Tobias Armbrüster: Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault kommt heute zu seinem Antrittsbesuch nach Berlin. Bundeskanzlerin Merkel wird ihn dort mit militärischen Ehren empfangen. Das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland, das war allerdings schon mal besser. Viele Franzosen empfinden die Deutschen in Zeiten der Krise als zunehmend überheblich – auch, weil die Bundesregierung den Kollegen in Paris vermehrt Tipps geben will, wie sich die französische Wirtschaft reformieren lassen könnte. Finanzminister Schäuble soll angeblich sogar angeregt haben, dass die Wirtschaftsweisen in Deutschland auch ein Gutachten über Frankreich erstellen sollen. Ayrault hat sich solche Lektionen heute in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" verbeten. Und die Zeitung "Libération" hat ihre Montagsausgabe in dieser Woche mit dem schönen deutschen Wort "Achtung" betitelt.
– Am Telefon ist jetzt Günter Verheugen, der ehemalige EU-Erweiterungskommissar. Heute lehrt er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Schönen guten Morgen, Herr Verheugen.
Günter Verheugen: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Verheugen, gehen die deutschen Politiker ein bisschen überheblich mit Frankreich um oder sind die Franzosen einfach sehr empfindlich?
Verheugen: Ich glaube, dass es niemals ratsam ist, anderen Regierungen öffentlich anzubieten, dass man ihnen Vorschläge macht, wie sie ihr Land in Ordnung bringen sollen. Das hätte Herr Schäuble besser unterlassen. Natürlich sind die Franzosen auch empfindlich und das deutsch-französische Verhältnis ist eine sehr delikate Angelegenheit, schon immer gewesen. Und die Tatsache, dass es im Augenblick knirscht im Getriebe, ist nicht gut für Deutschland, nicht gut für Frankreich, aber vor allen Dingen: Es ist nicht gut für Europa.
Armbrüster: Aber sind nicht möglicherweise ein paar gute Ratschläge angebracht, wenn man sieht, was alles schief läuft in der französischen Wirtschaft?
Verheugen: Nun, wir haben einen sehr engen Mechanismus der Konsultationen zwischen Deutschland und Frankreich, der ist ja nicht abgerissen. Und aus gutem Grund sind diese Gespräche ja vertraulich. Bei diesen Gesprächen kann man alles sagen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man sich auf den Marktplatz stellt und sagt, die Franzosen sollen gefälligst das und das machen. Und damit den Eindruck erweckt, die deutsche Besserwisserei ist wieder da.
Armbrüster: Ist das etwas Neues oder hatten wir das in der Vergangenheit auch schon, solche Ratschläge?
Verheugen: Nein! Ich glaube nicht, dass wir eine solche Situation schon mal gehabt haben. Ich kann mich jedenfalls in der jüngeren Vergangenheit nicht daran erinnern. Allerdings muss man sagen, dass wir ein neues Element in den deutsch-französischen Beziehungen haben. Und das liegt eben darin, dass die beiden Regierungen von sehr unterschiedlichen politischen Voraussetzungen jetzt ausgehen. Nach der Wahl in Frankreich haben wir doch eine dezidiert linke Politik in Frankreich, wenn auch natürlich Präsident Hollande zunehmend mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert wird, aber ich glaube nicht, dass wir sehr schnell damit rechnen können, dass die französische Politik sich ändert - nach meiner Meinung kaum vor der deutschen Bundestagswahl.
Armbrüster: Was sollte Frau Merkel denn ihrem französischen Kollegen heute bei den Gesprächen sagen?
Verheugen: Ich glaube, man sollte sich darauf konzentrieren, die Dinge in Ordnung zu bringen, die in Europa in Ordnung gebracht werden müssen. Und es vielleicht doch den Franzosen überlassen, die Entscheidungen zu treffen, die sie für ihr Land selber brauchen. Und in Europa haben wir genügend Baustellen, bei denen es darauf ankommt, dass die Deutschen und die Franzosen an einem Strang ziehen.
Armbrüster: Herr Verheugen, Frankreich, das ist der eine große Nachbar, Polen auf der anderen Seite der andere. Berlin und Warschau, das ist im Moment auch nicht gerade das, was man eine Liebesbeziehung nennen kann. Polen fordert, so wie viele andere Länder in Osteuropa, andere EU-Mitglieder, eine Aufstockung des EU-Budgets. Die Deutschen sind da etwas skeptisch, wollen lieber das Budget einfrieren oder zumindest nur gering erhöhen. Ist hier Deutschland mal wieder so ein bisschen in dieser klassischen Rolle als das Land, das den Daumen über Osteuropa heben oder senken kann?
