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Verfassungsschutz in der Vertrauenskrise

Statt Informationen zu liefern, habe man Akten vernichtet: In den Augen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist es deshalb kein Wunder, dass das Vertrauen in den Verfassungsschutz erschüttert ist. Als Konsequenz kündigt er vollständige Aufklärung und Überdenken der Arbeitsweise dieser Behörde an.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.07.2012
    Jasper Barenberg: Von einer "Aktion Konfetti" sprechen die Grünen. Zum Lachen aber ist keinem im Bundestag zumute, im Gegenteil: Fraktionsübergreifend herrscht Entsetzen, seit bekannt ist, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz Akten im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle just in dem Augenblick geschreddert wurden, als die Mordserie aufflog und die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich zog. Daraus hat Präsident Heinz Fromm jetzt persönliche Konsequenzen gezogen und sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen lassen.
    Am Telefon begrüße ich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Schönen guten Morgen.

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen.

    Barenberg: Wie Heinz Fromm haben auch Sie, Herr Friedrich, gestern von Vertrauensverlust gesprochen. Heißt das, Sie haben kein Vertrauen mehr in die Arbeit des Verfassungsschutzes?

    Friedrich: Na ja, es geht darum, dass natürlich die Öffentlichkeit, aber vor allem auch die Abgeordneten – und Sie haben sie ja im Vorbericht zitiert – sagen, wir wollten vom Verfassungsschutz Informationen und stattdessen sind Akten vernichtet worden, und das ist natürlich schon geeignet, dieser Vorgang, auch Vertrauen zu erschüttern, und deswegen ist es wichtig, dass wir dieses Vertrauen wiederherstellen.

    Barenberg: Wie erschüttert ist denn Ihr Vertrauen?

    Friedrich: Na ja, gut! Ich denke, dass man sich die Vorgänge im Verfassungsschutz sehr kritisch anschauen muss. Das werde auch ich tun. Ich habe mit Heinz Fromm einen Präsidenten gehabt, in den ich Vertrauen gesetzt habe, der selber erschüttert war, von dessen Integrität ich hundertprozentig überzeugt bin. Aber es darf natürlich das, was passiert ist, nicht passieren, und deswegen muss es da auch Konsequenzen geben.

    Barenberg: Wenn sensible Akten zu einem sensiblen Thema zu einem besonders sensiblen Zeitpunkt vernichtet werden, was sagt das denn über die Zustände im Verfassungsschutz aus?

    Friedrich: Also zumindest, dass es dort Änderungsbedarf gibt, und das wird auch entsprechend dann vorgenommen werden.

    Barenberg: Es geht um Informationen über die Anwerbung von V-Leuten ausgerechnet im rechtsextremen Umfeld der Zwickauer Terrorzelle. Haben Sie Informationen, haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass Mitarbeiter des Verfassungsschutzes hier bewusst vertuschen wollten?

    Friedrich: Ich habe letzten Mittwoch Kenntnis erlangt von diesen Aktenvernichtungsvorgängen, habe dann Herrn Fromm gebeten, noch am selben Tag mir einen ausführlichen Bericht abzuliefern. Ich habe am Freitag einen Bericht bekommen, bei dem wir noch etwas Nachbesserungsbedarf gesehen haben, und ich hoffe, dass ich heute einen ausführlicheren Bericht bekomme, der mich in die Lage versetzt, solche Fragen dann auch zu beantworten – gegenüber dem Untersuchungsausschuss, gegenüber dem Kontrollgremium und überhaupt gegenüber dem Parlament.

    Barenberg: Das heißt, für Sie ist noch nicht ausgemacht, ob es sich um Schlamperei, oder um bewusste Täuschung gehandelt hat?

    Friedrich: Das ist alles Spekulation, und das ist das eigentlich Schlimme an der ganzen Geschichte, dass durch diesen Vorgang natürlich jetzt alle möglichen Theorien und jeder da seine Verschwörungstheorien in die Welt setzen kann, und das ist so ein typischer Fall von Vertrauensverlust, der dann auch zu solchen Geschichten führt. Deswegen würde ich sagen, wir warten ganz in Ruhe mal ab den Bericht, und dann wissen wir mehr.

    Barenberg: Es steht ja auch ein weiterer Verdacht im Raum, der nämlich, dass es möglicherweise V-Leute unter den Terroristen, also innerhalb der NSU gegeben hat. Halten Sie das für völlig ausgeschlossen?

    Friedrich: Wir werden den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses – wir müssen das noch sehen, in welcher Form wir das machen – die Klarnamen all derjenigen, die dort angeworben wurden beziehungsweise wo Anwerbeversuche gemacht wurden, bereitstellen. Insofern können sich die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss selbst ein Bild machen, wie weit solche Vorwürfe gerechtfertigt sind.

