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Verhandlung zum NPD-Verbot
Karlsruhe unter Erfolgsdruck

Drei Tage lang prüft das Bundesverfassungsgericht ab heute, ob die NPD nach den Maßgaben des Grundgesetzes verfassungswidrig ist. Der Erfolgsdruck ist hoch. Schließlich war ein erster Verbotsanlauf im Jahr 2003 in einem Fiasko geendet, weil bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz bis in die Parteispitze hinein Informanten hatte.

Von Gudula Geuther, Silke Hasselmann und Claudia van Laak | 29.02.2016
    Eine Fahne mit der Aufschrift "NPD Verbot jetzt!" ist auf einer Demonstration in Cottbus zu sehen.
    NPD-Aufmarsch im hessischen Friedberg. (pa/dpa/Roessler)
    Jamel ist eine winzige Sackgassensiedlung in Ostseenähe - zwischen Wismar und Grevesmühlen. Es ist berühmt-berüchtigt als Nazi-Dorf, denn dort stehen Wegweiser unter anderem nach Braunau, Adolf Hitlers Geburtsstadt. Auf einer Garagenwand zwischen zwei völkisch anmutenden Malereien prangt: "Dorfgemeinschaft Jamel - frei, sozial, national". Dass hier überwiegend Neonazis und einige bekennende NPD-Mitglieder leben würden, konnten Birgit Lohmeyer und ihr Mann nicht ahnen, als sie vor zwölf Jahren hierher zogen.
    "Herr Krüger - so heißt der berüchtigte Rechtsextreme in diesem Dorf - hatte sich zwar ruhig verhalten in den Vorjahren, bevor wir herzogen, hatte aber eine Parteikarriere in der NPD angestrebt. Und das Dorf nach seinem Sinne umgestaltet. Er begann, Häuser aufzukaufen von Menschen, die entweder wegziehen wollten, oder es standen einige Gebäude schon lange leer. Die hat er gekauft und hat dort seine Gesinnungsgenossen einziehen lassen. Insofern - das hat uns wirklich überrollt."
    Die "Strategie der nationalen Dörfer" und der "Graswurzelarbeit" wurde Ende der 90er-Jahre vom heutigen NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, entwickelt. Diese Strategie ist in einigen Gegenden im dünn besiedelten, ländlich geprägten Mecklenburg-Vorpommern aufgegangen. Auch in der zehn Kilometer von Jamel entfernten Kleinstadt Grevesmühlen gebe es inzwischen NPD-Stammwähler, sagt der parteilose Stadtrat Lars Prahler.
    "Bei der letzten Kommunalwahl hat der Vertreter der NPD, der sich zur Wahl gestellt hat, drei Prozent bekommen und ist in die Stadtvertretung eingezogen. Damit findet er Gehör in diesem Gremium, was ich persönlich sehr bedauere. Aber es sind eben nur drei Prozent, offensichtlich sind es 97 Prozent, die sie noch nicht erreicht haben und womöglich nie erreichen werden."
    Doch bei den beiden letzten Landtagswahlen stimmten in Grevesmühlen drei Mal so viele Wähler für die NPD. Landesweit erreichte die rechtsextreme Partei 7,3 bzw. 6 Prozent der Stimmen. Und so sitzen die Nationaldemokraten seit fast zehn Jahren im Schweriner Schloss - ausgestattet mit allen politischen und finanziellen Privilegien einer Landtagsfraktion. Auch deshalb initiierte das Land Mecklenburg-Vorpommern den zweiten Anlauf zu einem NPD-Verbot. Morgen beginnt am Bundesverfassungsgericht eine dreitägige Verhandlung darüber.
    Dann wollen die Bundesrichter womöglich auch genauer wissen, inwiefern das braune Dorf Jamel oder das "Thinghaus" in Grevesmühlen die Verfassungswidrigkeit der NPD belegen. Ort und Nazitreff sind ausdrücklich in dem überwiegend aus Mecklenburg-Vorpommern stammenden Beweismaterial erwähnt. Das "Thinghaus" in Grevesmühlen ist berüchtigt. Es entstand vor sechs Jahren, nachdem das Abrissunternehmen des bereits erwähnten Sven Krüger einem Betonwerk eine Teilfläche abgekauft hatte. Die Stadt konnte den Grundstücksdeal nicht verhindern, erklärt der Bauamtsleiter Lars Prahler. Denn die Prüfung des Vorkaufsrechtes ergab:
    "… dass ein Unternehmen in einem Industriegebiet an ein anderes Unternehmen veräußert hat, und dieses andere Unternehmen beschäftigt sich mit Abbruch. Insofern hatten wir keine konkrete Handhabe davon auszugehen, dass dieser Kaufvertrag dazu führt, dass rechtsradikale Machenschaften zukünftig dort stattfinden werden."
