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Vergessenes Kapitel Kolonialgeschichte

Helmut Strizek schildert ein weithin unbekanntes Kapitel der kolonialen Vorgeschichte des Völkermords in Ruanda. In "Geschenkte Kolonien. Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft" erläurtert er, welche Verantwortung deutsche Kolonialherren auf sich geladen haben. Günter Beyer hat das Buch gelesen.

28.08.2006
    "Interahamwe! Tun Sie, was die wollen. Fahren Sie rechts ran!"

    "Nein, nein, bleiben Sie sitzen! Sitzen bleiben! Immer lächeln! Nur nicht auffallen, Dube!"

    "Ein Paar von denen sind meine Nachbarn. Die wissen, ich bin Tutsi."

    "Lächeln Sie einfach! Tun Sie so, als ob Sie Freunde wären!"

    "Ich kenn den Mann. Wir wissen, dass du ein Tutsi bist."

    "Hutu! Hutu!"

    "Kakerlake!"

    "Bloß weg hier!""

    Eine Szene aus dem Spielfilm "Hotel Ruanda" des britischen Regisseurs Terry George. Es hat lange gedauert, bis der Rest der Welt das wahre Ausmaß des Grauens wahrgenommen hat, das sich 1994 in dem zentralafrikanischen Staat Ruanda zugetragen hat. 800.000 Tutsi und oppositionelle Hutu fallen dem Bürgerkrieg zum Opfer - ein gewaltiger Blutzoll bei einer Bevölkerung von knapp acht Millionen. Die Spannungen zwischen den Völkern der Hutu und der Tutsi reichen weit zurück. In Ruanda, das wie sein Nachbarland Burundi bis zur Unabhängigkeit 1962 belgische Kolonie war, schürten die Kolonialherren gezielt die ethnischen Gegensätze. Nur: Vor den Belgiern hatten die Deutschen das Sagen. Das ist wenig bekannt. Der Berliner Politologe Helmut Strizek, der in den 80er Jahren selber in Ruanda gelebt hat, bringt in seinem Buch "Geschenkte Kolonien" Licht in dieses Dunkel:

    Strizek: ""Deutschland hatte begonnen, sich mit dem Gebiet zu befassen, weil Carl Peters und eine weitere Gruppe von Kolonialpolitikern sich ähnlich, wie das im belgischen Kongo gewesen ist, Gebiete hat überschreiben lassen von Stammeshäuptlingen."

    Besiegelt wurde die Landnahme von der internationalen Berliner Afrika-Konferenz 1884/85. Unter Vorsitz von Reichskanzler Bismarck steckten die europäischen Kolonialmächte ihre Einflusssphären ab, verbrämt durch hehre Absichtserklärungen, die Afrikaner vom arabischen Sklavenhandel zu erlösen und ihnen die Zivilisation zu bringen. In Ostafrika reklamierten die Deutschen ein riesiges Gebiet vom Indischen Ozean bis zu den Großen Seen. Deutsch-Ostafrika entspricht im wesentlichen dem heutigen Tansania. Aufgrund mangelhafter Landkarten jedoch wurden zwischen Victoria-, Kivu- und Tanganjika-See die Territorien der traditionellen Königreiche Ruanda und Urundi, wie Burundi damals hieß, ebenfalls den Deutschen zugeschlagen.

    "Aber niemand kannte dieses Gebiet der Königreiche Ruanda und Urundi, und deshalb nenne ich es 'Geschenkte Kolonien', weil gar niemand wusste, was in deutsches Einflussgebiet geriet. Aber 'geschenkt' natürlich nicht von Afrikanern, sondern es war ein Geschenk unter Eindringlingen."

    Erst zehn Jahre nach der Afrika-Konferenz, also Mitte der 1890er Jahre, machten sich deutsche Militärs und Forscher mit vielhundertköpfigen Karawanen auf den langen Weg in den unbekannten Westen der Kolonie. Im dicht besiedelten, fruchtbaren Ruanda und Burundi stieß man auf zwei straff organisierte Königreiche.

    "Es sind zwei Bergländer, deren Berglage ihnen auch erlaubt hat, sich zu verteidigen und sich von Außeneinflüssen freizuhalten. Das gilt insbesondere für Ruanda, wo die Sklavenhändler praktisch überhaupt nicht hingekommen sind."

    Die mitgeführten Maschinengewehre ließen dem König von Ruanda keine Wahl, so dass er schließlich 1898 sein Reich unter deutsche Oberhoheit stellte. Davon versprach er sich auch Waffenbrüderschaft gegen aufmüpfige Provinzen im Norden Ruandas. Die Macht des Königs stützte sich auf eine unumschränkt herrschende aristokratische Schicht, die große Rinderherden besaß.

