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Vergeigt?

Deutschland gilt als Musiknation - einzigartig im globalen Vergleich - geprägt von den drei großen Bs der Musikgeschichte: Bach, Beethoven und Brahms. Im heutigen Musikleben allerdings spielen deutsche Musiker kaum eine Rolle. Nicht nur bei Leichtathletikmeisterschaften, auch in Musikwettbewerben laufen sie der Konkurrenz aus Osteuropa und Südostasien hinterher.

Von Stefan Braunshausen | 21.10.2005
    Wie zuletzt beim Internationalen Tomassoni Klavierwettbewerb in Köln: Hier kamen die ersten Preisträger aus Korea und Japan. Der Pianist Pierre-Laurent Aimard unterrichtet an der Kölner Musikhochschule. Wie sieht er die Situation in Deutschland?

    " Es gibt keine Basis, kein System. Ich glaube die deutschen Pianisten, die ich hier in meiner Klasse habe, waren immer die Schlimmsten und das ist eine Überraschung, wenn man denkt, Deutschland, große musikalische Kultur und meistens peinliche technische Fähigkeiten."

    Eine Bankrotterklärung für das Musikland Deutschland?! Nicht ganz: Der erste Preisträger vom Tomassoni-Wettbewerb studiert in Nürnberg. Immer noch gilt ein hierzulande absolviertes Studium weltweit als Gütesiegel. Aber wo bleibt der eigene Nachwuchs? An der Kölner Musikhochschule gibt es in verschiedenen Instrumentalklassen keinen deutschen Studenten. Deutschland also ein Land musikalischer Analphabeten? Die Situation an allgemeinbildenden Schulen zumindest verstärkt diesen Eindruck: Es wird kaum noch gesungen - kein Fach fällt so oft aus wie der Musikunterricht. Oft konkurriert die Musik mit der Kunst; die Schüler müssen wählen zwischen Blindheit und Taubheit. Schlimmer ist es aber für musikalisch Hochbegabte. Sie erhalten kaum Unterstützung auf ihrem meist unorthodoxen Lebensweg.

    " Ich denke, dass die Musikausbildung in Deutschland zu spät professionalisiert betrieben wird. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmeerscheinungen, die eine sehr gute Ausbildung bekommen. Ich denke, man muss gerade im Musikbereich die Ausbildung sehr viel früher beginnen und dann auf professionelle Ebene stellen."

    Die Geigerin Ute Hasenauer leitet seit Anfang Oktober das Pre-College an der Kölner Musikhochschule. Pianisten und Streicher im Alter zwischen zehn und 16 Jahren werden hier unterrichtet. Einer der Professoren ist Pierre-Laurent Aimard, Lehrer des 15-jährigen Pianisten Fabian Müller. Fabian Müller ist einer von 15 Jungmusikern, die am Pre-College in Köln gefördert werden. Warum sind Schüler und Lehrer gleichermaßen begeistert von dem Ausbildungszentrum? Müller:

    "Weil ich damit die Möglichkeit habe, mich auszubilden in Gehörbildung, in all solchen Sachen, das muss man später ja eh machen, wenn man es studieren will, und insofern ist es ganz schön, wenn man es auch vorher etwas macht. "

    Hasenauer:
    " Das Pre-College bietet für mich die Möglichkeit, dass ich versuchen kann, die Kinder weitgehend individuell in ihren Fähigkeiten zu fördern, Schwächen zu kompensieren, ihnen Informationen zu geben, sie zusammenzubringen, so dass sie eine gemeinsame Plattform haben und aus der Isolation des einzelstehenden Hochbegabten hinausgeführt werden können."

    Durch die individuelle Förderung will man das Niveau des deutschen Nachwuchses verbessern und so an die musikalische Weltspitze aufschließen. Gerade im Bereich der Musik geht es nicht ohne diese Eliteförderung, denn gerade Musikhochschulen sind mit ihren strengen Aufnahmeprüfungen Eliteanstalten - allzu oft aber für ausländische Talente. Hierzulande werden junge Musiker immer noch zu spät professionell gefördert.

    " Das Problem das wir haben ist ein gesellschaftliches Problem, dass man Sorge hat, dem Kind die Kindheit zu rauben, dass man es vom Spielen abhält, dass man dadurch professionalisierte Ausbildung ablehnt.

    Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass Hochbegabte am meisten interessiert sind an ihren speziellen Gebieten und da kann man gar nicht schnell genug hinterher füttern um sie zu befriedigen."

    Durch Initiativen wie das Kölner Pre-College kann auch der deutsche Nachwuchs wieder fit gemacht werden für die eigenen Musikhochschulen - und damit für die internationale Konkurrenz auf dem globalen Musikmarkt.