Zagatta: Die Vertrauensabstimmung morgen im Bundestag wird zu einer Zitterpartie für das Regierungslager. Höchstens sieben Abgeordnete aus dem Koalitionslager dürfen mit Nein stimmen; sonst geht das ganze schief. Und es wird eng, denn auch in der SPD-Fraktion wird es offenbar zumindest schon eine Neinstimme geben. Acht Grünen-Bundestagsabgeordnete haben sich ja am Wochenende schon auf ein Nein festgelegt. Zumindest vier von ihnen wollen ihren Erklärungen nach jetzt auch trotz der Vertrauensfrage dabei bleiben. Es wird also eine ganz enge Sache, auch wenn die Führung von Bündnis 90/Die Grünen für eine Zustimmung wirbt. - Kerstin Müller ist am Telefon, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Guten Morgen Frau Müller!
Müller: Guten Morgen.
Zagatta: Frau Müller, Sie müssen sich ja jetzt zuversichtlich geben, aber mit welchen Gefühlen sehen Sie denn der Abstimmung entgegen? Ist Ihnen nicht ein bisschen mulmig?
Müller: Nein, zunächst mal nicht. Die Fraktion hat gesagt, auch die acht, die mit Nein stimmen wollen/wollten, dass sie einmütig bei einer Vertrauensfrage dem Kanzler das Vertrauen aussprechen würden. Nun haben wir die Situation. Sie ist verknüpft mit der Sachentscheidung, was ich persönlich mehr als unglücklich finde. Das haben wir uns nicht ausgesucht. Aber so ist es nun und wir werden erst am Freitagmorgen wissen, wie sie ausgehen wird.
Zagatta: Vier Ihrer Abgeordneten haben sich ja jetzt trotz Vertrauensfrage festgelegt, dann trotzdem mit Nein zu stimmen. Eine SPD-Abgeordnete soll angeblich hinzukommen. Können Sie da ausschließen, dass der Kanzler morgen scheitert?
Müller: Ausschließen würde ich nichts. Das ist eine offene Abstimmung. Da trägt jeder Abgeordnete eine große Verantwortung. Ich kann nur noch mal an alle, die in der Sachentscheidung eigentlich mit Nein abstimmen möchten, appellieren: über die Fortsetzung der Koalition hat ein Parteitag, ein grüner Parteitag entschieden und nur er ist souverän zu entscheiden, wie es mit der Koalition weitergehen soll. Der Parteitag ist eine Woche später. Wenn nun aufgrund von Einzelentscheidungen, individuellen Entscheidungen von Abgeordneten dies zu einem Bruch der Koalition führt, dann werden irreversible Fakten geschaffen. Dann wird dem Parteitag vorgegriffen und das finde ich nicht verantwortlich.
Zagatta: Aber es geht bei dieser Abstimmung ja auch um den Afghanistan-Einsatz. Es geht um eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, die sich zum Teil schon sehr deutlich festgelegt haben. Wie will Ihre Fraktion aus dieser Klemme heraus kommen, ohne sich total zu verbiegen?
Müller: Es geht überhaupt nicht ums Verbiegen, weil wir haben mit Mehrheit sehr deutlich gesagt, wir halten die begrenzten, zielgerichteten militärischen Maßnahmen gegen den Terrorismus legitim, aber wir haben als Grüne die Rolle der kritischen Solidarität. Das heißt wir sind solidarisch, aber das heißt nicht, dass wir zu allem Ja und Amen sagen.
Zum zweiten: Wir hatten Kritik an dem Antrag, an dem Mandat. Das Mandat ist uns nicht genau genug. Wir haben kritisiert, dies entspricht nicht dem Parlamentsvorbehalt. Nun wurden Präzisierungen erreicht, was Auftrag, Einsatzort, was die Zusammensetzung der Streitkräfte betrifft und eine umfassende Unterrichtung und Konsultation des Bundestages. Damit haben wir alle unsere Kritikpunkte, die wir am Antrag der Bundesregierung hatten, erfüllt durch eine Erklärung, die die Regierung in den Ausschüssen zu Protokoll gegeben hat. Ich hoffe, dass wir damit Brücken gebaut haben, denn für viele war auch die Art des Vorratsbeschlusses ein Grund, möglicherweise mit Nein zu stimmen.
