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Verheugen: Opel-Arbeiter nicht für Krise des Mutterkonzerns bestrafen

EU-Industriekommissar Günter Verheugen hat sich zustimmend zu einer möglichen Bürgschaft der Bundesregierung für Opel geäußert. Er sieht darin keine Wettbewerbsnachteile für andere Autohersteller. Andere Konkurrenten hätten das Problem nicht, das Opel habe. Die EU-Kommission prüfe aber die staatlichen Beihilfen. Bundesregierung und Länder wollen bis Weihnachten über mögliche Bürgschaften entscheiden.

Günter Verheugen im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Würden Sie eine deutsche Staatsbürgschaft speziell für Opel begrüßen?

    Günter Verheugen: Ich würde es begrüßen, wenn alles unternommen würde, um zu verhindern, dass ein wichtiger und traditionsreicher Automobilhersteller in Europa aus Gründen, die er gar nicht selber zu verantworten hat, aus dem Wettbewerb ausscheiden würde. Welche Instrumente Deutschland dazu wählt, das muss Deutschland selber entscheiden.

    Engels: Der hessische Ministerpräsident Koch hat bereits Landesbürgschaften in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro angekündigt. Muss er sich das von EU-Seite noch genehmigen lassen?

    Verheugen: Ja, das muss er. Es wird in jedem Fall eine beihilferechtliche Überprüfung geben, damit sichergestellt ist, dass eine solche staatliche Garantie die Wettbewerbsregeln in Europa nicht verletzt.

    Engels: Aber eigentlich ist das doch ein sehr offenes Beispiel dafür – nehmen wir auch einmal an, die Bundesbürgschaft kommt auch noch dazu -, dass der Wettbewerb verzerrt wird, denn Opel hat dann einen Vorsprung vor Konkurrenten.

    Verheugen: Andere Konkurrenten haben aber das Problem nicht, das Opel hat. Das Ergebnis, das wir bei Opel sehen, ist ja nicht zurückzuführen auf eine falsche Modellpolitik, eine falsche Geschäftspolitik, auf Unfähigkeit des Managements, sondern schlicht und einfach zurückzuführen auf die praktische Zahlungsunfähigkeit des Mutterkonzerns in den USA. Und ich finde die Diskussion, die im Augenblick in Deutschland läuft, auch die Art und Weise, wie Sie ja gefragt haben, ein bisschen merkwürdig. Denn ich möchte schon gerne wissen, warum zehntausende von Arbeitern dafür bestraft werden sollen, dass der amerikanische Mutterkonzern praktisch am Rande des Konkurses steht. Ich verstehe das nicht.

    Engels: Merkwürdig kann man allerdings auch argumentieren, ist natürlich auch die Argumentation vieler Politiker. Dort war lange Zeit jeder Staatseingriff tabu. Es sollte dereguliert werden und nun schwankt alles ins Gegenteil.

    Verheugen: Sprechen Sie jetzt von den USA oder von Deutschland?

    Engels: Ich spreche auch von Deutschland, aber auch beispielsweise über Konzepte, eben verschiedene Branchen ganz gezielt zu stützen, auch auf europäischer Ebene.

    Verheugen: Wir reden ja überhaupt nicht von irgendwelchen Subventionen. Wir reden von der Tatsache, dass ein großes Unternehmen aus Gründen, die es selber nicht zu vertreten hat, im Augenblick praktisch keinen Zugang zum Kapitalmarkt hat und dass die Notwendigkeit besteht, von irgendeiner Seite eine Bürgschaft zu bekommen. Wir reden nicht über Subventionen; wir reden über eine staatliche Bürgschaft. Und wir haben solche Fälle in der Vergangenheit nun wirklich sehr oft gehabt. Wir haben damit in Brüssel beinahe jeden Tag zu tun. Das ist ein Vorgang, der im Wirtschaftsleben vorkommt. Es muss geprüft werden, es muss in Übereinstimmung stehen mit den beihilferechtlichen Bestimmungen, die wir in Europa haben. Das wird geschehen. Aber wie gesagt: Das muss die Bundesrepublik Deutschland entscheiden. Wir entscheiden das nicht hier in Brüssel.

    Engels: Herr Verheugen, Sie hatten gesagt, Opel ist ein Einzelfall durch die Sondersituation bei General Motors. Aber der nächste Fall könnte Ford sein – auch ein US-Konzern, aber mit großen Werken in Deutschland.

    Verheugen: Ford hat sich jedenfalls in diese Richtung bisher nicht geäußert, und ich möchte sehr davor warnen, jetzt irgendwelche Unternehmen in Europa durch solche Aussagen in eine Krise zu reden, die es vielleicht gar nicht gibt.

    Engels: Dann schauen wir aufs Grundsätzliche. Der Chef der Euro-Gruppe, der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, fordert heute in der "Bildzeitung" ein europäisches Rettungskonzept für die Autobranche. Ist das auch nach Ihrer Meinung das Gebot der Stunde?

    Verheugen: Das haben wir bereits.

    Engels: Wie sieht das dann aus?