    Tatsächlich darf der Staat nicht in Eigentumsgeschäfte eingreifen, nur weil die Beteiligten unliebsamer Gesinnung sind. Anders wäre es, stünden verbotenen Parteien oder Organisationen dahinter. Doch die rechtsextreme NPD ist bislang nicht verboten, und so betreibt Landesverbandschef Stefan Köster in dem mit Stacheldraht und blickdichtem Bretterzaun gesicherten "Thinghaus" sein steuerfinanziertes Wahlkreisbüro. Am Eingang zum Gelände weht eine riesige Reichsflagge. Am Hausgiebel steht: "Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land" – alles vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, wie Gerichte entschieden haben. Was die NPD angeht, so meint Köster:
    "Wir sind die Partei für das eigene Volk."
    Der 42-Jährige glaubt, dass seine Partei und auch er persönlich im September diesen Jahres zum dritten Mal in den Schweriner Landtag gewählt werden. Trotz der Konkurrenz durch die rechtspopulistische AfD mit vorhergesagten 16 Prozent liegt die NPD in der jüngsten Umfrage bei vier Prozent – also nur knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde.
    Laut Köster kämpfe nur die NPD konsequent dafür, ganz im Sinne des Grundgesetzes Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Gemeint sind die "Fremdbestimmung durch EU-Regeln und des großen Bruders USA" sowie vor allem "die Asylantenflut". Bei der Verhandlung in Karlsruhe werde er als Vizevorsitzender seiner Bundespartei "entspannt" – wie er sagt - anwesend sein.
    Hoffen auf ein Ende der staatlichen Mitfinanzierung
    "Es ist immer behauptet worden, dass wir gegen das Grundgesetz wären, dass wir andere bedrohen usw. usf. Aber ich bin mir 100-Prozentig sicher, dass die Antragsteller dieses im Verfahren nicht belegen werden können. Und wenn man sich die gesamte Beweisliste mal wirklich inhaltlich vornimmt, dann wird man feststellen, dass da sehr viele Sachverhalte drinstehen, wo eigentlich klar und deutlich wird, dass die NPD hier in Mecklenburg-Vorpommern ihrem Auftrag nach Artikel 21 des Grundgesetzes nachkommt."
    Das sieht Lorenz Caffier anders. Der seit 2006 amtierende Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern hat das zweite NPD-Verbotsverfahren maßgeblich in Gang gesetzt. Man wäre nach einem Verbot nicht das teils menschenverachtende Gedankengut los, sagt der CDU-Politiker, doch zumindest müsste der Staat keine NPD-Aufmärsche mehr schützen. Zudem würden der NPD und ihrem rechtsextremistisches Umfeld, das der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern auf 1.400 Personen schätzt, die staatlichen Finanzquellen gekappt.
    Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU)
    Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU) (picture alliance / ZB - Jens Büttner)
    Der Schweriner Innenminister überzeugte den Bundesrat davon, einen zweiten Verbotsantrag zu wagen. Im Jahr 2003 war der erste Anlauf schon im Ansatz gescheitert, weil der Staat über seine V-Leute "zur Meinungsbildung innerhalb der NPD" beigetragen habe, urteilte damals Karlsruhe. Diese V-Leute sind laut Caffier inzwischen abgeschaltet, so dass das Bundesverfassungsgericht endlich eine Grundsatzentscheidung in der Sache treffen könne.
    "Ich finde es ganz wichtig, dass wir eine Grundsatzentscheidung brauchen. Es ist dem Bürger kaum vermittelbar, dass wir viele Steuergelder auch an die NPD zahlen, aber alle Demokraten sich einig sind, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist."
    Doch verfassungsfeindlich zu sein, reicht nicht für ein Verbot. Vor Gericht muss der Partei nachgewiesen werden, dass sie auch verfassungswidrig agiert. Was, wenn das politisch motivierte Wollen verfassungsrechtlich nicht reicht? Innenminister Lorenz Caffier:
    "Der Prozess wird ja nicht von Politikern geführt, sondern von Prozessbevollmächtigten, die entsprechend natürlich sehr wohl abwägen, was Sinn macht und was keinen Sinn macht. Und deswegen bin ich mit meinen Länderkollegen guten Mutes, dass wir auf dem richtigen Weg sind."