Zagatta: Aber wie steht denn Ihre Partei da, wenn sich acht Bundestagsabgeordnete am Wochenende schriftlich festlegen und sagen, dass sie mit Nein stimmen werden und dies dann nicht tun? Die CDU spottet ja jetzt schon, die Grünen fahren den Panzer lieber selber, als aus der Regierung auszuscheiden. Trifft dieser Eindruck nicht zu?
Müller: Bei der CDU ist ja interessant: sie möchte in der Sache eigentlich mit Ja stimmen; warum tut sie das nicht?
Zagatta: Mit dem gleichen Argument wie Sie. Sie sagt "die Vertrauensfrage".
Müller: Ich höre, dass sie mit Nein stimmen wird. Wer verbiegt sich da? Offensichtlich die CDU. - Es ist eben so, dass hier diese Gewissensentscheidung, die Frage von Krieg und Frieden mit der Vertrauensfrage verknüpft ist. Mit der Vertrauensfrage steht die Frage der Koalition. Da geht eben noch vieles andere in die Waagschale. Da haben wir zu bilanzieren, was haben wir in dieser Koalition erreicht: Staatsbürgerschaft, eingetragene Partnerschaften, Ausstieg aus der Atomenergie. Das alles muss jetzt mit in diese Entscheidung einfließen, nicht nur was den Krieg in Afghanistan betrifft. Da denke ich sind alle Abgeordneten sehr klar - das haben auch die acht erklärt -, sie wollen diese Koalition fortsetzen. Wenn sie dies wollen, dann müssen sie auch am Freitag mit Ja stimmen. Im übrigen hat die Situation in Afghanistan sich dramatisch verändert. Jeder und jede muss überlegen, ob er und sie, wenn man jetzt mit Nein stimmt, daran hängt, das Schicksal der Koalition und damit auch die Perspektive der Grünen, der SPD auf lange Zeit, ob er hier einen Einsatz ablehnt, der eigentlich in einem Monat gar nicht mehr zum Zuge kommen wird.
Zagatta: Wenn die Grünen jetzt mit Ja stimmen und damit zustimmen, schlüpfen Sie da nicht in die Rolle der FDP, die diese Partei früher gehabt hat, Frau Müller?
Müller: Nein, überhaupt nicht. Es geht hier um die Koalitionsfrage. Es geht nicht mehr im Vordergrund um die Frage, wie stehen sie zu diesem Einsatz. Das sieht man an den Entscheidungen der FDP und der CDU, die in der Sache eigentlich voll mit Ja stimmen wollen, aber hier mit Nein stimmen werden. Das heißt es steht das Vertrauen zu diesem Kanzler, das Vertrauen zu dieser Koalition und alle Grünen-Abgeordneten haben erklärt, dass sie umfassendes Vertrauen zu diesem Kanzler und zu dieser Koalition haben. Ich möchte, dass ein Parteitag eine solche Sache entscheidet. Die Frage über Fortsetzung der Koalition ist keine Gewissensfrage, sondern das ist eine politische Frage. Darüber entscheiden Parteitage und nicht allein einzelne Abgeordnete. Ich bitte, dass die Abgeordneten dies bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.
Zagatta: Und Sie fürchten nicht, dass Sie dort das Image der Umfallerpartei bekommen? Die Mehrheit der Landesverbände hat sich ja auch eindeutig dafür ausgesprochen, diesen Afghanistan-Einsatz nicht zu billigen.
Müller: Nein. Die Mehrheit der Landesverbände hat eine Einstellung der Bombardierung gefordert, bei gleichzeitigem Mehrheitsbeschluss, dass man grundsätzlich - das war der Länderratsbeschluss - militärische Maßnahmen für legitim und richtig erachtet, weil die USA nach diesem furchtbaren Anschlag nach dem Völkerrecht das Recht auf Selbstverteidigung haben. Wir haben unsere Rolle als kritische Solidarität beschrieben. Das heißt wir sind solidarisch. Wir sehen das Recht auf Selbstverteidigung, aber das heißt nicht, dass wir alles gut finden, was die USA in dieser Auseinandersetzung machen. Dies werden wir auch weiterhin deutlich machen.