Verheugen: Nein! Das halte ich jetzt für etwas übertrieben. Wir reden jetzt über die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2014 bis 2020. Und man kann ja wirklich nur dankbar sein, dass wir diesen Ärger nur alle sieben Jahre haben; sonst hätten wir ihn jedes Jahr, wenn wir uns in jedem Jahr einigen müssten über den Finanzrahmen. Das ist immer so gewesen, dass es vor der Entscheidung über die finanzielle Vorausschau den Gegensatz gibt zwischen den Ländern, die die Mittel aus dem Gemeinschaftshaushalt dringend benötigen, um ihr eigenes Wachstum weiter voranzutreiben und Infrastruktur aufzubauen, wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, die sie aus der Vergangenheit mit herumschleppen. Und dann den anderen Ländern - nicht nur Deutschland, das sind auch andere -, die eher sparen wollen. Und ich finde, politisch muss man schon ein Verständnis dafür haben, dass in einer Zeit, in der überall in Europa die Regierungen gezwungen sind, den Gürtel enger zu schnallen, man auch vom Gemeinschaftshaushalt erwartet, dass er ein Signal in diese Richtung setzt. Europa wird nicht untergehen, wenn wir etwas weniger Geld ausgeben, als die Kommission vorgeschlagen hat. Und es kommt darauf an, wenn man den Vorschlag der Kommission kürzen will, an welcher Stelle man kürzt. Da gehen die Meinungen allerdings auch weit auseinander und ich habe sehr viel Verständnis für die Polen und die anderen neuen Mitglieder in Ost- und Mitteleuropa, die sagen, wir sind in der Erwartung und unter dem Versprechen beigetreten, dass die Hilfe, die wir brauchen, um die Nachteile aus der kommunistischen Zeit auszugleichen, nicht eine Hilfe nur für ein paar Jahre ist, sondern dass wir uns darauf dauerhaft verlassen können. Wenn also gekürzt wird, dann bin ich nicht der Meinung, dass dies zulasten der Ärmsten in Europa geschehen sollte.
Armbrüster: Und jetzt werden sie sozusagen erpresst von den Deutschen und anderen Geberländern, die sagen, Leute, wenn ihr jetzt nicht unserem gekürzten EU-Budget zustimmt, dann laufen möglicherweise in einigen Jahren die Kohäsionsfonds komplett aus und dann gibt es gar kein Geld mehr für euch.
Verheugen: Damit wir uns richtig verstehen: Die deutsche Position ist nicht eine Kürzung des Haushaltes, sondern eine Kürzung des Vorschlags, den die Kommission gemacht hat. Und die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der ziemlich deutlich über den bisherigen Finanzrahmen hinausgeht – mit dem durchaus verständlichen Argument, wir kriegen immer mehr Aufgaben, wir müssen immer mehr tun, aber ihr sagt uns nicht, wie wir das finanzieren sollen. Auch der deutsche Vorschlag bedeutet nicht, dass in Brüssel in Zukunft weniger Geld zur Verfügung stehen wird.
Was die sogenannten Kohäsionsfonds angeht, da fehlt mir jedes Verständnis für diesen Hinweis, denn das sind nun gerade die Teile aus den europäischen Strukturfonds, die am besten funktionieren, weil sie nämlich projektgebunden sind. Das Problem, das wir bei den Strukturfonds haben, ist ja, dass die Mittelverwendung, na, sagen wir mal, nicht so effizient ist, wie sie sein dürfte, und es ist einfach wahr, dass im großen Umfang Projekte einfach nur deshalb gemacht werden, weil in Brüssel Geld dafür vorhanden ist. Und ich finde, es ist auch an der Zeit, dass man sich mal die Frage stellt, was eigentlich von einer Politik zu halten ist, die darauf abzielt, die Verhältnisse, die wirtschaftlichen Verhältnisse anzugleichen, dafür Hunderte von Milliarden aufwendet, aber im Ergebnis sehen wir, dass die Unterschiede beispielsweise zwischen den nördlichen EU-Staaten und den südlichen größer werden statt kleiner.
Armbrüster: Das heißt, Herr Verheugen, Sie sagen, es ist völlig in Ordnung, wenn sich die osteuropäischen neuen Mitgliedsländer jetzt darauf einstellen müssen, dass sie künftig deutlich weniger Geld bekommen?
Verheugen: Nein! Das bedeutet ja nicht, dass sie weniger Geld bekommen. Es bedeutet, dass der Vorschlag der Kommission gekürzt wird. Aber ganz entscheidend ist, an welchen Stellen gekürzt wird. Das Ergebnis muss keineswegs sein, dass der Mittelzufluss für die osteuropäischen Länder geringer wird.