    Einer dieser Prozessbevollmächtigten ist der Berliner Staatsrechtsprofessor Christoph Möllers. Was genau muss er belegen in Karlsruhe? Wie alle anderen kann er da nur Vermutungen anstellen:
    "Wir haben immer gesagt: Wir halten die NPD für aggressiv-kämpferisch und deswegen für verfassungswidrig. Aber darüber hinausgehend sehen wir in bestimmten Bereichen – und wir haben das mit einem Gutachten versucht zu untermauern in Mecklenburg-Vorpommern -, dass tatsächlich so etwas wie demokratisches Leben, wenn die NPD erst einmal eine bestimmte Größe hat, schwer möglich ist. Weil die Leute einfach Angst haben vor ihr."
    Der Staatsrechtler Christoph Möllers
    Der Staatsrechtler Christoph Möllers (picture-alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Ein bloßes Zusatzargument soll das aber sein. Der Bundesrat glaubt, eine Wesensnähe der NPD zur NSDAP belegen zu können. An sich, so glauben die rechtlichen Vertreter des Bundesrates, soll das "aggressiv-kämpferische" genügen. Das Schlagwort stammt nicht aus dem Grundgesetz. Es stammt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Zwei Mal hat es bisher Parteien verboten: 1953 die selbsterklärte NSDAP-Nachfolgepartei, die Sozialistische Reichspartei. Und 1956 die KPD.
    "Im Namen des Volkes! Erstens: Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig. Zweitens: Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst."
    Gerichtspräsident Josef Wintrich verkündete am 17. August 1956 das Ergebnis eines fünfjährigen Verfahrens. Schon das zeigt, wie sehr die Richter damals um Maßstäbe rangen. Das Grundgesetz selbst gibt dafür wenig her. In Artikel 21 Absatz 2 heißt es:
    "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
    Aus dem "darauf ausgehen" machte das Bundesverfassungsgericht die "aggressiv-kämpferische Grundhaltung". Die allerdings heute kaum weiterhilft, glaubt Maximilian Alter. Der Frankfurter Jurist erforscht seit mehreren Jahren die Maßstäbe des Parteiverbots. In den 50er-Jahren, sagt er, hatte das Verfassungsgericht vieles noch nicht entwickelt, was heute zu den Grundlagen seiner Rechtsprechung gehört: Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gehört dazu. Und auch der hohe Wert der Freiheitsrechte - etwa der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit - für die Demokratie.
    "Die gesamtpolitische Lage spielt durchaus eine Rolle"
    Man kann aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf anderen Gebieten in den vergangenen Jahren auch die Tendenz erkennen, dass man versucht, über eine Gefahrenabwägung einen Ausgleich zwischen Freiheitsrechten und Sicherheitsinteressen zu schaffen. Und insofern wird das Bundesverfassungsgericht auf jeden Fall auf dieses Merkmal der Gefährlichkeit eingehen müssen. Gefährlichkeit – bedeutet das, die NPD muss nahe an der Machtübernahme sein? Dann hätte das Verbotsverfahren keine Chance. Manche glauben das, auch weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hohe Hürden aufgestellt hat. Und seine Maßstäbe werden auch die Verfassungsrichter im Blick haben.
    Tatsächlich ließen die Richter am Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zum Beispiel das Verbot der türkischen Wohlfahrtspartei bestehen - gerade weil sie damals Regierungspartei und damit potenziell gefährlich war. Nur, sagt Maximilian Alter: Das ist nur einer von mehreren Begründungssträngen. In einem anderen Urteil bestätigten die Straßburger Richter das Verbot der spanisch-baskischen Batasuna ganz unabhängig von Wahlerfolgen – weil spanische Gerichte von einer Verbindung zur Terrororganisation ETA ausgehen durften. Trotzdem – Maximilian Alter glaubt, "dass man zumindest eine irgendwie substanziierte Gefahr braucht, dass eine Partei die Ziele, die sie sich vorgenommen hat und die demokratie- und menschenrechtswidrig sein sollen, auch tatsächlich verwirklichen kann. Und diese Gefahr sehe ich derzeit bei der NPD, die ja nur in einem Landtag vertreten ist, nicht."
    Der Prozessvertreter Christoph Möllers sieht das anders. Er verweist auf kleinere Entscheidungen der Straßburger Richter, die weniger bekannt seien. Dort hätten sich rassistische Parteien regelmäßig nicht auf den Schutz der Menschenrechtskonvention berufen können.
