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Verhaftung von Slobodan Milosevic

    Remme: Es waren wieder einmal dramatische Stunden an diesem Wochenende in Belgrad. Im Mittelpunkt Slobodan Milosevic, der Ex-Präsident, der langjährige Drahtzieher auf dem Balkan. Ins Ausland konnte er sich schon lange nicht mehr trauen. Auch die politische Macht musste er schon vor Monaten abgeben. Nach seiner Verhaftung am frühen Sonntag Morgen sitzt er jetzt im Untersuchungsgefängnis. Ihm droht ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs und Korruption. Doch das reicht einem Großteil der internationalen Gemeinschaft nicht. Viele Staaten wollen ihn in Den Haag sehen vor dem Kriegsverbrechertribunal. Am Telefon ist nun Michael Steiner, außenpolitischer Koordinator im Bundeskanzleramt. Guten Morgen Herr Steiner.

    Steiner: Guten Morgen Herr Remme.

    Remme: Herr Steiner, ohne die Drohung der USA, finanzielle Hilfe zu verweigern, wäre Milosevic sicherlich noch auf freiem Fuß. Zeugt das nicht von einer gewissen Halbherzigkeit, mit der man den Fall Milosevic in Belgrad verfolgt?

    Steiner: Ich glaube nicht, dass man das so sehen kann. Der serbische Premierminister war ja vor kurzem in Berlin. Dort hat er genau dieselbe Nachricht erhalten. Ich glaube, das ist auch verstanden worden. Wir haben jetzt immerhin einen wichtigen und richtigen Schritt und es ist gut, dass der als Kriegsverbrecher gesuchte Milosevic jetzt hinter Gittern ist.

    Remme: Ist es trotzdem richtig, dass sich Jugoslawien in erster Linie der Drohung der USA gebeugt hat, finanzielle Hilfen zu verweigern?

    Steiner: Das glaube ich deswegen nicht, weil die Botschaften, die nach Jugoslawien gegangen sind, auch von der Europäischen Union genau in dieselbe Richtung gingen und es war seit Monaten klar, dass man zunächst der Demokratisierung eine Chance geben wollte, aber gesagt hat, nun ist es auch gut, nun muss auch der nächste Schritt folgen.

    Remme: Hat die Bundesregierung ihre wirtschaftliche Hilfe für Jugoslawien eigentlich an dieselben Bedingungen geknüpft?

    Steiner: Ich glaube es geht darum, dass die serbische Seite die jugoslawische Seite verstanden hat, dass die Europäische Union sich nur dann in dem gleichen Maße voll engagieren kann, wie man sich das erhofft, wenn auch dort die Verpflichtungen erfüllt werden. Ich muss ja sagen, dass es nicht nur um etwas geht, was wir von der serbischen Seite wünschen, sondern dass es um etwas geht, was im Interesse der Serben, aber auch der Menschen in der Region liegt.

    Remme: Hat denn Belgrad nun diese Auflagen für weitere wirtschaftliche Hilfen erfüllt?

    Steiner: Ich glaube das entscheidende ist, dass wir einen ersten Schritt haben in die richtige Richtung. Letztlich geht es ja - und das weiß ja Jedermann, das weiß man auch in Serbien - um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es geht um Kriegsverbrechen im Kosovo, und zu Bosnien ist die Anklage ja noch gar nicht eröffnet. Das heißt, dass letztlich natürlich der Weg nach Den Haag führen muss. Wenn ich das nur sagen darf. Die Angelegenheit hat ja nun drei Dimensionen: eine rechtliche, eine politische und eine menschliche. Rechtlich ist es einfach so, dass es um völkerrechtliche Verpflichtungen geht, die Anordnungen des Gerichtshofes zu befolgen. Politisch geht es darum, dass wir an die Gleichbehandlung denken müssen. Wir können nicht von Bosnien und Kroatien mehr verlangen als von den Serben, ausgerechnet im Fall der hauptverursachenden Figur, nämlich Milosevic. Menschlich darf man auch nicht vergessen, dass die Kriege im ehemaligen Jugoslawien 200.000 Tote gefordert haben. Wie sollen wir denn den Opfern eigentlich erklären, dass die Politiker und die verbindlichen Sicherheitsratsresolutionen nichts mehr Wert sein sollten.

    Remme: Herr Steiner, noch einmal die Frage: Ist der Fall Milosevic auch nach dieser Verhaftung noch ein Hindernis für Wirtschaftshilfen?