Armbrüster: Lassen Sie uns noch auf ein anderes Mitgliedsland gucken, das eine wichtige Rolle in diesem Streit spielt: Großbritannien. Angela Merkel hat vor einigen Tagen in Brüssel gesagt, Europa ist ohne Großbritannien nicht denkbar. Nehmen Sie ihr das ab?
Verheugen: Ja, das nehme ich ihr ab. Und ich teile diese Meinung auch. Denkbar ist ja alles, aber was sie meint, ist, dass wir in Europa nicht auf die Briten verzichten sollten und dürfen, gerade nicht angesichts der Herausforderungen, die im 21. Jahrhundert vor uns stehen. Und die Lage, die wir hier haben, ist wirklich unangenehm, denn der britische Regierungschef geht nach Brüssel nächste Woche mit einem Beschluss des Unterhauses im Gepäck, das nun also wirklich eine massive Kürzung verlangt. Die Briten wollen wirklich, dass weniger Geld ausgegeben wird als bisher. Damit kommen wir in große Schwierigkeiten. Und ich finde den eigentlichen Skandal bei diesem Vorgang nicht so sehr, dass die Briten mehr sparen wollen als andere, sondern wie dieser Beschluss zustande gekommen ist, nämlich mit einer Mehrheit aus den notorischen Euroskeptikern in der Regierungspartei und den an sich europafreundlichen Abgeordneten der Labour Party...
Armbrüster: Aber immerhin: Es war ein regulärer Parlamentsbeschluss.
Verheugen: Ja klar! Klar, klar! Und deshalb bin ich auch dagegen, dass man ihn kritisiert, denn demokratische Entscheidungen müssen respektiert werden. Ich will nur sagen: Der Grund, warum er zustande kam, hat eigentlich weniger mit Europa zu tun und viel mehr mit britischer Innenpolitik.
Armbrüster: Wenn wir nun diese vielen gegensätzlichen Positionen sehen, wird dann der nächste EU-Gipfel in einer Katastrophe enden?
Verheugen: Nein, das glaube ich nicht. Ich sagte ja schon: Es ist keine neue Situation, dass das Gezerre um den Finanzrahmen sehr heftig ist. Ich erinnere mich: Vor sieben Jahren, als wir eine vergleichbare Situation hatten, hat es auch mehrere Anläufe gebraucht. Also es ist schwierig, aber ich würde den Ausdruck "dramatisch" an dieser Stelle noch nicht gebrauchen.
Armbrüster: ..., sagt Günter Verheugen, der ehemalige EU-Kommissar, heute Honorarprofessor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Verheugen.
Verheugen: Danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
– Am Telefon ist jetzt Günter Verheugen, der ehemalige EU-Erweiterungskommissar. Heute lehrt er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Schönen guten Morgen, Herr Verheugen.
Günter Verheugen: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Verheugen, gehen die deutschen Politiker ein bisschen überheblich mit Frankreich um oder sind die Franzosen einfach sehr empfindlich?
Verheugen: Ich glaube, dass es niemals ratsam ist, anderen Regierungen öffentlich anzubieten, dass man ihnen Vorschläge macht, wie sie ihr Land in Ordnung bringen sollen. Das hätte Herr Schäuble besser unterlassen. Natürlich sind die Franzosen auch empfindlich und das deutsch-französische Verhältnis ist eine sehr delikate Angelegenheit, schon immer gewesen. Und die Tatsache, dass es im Augenblick knirscht im Getriebe, ist nicht gut für Deutschland, nicht gut für Frankreich, aber vor allen Dingen: Es ist nicht gut für Europa.
Armbrüster: Aber sind nicht möglicherweise ein paar gute Ratschläge angebracht, wenn man sieht, was alles schief läuft in der französischen Wirtschaft?
Verheugen: Nun, wir haben einen sehr engen Mechanismus der Konsultationen zwischen Deutschland und Frankreich, der ist ja nicht abgerissen. Und aus gutem Grund sind diese Gespräche ja vertraulich. Bei diesen Gesprächen kann man alles sagen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man sich auf den Marktplatz stellt und sagt, die Franzosen sollen gefälligst das und das machen. Und damit den Eindruck erweckt, die deutsche Besserwisserei ist wieder da.
Armbrüster: Ist das etwas Neues oder hatten wir das in der Vergangenheit auch schon, solche Ratschläge?
