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Verjüngung, Erneuerung und Neuanfang in der Berliner CDU

Liminski: In der Berliner CDU gärt und brodelt es: Der Spitzenkandidat der letzten Wahl und jetziger Fraktionschef Frank Steffel muss sich heftiger Vorwürfe erwähren, die ehemalige Spitzenpolitiker, wie Diepgen und Pieroth an einem programmatischen Papier Steffels festmachen. Das Papier trägt den Titel: Berlin neu denken - Ideen statt Ideologien. Diepgen wirft dem Parteifreund intellektuelle Unzulänglichkeit vor. Pieroth nannte den Text unverständlich. Am Telefon begrüße ich den Geschmähten. Guten Morgen, Herr Steffen.

    Steffel: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Steffel, zunächst zu dem Personalstreit selbst: Der Bundestagsabgeordnete Nooke sagte dieser Tage in einem Zeitungsinterview: Wenn ein Produkt - gemeint sind offenbar Sie - nicht gekauft wird, selbst wenn es ganz toll ist, muss man es irgendwann aus dem Regal nehmen. Also, ein versteckter Aufruf zum Rücktritt. Werden Sie das Regal verlassen?

    Steffel: Nein. Die Berliner CDU hat sich im vergangenen Jahr nach einer schweren Wahlniederlage für Verjüngung, Erneuerung und für einen Neuanfang entschieden, und ich sage das ausdrücklich auch in Respekt vor der Lebensleistung der Generationen um Eberhard Diepgen, um Elmar Pieroth, um viele andere, aber ich glaube, mit den Konzepten der 90er Jahre werden wir am Beginn dieses Jahrhunderts das Vertrauen nicht zurückgewinnen. Und insofern ist es für mich auch eine Selbstverständlichkeit, diesen Weg jetzt konsequent voranzugehen. Vielleicht war das Tempo einigen etwas zu schnell, aber ich glaube, er ist alternativlos.

    Liminski: Die Kritik von Diepgen und Pieroth ist auch ziemlich persönlich. Woher diese Schärfe? Das klingt nach emotionaler Verletzung. Was haben Sie den beiden getan?

    Steffel: Ich glaube, Herr Liminski, das es viel persönliche Verbitterung bei denen gibt, die im letzten Jahr sehr jäh aus ihren Senatoren- und Regierungsämtern gerissen wurden. Ich halte es für verkehrt, uns, der jungen Generation in der Berliner CDU, die Verantwortung dafür zu geben, dass im letzten Jahr die Regierungsmacht in Berlin durch den Koalitionsbruch der Sozialdemokraten von Diepgen und den Seinen verloren wurde. Wir als junge CDU haben uns entschieden, inhaltlich, programmatisch die nächsten Monate zu nutzen und mit neuen Akzenten dann auch das Vertrauen zurückzugewinnen, wobei wir ja im übrigen die einzige Großstadt oder eine der ganz wenigen Städte in Deutschland waren, die bereits bei der Bundestagswahl zweieinhalb Prozent hinzugewonnen hat, während die Union ansonsten in Köln, in Hamburg, in Frankfurt, in Hannover verloren hatte. Insofern ist das für uns ein gutes Zwischenergebnis, und wir werden diesen Weg jetzt unbeirrt, trotz aller Kritik auch fortsetzen.

    Liminski: Dennoch steht die Kritik der Ehemaligen im Raum. Sehen Sie denn eine Alternative für Frank Steffel? Soll es einen Generationswechsel zurück zu den Alten geben, so wie in Teilen der Wirtschaft?

