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Verlagerung des Fachkräftemangels

Die Gefahr des Fachkräftemangels in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen hat sich von den Akademikern zu den Facharbeitern verschoben. Ende des Jahrzehnts könnten bis zu 1,4 Millionen Facharbeiter in den Bereichen Mathematik, Informatik und Technik fehlen.

Von Verena Herb | 06.05.2013
    Der Mangel an Fachkräften in naturwissenschaftlichen und technischen Berufen wird in den kommenden Jahren weiter wachsen, prognostiziert Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände der Metall und Elektroindustrie, kurz MINT- Industrie:

    "600.000 bis 2020, wenn wir nur die ersetzen, die in Ruhestand gehen. Wenn wir Zusatzbedarf haben in Folge von Wachstum und Innovation, sind es 1,4 Millionen Menschen, die wir zusätzlich brauchen."

    Und zwar sowohl jene mit akademischer als auch Facharbeiter mit beruflicher Qualifikation. Während sich der Fachkräftemangel im Bereich der akademischen Berufe etwas entspannt hat, droht nach Einschätzungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft vor allem in den Ausbildungsberufen, dass sich die Situation weiter verschlechtert:

    "Im Bereich der beruflichen Bildung kann – und das ist die eigentlich bedenkliche Aussage – noch nicht mal mehr der demografische Ersatzbedarf im betrachteten Zeitraum von 2013 bis 2020 in Höhe von 1,8 Millionen gedeckt werden. Wir haben derzeit 1,3 Millionen MINT-Absolventen in den beruflichen Schulen",

    so Michael Hüther, Geschäftsführer des IW in Köln. Hinzu kommt, dass zwar die Zahlen der Studierenden im MINT-Bereich gestiegen sind, die Abbrecherquote jedoch bei fast 53 Prozent liegt. Schon jetzt fehlen bereits mehr als 120.000 Akademiker.

    Was getan werden muss – die möglichen Lösungsansätze sind seit Jahren die gleichen. Es muss in die Ausbildung junger Menschen investiert werden, konstatiert Thomas Sattelberger, Ex-Telekomvorstand und nun Vorstandsvorsitzender der Initiative MINT Zukunft schaffen. Es ist Fakt, dass 15 Prozent der 20- bis 29-Jährigen – also knapp 1,45 Millionen Menschen - keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Da müsse man ansetzen:

    "Wir brauchen an den Schulen eine fest im Schulalltag verankerte Berufsorientierung, um die Ausbildungsreife zu sichern. Und wir brauchen – und ich sage das in aller Klarheit – differenzierte Ausbildungsangebote. Wie zum Beispiel auch zweijährige Ausbildungsberufe. Und das nicht nur in den peripheren Berufsfeldern, sondern auch in den Kernberufsbildern – Metall und Elektro – und die Nutzung von modularen Ausbildungsbausteinen."

    Die Liste weiterer Lösungsansätze ist lang: So müssten attraktive Arbeitsplätze für ältere Spezialisten geschaffen werden, auch ist die Neuregelung einer gezielten Zuwanderung qualifizierter ausländischer Fachkräfte vonnöten. Es braucht einen Paradigmenwechsel von der über Jahre praktizierten Abschottung hin zu einer gelebten Willkommenskultur, um auch ausländische Absolventen nach ihrem Abschluss in Deutschland zu halten. Zahlen belegen, dass drei von vier der 12.000 Studierenden Deutschland nach ihrem Studium wieder verlassen, so Thomas Sattelberger:

    "Das ist Verschwendung von Talenten, die wir uns nicht leisten können. Jetzt werden sie sagen: Die gehen wahrscheinlich ins Heimatland zurück. Nein, 60 Prozent gehen überwiegend in einwanderungsfreundliche Länder wie Neuseeland, Kanada hin, und nicht in ihr Heimatland."

    Nichtsdestotrotz: Es sind vor allem die Engpässe bei den beruflich qualifizierten MINT-Fachkräften, die sich auf lange Sicht zu einer Wachstumsbremse entwickeln dürften.