    Steiner: Ich glaube man muss das in einem Prozess sehen. Wenn der Weg dahin führt, wohin er führen muss, nämlich nach Den Haag, dann ist Serbien meiner Meinung nach auf dem richtigen Weg. Dann können wir auch weitere Zusammenarbeit eröffnen. Darum geht es. Dass man hier noch etwas Zeit braucht, das hat ja auch Carla del Ponte klar gemacht, dass man vielleicht eine gesetzliche Grundlage dafür braucht. Es kann aber nicht so sein, dass man hier jetzt stehen bleibt. Wenn das von serbischer Seite sich sozusagen als Position verfestigen sollte, dann würde die Zusammenarbeit in ihrem vollen Umfang schwierig. Deswegen müssen wir das ganze als einen Weg sehen, der in die Richtung führt, nämlich in die Richtung der Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen.

    Remme: Was versprechen Sie sich von dem Prozess, der ihm nun in Belgrad gemacht werden soll?

    Steiner: Ich glaube durchaus, dass es richtig ist, dass diese Festnahme in Jugoslawien auch zu einem Erkennen der serbischen Seite einer größeren Verantwortung gegenüber der ganzen Region führen wird. Es ist doch sehr bemerkenswert, dass im Unterschied zu denjenigen, die ursprünglich damit gerechnet haben, dass es hier zu einer Art Volksaufstand kommen würde, wenn Milosevic festgenommen würde, nicht Recht hatten, sondern dass diese Verhaftung doch am Ende relativ glatt ging. Das zeigt auch, dass man in Serbien weiß, dass dieser Mann hinter Gitter gehört.

    Remme: In Sachen Den Haag wurde in den vergangenen Tagen eine dritte Möglichkeit ins Spiel gebracht, ein Verfahren vor dem Tribunal, das aber in Jugoslawien tagen könnte. Ist das eine Option?

    Steiner: Ich habe gestern mit Carla del Ponte gesprochen. Es ist einzig und allein Sache des Gerichtshofs, hier Verfahrensvorgaben zu geben. Er hat das Recht, Anordnungen zu treffen, und die Staaten haben die Pflicht, diese Anordnungen zu erfüllen. Genau darum geht es. Ich glaube nicht, dass wir als Staatengemeinschaft von dritter Seite nun dem Gerichtshof hier irgendwelche Vorgaben geben sollen. Der Gerichtshof ist befugt, Anordnungen zu erlassen, und die Staaten haben die Pflicht, diese zu erfüllen. Darum geht es. In welcher Form der Gerichtshof dies tut, ist einzig und alleine seine Sache.

    Remme: Das heißt es steht ihm frei, auch nach Jugoslawien zu kommen?

    Steiner: Nein, ganz und gar nicht. Der Gerichtshof hat Anordnungen zu treffen und hat sie auch getroffen und will eine Überstellung nach Den Haag. Dann ist dem Folge zu leisten. Wenn der Gerichtshof etwas anderes anordnen sollte, dann wäre dem auch Folge zu leisten. Das entscheidende ist: der Gerichtshof ist völkerrechtlich mit dem Recht ausgestattet, von den Staaten bestimmte Maßnahmen zu verlangen, und diese haben sie zu erfüllen.

    Remme: Herr Steiner, es gibt Stimmen, die argumentieren, ein Prozess in Milosevics Heimatland würde die Aufarbeitung der Ära weitaus stärker fördern als ein Verfahren in Den Haag. Für wie stark halten Sie das Argument?

    Steiner: Ich glaube das entscheidende ist - das habe ich bereits versucht darzulegen -, dass es hier Rechtspflichten gibt, die gerade im schwersten Fall bei der Hauptursache desjenigen, der zu diesem Konflikt geführt hat, nun peinlich genau eingehalten werden müssen. Das ist das entscheidende. Ich bin auch ganz sicher, wenn man die Reaktionen in Serbien auf die Festnahme sieht, dass man das auch in Serbien in weiten Teilen der Bevölkerung bereits verstanden hat und im übrigen auch immer mehr verstehen wird. Das ist der entscheidende Punkt. Es ist richtig, dass die Festnahme an sich schon ein richtiger und weiterführender Schritt ist, aber ich glaube es geht letztlich darum, auch im Interesse derjenigen, die aus der Region genau verfolgen, was hier geschieht, darum, dass die Verpflichtungen genauso zu erfüllen sind wie sie ja von Kroatien und von Bosnien zu erfüllen waren. Wie können wir von den Staaten, die letztlich angegriffen worden sind, zunächst das Opfer von Milosevic waren, ein gesetzestreueres Verhalten erwarten, wenn wir dasselbe nicht erwarten können von Belgrad.

    Remme: Vielen Dank! - Das war Michael Steiner, der außenpolitische Koordinator im Bundeskanzleramt.

    Link: Interview als RealAudio