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Verlag "Edition Konturen"
Bücher mit gesellschaftlicher Brisanz

Kleinere Independent-Verlage haben sich in den letzten Jahren neben wachsenden Verlagsgruppen ihre Nischen erobert - und verteidigen diese mit einem unverwechselbaren Profil. Darunter ist auch der Wiener Verlag "Edition Konturen", der konkrete Antworten auf grundlegende Fragen geben will.

Von Annette Brüggemann | 24.10.2016
    Der Blick über Wien vom Stephansdom.
    Der in Wien (Bild) und Hamburg beheimatete Verlag "Edition Konturen" orientiert sich am deutschsprachigen Markt. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    "Meine persönliche Leidenschaft ist die Vermittlung von Wissenschaft in Öffentlichkeit. Das war schon immer so, schon seit dem Studium. Ich habe Geschichte studiert und ich wollte das schon immer gern machen und nicht selber Bücher schreiben, sondern Bücher herausbringen. Ich habe auch schon seit vielen Jahrzehnten im Verlagswesen gearbeitet. Und ursprünglich schien mir das schwierig, weil ich wollte nicht noch einen Wissenschaftsverlag machen, da gibt es viele und sehr professionelle und auch sehr gute. Aber in den letzten Jahren hat sich eine Lücke aufgetan, eine Nische, in die wir unseren Verlag positionieren möchten."
    Die Nische der "Edition Konturen" liegt als Sachbuchverlag zwischen Wissensvermittlung und gesellschaftlicher Relevanz - mit einer breiten Themenpalette von Kunst über Philosophie bis hin zu politischen Analysen. Im Juli 2014 erschien das erste Programm. Mit Verlagsstandorten in Wien und Hamburg hat die Edition sofort deutlich gemacht, dass sie sich nicht als österreichischer Provinzverlag versteht, sondern als ein Verlag, der sich am deutschsprachigen Markt orientiert - und auch dort präsent sein möchte.
    Die Bücher sind in der Regel nicht länger als 200 Seiten
    Verleger Georg Hauptfeld hat sich ganz bewusst für einen klassischen Buchverlag entschieden. Er setzt auf Tradition und Moderne zugleich. Zu jedem Printbuch gibt es ein E-Book gratis zum Download. Auch bietet die Edition begleitende Materialien im Internet an. Vor allem aber möchte Georg Hauptfeld dem Buch die Rolle zuweisen, die ihm in seinen Augen in digitalen Zeiten gebührt:
    "Wir glauben, dass das Buch neu positioniert werden sollte, und kann als das Medium, mit dem man grundlegende Gedanken erörtert. Das Buch ist nicht mehr ein Hypertextmedium, wo man nachschlägt, sondern es ist ein Medium, wo man große gedankliche Bögen darstellen und ausführen kann. Und das in einer möglichst kompakten Weise, so dass es nicht ewig dauert, es zu lesen - und in einer schön gemachten, handlichen Form."
    Die Bücher der "Edition Konturen" zeichnen sich aus durch eine klare gestalterische Linie - und sind in der Regel nicht länger als 200 Seiten.
    Inhaltlich hat sich die Edition mutig ein aufklärerisches Ziel auf die Fahnen geschrieben. In Zeiten wie diesen, in denen unsere Gesellschaft durch die Digitalisierung und die damit einhergehende stärkere Vernetzung und Wissensvermittlung komplexer geworden ist, möchte die "Edition Konturen" einen konstruktiven Beitrag leisten - für ein besseres Verständnis unseres modernen Zusammenlebens.
    Entwürfe eines besseren Lebens
    "Da geht es um ganz grundlegende Fragen: Was bedeutet Freundschaft? Oder wozu brauchen wir Musik? Oder wieso arbeiten wir eigentlich hier? Es geht aber auch um sehr konkrete Fragen: Was können die Menschenrechte beitragen zur Reduktion der globalen Ungleichheit? Oder brauchen wir noch Utopien? Ist das überhaupt sinnvoll? Es gibt ganz, ganz viele Fragen, die man in diesem Zusammenhang stellen kann, um Orientierung zu bieten."
    So weist das Buch "Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse" der Sozialwissenschaftlerin Ruth Wodak aus dem diesjährigen Frühjahrsprogramm immer noch große Aktualität auf:
    "Da geht es um die globale Bewegung in Richtung von autoritäreren Regierungen - von Amerika bis Türkei bis Russland sieht man das ja - mit ganz vielen internationalen Beispielen, wo die Sprachforscherin Ruth Wodak ganz im Detail aufzählt und an sehr vielen internationalen Beispielen klärt wie diese Mechanismen funktionieren, dass diese Rechtspopulisten den Menschen Angst machen und diese Angst dann für sich nutzen."
