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Verkehrsprojekt in Stuttgart
Logistik in der Tiefgarage

Ab in den Untergrund - und zwar in eine Tiefgarage. So lautet die Grundidee eines neuen Projekts in Stuttgart. Tiefgaragen verwandeln sich für den Lastenfahrrad-Dienst zu einer Art unterirdischem Logistik-Zentrum.

Von Thomas Wagner | 24.06.2019
Auf ein halbes Jahr ist der Modellversuch befristet
Ein Ziel des neuen Logistikmodells: Weniger LKW in der Innenstadt (www.imago-images.de/Jürgen Heinrich)
Das Ding sieht aus wie eine Mischung aus Fahrrad und Lastzug: Vorne ein Fahrrad mit elektrischem Hilfsmotor, eine Art Zugmaschine, hinten angedockt ein großer Container und, auf einem Anhänger, nochmals ein Container:
"Wir haben ein Lastenrad hier vor uns, um damit Pakete in der Innenstadt auf andere Art ausliefern können."
Nicht nur Pakete, sondern zunehmend ganze Stückgutpaletten, erklärt Raimund Rassillier vom Tübinger Unternehmen "Velo-Carrier". Klassische LKW und Lieferwagen im innerstädtischen Lieferbetrieb werden dabei immer mehr durch Lastenräder ersetzt. Das ist umweltfreundlicher und benötigt deutlich weniger Parkflächen. Problem dabei allerdings: Wo die Pakete umladen von den großen Lieferdiensten auf die Lasten-Bikes für die letzte Meile zum Empfänger? Bisher geschah das häufig weitab vom Stadtkern, weitab von den Kunden.
Neuartiges Verteilgeschäft
Trotz e-Motor: Der Fahrer des Lastenbikes musste sich erst mal schier die Lunge aus dem Leib strampeln, um tatsächlich beim Empfänger anzukommen - bisher. Denn nun, im Rahmen des Stuttgarter Modellversuches "Park Up", ist die Lösung des Problems - ganz unten:
"Wir dürfen und müssen in den Untergrund gehen." Und zwar in eine Tiefgarage. Die verwandelt sich für den Lastenfahrrad-Dienst zu einer Art unterirdischem Logistik-Zentrum.
"In der Parkgarage bringen die Zulieferer die Boxen fertig gepackt mit den Paketen und den Sendungen zu uns, beziehungsweise in die Parkgarage. Und wir bringen das mit unseren kleinen Fahrzeugen auf den jeweiligen Parkplätzen im Untergrund, in den Tiefgaragen, stellen dort mehrere Boxen auf einen Parkplatz und bringen die dann dementsprechend mit anderen kleinen Fahrzeugen auf die Straße und verteilen dann die Waren."
Will heißen: LKW bringen die Pakete und Paletten in die Tiefgarage, "Velo Carrier" verteilt sie dort auf die verschiedenen Lastenräder, deren Fahrer dann längst nicht mehr so lange bis zum Empfänger strampeln müssen wie bisher - so funktioniert der zunächst auf ein halbes Jahr befristete Modellversuch "Park Up". Dass dafür in den innerstädtischen Tiefgaragen genügend Platz sein soll für das Verteilgeschäft der Lasten-Biker, verwundert auf den ersten Blick. Allerdings. Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an.
Weniger Lieferwagenverkehr in der Innenstadt
Vor allem in den ganz frühen Morgenstunden nutzen die Lastenrad-Dienste im Zuge von "Park Up" die Tiefgaragen. Und das könnte für den Parkhausbetreiber Apcoa, einem weiteren Projektpartner, langfristig zu einem zusätzlichen Geschäft werden, so Apcoa-Manager Niels Christ:
"Allerdings sind die Nächte und die frühen Morgenstunden nicht voll ausgelastet in Parkhäusern, was dazu führt, dass wir uns über diversifizierte Umnutzungsarten Gedanken machen und dementsprechend auch Zugang bereit stellen, so zum Beispiel hier für die Logistik im innerstädtischen Bereich."
Was gerade in der von überhöhten Stickoxid- und Feinstaubwerten geplagten Stadt Stuttgart hoch willkommen ist. Denn "Park Up", das mehr Lastenradlogistik ermöglicht, bedeutet auch: Weniger Lieferwagenverkehr in der Innenstadt, so Michael Münter, Mobilitätsplaner der Stadt Stuttgart:
"Das ist nicht die Riesenlösung und nicht die einzige Lösung. Aber wenn wir die Innenstadt vom klassischen LKW-Lieferverkehr entlasten können, ist das natürlich etwas sehr, sehr Gutes."
Nicht jedes Parkhaus geeignet
In drei innerstädtischen Parkhäusern in Stuttgart ist "Park Up" heute angelaufen, ebenso an einem weiteren Standort in Tübingen. Im nächsten halben Jahr wollen die Projektpartner die Alltagstauglichkeit des Konzepts austesten. Dann soll über eine flächendeckende Nutzung der Parkhäuser für Lastenrad-Logistiker geredet werden. Allerdings: Nicht jedes Parkhaus in jeder Stadt ist dazu geeignet, so Bernd Bienzeisler vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, das "Park Up" entwickelt hat:
"Sie brauchen zunächst mal ein hohes Sendungsaufkommen in der Innenstadt, also eine kritische Anzahl an Paketen im Be-to-be-Bereich. Und dann brauchen sie natürlich Parkhäuser, die entsprechend attraktiv liegen. Also es macht keinen Sinn, wenn Sie mit dem Lastenrad jetzt zehn Kilometer zum Parkhaus fahren. Die Rampe darf nicht zu steil sein. Und es macht auch keinen Spaß, mit dem Lastenrad fünf Etagen in die Tiefe zu fahren. Das sind so Dinge, die man sich schon anschauen muss."