    "Rassistische Parteien – und da gibt es eine Menge Beschlüsse dazu – sind halt etwas anderes als sagen wir mal eine religiöse Partei. Sie haben von vornherein die Vermutung der Schutzwürdigkeit einer demokratischen Partei nicht für sich und deshalb legt das Gericht da einen anderen Maßstab an, der kein Verhältnismäßigkeitsmaßstab ist."
    Die rassistische Grundhaltung der NPD glauben die Antragsteller durch viele Zitate belegen zu können. Hinzu kommt eine neuere Entwicklung: Als sich die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte häuften, legte der Bundesrat auf Bitten des Gerichts mit einem weiteren Gutachten nach. Wie konkret hier eine mögliche Verbindung zur NPD sein müsste, um für das Verfahren relevant zu sein – auch das ist umstritten. Und die Richter müssten im Zweifel – wie ein Strafgericht – Belege für eine solche NPD-Beteiligung finden. Strafgerichten ist das bisher kaum gelungen. Klar allerdings ist, dass Parteiverbotsverfahren nicht im luftleeren Raum stattfinden, sagt der Verbots-Fachmann Alter:
    "Die politische Umgebung, die gesamtpolitische Lage spielt durchaus eine Rolle. Das ergibt sich allein schon daraus, dass man in den 50er-Jahren anders über solche Parteiverbote geurteilt hat – eben auch vor dem Hintergrund einer solchen Spannungslage. Es gab damals noch viele ehemalige NSDAP-Mitglieder, die in die Zivilgesellschaft integriert werden mussten. Es gab die Bedrohung von außen durch die Ostblock-Staaten. Das ist heute weggefallen. Heute gibt es andere Bedrohungen. Und je nachdem wie schwer diese wiegen und wie diese auf die Gesellschaft wirken, wird man selbstverständlich auch den Maßstab für Parteiverbote anpassen müssen."
    Er bleibt skeptisch. Die Verfassungsrichter halten ein Verbot offenbar zumindest nicht für ausgeschlossen – sonst wären sie nicht ins Hauptverfahren mit seiner mündlichen Verhandlung eingetreten, die bis Donnerstag dauert. Dort wird es zuerst um ganz andere Fragen gehen: die umfangreichen Schriftsätze der NPD selbst handelten bisher fast ausschließlich von der V-Leute-Problematik, an der ein früheres Verfahren 2003 gescheitert war.
    Das frühere Debakel ist wohl mit ein Grund, warum Bundesrat und Bundesregierung den Antrag diese Mal nicht mittragen. Nur die Bundesländer haben sich bemüht, in vielfältigen Erklärungen und Dokumenten zu belegen, dass ihre Anträge frei von V-Mann-Zitaten sind – und dass keine V-Leute unter den Führungskadern in Bund und Ländern sitzen. Peter Richter, der smarte und redegewandte NPD-Anwalt, hat für die Verhandlung den einen oder anderen "Knaller" angekündigt – was immer das heißen mag. In der Sache – zur Frage, ob sie verfassungsfeindlich oder gefährlich ist - hat sich die Partei dem Gericht gegenüber bisher mit keinem Wort eingelassen. Anwalt Peter Richter betonte aber in einem Parteivideo:
    "Wir können nachweisen, dass wir weder Gewalt anwenden noch zur Gewalt aufrufen, sondern einfach nur eine andere politische Weltanschauung vertreten, die wir mit demokratischen Mitteln durchsetzen wollen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas in Karlsruhe verboten werden wird."
    Doch seitdem der Bundesrat den Antrag auf Verbot der NPD gestellt hat, tritt die rechtsextreme Partei deutlich zahmer auf. Die Wahl von Frank Franz zum Vorsitzenden kann als Versuch gewertet werden, sich nach außen bürgerlicher zu geben als in den Jahren zuvor. Der aus dem Saarland stammende Franz ist Inhaber einer kleinen Internetagentur, tritt gerne im Jackett mit Einstecktuch auf und redet gemäßigter als seine Vorgänger Holger Apfel und Udo Voigt. In einem Parteivideo beruft er sich auf die Grundrechte, die die NPD gerne abschaffen würde, käme sie an die Macht.
    Was könnte nach einem möglichen Verbot passieren?
    "In diesem Verfahren wird es darum gehen, ob die Meinungsfreiheit in Deutschland faktisch beseitigt wird oder nicht. Ich werde nicht nur als Parteivorsitzender für das Recht meiner Partei, ich werde vor allem auch als Deutscher für meine Grundrechte, für die Meinungsfreiheit streiten."