    Auch die beiden neuen Titel des Herbstprogramms greifen gesellschaftlich relevante Themen auf - in beiden Fällen geht es um Entwürfe eines besseren Lebens. Die ungarische Philosophin Ágnes Heller mit ihrem Buch "Von der Utopie zur Dystopie. Was können wir uns wünschen?" und der österreichische Kunsttheoretiker Robert Fleck mit seiner Studie über den österreichischen Künstler Friedensreich Hundertwasser und dessen künstlerische, architektonische und ökologische Vision "Kunst und Natur. Hundertwasser, Neuseeland und der Entwurf einer ästhetischen Ökologie". Sowohl Agnes Heller als auch Robert Fleck gehören zu den Stammautoren des Verlags. Insbesondere die mittlerweile 87-jährige Ágnes Heller war eine Entdeckung für Georg Hauptfeld und ein wichtiger Auslöser für die Realisierung seines ersten Verlagsprogramms. Kennengelernt hat er die Philosophin während einer ihrer Vorträge in Wien im Jahr 1993:
    Heller schaffte es wie durch ein Wunder einer Deportation zu entgehen
    "Das Faszinierendste ist: Sie ist eine absolute Selberdenkerin. Sie bewegt sich frei in der Geschichte der Philosophie und denkt selber und das strahlt sie auch aus in ihrer Persönlichkeit. Und diese Vorlesung und diese Frau haben mich so fasziniert, dass ich sofort beschlossen habe, daraus ein Buch zu machen, und das ist zum Glück auch gelungen. Das hat wunderbar gepasst, an dem Verlagsgedanken selber hab ich schon einige Jahre zuvor gearbeitet, aber das war dann eigentlich das Startmoment, wo wir dann erste eigene Titel beieinander hatten und starten konnten."
    Ágnes Heller war eine Schülerin des ungarischen Philosophen Georg Lukács, der als bedeutender Erneuerer einer marxistischen Philosophie und Theorie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Heller selbst ist jüdischer Abstammung und schaffte es wie durch ein Wunder mit ihrer Mutter im Holocaust einer Deportation und Ermordung zu entgehen.
    In ihrem Buch "Von der Utopie zur Dystopie" erklärt sie, auf welche Weise Menschen Vorstellungen von einer wünschenswerten Zukunft entwickelt haben. Sie zweifelt daran, ob Utopien überhaupt erstrebenswert sind, denn zu Ende gedacht, hätten sie meist totalitären Charakter. Für Ágnes Heller gibt es kein Rezept für die Zukunft, heute weniger denn je. Darum sympathisiert sie mit den modernen Dystopien von Aldous Huxley bis Michel Houellebecq. In ihren Augen warnen sie mit ganz konkreten Vorstellungen vor den Gefahren für Freiheit und Demokratie.
    "Wir, die modernen Menschen, hegen die Illusion, dass die menschliche Lage besser sein kann als früher, dass wir an einem bevorzugten Ort in der Geschichte angekommen sind. Die Illusion, dass moderne Männer und Frauen unabhängige Individuen sind, die sich angewöhnt haben, mit ihrem eigenen Kopf zu denken, zu wählen, selbst herauszufinden, was richtig ist und was falsch. Dass die Geschichte weiter voranschreitet und dieser Fortschritt unumkehrbar ist. Dass wir nicht verlieren können, was wir einmal gewonnen haben. Dystopische Literatur zeigt, ja beweist, dass wir es sehr wohl verlieren können. Totalitäre Institutionen, sowohl Bolschewiken wie Nazis, haben das bereits vorgeführt. Individualität und Meinungsvielfalt verschwinden schnell, wenn die Menschen dazu konditioniert werden, keine Individuen zu sein, und das Denken mit dem eigenen Kopf nicht nur verboten ist, sondern auch als Sünde gilt."
    Gratwanderung zwischen populärer Einfachheit und fachlichem Anspruch
    Genau diese gesellschaftliche Brisanz wie sie in dem aktuellen Buch von Ágnes Heller deutlich wird, zeichnet die Bücher der "Edition Konturen" insgesamt aus. Die Gratwanderung zwischen populärer Einfachheit und fachlichem Anspruch - sie ist dem Verlag gelungen. Georg Hauptfeld hat noch Größeres im Sinn. Er träumt von einem Verlag, der Menschen und Themen auf lebendige Weise verbindet:
    "Wir wollen auf die Dauer versuchen, mehr als nur Bücher zu machen, auch Diskussionen auslösen, vielleicht Veranstaltungen machen. Wir versuchen unsere Präsentationen auch nicht nur als Buchpräsentationen zu organisieren, sondern als Gespräche zu einem Thema, um einfach die Diskussion in Gang zu bringen und uns als kommunikativer Knotenpunkt zu verstehen. Aber das ist vielleicht noch ein bisschen Utopie."
    Es bleibt zu wünschen, dass Georg Hauptfelds Traum Realität wird. Die Bücher der "Edition Konturen" wollen unsere Gegenwart verständlich machen und zugleich über einen Zeitgeist hinaus weisen. Sie sind nicht für einen schnellen Markt geschaffen und bieten eine fundierte, wirklichkeitsnahe Lektüre.