyev)

Waleryj Zepkala - Techunternehmer aus dem Dunstkreis Lukaschenkos

Die Politologin Olga Dryndova widerspricht: "Das mit Putin habe ich nicht gesehen. Ich habe andere Fotos gesehen von ihm und bekannten Menschen in Moskau. Er hat da tatsächlich mehrere Jahre gearbeitet. Er hat auch Business gehabt. Ich habe Tichanowskij eher als einen ziemlich populistischen Kandidaten wahrgenommen. Er hat es geschafft, Menschen in den Regionen, die politisch ziemlich tot waren seit mehreren Jahren, in Belarus zu aktivieren und zu politisieren. Und das hat er sehr gut gemacht."
Den dritten Lukaschenko-Herausforderer, Waleryj Zepkala, ein Ex-Diplomat und Gründer eines High-Tech-Industrieparks, ordnet der Politikwissenschaftler Bohdan zwar nicht als Mann Putins ein, obwohl der potentielle Präsidentschaftskandidat vergangenen Sommer zunächst nach Moskau, dann in die Ukraine geflohen ist. Aber auch Zepkala sei kein wirklicher Oppositionskandidat gewesen.
"Zepkala ist einfach eine Figur aus dem Regime. Er war ganz nah an Lukaschenko und auch ein Teil von Lukaschenkos Entourage."
Einzig die Wahlkampfmanagerin von Wiktar Babaryka, Maria Kalesnikava, sei eine glaubhafte Oppositionelle, findet Siarhei Bohdan. Kalesnikava hatte zusammen mit Veronika Zepkala und Swetlana Tichanowskaja anstelle der Männer Wahlkampf gemacht und später die Protestbewegung angeführt.
Im Herbst 2020 wurde sie festgenommen, sitzt seither in Haft. In Deutschland hat man die Musikerin, die lange in Stuttgart arbeitete, mit einem Menschenrechtspreis geehrt.
"Sie ist bereit, selbständig zu denken und zu reden und Mut zu haben. Und das ist eine große Sache, würde ich sagen. Aber was passierte mit Maria Kalesnikava bevor sie festgenommen wurde? Sie wurde auf eine sehr konsistente Weise marginalisiert durch die anderen Leute in dieser Protestbewegung. Die Frau konnte die Proteste leiten, aber man hat sie nicht gelassen."

Maria Kalesnikava findet klare Worte

Die drei Frauen, die anstelle der Präsidentschaftskandidaten angetreten waren, hatten sich auf Swetlana Tichanowskaja als Oppositionskandidatin bei der Wahl geeinigt. Doch es war vor allem Maria Kalesnikava, die bei den Aktionen im Sommer auffiel. Nicht nur wegen ihres blonden Kurzhaarschnitts und den leuchtend roten Lippen, sondern durch klare politische Ansagen.
"Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht einverstanden sind. Wir müssen jedem Beamten, der kein reines Gewissen hat, sagen, dass er im Unrecht ist und wir mit ihm nicht einverstanden sind. Wir müssen jedem Vertreter der Sicherheitskräfte, die die Belarussen wie Verbrecher zwei Wochen lang misshandelt und geschlagen haben, sagen, dass sie sich vor Gericht verantworten müssen."

Dass neben Maria Kalesnikava auch Tichanowskij und Babaryka immer noch in Haft sitzen, ist für die Politologin Olga Dryndova ein Beweis dafür, dass es sich nicht um Putins bestellte Kandidaten handeln kann.
"Sie wussten ja, was sie alles riskieren. Und letztendlich sind sie auch im Gefängnis gelandet. Es ist ernsthaft, in Belarus bei Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Es kein Spiel. Die Tatsache, dass Babaryka zum Beispiel eine belarussische Filiale einer russischen Bank geleitet hat, also die Belgazprombank, spricht für mich nicht sofort dafür, dass er irgendwie mit Putin befreundet war. Er wurde verhaftet und Russland hat nichts dagegen gemacht oder nichts dagegen machen können. Das spricht für mich eher dagegen, dass er da irgendwie engere Verbindungen mit dem russischen politischen Regime hatte."
Maria Kolesnikowa, Oppositionspolitikerin in Belarus, spricht während einer Pressekonferenz der Opposition. Die Gegner des umstrittenen Präsidenten Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) wünschen sich beim Gipfel der EU eine klare Position zur Präsidentenwahl.
Maria Kolesnikowa, Oppositionspolitikerin (picture alliance / dpa / Ulf Mauder)

Kaum Auswege aus der politischen Sackgasse

Maria Kalesnikava, Wiktar Babarika und Sergej Tichanowskij gehören zu den mehr als 200 politischen Gefangenen, die seit Monaten eingesperrt sind. Dass auf der Allbelarussischen Volksversammlung über ihre Freilassung entschieden wird, ist wenig wahrscheinlich.
In der Vergangenheit waren Äußerungen von Lukaschenko über politische Gefangene ein Weckruf. Immer, wenn er öffentlich bestritt, dass es im Land überhaupt welche gab, hatten hinter den Kulissen schon die Verhandlungen mit dem Westen begonnen. Doch als er kürzlich über die Polit-Häftlinge sprach, war es anders. Die Empörung in der EU über die Massenverhaftungen von über 33 000 Menschen und die hundertfache Folter ist so groß, dass offiziell niemand mit dem Diktator und dessen Leuten redet. Stattdessen wurde das Regime isoliert, gab es neue Sanktionen gegen die politische Elite und Minsk darf nicht mehr Co-Gastgeber der Eishockey-Weltmeisterschaft sein.
Doch das dies Lukaschenko zu grundlegenden Veränderungen hin zu einer Demokratisierung bewegt, ist kaum anzunehmen. Die Allbelarussische Volksversammlung und eine mögliche, dort beschlossene Verfassungsreform werden das Land jedenfalls nicht aus der politischen Sackgasse führen.