Großreinemachen in der St. Theodor-Kirche im Kölner Stadtteil Vingst. Alle Gemeindemitglieder sind auf den Beinen, damit an Ostern auch alles glänzt. Pfarrer Franz Meurer stützt sich mit beiden Armen auf den Besen, mit dem er die große Halle fegt und beobachtet das Putzfahrzeug, das sich langsam an ihm vorbei schiebt. Dass seine Pfarrkinder bei der Reinigung von St. Theodor mit anpacken, möchte er am liebsten auf seine katholische Kirche übertragen. Um Fehler zu bekennen, sei die Fastenzeit ideal, sagt der Pfarrer. Das Zögern und Zaudern seiner Kirchenoberen, Position zu beziehen und sich der Kritik zu stellen, kommentiert der Pfarrer dagegen mit müdem Kopfschütteln:
"Machtverlust ist immer eine große Chance. Denn Macht aufgrund von äußeren Dingen ist für die Kirche sehr schädlich. Für die Kirche ist im letzten, mal ganz fromm gesagt, die Ohnmacht die eigentliche Erfahrung, die Schwäche, im Kern das Sündenbekenntnis."
Die Kirchenglocken von St. Nikolaus rufen im Kölner Stadtteil Sülz zur Sonntagsmesse. Die Bankreihen sind bis auf den letzten Platz gefüllt, ältere Menschen sitzen neben jungen Eltern mit Kindern. Pfarrer Karl-Josef Schurf spricht den Missbrauch in kirchlichen Institutionen offen an. Seine Stimme bleibt ruhig. Sein Blick ist ernst. Die Gläubigen lauschen ihm gebannt.
"Wenn zurzeit in der Kirche sehr viel Unruhe ist, weil Erwachsene - Priester und Lehrer - sich an Kindern vergriffen haben, dann muss das bestraft werden, ganz und gar. Und es darf nicht verschwiegen werden, dass das so ist."
Im Kirchenschiff ist es mucksmäuschenstill. Ein paar Zuhörer nicken zustimmend. Andere senken den Kopf. Fast beschwörend klingt der Appell des Pfarrers, hinter den Tätern auch die Menschen zu sehen. Und die Opfer nicht zu vergessen
"Aber trotzdem muss diesen Menschen geholfen werden, und sie dürfen ihr Ansehen nicht verlieren, ihr Ansehen als Mensch, als Christ. Und besonders die, die Opfer geworden von dem, was dort nicht gut und richtig war."
Nach der Messe nimmt sich der Pfarrer Zeit für ein Gespräch. Sein Büro steht allen offen. Schurf weiß, dass es gerade jetzt wichtig ist, das Gespräch mit den Gläubigen zu suchen. Während der 52-jährige hochgewachsene Mann das sagt, klingt seine Stimme fast erstaunt, so als müsse er dem Zuhörer einen Grundsatz seiner Arbeit erklären, der für ihn selbst so selbstverständlich ist. Dass trotz des offenen Umgangs in der Gemeinde viele Mitglieder verunsichert sind, zeigte sich für Schurf schnell, nachdem die ersten Missbrauchsfälle ans Licht gekommen waren:
"Das war eine Mischung aus Unzufriedenheit und Enttäuschung. Ich hab schon auch den Druck gespürt, den jeder von uns hatte, den hatte ich auch selber, zu sagen, das ist ein Thema, da können wir nicht einfach so tun, als ob es uns nichts anginge. Jeder muss für sich einen Umgang mit Sexualität suchen und finden. Aber ich glaube, mehr ist auch grad nicht nötig zu sagen, rede darüber, was dir im Moment auf dem Herzen ist. Und das ist schon mal die halbe Miete. Wenn jemand so tut, als ob es das nicht gibt oder wenn jemand sagt 'Ich bin ein Neutrum und habe damit gar nichts zu tun', da merke ich sofort, das reizt mich sehr, das provoziert mich auch."
Unzufrieden ist der Pfarrer mit der Deutschen Bischofskonferenz. Deren Vorgehensweise – die Opfer um Verzeihung zu bitten und strikte Maßnahmen zur Aufklärung und Vermeidung weiteren Missbrauchs anzukündigen - sind ihm zu unkonkret. Auch hätte er sich von Papst Benedikt XIV. eine Entschuldigung gewünscht. Eine Flut von Kirchenaustritten – wie sie derzeit in Teilen Bayern registriert wird - gibt es im Erzbistum Köln nicht.
Am zuständigen Amtsgericht beobachtet man sogar einen rückläufigen Trend - dahinter aber vermutet Richter Jörg Baack eher witterungsbedingte Gründe. 234 Kölner traten im Januar aus der katholischen Kirche aus, im Februar waren es 159. Zum Vergleich: 2009 hatten im gleichen Zeitraum 266 beziehungsweise 346 Kölner der Kirche den Rücken gekehrt. Konkrete Vorjahres-Zahlen für ganz Deutschland will die Deutsche Bischofskonferenz erst im Sommer veröffentlichen. Pfarrer Karl-Josef Schurf ist weniger optimistisch: Er fürchtet eine Austrittswelle, auch wenn die Zahlen in Köln derzeit noch anderes vermuten lassen.