    Verheugen: Ich habe vor drei Wochen in Brüssel einen so genannten Auto-Gipfel veranstaltet, der übrigens in Deutschland wenig Beachtung gefunden hat. Der deutsche Wirtschaftsminister hat es auch nicht für erforderlich gehalten, dabei zu erscheinen. Und dabei ist alles das gesagt worden, was notwendig ist, um die europäische Automobilindustrie aus der derzeitigen Krise zu bringen: die Frage, wie kann die Nachfrage gesteigert werden, wie können die rechtlichen Rahmenbedingungen für die europäische Automobilindustrie aussehen, damit Investitions- und Planungssicherheit besteht, und die Frage, was muss geschehen für den Fall, dass die Geschäftsbanken nicht ausreichend Kredite zur Verfügung stellen.

    Engels: Kann man dann auch schnell diese Konzepte, die Sie jetzt gerade vorgestellt haben, im Fall der Fälle umsetzen, oder brauchen Sie da noch weitere Hilfsmaßnahmen, keine Hilfsmaßnahmen, sondern konkrete Gesetzesinitiativen von Nationalregierungen?

    Verheugen: Das kann alles sehr schnell geschehen. Die Vorschläge, gesetzlichen Vorschläge für die Anforderungen an das Auto der Zukunft liegen ja bereits vor. Die werden ja bereits im Parlament und im Rat verhandelt. Es geht nur darum, dass die jetzt schnell verabschiedet werden, also zum Beispiel die Bestimmungen über CO2-Emissionen, damit Kunden und Hersteller wissen, was die Politik eigentlich von ihnen will. Und es geht darum, sie so zu verabschieden, dass dabei unnötige Kosten vermieden werden.

    Engels: Es geht also um das Setzen von Rahmenbedingungen. Bleiben wir bei der Autoindustrie. Neben den gemeinsamen Absatzsorgen der Autoindustrie in Europa sind ja Autobauer auch immer Konkurrenten. Wie groß ist die Gefahr, dass jetzt wieder national versucht wird, für jeweilige Besonderheiten der eigenen Branche Vorteile herauszuschlagen?

    Verheugen: Das kann ich eigentlich nicht erkennen. Die europäische Automobilbranche ist so sehr europäisch vernetzt, dass ein solcher Versuch eigentlich wenig nutzen würde. Keiner stellt ja nur im eigenen Lande her. Die europäische Zulieferindustrie ist ganz eng miteinander verflochten. Ich sehe solche Versuche nicht.

    Engels: Das Wettbewerbsrecht in Europa ist in den vergangenen Jahren deutlicher und schärfer geworden, um eben freien Wettbewerb zu ermöglichen. Nun hat der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, vorgeschlagen, angesichts der Schwere der Krise möglicherweise auch über eine Änderung von europäischem Recht nachzudenken, um eben leichter auch Hilfen zu ermöglichen. Teilen Sie das?

    Verheugen: Nein. Die Notwendigkeit sehe ich nicht. Das Wettbewerbsrecht in Europa ist wirklich flexibel genug. Wir wollen ja damit verhindern, dass es zu einem Subventionswettlauf zwischen den Mitgliedsländern kommt, und das ist wirklich absolut fundamental. Aber die Regeln sind auch so flexibel, dass die Mitgliedsländer in Krisensituation wirklich helfen können. Sie sind so flexibel, dass auch gefördert werden kann, wenn es zum Beispiel um Strukturanpassung, um Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, vor allen Dingen aber, wenn es um Innovationen geht. Ich glaube nicht, dass wir da etwas ändern müssen.

    Engels: Subventionswettbewerb ist aber ein gutes Stichwort, denn es ist ja bekannt, dass die künftige US-Administration über spezielle Stützungsprogramme für die US-Autoindustrie nachdenkt. Muss Europa da gegenhalten, und kommen wir über den Atlantik in diesen Subventionswettbewerb doch hinein?

    Verheugen: Das ist in der Tat eine wirkliche Sorge, und was ich im Augenblick aus den USA höre, macht mich wirklich sehr, sehr nachdenklich. Ein Subventionswettlauf, der von den USA ausginge, wäre das letzte, was wir wünschen könnten. Und ich glaube auch nicht, dass wir uns daran beteiligen würden. Aber wenn natürlich die amerikanische Automobilindustrie nun direkt gestützt werden sollte, also über Kredite hinaus, dann wird das natürlich mit Auflagen geschehen. Das amerikanische Parlament ist da nicht anders als unsere auch. Diese Auflagen könnten natürlich dazu führen, dass die Konzerntöchter in Europa in zusätzliche Probleme geraten. Das muss man sehr genau beobachten und das muss mit den Amerikanern besprochen werden.

    Engels: Müsste in dem Fall, dass doch direkte Zahlungen an die Konzerne gehen, auch über direkte Zahlungen an europäische Konzerne nachgedacht werden?

    Verheugen: Nein. Worüber nachgedacht werden muss ist, wie wir das mit den Amerikanern besprechen. Wir werden in drei Wochen in Washington noch eine Sitzung des transatlantischen Wirtschaftsrates haben, dem ich ja auf europäischer Seite vorsitze, und dann wird dieses Thema erörtert werden müssen, zumal bei dieser Sitzung die Vertreter des Übergangsteams von Präsident, des gewählten Präsidenten Obama bereits teilnehmen.

    Engels: EU-Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) heute Früh im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.