Die Mehrheit der Partei hält begrenzte militärische Maßnahmen für legitim, aber hat Kritik an dem, wie es in Afghanistan läuft und wie die Maßnahmen ausfallen. Noch einmal: die aktuelle Situation hat sich im Moment verändert. Es sieht so aus, als ob das Taliban-Regime nicht mehr lange in Afghanistan regieren wird. Die Städte werden befreit. Die Flüchtlinge und die Bevölkerung können humanitär versorgt werden. Auch das ist etwas, was die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung bedenken sollten. Wir haben hier über einen Antrag, über einen Einsatz, einen möglichen Einsatz der Bundeswehr zu entscheiden, zu dem es wahrscheinlich nicht mehr kommen wird.
Zagatta: Dann hätte man die Vertrauensfrage ja gar nicht stellen müssen?
Müller: Er stellt sie aber und er hat als Kanzler das Recht dazu, diese Vertrauensfrage zu stellen.
Zagatta: Ist das nicht aber eine Art Erpressung? Ist das nicht zumindest ein merkwürdiger Umgang mit einem Koalitionspartner?
Müller: Nein. Ich halte das nicht für Erpressung, sondern das ist sein legitimes Recht nach der Verfassung. Dafür hat er seine Gründe genannt. Ich persönlich finde diese Verknüpfung nicht sehr gut, finde sie mehr als unglücklich. Wir haben jetzt im Deutschen Bundestag die Situation, dass diejenigen, die eigentlich von der Sachentscheidung dafür stimmen wollen, dagegen stimmen werden, dass einige möglicherweise, die von der Sachentscheidung immer noch trotz der aktuellen Entwicklung dagegen stimmen wollen, dafür stimmen werden. So ist das nun mal. Hier steht eben jetzt die Vertrauensfrage zur Abstimmung. Da geht es um die Fortsetzung der Koalition und da haben alle acht gesagt, dass sie eine Fortsetzung der Koalition wollen. Ich sage: darüber kann letztlich nur ein Parteitag entscheiden. Ich appelliere an die acht, dass sie einer solchen Entscheidung nicht vorgreifen mit ihren individuellen Abstimmungsverhalten.
Zagatta: Frau Müller, die SPD soll ihren Abgeordneten, die mit Nein stimmen wollen, die Mandatsniederlegung nahegelegt haben. Wie halten Sie das in Ihrer Fraktion?
Müller: Das ist völlig undenkbar in der Grünen-Fraktion. Wir haben ein breites Spektrum auch in der Partei, auch in der Fraktion an Meinungen. Wir führen die Auseinandersetzung über Krieg und Frieden sehr offen, ein Stück weit stellvertretend für die Gesellschaft. Ich würde niemals auf diesen Gedanken kommen.
Zagatta: Kerstin Müller, die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. - Schönen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Müller: Guten Morgen.
Zagatta: Frau Müller, Sie müssen sich ja jetzt zuversichtlich geben, aber mit welchen Gefühlen sehen Sie denn der Abstimmung entgegen? Ist Ihnen nicht ein bisschen mulmig?
Müller: Nein, zunächst mal nicht. Die Fraktion hat gesagt, auch die acht, die mit Nein stimmen wollen/wollten, dass sie einmütig bei einer Vertrauensfrage dem Kanzler das Vertrauen aussprechen würden. Nun haben wir die Situation. Sie ist verknüpft mit der Sachentscheidung, was ich persönlich mehr als unglücklich finde. Das haben wir uns nicht ausgesucht. Aber so ist es nun und wir werden erst am Freitagmorgen wissen, wie sie ausgehen wird.
Zagatta: Vier Ihrer Abgeordneten haben sich ja jetzt trotz Vertrauensfrage festgelegt, dann trotzdem mit Nein zu stimmen. Eine SPD-Abgeordnete soll angeblich hinzukommen. Können Sie da ausschließen, dass der Kanzler morgen scheitert?
Müller: Ausschließen würde ich nichts. Das ist eine offene Abstimmung. Da trägt jeder Abgeordnete eine große Verantwortung. Ich kann nur noch mal an alle, die in der Sachentscheidung eigentlich mit Nein abstimmen möchten, appellieren: über die Fortsetzung der Koalition hat ein Parteitag, ein grüner Parteitag entschieden und nur er ist souverän zu entscheiden, wie es mit der Koalition weitergehen soll. Der Parteitag ist eine Woche später. Wenn nun aufgrund von Einzelentscheidungen, individuellen Entscheidungen von Abgeordneten dies zu einem Bruch der Koalition führt, dann werden irreversible Fakten geschaffen. Dann wird dem Parteitag vorgegriffen und das finde ich nicht verantwortlich.
