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Verkehrspolitik
„Wir brauchen den Umbau der Autoindustrie“

Wir brauchen insgesamt eine andere Verkehrspolitik, sagte der Politiker Anton Hofreiter (Bündnis 90/Grüne) im Dlf. Die Autoindustrie dürfe nicht länger an alten Technologien festhalten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zudem müsse man verstärkt auf das Fahrrad, zu Fuß gehen sowie Bus und Bahn setzen.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 18.05.2019
Anton Hofreiter sitzt in einem braunen Sofa. Seine Hände liegen halbgefaltet im Schoß.
Wasserstofffahrzeuge oder Elektroautos - irgendwann müsse man sich für eine der beiden Technologien entscheiden, sagte Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, im Dlf (imago stock&people/Xander Heinl)
Jürgen Zurheide: Die Elektromobilität verändert vieles. Die deutsche Vorzeigeindustrie muss sich neu erfinden, das ist das eine. Das hat Konsequenzen sowohl für die Menschen und ihr Mobilitätsverhalten, aber auch für die Arbeitsplätze. Es werden weniger, wie viele, weiß man nicht genau. Vor allen Dingen, es werden andere. Zum Beispiel Volkswagen hat jetzt gestern noch gesagt, wir ändern die Pläne. Aus Kostengründen soll ein günstiges Elektroauto vermutlich in der Slowakei gefertigt werden und nicht in Deutschland. Über all das wollen wir sprechen, und ich begrüße Anton Hofreiter von den Grünen am Telefon. Guten Morgen, Herr Hofreiter!
Anton Hofreiter: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Hofreiter, der erste Punkt: Wenn jetzt viele Hersteller, wie zum Beispiel Volkswagen, alles auf E-Mobilität setzen, ist das eigentlich richtig, oder brauchen wir nicht eine etwas größere technologische Offenheit?
Hofreiter: Eine technologische Offenheit ist sehr, sehr gut während der Entwicklung und während der Forschung, aber irgendwann muss man sich entscheiden, nämlich sonst ist man nicht in der Lage, die richtigen Infrastrukturentscheidungen zu treffen. Im Moment wird im Bereich beim Pkw, im Bereich der batterieelektrischen Technik deutlich mehr investiert als zum Beispiel im wasserstoffelektrischen. Warum man sich irgendwann entscheiden muss, liegt einfach, wie gesagt, an der Infrastruktur, oder simpel gesagt: Aus einer Elektroladesäule läuft kein Wasserstoff, und an einer Wasserstofftankstelle können Sie kein batterieelektrisches Fahrzeug aufladen. Aber wir brauchen die anderen Technologien mit hoher Wahrscheinlichkeit für andere Mobilitätsformen. Zum Beispiel das Flugzeug ist die beste Chance, Power-to-Liquid, und auch zum Beispiel beim langlaufenden Lkw, wobei man da natürlich versuchen sollte, möglichst viel auf die Bahn zu verlagern. Da ist die Frage durchaus auch noch offen, ob es mal so starke Batterien gibt oder ob da nicht das wasserstoffelektrische Fahrzeug die bessere Technologie ist.
Hofreiter: Brauchen eine andere Verkehrspolitik
Zurheide: Jetzt sagen manche, es gibt auch sowas wie regenerativ gewinnbare Kraftstoffe. Sagen Sie, interessant, aber wir müssen uns entscheiden, oder wie ist Ihre Antwort auch da?
Hofreiter: Das ist Power-to-Liquid. Die regenerativ gewinnbaren Kraftstoffe, die sind im Verhältnis deutlich teurer als das batterieelektrische. Deswegen, ich glaube, die brauchen wir für Spezialanwendungen wie zum Beispiel das Flugzeug, wo man sich mindestens für das Langstreckenflugzeug kaum was anderes vorstellen kann. Bei Kurzstrecken entwickelt Airbus irgendwas mit Batterien, aber bei Kurzstrecke, glaube ich, ist die Eisenbahn sowieso die sinnvollere Technologie.
Zurheide: Das heißt, Sie sagen, wenn wir uns jetzt entscheiden, dann müssen wir Batterie im Moment präferieren. Da taucht natürlich die spannende Frage auf, erstens, woher kommen die Batterien, und wie werden sie gefertigt. Steht da zum Beispiel drauf, hier ist Kinderarbeit drin oder nicht. Das sind alles so Aspekte, wie wollen Sie das klären oder regeln, oder sagen Sie, na, das müssen wir eben hinnehmen?
Hofreiter: Nein, das müssen wir nicht hinnehmen. Ich bin, ehrlich gesagt, extrem froh, dass über die Debatte beim batterieelektrischn Fahrzeug beziehungsweise bei den Batterien erst mal drüber diskutiert wird so richtig ernsthaft, wo wir unsere metallischen und mineralischen Rohstoffe herhaben.
Das ist allerdings überhaupt nichts, was sich auf die Autos allein bezieht, sondern die Handys, auch die konventionellen Verbrennungsmotorenfahrzeuge, unsere Computer – nahezu alle unsere technischen Geräte, ist häufig sehr skandalös, wo die metallischen und mineralischen Rohstoffe herkommen. Deswegen, wir brauchen dort deutlich mehr Verantwortung in der Lieferkette. Es hat uns bis jetzt interessanterweise bloß bei allen anderen Produkten kaum oder fast gar nicht interessiert als Gesellschaft. Deshalb sehe ich die Debatte darum als große Chance, dass wir endlich anständiger umgehen mit unserer Lieferkette.