    Steffel: Ich werde mich persönlich bemühen, dass in vielen Gesprächen die ältere Generation auch weiß, dass wir ihr Erbe natürlich auch sorgsam behandeln werden. Es geht uns nicht darum, uns an ihnen abzuarbeiten oder die Kritik federführend gegen die zu führen, die in den vergangenen Jahrzehnten ja auch große Erfolge für die Berliner CDU, aber auch für Berlin insgesamt zu verantworten haben, sondern es geht uns darum, einen eigenen Weg, einen selbstbewussten Weg zu finden, gleichzeitig auch den gesellschaftlichen Veränderungen in einer Metropole wie Berlin Rechnung zu tragen und die Union dann wieder zu einer wirklichen Volkspartei zu machen, die oberhalb von 30 Prozent auch die Chance hat, wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das ist ein schwieriger Weg, und es sind viele Netzwerke weggebrochen, die 20, 30 Jahre von Diepgen und vielen anderen gehalten wurden. Daran arbeiten wir hart und fleißig, und ich hoffe in Zukunft mit mehr Rückenwind und weniger Gegenwind.

    Liminski: Herr Steffel, zum Stein oder besser gesagt zum Papier des Anstoßes: Einer der Vorwürfe lautet, Sie hätten nichts zur Haushaltskrise Berlins geschrieben - das stimmt. Warum haben Sie das ausgespart?

    Steffel: Herr Liminski, ich habe mir Gedanken zur Entwicklung der Berliner CDU, zu der CDU insgesamt in den deutschen Großstädten gemacht. Ich glaube auch, dass das im Focus einer Metropole von dreieinhalb Millionen Menschen, die Ost und West vereint, die sehr einfache strukturierte Bezirke, aber auch sehr bürgerliche Gegenden hat, auch eine Aufgabe der Hauptstadt-Union ist, sich hier federführend Gedanken zu machen. Es ging mir nicht darum, ein Wahlprogramm vorzustellen. Es ging mir nicht darum, einen Haushalt für das kommende Jahr oder ein Thesenpapier mit der Bitte um Zustimmung vorzulegen, sondern ich habe die Debatte aufgegriffen, die ja auch Angela Merkel sehr bewusst angestoßen hat, als sie sagte, wir müssen uns über die Großstädte Gedanken machen, und ich freue mich auf die Arbeit in der Kommission unter Jürgen Rüttgers, wo es darum geht, die Union in den Großstädten wieder attraktiver zu machen. Deshalb habe ich mich auf die Themen konzentriert, die in den nächsten Jahren, unabhängig von Tagespolitik, die Schwerpunktthemen der Union sein sollten.

    Liminski: Haben Sie denn das Papier mit Frau Merkel abgestimmt?

    Steffel: Nein, das Papier ist jetzt an die Bundespartei versandt worden, und ich gehe davon aus, dass wir es auch als eine von vielen Grundlagen in der Diskussion, nicht nur in der Berliner CDU sondern auch in der Kommission großer Städte unter Jürgen Rüttgers betrachtet werden. Ich freue mich, wenn es Reaktionen gibt. Ich freue mich aber vor allen Dingen, wenn es eine intensive Diskussion hier an unserer Basis in der Berliner CDU gibt, dass unsere Ortsverbände, unsere Kreisverbände, unsere Vereinigungen, viele Sympathisanten sich mit Inhalten, mit Programmatik beschäftigen und weniger mit Personalien.

    Liminski: Zu den Inhalten kommen wir gleich. Zunächst noch eine Frage: Der Senat ist unter Führung von Wowereit nun initiativ geworden. Heute soll in der Länderkammer beschlossen werden, dass die Bundesländer bei der Beamtenbesoldung künftig Einschnitte bis zu 10 Prozent vornehmen können. Das geht doch in die richtige Richtung, es muss ja, gerade in Berlin, gespart werden?

    Steffel: Also, richtig ist, dass an einem Konsolidierungskurs, an einem Sparkurs, offensichtlich in allen deutschen Haushalten überhaupt kein Weg vorbeiführt. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille, und das was die rot-grüne Bundesregierung tut, aber was insbesondere auch der rote Senat in Berlin tut, verzichtet völlig darauf, die Einnahmenseite zu betrachten und die Problematik, die sich daraus ergibt, ist, dass die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Berlin geringer wird, dass unsere Wirtschaftskraft sinkt, dass die Arbeitslosigkeit und die Anzahl der Sozialhilfeempfänger steigt und dass das, was sie auf der einen Seite an Ausgaben einsparen, sie dann eben wieder für Sozialtransfers, für Unterstützung von Bevölkerungsgruppen, die keine Arbeit mehr haben, ausgeben müssen. Insofern halten wir die Politik hier für zu kurz gegriffen und glauben, dass über Sparen hinaus die Politik auch noch eine andere Vision, eine andere Idee, auch eine andere gesellschaftliche Entwicklung mit sich bringen muss.

    Liminski: Welche könnte diese andere Entwicklung denn sein,?

    Steffel: Also, wir sind sehr sicher, dass es in Berlin die wesentliche Aufgabe ist, die Stadt, die Verwaltung insgesamt zu modernisieren, zu entbürokratisieren, zu deregulieren, Gesetze endlich zu befristen, ein Drittel der Gesetze abzuschaffen und damit unseren kleinen und mittleren Unternehmen die Kraft und auch die Freiräume zu geben, dass das dringend benötigte Wachstum eben aus unserem Mittelstand kommt. Der Traum, dass große Konzerne ihren Sitz nach Berlin verlegen, den halte ich für einen utopischen Traum. Es ist schön, wenn es geschehen sollte, aber ich glaube, die Kraft kommt wirklich aus unseren kleinen und mittleren Unternehmen, und dann können wir auch die Haushaltskrise wieder besser in den Griff bekommen, weil die Ausgaben für Sozialleistungen deutlich reduziert werden können.

    Liminski: Sie schreiben, Herr Steffel, die christlichen, sozialen, konservativen und liberalen Wurzeln trockneten aus. Man müsse umtopfen, um auch in Großstädten wieder wachsen zu können. In welche Töpfe soll den umgetopft werden? Wollen Sie neue Milieus schaffen?

    Steffel: Wir wollen unsere Grundsätze zum einen natürlich nicht dem Zeitgeist opfern. Deshalb sage ich auch, es ist ein Spagat, den wir wagen müssen, zwischen konservativ-bürgerlichen Werten auf der einen Seite, aber auch einer liberalen, modernen Entwicklung nicht nur, aber insbesondere in den Großstädten auf der anderen Seite. Und es gibt Bereiche, wo ich sehr nachdrücklich dafür werbe, auch klare bürgerliche Positionen zu vertreten, wie beispielsweise in der Innenpolitik: Lärm, Dreck, Kriminalität und vieles andere mehr hat nichts mit Liberalität, Modernität oder Kreativität zu tun, sondern ist einfach nur die Ursache dafür, dass sich immer mehr Menschen auch von ihrer Gesellschaft abwenden und für sich auch in Anspruch nehmen, Gesetze zu überschreiten und Dinge zu tun, die dann insgesamt einer Stadt nicht gerade zu mehr Attraktivität verhelfen. Es gibt aber auch Bereiche, wo wir sicher auch neuen Entwicklungen Rechnung tragen müssen, und ich glaube beispielsweise, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade für junge Mütter ein Thema ist, dass wir ernster nehmen müssen.

    Liminski: Ist das ein besonderes Großstadtthema?

    Steffel: Es ist zumindest in Berlin ein besonders bedeutendes Thema, weil wir 60 Prozent Single-Haushalte haben und es ist genau so wie das Thema Integration beispielsweise deshalb besonders wichtig, weil die gesellschaftlichen Folgen, wenn wir heute nicht energisch handeln, eben auf lange Sicht Konsequenzen mit sich bringen. Die Tatsache, dass in Berlin 85 Prozent der Kinder nicht deutscher Herkunft Hauptschulabschluss oder weniger machen führt zu den sozialen Problemen von morgen, die auch den Haushalt wieder entsprechend belasten. Deshalb sage ich: Bei aller Konsequenz in der Zuwanderungspolitik - und die Begrenzung von Zuwanderung ist gerade für Großstädte wichtig, und deshalb ist das rot-grüne Gesetz, was am ersten Januar in Kraft tritt, auch für die Großstädte völlig verkehrt - ist entscheidend, dass wir auch die Integration von in Berlin lebenden Ausländerinnen und Ausländern deutliche verbessern, das heißt, fordern und fördern.