Verheugen: Nein! Ich glaube nicht, dass wir eine solche Situation schon mal gehabt haben. Ich kann mich jedenfalls in der jüngeren Vergangenheit nicht daran erinnern. Allerdings muss man sagen, dass wir ein neues Element in den deutsch-französischen Beziehungen haben. Und das liegt eben darin, dass die beiden Regierungen von sehr unterschiedlichen politischen Voraussetzungen jetzt ausgehen. Nach der Wahl in Frankreich haben wir doch eine dezidiert linke Politik in Frankreich, wenn auch natürlich Präsident Hollande zunehmend mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert wird, aber ich glaube nicht, dass wir sehr schnell damit rechnen können, dass die französische Politik sich ändert - nach meiner Meinung kaum vor der deutschen Bundestagswahl.
Armbrüster: Was sollte Frau Merkel denn ihrem französischen Kollegen heute bei den Gesprächen sagen?
Verheugen: Ich glaube, man sollte sich darauf konzentrieren, die Dinge in Ordnung zu bringen, die in Europa in Ordnung gebracht werden müssen. Und es vielleicht doch den Franzosen überlassen, die Entscheidungen zu treffen, die sie für ihr Land selber brauchen. Und in Europa haben wir genügend Baustellen, bei denen es darauf ankommt, dass die Deutschen und die Franzosen an einem Strang ziehen.
Armbrüster: Herr Verheugen, Frankreich, das ist der eine große Nachbar, Polen auf der anderen Seite der andere. Berlin und Warschau, das ist im Moment auch nicht gerade das, was man eine Liebesbeziehung nennen kann. Polen fordert, so wie viele andere Länder in Osteuropa, andere EU-Mitglieder, eine Aufstockung des EU-Budgets. Die Deutschen sind da etwas skeptisch, wollen lieber das Budget einfrieren oder zumindest nur gering erhöhen. Ist hier Deutschland mal wieder so ein bisschen in dieser klassischen Rolle als das Land, das den Daumen über Osteuropa heben oder senken kann?
Verheugen: Nein! Das halte ich jetzt für etwas übertrieben. Wir reden jetzt über die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2014 bis 2020. Und man kann ja wirklich nur dankbar sein, dass wir diesen Ärger nur alle sieben Jahre haben; sonst hätten wir ihn jedes Jahr, wenn wir uns in jedem Jahr einigen müssten über den Finanzrahmen. Das ist immer so gewesen, dass es vor der Entscheidung über die finanzielle Vorausschau den Gegensatz gibt zwischen den Ländern, die die Mittel aus dem Gemeinschaftshaushalt dringend benötigen, um ihr eigenes Wachstum weiter voranzutreiben und Infrastruktur aufzubauen, wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, die sie aus der Vergangenheit mit herumschleppen. Und dann den anderen Ländern - nicht nur Deutschland, das sind auch andere -, die eher sparen wollen. Und ich finde, politisch muss man schon ein Verständnis dafür haben, dass in einer Zeit, in der überall in Europa die Regierungen gezwungen sind, den Gürtel enger zu schnallen, man auch vom Gemeinschaftshaushalt erwartet, dass er ein Signal in diese Richtung setzt. Europa wird nicht untergehen, wenn wir etwas weniger Geld ausgeben, als die Kommission vorgeschlagen hat. Und es kommt darauf an, wenn man den Vorschlag der Kommission kürzen will, an welcher Stelle man kürzt. Da gehen die Meinungen allerdings auch weit auseinander und ich habe sehr viel Verständnis für die Polen und die anderen neuen Mitglieder in Ost- und Mitteleuropa, die sagen, wir sind in der Erwartung und unter dem Versprechen beigetreten, dass die Hilfe, die wir brauchen, um die Nachteile aus der kommunistischen Zeit auszugleichen, nicht eine Hilfe nur für ein paar Jahre ist, sondern dass wir uns darauf dauerhaft verlassen können. Wenn also gekürzt wird, dann bin ich nicht der Meinung, dass dies zulasten der Ärmsten in Europa geschehen sollte.
Armbrüster: Und jetzt werden sie sozusagen erpresst von den Deutschen und anderen Geberländern, die sagen, Leute, wenn ihr jetzt nicht unserem gekürzten EU-Budget zustimmt, dann laufen möglicherweise in einigen Jahren die Kohäsionsfonds komplett aus und dann gibt es gar kein Geld mehr für euch.
Verheugen: Damit wir uns richtig verstehen: Die deutsche Position ist nicht eine Kürzung des Haushaltes, sondern eine Kürzung des Vorschlags, den die Kommission gemacht hat. Und die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der ziemlich deutlich über den bisherigen Finanzrahmen hinausgeht – mit dem durchaus verständlichen Argument, wir kriegen immer mehr Aufgaben, wir müssen immer mehr tun, aber ihr sagt uns nicht, wie wir das finanzieren sollen. Auch der deutsche Vorschlag bedeutet nicht, dass in Brüssel in Zukunft weniger Geld zur Verfügung stehen wird.