Zagatta: Aber es geht bei dieser Abstimmung ja auch um den Afghanistan-Einsatz. Es geht um eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, die sich zum Teil schon sehr deutlich festgelegt haben. Wie will Ihre Fraktion aus dieser Klemme heraus kommen, ohne sich total zu verbiegen?
Müller: Es geht überhaupt nicht ums Verbiegen, weil wir haben mit Mehrheit sehr deutlich gesagt, wir halten die begrenzten, zielgerichteten militärischen Maßnahmen gegen den Terrorismus legitim, aber wir haben als Grüne die Rolle der kritischen Solidarität. Das heißt wir sind solidarisch, aber das heißt nicht, dass wir zu allem Ja und Amen sagen.
Zum zweiten: Wir hatten Kritik an dem Antrag, an dem Mandat. Das Mandat ist uns nicht genau genug. Wir haben kritisiert, dies entspricht nicht dem Parlamentsvorbehalt. Nun wurden Präzisierungen erreicht, was Auftrag, Einsatzort, was die Zusammensetzung der Streitkräfte betrifft und eine umfassende Unterrichtung und Konsultation des Bundestages. Damit haben wir alle unsere Kritikpunkte, die wir am Antrag der Bundesregierung hatten, erfüllt durch eine Erklärung, die die Regierung in den Ausschüssen zu Protokoll gegeben hat. Ich hoffe, dass wir damit Brücken gebaut haben, denn für viele war auch die Art des Vorratsbeschlusses ein Grund, möglicherweise mit Nein zu stimmen.
Zagatta: Aber wie steht denn Ihre Partei da, wenn sich acht Bundestagsabgeordnete am Wochenende schriftlich festlegen und sagen, dass sie mit Nein stimmen werden und dies dann nicht tun? Die CDU spottet ja jetzt schon, die Grünen fahren den Panzer lieber selber, als aus der Regierung auszuscheiden. Trifft dieser Eindruck nicht zu?
Müller: Bei der CDU ist ja interessant: sie möchte in der Sache eigentlich mit Ja stimmen; warum tut sie das nicht?
Zagatta: Mit dem gleichen Argument wie Sie. Sie sagt "die Vertrauensfrage".
Müller: Ich höre, dass sie mit Nein stimmen wird. Wer verbiegt sich da? Offensichtlich die CDU. - Es ist eben so, dass hier diese Gewissensentscheidung, die Frage von Krieg und Frieden mit der Vertrauensfrage verknüpft ist. Mit der Vertrauensfrage steht die Frage der Koalition. Da geht eben noch vieles andere in die Waagschale. Da haben wir zu bilanzieren, was haben wir in dieser Koalition erreicht: Staatsbürgerschaft, eingetragene Partnerschaften, Ausstieg aus der Atomenergie. Das alles muss jetzt mit in diese Entscheidung einfließen, nicht nur was den Krieg in Afghanistan betrifft. Da denke ich sind alle Abgeordneten sehr klar - das haben auch die acht erklärt -, sie wollen diese Koalition fortsetzen. Wenn sie dies wollen, dann müssen sie auch am Freitag mit Ja stimmen. Im übrigen hat die Situation in Afghanistan sich dramatisch verändert. Jeder und jede muss überlegen, ob er und sie, wenn man jetzt mit Nein stimmt, daran hängt, das Schicksal der Koalition und damit auch die Perspektive der Grünen, der SPD auf lange Zeit, ob er hier einen Einsatz ablehnt, der eigentlich in einem Monat gar nicht mehr zum Zuge kommen wird.
Zagatta: Wenn die Grünen jetzt mit Ja stimmen und damit zustimmen, schlüpfen Sie da nicht in die Rolle der FDP, die diese Partei früher gehabt hat, Frau Müller?