Natürlich müssen wir auch die Stoffe im Kreislauf führen und recyceln, und natürlich kommt auch dazu – man diskutiert immer nur: Elektroauto ja, nein –, brauchen wir insgesamt eine andere Verkehrspolitik. Also die Menge sozusagen der Kilometer, die mit dem Auto gefahren werden, müssen runter. Nämlich wenn die Stadt verstopft ist mit lauter batterieelektrischen Fahrzeugen, ist das auch nicht schön. Deswegen, wir brauchen insgesamt eine Verkehrspolitik, die viel stärker auf Fahrrad, zu Fuß gehen, Bus und Bahn setzt. Aber wir brauchen auch den Umbau der Autoindustrie.
"Deswegen ist ja unsere Handelspolitik so unverantwortlich"
Zurheide: Auf der anderen Seite, wenn ich im Moment einen Hersteller, egal welchen ich jetzt nennen könnte, frage, wo kommt denn Ihre Batterie her, ich glaube, keiner kann mir da hundertprozentig bescheinigen, die ist zum Beispiel nicht mit Kinderarbeit gefertigt. Sowas ist im Moment nicht möglich.
Hofreiter: Ja, deswegen müssen wir das ändern, aber wir müssen es, wie gesagt, nicht nur bei den Batterien ändern, sondern wir müssen es bei den tausenden von anderen Produkten, wo Ihnen das auch keiner beantworten kann. Ich wette mit Ihnen, sie wissen nicht – und das ist gar kein Vorwurf an Sie –, Sie wissen nicht, ob das Kleidungsstück, das Sie jetzt gerade anhaben, mit Kinderarbeit gefertigt ist. Sie wissen nicht, ob das Smartphone, das Sie wahrscheinlich dabeihaben, dass nicht mit Kinderarbeit bestimmte Mineralien rausgeholt worden sind, beziehungsweise bei Ihrem Smartphone ist die Wahrscheinlichkeit sogar sehr hoch, dass da Menschenrechtsverletzungen drinstecken.
Deswegen, ich sage, ja, das müssen wir machen, aber das müssen bei all den Produkten, die wir aus der Welt importieren, und deswegen brauchen wir ja auch dringend andere Handelsverträge, deswegen ist ja unsere Handelspolitik so unverantwortlich.
Zurheide: Was halten Sie von der Idee, dass zum Beispiel bei Dingen, die importiert werden, bestimmte ökologische Standards, wenn sie eben nicht eingehalten werden, als eine Art Zoll erhoben werden? Wobei das Spannende ist, dann sind wir fast bei der Diskussion, die Trump aus anderen Gründen macht, sind wir dann da angelangt. Müssen wir da nicht drüber nachdenken?
Hofreiter: Doch, ich glaube, da müssen wir drüber nachdenken, wie wir diese Standards durchsetzen, bloß es gibt einen ganz großen Unterschied zu Trump: Trump will einfach Protektionismus. Ökologische und soziale Maßnahmen umzusetzen in Handelsverträgen ist im Grunde glatt das Gegenteil, nämlich du kannst dem ganz einfach sozusagen ausweichen, indem du die Menschen, die in deinem Land arbeiten, anständig behandelst und indem du ökologische Mindeststandards einhältst. Also es ist eine Maßnahme zur Durchsetzung ökologischer und sozialer Standards und damit das Gegenteil von Herrn Trump.
"Problem für die Autoindustrie ist eine Wettbewerbsfrage"
Zurheide: Was heißt das alles für die Industrie? In der Automobilindustrie, bei den Zulieferern und überall, wo man zu tun hat, wird das heftige Veränderungen mit sich bringen. Was sagen Sie den Menschen, denen auch da wieder eine Menge abverlangt wird?
Hofreiter: Dass wir das gemeinsam mit ihnen gestalten müssen, und deswegen sind wir in einem intensiven Dialog unter anderem mit der IG-Metall, dass wir unsere Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung umbauen müssen, dass wir über sowas nachdenken müssen wie das Transformationskurzarbeitergeld, was die IG-Metall entwickelt hat, dass wir ein Recht auf Weiterbildung haben und dass wir schnell ausreichend investieren.
Dann müssen das möglichst viele Menschen in den neuen Industrien ihren Platz finden, nämlich das Problem für die Autoindustrie ist ja auch eine Wettbewerbsfrage. Wenn Sie noch länger an der alten Technologie festhält, dann kommt der Autostandort Deutschland unter noch größeren Druck, denn wir haben ja nicht die Möglichkeit zu entscheiden, bauen wir weiter Verbrennungsmotoren und zerstören unser Klima, oder setzen wir auf Null-Emissions-Fahrzeuge und zerstören unser Klima nicht, sondern um uns herum werden viele Null-Emissions-Fahrzeuge werden entwickelt und gebaut, und deshalb stellt sich die Frage: Können wir einen Teil, vielleicht sogar einen Großteil, vielleicht sogar fast alle Arbeitsplätze retten, oder gehen sie kaputt über die Konkurrenz aus oder durch die Konkurrenz mit den Autoherstellern aus Japan, aus Südkorea, aus China insbesondere.
Zurheide: Jetzt könnte ich natürlich sagen, die deutsche Automobilindustrie hat einen Teil der Zukunft verschlafen. Weil man später anfängt, soll der Staat auch noch dafür bezahlen mit diesen Umwandlungs- oder Transformationskurarbeitergeld. Was sagen Sie zu dem Vorhalt?
Hofreiter: Dieser Vorhalt ist zum Teil richtig, dass die deutsche Autoindustrie das verschlafen hat, aber wir haben als Gesamtgesellschaft, glaube ich, ein Interesse daran, dass wir erstens die Klimakrise in den Griff kriegen und zweitens, dass nicht ganze Regionen wegkippen, indem eine unserer stärksten, wenn nicht sogar die stärkste Industrie in noch größere Schwierigkeiten gerät.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.