Was die sogenannten Kohäsionsfonds angeht, da fehlt mir jedes Verständnis für diesen Hinweis, denn das sind nun gerade die Teile aus den europäischen Strukturfonds, die am besten funktionieren, weil sie nämlich projektgebunden sind. Das Problem, das wir bei den Strukturfonds haben, ist ja, dass die Mittelverwendung, na, sagen wir mal, nicht so effizient ist, wie sie sein dürfte, und es ist einfach wahr, dass im großen Umfang Projekte einfach nur deshalb gemacht werden, weil in Brüssel Geld dafür vorhanden ist. Und ich finde, es ist auch an der Zeit, dass man sich mal die Frage stellt, was eigentlich von einer Politik zu halten ist, die darauf abzielt, die Verhältnisse, die wirtschaftlichen Verhältnisse anzugleichen, dafür Hunderte von Milliarden aufwendet, aber im Ergebnis sehen wir, dass die Unterschiede beispielsweise zwischen den nördlichen EU-Staaten und den südlichen größer werden statt kleiner.
Armbrüster: Das heißt, Herr Verheugen, Sie sagen, es ist völlig in Ordnung, wenn sich die osteuropäischen neuen Mitgliedsländer jetzt darauf einstellen müssen, dass sie künftig deutlich weniger Geld bekommen?
Verheugen: Nein! Das bedeutet ja nicht, dass sie weniger Geld bekommen. Es bedeutet, dass der Vorschlag der Kommission gekürzt wird. Aber ganz entscheidend ist, an welchen Stellen gekürzt wird. Das Ergebnis muss keineswegs sein, dass der Mittelzufluss für die osteuropäischen Länder geringer wird.
Armbrüster: Lassen Sie uns noch auf ein anderes Mitgliedsland gucken, das eine wichtige Rolle in diesem Streit spielt: Großbritannien. Angela Merkel hat vor einigen Tagen in Brüssel gesagt, Europa ist ohne Großbritannien nicht denkbar. Nehmen Sie ihr das ab?
Verheugen: Ja, das nehme ich ihr ab. Und ich teile diese Meinung auch. Denkbar ist ja alles, aber was sie meint, ist, dass wir in Europa nicht auf die Briten verzichten sollten und dürfen, gerade nicht angesichts der Herausforderungen, die im 21. Jahrhundert vor uns stehen. Und die Lage, die wir hier haben, ist wirklich unangenehm, denn der britische Regierungschef geht nach Brüssel nächste Woche mit einem Beschluss des Unterhauses im Gepäck, das nun also wirklich eine massive Kürzung verlangt. Die Briten wollen wirklich, dass weniger Geld ausgegeben wird als bisher. Damit kommen wir in große Schwierigkeiten. Und ich finde den eigentlichen Skandal bei diesem Vorgang nicht so sehr, dass die Briten mehr sparen wollen als andere, sondern wie dieser Beschluss zustande gekommen ist, nämlich mit einer Mehrheit aus den notorischen Euroskeptikern in der Regierungspartei und den an sich europafreundlichen Abgeordneten der Labour Party...
Armbrüster: Aber immerhin: Es war ein regulärer Parlamentsbeschluss.
Verheugen: Ja klar! Klar, klar! Und deshalb bin ich auch dagegen, dass man ihn kritisiert, denn demokratische Entscheidungen müssen respektiert werden. Ich will nur sagen: Der Grund, warum er zustande kam, hat eigentlich weniger mit Europa zu tun und viel mehr mit britischer Innenpolitik.
Armbrüster: Wenn wir nun diese vielen gegensätzlichen Positionen sehen, wird dann der nächste EU-Gipfel in einer Katastrophe enden?
Verheugen: Nein, das glaube ich nicht. Ich sagte ja schon: Es ist keine neue Situation, dass das Gezerre um den Finanzrahmen sehr heftig ist. Ich erinnere mich: Vor sieben Jahren, als wir eine vergleichbare Situation hatten, hat es auch mehrere Anläufe gebraucht. Also es ist schwierig, aber ich würde den Ausdruck "dramatisch" an dieser Stelle noch nicht gebrauchen.
Armbrüster: ..., sagt Günter Verheugen, der ehemalige EU-Kommissar, heute Honorarprofessor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Verheugen.
Verheugen: Danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.