Müller: Nein, überhaupt nicht. Es geht hier um die Koalitionsfrage. Es geht nicht mehr im Vordergrund um die Frage, wie stehen sie zu diesem Einsatz. Das sieht man an den Entscheidungen der FDP und der CDU, die in der Sache eigentlich voll mit Ja stimmen wollen, aber hier mit Nein stimmen werden. Das heißt es steht das Vertrauen zu diesem Kanzler, das Vertrauen zu dieser Koalition und alle Grünen-Abgeordneten haben erklärt, dass sie umfassendes Vertrauen zu diesem Kanzler und zu dieser Koalition haben. Ich möchte, dass ein Parteitag eine solche Sache entscheidet. Die Frage über Fortsetzung der Koalition ist keine Gewissensfrage, sondern das ist eine politische Frage. Darüber entscheiden Parteitage und nicht allein einzelne Abgeordnete. Ich bitte, dass die Abgeordneten dies bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.
Zagatta: Und Sie fürchten nicht, dass Sie dort das Image der Umfallerpartei bekommen? Die Mehrheit der Landesverbände hat sich ja auch eindeutig dafür ausgesprochen, diesen Afghanistan-Einsatz nicht zu billigen.
Müller: Nein. Die Mehrheit der Landesverbände hat eine Einstellung der Bombardierung gefordert, bei gleichzeitigem Mehrheitsbeschluss, dass man grundsätzlich - das war der Länderratsbeschluss - militärische Maßnahmen für legitim und richtig erachtet, weil die USA nach diesem furchtbaren Anschlag nach dem Völkerrecht das Recht auf Selbstverteidigung haben. Wir haben unsere Rolle als kritische Solidarität beschrieben. Das heißt wir sind solidarisch. Wir sehen das Recht auf Selbstverteidigung, aber das heißt nicht, dass wir alles gut finden, was die USA in dieser Auseinandersetzung machen. Dies werden wir auch weiterhin deutlich machen.
Die Mehrheit der Partei hält begrenzte militärische Maßnahmen für legitim, aber hat Kritik an dem, wie es in Afghanistan läuft und wie die Maßnahmen ausfallen. Noch einmal: die aktuelle Situation hat sich im Moment verändert. Es sieht so aus, als ob das Taliban-Regime nicht mehr lange in Afghanistan regieren wird. Die Städte werden befreit. Die Flüchtlinge und die Bevölkerung können humanitär versorgt werden. Auch das ist etwas, was die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung bedenken sollten. Wir haben hier über einen Antrag, über einen Einsatz, einen möglichen Einsatz der Bundeswehr zu entscheiden, zu dem es wahrscheinlich nicht mehr kommen wird.
Zagatta: Dann hätte man die Vertrauensfrage ja gar nicht stellen müssen?
Müller: Er stellt sie aber und er hat als Kanzler das Recht dazu, diese Vertrauensfrage zu stellen.
Zagatta: Ist das nicht aber eine Art Erpressung? Ist das nicht zumindest ein merkwürdiger Umgang mit einem Koalitionspartner?
Müller: Nein. Ich halte das nicht für Erpressung, sondern das ist sein legitimes Recht nach der Verfassung. Dafür hat er seine Gründe genannt. Ich persönlich finde diese Verknüpfung nicht sehr gut, finde sie mehr als unglücklich. Wir haben jetzt im Deutschen Bundestag die Situation, dass diejenigen, die eigentlich von der Sachentscheidung dafür stimmen wollen, dagegen stimmen werden, dass einige möglicherweise, die von der Sachentscheidung immer noch trotz der aktuellen Entwicklung dagegen stimmen wollen, dafür stimmen werden. So ist das nun mal. Hier steht eben jetzt die Vertrauensfrage zur Abstimmung. Da geht es um die Fortsetzung der Koalition und da haben alle acht gesagt, dass sie eine Fortsetzung der Koalition wollen. Ich sage: darüber kann letztlich nur ein Parteitag entscheiden. Ich appelliere an die acht, dass sie einer solchen Entscheidung nicht vorgreifen mit ihren individuellen Abstimmungsverhalten.
Zagatta: Frau Müller, die SPD soll ihren Abgeordneten, die mit Nein stimmen wollen, die Mandatsniederlegung nahegelegt haben. Wie halten Sie das in Ihrer Fraktion?
Müller: Das ist völlig undenkbar in der Grünen-Fraktion. Wir haben ein breites Spektrum auch in der Partei, auch in der Fraktion an Meinungen. Wir führen die Auseinandersetzung über Krieg und Frieden sehr offen, ein Stück weit stellvertretend für die Gesellschaft. Ich würde niemals auf diesen Gedanken kommen.
Zagatta: Kerstin Müller, die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. - Schönen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio