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Vergessene Schätze

Saurier in Kisten, unbeschriftete Knochenfragmente, zersplitterte Vitrinen: Vergessene Schätze sind an deutschen Unis kein Einzelfall. Häufig sind die Sammlungen in keinem guten Zustand. Das will das Bundesministerium für Bildung und Forschung künftig ändern.

Von Ulrike Mix | 13.12.2012
    Philipe Havlik, der Kustos der Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen, steht vor einer Vitrine. Darin: ein Fossil. Ein schwärzliches Gebilde, das aussieht wie eine große, platt gedrückte Schildkröte.

    "Heißt nicht umsonst Henodus chelyops, also der schildkrötenähnliche Einzahnsaurier. Naja und dieses Stück ist unser Archaeopteryx, das sind die Kronjuwelen der Tübinger Sammlung. Von diesem Tier sind bisher acht Exemplare bekannt und alle acht befinden sich bei uns. Die ganzen Stücke wurden aber nicht nur in Tübingen ausgestellt, sondern auch alle acht noch in Tübingen gefunden. Das heißt, das ist wirklich was absolut einmaliges, was man sich nur hier anschauen kann."

    Noch vor kurzem wussten nur Fachleute, was für ein Schatz die seltsame Schildkröte ist. Denn der Saurier befand sich unbeschriftet und schlecht beleuchtet irgendwo in der recht runter gekommenen paläontologischen Sammlung.

    "Es wurde mal irgendwann was gestohlen, weil es nicht vernünftig gesichert wurde. Dann hat man gesagt: Jetzt sperren wir es ab. So. Und so blieb es dann zehn Jahre. Teile wurden als Lager missbraucht. Grade dieser Saal hier, ein Riesenraum, wurde zur Hälfte einfach abgeschnürt und mit Kisten zugestellt. Vitrinen waren teilweise kaputt seit zehn bis fünfzehn Jahren. Wurde einfach nichts gemacht. Die Scherben lagen noch in der Vitrine."

    Vor drei Jahren fand sich ein Drittmittelgeber und auch die Uni nahm Geld in die Hand. Jetzt ist die Paläntologische Sammlung ein Paradestück – und unter der Woche für Besucher geöffnet.

    Philipe Havlik sichtet die Magazine im Keller. Dort lagern geschätzt ein bis zwei Millionen Stücke. Jeden Monat macht er eine für die Fachwelt aufsehenerregende Entdeckung und inventarisiert sie.

    Vergessene Schätze sind an deutschen Unis kein Einzelfall: Der Wissenschaftsrat hat 2011 festgestellt, dass viele Universitätssammlungen in einem bedauernswerten Zustand sind, manche gar weggeworfen wurden. Deshalb hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung vor einigen Monaten eine Koordinierungsstelle geschaffen, die dem entgegen wirken soll. Man habe die Sammlungen registriert, sagt die Leiterin Dr. Cornelia Weber von der Berliner Humboldt-Universität. Jetzt versuche man, Hilfestellung zu geben beim Wiederentdecken der eigenen Schätze.

    "Also zum Beispiel haben wir jetzt vor kurzem einen kleinen Workshop in Berlin gemacht und haben uns mal Gedanken gemacht über die Evaluierung oder Selbstevaluierung von Sammlungen. Warum ist unsere Sammlung zum Beispiel wichtig? Warum muss sie erhalten bleiben?"

    Oder eben auch nicht. Fragen, die oft schwer zu beantworten sind. Mit federführend bei der Wiederbelebung von Sammlungen ist die Universität Tübingen. Dort wurden schon vor sechs Jahren erste Schritte unternommen: Man gründete ein Universitätsmuseum, begann, Sammlungen zu erfassen und zu retten.

    Die Paläontologie ist dabei nur ein Beispiel, erzählt der Museumsleiter Professor Ernst Seidl. Ganz anders gelagert war der Fall der Psychologischen Sammlung. Einer Sammlung, die für die aktuelle Forschung wenig Bedeutung hat und eher die Geschichte des Faches dokumentiert. Dafür gab es weder Interesse noch Geld. Alles sollte auf den Müll. Doch Seidl fand eine Lösung:

    "Wir haben uns an das Studium Professionale gewandt, den career service der Universität. Das ist eine fachübergreifende, praxisorientierte Lehreinrichtung der Universität und haben ein zweisemestriges Praxisseminar entwickelt, das diese Sammlung sortiert, inventarisiert, rettet."

    Und Teile sogar noch in einer Dauerausstellung im neuen Institut sichtbar gemacht hat.

    Was vor sechs Jahren mit einer Stelle begann, ist an der Universität Tübingen inzwischen gewachsen. Heute hat Professor Seidl, einen Doktorand, mehrere wissenschaftliche Hilfskräfte und einen Volontär. Gemeinsam entwickeln sie Ausstellungskonzepte und Sonderausstellungen, in denen einzelne Institute ihre oft noch niemals öffentlich gezeigten Prunkstücke ans Licht holen. Thematische und fächerübergreifende Jahresausstellungen ergänzen das Programm. Vorbildhaft für andere Universitäten, findet Cornelia Weber:

    "Und vor allem Dingen auch die Studierenden können mitwirken. Das ist auch ein Aspekt, den ich sehe. Dass man eben auch die Studierenden in diese Arbeit wunderbar mit einbeziehen kann. Sie können sehr viel lernen eben auch später für die berufliche Praxis und das wird wirklich in Tübingen in vorbildhafter Weise gemacht."

    Im Herbst haben sich mehrere Universitäten zusammen getan und die Gesellschaft für Universitätssammlungen gegründet. Beteiligt sind unter anderem die Humboldt-Universität in Berlin und die Universitäten von Göttingen, Erlangen und Tübingen. Ihr Ziel ist es, das Interesse der Öffentlichkeit an den Schätzen der deutschen Universitäten zu steigern, Drittmittel einzuwerben und die Politik für das Thema zu begeistern.