    Liminski: Wie wollen Sie das kostenneutral machen, denn die Integration kostet ja Geld?

    Steffel: Ich glaube, dass die Kosten für Deutschkurse beispielsweise von Kindergartenkindern, von Kindern im Vorschulalter günstiger sind, als wenn wir sie mit 14, 15 oder 16 mit Sozialhilfe für lange Zeit ernähren müssen. Insofern ist es hier eine Frage der politischen Klugheit, heute zu investieren, um morgen Kosten zu sparen und nicht sehenden Auges zu akzeptieren, dass ganze Stadtteile mit einer sozialen Problematik verbunden werden, die dazu führt, dass niemand mehr Interesse hat, in solche Region zu ziehen.

    Liminski: Herr Steffel, noch eine Frage: Sie wollen Stichwort Elite in Wissenschaft und Kultur, Sie wollen die jungen Einsteins, Liebermanns, Brechts und Sauerbruchs nach Berlin holen, schreiben Sie. Woher sollen die denn kommen und womit wollen Sie die anlocken?

    Steffel: Ich glaube, dass die große Chance der deutschen Hauptstadt, einer Metropole von dreieinhalb Millionen Menschen wie Berlin, darin liegt, wirklich durch Spitzenkultur, durch Hochkultur, durch Topleistungen in der Wissenschaft für Eliten attraktiv zu sein. Die Eliten werden nicht nach Kassel, nach Darmstadt oder nach Nürnberg primär gehen, sondern sie werden entweder nach Paris, nach London, vielleicht nach New York, zukünftig vielleicht nach Prag oder Budapest oder eben nach Berlin gehen. Und wenn wir uns um diese Eliten bemühen, dann muss man beispielsweise auch in der Haushaltspolitik klar sagen, dass nicht die Quantität von Kultur, die Quantität von Wissenschaft entscheidend ist, sondern die Qualität. Es ist nicht unsere Aufgabe, möglichst viele Professoren in Berlin zu haben, sondern möglichst die besten Professoren. Es ist nicht unsere Aufgabe, möglichst viele Kultureinrichtungen in der Stadt auf mittelmäßigem Niveau zu haben, sondern möglichst Spitzenkultur mit internationaler Ausstattung in Berlin zu haben. Und dem wollen wir stärker als in der Vergangenheit Rechnung tragen. Es ist für uns auch eine Frage von finanziellen Prioritäten, und ich sehe hier beim rot-roten Senat einen Absturz in die Mittelmäßigkeit und Durchschnitt als einen Wert an sich unter der Devise: Wenn es allen gleich schlecht geht, dann geht es allen gleich gut, oder wenn alle in den Schulen das Gleiche lernen, wenn keiner mehr sitzen bleibt, dann sind alle Kinder schlauer geworden. Das Gegenteil ist der Fall. Deswegen bekenne ich mich ausdrücklich zum Begriff der Elite.

    Liminski: Also auch mehr Wettbewerb mit den anderen großen Städten in Deutschland?

    Steffel: Berlin muss diesen Wettbewerb als Chance begreifen, denn ich bin unverändert trotz unseres rot-roten Senats davon überzeugt, dass Berlin wenige Jahre vor der Osterweiterung der Europäischen Gemeinschaft Riesenchancen hat, zu einer wirklichen Metropole in Europa zu werden und eine Attraktivität für Existenzgründer, für Wissenschaftler, für Künstler, aber auch für Touristen auszustrahlen, die insgesamt dann auch deutlich macht, dass die Hauptstadt Deutschlands auch ein Aushängeschild der Republik ist, und das ist auch die Aufgabe, die wir als Berliner CDU definieren.

    Liminski: Das war Frank Steffel der Fraktionsvorsitzende der CDU in Berlin. Besten Dank für das Gespräch, Herr Steffel.

    Link: Interview als RealAudio