    NPD-Chef Franz versucht, die bundesweit rund 5.400 Mitglieder – ihre Zahl ist zuletzt wieder leicht angestiegen – zu beruhigen. Ob er die Partei zusammenhalten kann, ist ohnehin fraglich. Ein Teil der gemäßigteren Mitglieder schielt in Richtung AfD, den radikalen Kräften aus den Neonazi-Kameradschaften ist Parteichef Franz viel zu zahm. Was könnte nach einem möglichen Verbot passieren? Dierk Borstel, Rechtsextremismus-Experte und Politologe an der Fachhochschule Dortmund, spekuliert.
    "Ein Teil in den Hochburgen wird wahrscheinlich eher zu den Kameradschaften gehen und weiter die kommunale Verankerung vorantreiben. Es kann gut sein, dass dort, wo die NPD jetzt schon schwach ist, viele Mitglieder aufgeben, das ist die Hoffnung, dass man da eine zusätzliche Schwächung hat. Wir wissen aber auch aus bisherigen Verbotsverfahren, dass aus einem Verbot immer auch eine Innovation erfolgt. Das hat man sehr oft gesehen."
    Die Innovation, die Politologe Borstel meint, ist die Gründung von zwei rechtsextremistischen Kleinstparteien vor einigen Jahren – "Die Rechte" und "Der dritte Weg". Beide sind ein Auffangbecken für zuvor verbotene Neonazi-Kameradschaften. Der in der Szene bekannte Rechtsextremist Christian Worch gründete 2012 "Die Rechte". Sie hat etwa 500 Mitglieder und ist in erster Linie im Ruhrgebiet aktiv.
    "Ey, das ist unser Staat! Unser Staat, unser Land, verstehste! Ihr seid alles Arschlöcher, scheiß Islamisten! Deutschland, unser Land! Deutschland, unser Land!"
    Köln, 26.Oktober 2014. Etwa 4.000 Neonazis und Hooligans randalieren, liefern sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Sie nennen sich "HoGeSa" – Hooligans gegen Salafisten. Auch "Die Rechte" hat im Vorfeld bundesweit zu dieser Demonstration aufgerufen. Nach dem Verbot der Neonazi-Kameradschaft "Nationaler Widerstand Dortmund" traten deren führende Köpfe in diese Partei ein. Alexander Häusler, Rechtsextremismus-Forscher an der Fachhochschule Düsseldorf:

    Porträtfoto von Alexander Häusler (undatierte Aufnahme), Sozialwissenschaftler vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus der Fachhochschule Düsseldorf
    Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus der Fachhochschule Düsseldorf (dpa picture alliance / Häusler)
    "Eindeutig setzt sich diese Partei aus diesen Personen zusammen, die vorher auch führend tätig gewesen sind in den neonazistischen Kameradschaften. Zum Teil auch verurteilte Gewalttäter, die eben auch quasi unter dem Dach der Partei "Die Rechte" noch weiter diese Aktivitäten fortgesetzt haben. Diese Leute machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Aktivitäten jetzt einfach nur fortführen unter einem neuen Dach, nämlich dieser Partei."
    Die Vereinsverbote werden durch Parteimitgliedschaften umgangen - so sieht es auch der Verfassungsschutz. Die Szene hat verstanden, dass Parteien rechtlich besser geschützt sind als Vereine oder lose Verbindungen wie Neonazi-Kameradschaften. So profitieren die Neonazis von einem Rechtsstaat, den sie gerne abschaffen würden.
    "Die Rechte" und "Der dritte Weg" agieren als Auffangbecken für verbotene Kameradschaften – ist es wahrscheinlich, dass diese beiden Kleinstparteien am äußersten rechten Rand ihrerseits die Mitglieder und Funktionäre der vom Verbot bedrohten NPD aufnehmen? Der Rechtsextremismus-Experte und taz-Redakteur Andreas Speit ist skeptisch.
    "Das scheint sehr unwahrscheinlich zu sein, weil schlicht und einfach beide Parteien entstanden sind in der bewussten Abgrenzung zur NPD. Da liegen unglaublich viele persönliche Animositäten im Raum. Und man sieht das auch jetzt: Diejenigen, die sich dieser Partei anschließen, kommen meistens aus dem radikalen freien Spektrum, den Autonomen Nationalisten beispielsweise, oder sind enttäuschte NPDler. Also beides Gruppen, die der NPD den Rücken gekehrt haben."
    Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht beginnt morgen. Mit einer schnellen Entscheidung des obersten deutschen Gerichts ist allerdings nicht zur rechnen.