    "Die einen nannten sich Tutsi und waren die Herdenbesitzer, und die anderen nannten sich Hutu und waren die Ackerbauern. Und man hat sofort festgestellt, dass es dort große Gegensätze zwischen denen gab."

    Nach dem Prinzip der "indirekten Herrschaft" zementierten die Deutschen die Tutsi-Aristokratie.

    "Das deutsche Kaiserreich war ja auch daran gewöhnt, dass eine Adelsgruppe die entscheidende Herrschaft ausübte. Insofern hat man das nicht als besonders schlimm empfunden, dass eben eine Militärstruktur dort herrscht. Man hat große Sympathie immer gehabt für die 'schönen Menschen'. Dieser Terminus kommt immer wieder."

    Auch Forschungsreisende und nicht zuletzt Missionare bevorzugten die hellhäutigeren Tutsi. Sie seien im 15. Jahrhundert aus Äthiopien zugewandert, wurde behauptet. Sie seien also eigentlich gar keine negriden Afrikaner wie die Hutu, sondern Nachfahren des biblischen Volkes der Hamiten, redeten die Missionare des französischen Ordens der "Weißen Väter" den Adligen ein, und die waren mit dieser Charakterisierung sehr einverstanden. Während der belgischen Herrschaft über Ruanda und Burundi nach 1916 wurde diese so genannte Hamiten-Theorie geradezu Staatsdoktrin. Sie war eine der Ursachen für den jahrzehntelang aufgestauten Hass der Hutu. Die kaiserliche Kolonisierung der beiden Königreiche hatte neben geopolitischen auch wirtschaftliche Motive. Im östlichen Landesteil Deutsch-Ostafrikas wollten teutonische Siedler Baumwoll- und Sisal-Plantagen anlegen. Solche Pläne gab es für Ruanda und Burundi, dem "Land der 1000 Hügel", nicht.

    "Ich denke, es gab eine gewisse Überlegung von den Pflanzern oder von den Plantagenbesitzern in Deutsch-Ostafrika, also im heutigen Tansania, dass man gedacht hat, von dort aus könne man mittelfristig Arbeitskräfte abziehen, weil es so stark bevölkert war, im Gegensatz eben zu den anderen Gebieten, den flachen Steppengebieten, wo man immer ein Problem hatte, als man die Baumwolle einführte, die Arbeitskräfte zu rekrutieren oder teilweise auch als Zwangsarbeitskräfte anzustellen."

    Während in Urundi, dem heutigen Burundi, das Verhältnis zwischen deutschen Kolonialherren und Königshaus immer frostig blieb, hielt in Ruanda das Zweckbündnis zwischen dem Monarchen und Tutsi-Adel auf der einen und der Kolonialmacht auf der anderen Seite bis zum Ende der deutschen Ära 1916. Kaiserliche Offiziere und Soldaten, angeworbene schwarze Askari-Söldner und eine Tutsi-Streitmacht unternahmen sogar gemeinsame Militäraktionen gegen Feinde des Königs.

    "Und vor allem eine ganz furchtbare Strafaktion 1912 hat dazu geführt, dass der Hutu-Widerstand, der alte, traditionelle Widerstand gegen den Königshof, faktisch im Norden gebrochen wurde und erst seit dieser Zeit das Tutsi-Königtum auch den Norden völlig beherrschte."

    Mit den Massakern an der Zivilbevölkerung, die deutsche Schutztruppen bei der Niederschlagung der Revolte der Herero und Nama in Namibia anrichteten, möchte Helmut Strizek die Militäreinsätze in den "geschenkten Kolonien" jedoch nicht vergleichen.

    "Es ist etwas anderes. Es hat sich formal nicht gegen die Deutschen gerichtet. Es waren Gruppen, die sich gegen den König erhoben hatten, und die sozusagen mit dem König zusammen, mit der königlichen Armee, niedergeschlagen worden sind."

    Freilich lässt sich nicht leugnen: Während ihres kurzen Regimes haben die Deutschen ihren Teil dazu beigetragen, die Herrschaft des Tutsi-Adels über die Masse der Hutu-Bauern zu stabilisieren.

    Helmut Strizeks gut lesbare, übersichtliche Darstellung der kolonialen Vorgeschichte des Völkermords in Ruanda schließt eine Informationslücke hierzulande. Wegschauen, relativieren, die koloniale Mitverantwortung ausschließlich auf die Belgier abschieben - das können sich gerade die Ururenkel der kaiserlichen Soldaten nicht erlauben.

    Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien. Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft.
    Ch. Links Verlag, Berlin 2006
    224 Seiten
    19,90 Euro