    Barenberg: Das heißt auch, Herr Friedrich, Sie setzen sich dafür ein, dass die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten, die im Moment in diesem Parlamentarischen Kontrollgremium bei elf Abgeordneten liegen, dass die ausgeweitet werden?

    Friedrich: Zunächst mal setze ich mich dafür ein, dass diese konkreten Vorgänge, über die wir jetzt reden, aufgeklärt werden - vollständig, umfangreich. Das Zweite ist: Man muss natürlich grundsätzlich über die Arbeitsweise dieser Behörde Verfassungsschutz sich Gedanken machen. Ich glaube, dass es angemessen ist, sich immer von Zeit zu Zeit mal über den Aufbau, die Arbeitsweise, die Mentalität von Behörden Gedanken zu machen, ob es zeitgemäß ist, ob man einiges ändern muss, auch das wird geschehen, und insofern haben wir da genügend Arbeit vor uns.

    Barenberg: Sie haben das ja schon angekündigt, die grundsätzliche Überprüfung der Aufgabenstellung und der Arbeitsweise. Wie soll diese Reform denn nach Ihren Vorstellungen aussehen und welche Rolle spielt auch, was die Oppositionspolitiker sagen, dass es nämlich eine grundlegende, eine umfassende Reform sein muss?

    Friedrich: Na ja, also das muss man jetzt sehen, was zunächst mal die Informationsgewinnung angeht. Das muss man sich fragen, warum konnte in diesem Terrorfall so wenig Information über diese Terrorzelle nur ermittelt werden. Da wird man sehen, wie groß überhaupt das Umfeld war, hatten die überhaupt eine Chance, als Verfassungsschützer da eine Aufklärung zu betreiben. Das Zweite ist, wie gehe ich um mit den Informationen, die ich gewonnen habe, gegenüber den anderen Behörden, gegenüber der Polizei zum Beispiel. Da haben wir ja schon wesentliche Änderungen vorgenommen mit dem gemeinsamen Abwehrzentrum, der Verbunddatei, mit der Koordinierungsrichtlinie. Das werden alles Fragen sein, die auf den Prüfstand gestellt werden müssen, gibt es da irgendwo Veränderungsbedarf, und dann natürlich auch die Frage der Kontrolle durch die parlamentarischen Gremien. Der Nachrichtendienst ist ja nicht für sich da, sondern er ist für die Information der Bevölkerung beziehungsweise der Abgeordneten als Vertreter der Bevölkerung da. Das alles werden wir diskutieren in den nächsten Wochen und Monaten und dazu auch die Erkenntnisse der Bund-Länder-Kommission und des Untersuchungsausschusses heranziehen.

    Barenberg: Wenn es um diese Aufgaben gehen wird, um Veränderungen innerhalb des Bundesamtes, kann dann ein Vizepräsident, Alexander Eisvogel nämlich, als Nachfolger von Heinz Fromm derzeit im Gespräch, kann dieser Beamte an die Spitze rücken, der ja selbst als Vizepräsident schon zuständig war für zum Beispiel den Komplex Zwickauer Terrorzelle?

    Friedrich: Der Präsident bis zum 31. Juli heißt Heinz Fromm. Dann wird er in den Ruhestand gehen und dann werden wir ganz in Ruhe über Reformen oder über Veränderungen beim Verfassungsschutz reden und dann werden wir auch über Personal reden. Das ist heute noch alles viel zu früh.

    Barenberg: Sie haben die parlamentarische Kontrolle angesprochen. Ich hatte schon erwähnt, elf Abgeordnete sitzen in diesem Gremium. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Möglichkeiten wiederum der Kontrolle, der Überprüfung durch die Parlamentarier zu verbessern, zu stärken?

    Friedrich: Ja das werden wir auch mit den Parlamentariern natürlich besprechen, welche Möglichkeiten es gibt. Es gibt da verschiedene Vorschläge, auch das Gremium personell, was die Zahl der Köpfe angeht, aufzurüsten, oder mehr Mitarbeiter einzustellen. Aber ich denke, das muss man ganz in Ruhe auch mit den Parlamentariern besprechen. Eins ist jedenfalls klar: In einer Demokratie muss es eine Kontrolle von Nachrichtendiensten durch die gewählten Abgeordneten geben und das muss sichergestellt werden.

    Barenberg: Und das ist im Moment auch nicht gewährleistet?

    Friedrich: Das sehe ich nicht so. Ich denke, dass das Parlamentarische Kontrollgremium informiert worden ist über alle Vorgänge, die relevant waren, und diese Aktenvernichtung ist wie gesagt eine Tatsache, die vertrauenserschütternd war, und deswegen sind alle kritischen Fragen, die die Abgeordneten jetzt stellen, auch gerechtfertigt.

    Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Friedrich: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.