"Das ist meistens so die Erfahrung, dass es ein halbes Jahr später kommt. Ich glaube, dass es jemanden beschäftigt, dass er sich natürlich mit anderen darüber austauscht. Und dass es irgendwann Anlässe gibt, ich kann jetzt nicht definieren, wie die sind, aber dass man dann irgendwann sagt, jetzt reicht's, ich möchte eine Entscheidung treffen, und deshalb trete ich jetzt aus."
Claudia Thome tritt aus. Für die 42-jährige Einzelhandelskauffrau kein leichter Schritt. Die Entscheidung musste auch bei ihr lange reifen. Doch mit dem Missbrauchsskandal ist das Maß voll:
"Das Fass ist jetzt zum Überlaufen gebracht bei mir. Ich bin richtig wütend darüber, was an den Tag kommt. Es ist unbegreiflich, unfassbar, was Menschen machen, die den Glauben vermitteln wollen, hinter geschlossenen Türen vollziehen. Anderen Menschen damit das Leben versauen, das kann ich nicht nachvollziehen, das geht überhaupt nicht."
Ihr Entschluss steht. Den Glauben wird sie nicht verlieren, ist sich Claudia Thome sicher. Aber: Sie will die katholische Kirche mit ihrem Geld nicht mehr unterstützen. Nach dem Gottesdienst in der St. Nikolaus-Kirche zündet sich ein Mann eine Pfeife an. Günther Walter ist nachdenklich. Er hat die Predigt von Pfarrer Schurf gehört. Eigentlich ist der Rentner Mitglied in der Nachbargemeinde. Dort aber schweigt der Pfarrer. Walter vertraut nicht darauf, dass die Kirche alleine einen Ausweg aus der Misere findet. Er findet, der Zölibat und der Umgang der Kirche mit Sexualität müssten ebenfalls offen angesprochen werden.
"Es gibt ja genug Priester, die Kinder haben, bei denen bis zum dritten Kind das Erzbistum Köln die Kindergelder bezahlt. Und das gehört sich ja auch nicht. Und dann sollten sie es nicht, wie sie es jetzt getan haben, verschweigen, und dem Staatsanwalt die Sache übergeben. So was gehört nicht in die Kirchen allein, um darüber zu richten und darüber zu urteilen, das gehört in die Hände vom Staatsanwalt."
Energisch zieht Walter an seiner Pfeife. Ihm tun die Pfarrer leid, die alleine mit der Situation klarkommen müssen, weil die Amtskirche sich nicht verhält. Gemeinschaft sähe anders aus. Doch genau wegen der sei er in der Kirche. Und dass die offener und weltgewandter werden müsse, daran müsse neben den Pfarrern eben auch die Mitglieder sorgen:
"Austritt jetzt nur wegen der sexuellen Sache ist nicht richtig. Man sollte drin bleiben in der Gemeinschaft und eben auch seinen Brei dazutun, ja. Das ist wesentlich."
"Machtverlust ist immer eine große Chance. Denn Macht aufgrund von äußeren Dingen ist für die Kirche sehr schädlich. Für die Kirche ist im letzten, mal ganz fromm gesagt, die Ohnmacht die eigentliche Erfahrung, die Schwäche, im Kern das Sündenbekenntnis."
Die Kirchenglocken von St. Nikolaus rufen im Kölner Stadtteil Sülz zur Sonntagsmesse. Die Bankreihen sind bis auf den letzten Platz gefüllt, ältere Menschen sitzen neben jungen Eltern mit Kindern. Pfarrer Karl-Josef Schurf spricht den Missbrauch in kirchlichen Institutionen offen an. Seine Stimme bleibt ruhig. Sein Blick ist ernst. Die Gläubigen lauschen ihm gebannt.
"Wenn zurzeit in der Kirche sehr viel Unruhe ist, weil Erwachsene - Priester und Lehrer - sich an Kindern vergriffen haben, dann muss das bestraft werden, ganz und gar. Und es darf nicht verschwiegen werden, dass das so ist."
Im Kirchenschiff ist es mucksmäuschenstill. Ein paar Zuhörer nicken zustimmend. Andere senken den Kopf. Fast beschwörend klingt der Appell des Pfarrers, hinter den Tätern auch die Menschen zu sehen. Und die Opfer nicht zu vergessen
"Aber trotzdem muss diesen Menschen geholfen werden, und sie dürfen ihr Ansehen nicht verlieren, ihr Ansehen als Mensch, als Christ. Und besonders die, die Opfer geworden von dem, was dort nicht gut und richtig war."
Nach der Messe nimmt sich der Pfarrer Zeit für ein Gespräch. Sein Büro steht allen offen. Schurf weiß, dass es gerade jetzt wichtig ist, das Gespräch mit den Gläubigen zu suchen. Während der 52-jährige hochgewachsene Mann das sagt, klingt seine Stimme fast erstaunt, so als müsse er dem Zuhörer einen Grundsatz seiner Arbeit erklären, der für ihn selbst so selbstverständlich ist. Dass trotz des offenen Umgangs in der Gemeinde viele Mitglieder verunsichert sind, zeigte sich für Schurf schnell, nachdem die ersten Missbrauchsfälle ans Licht gekommen waren:
"Das war eine Mischung aus Unzufriedenheit und Enttäuschung. Ich hab schon auch den Druck gespürt, den jeder von uns hatte, den hatte ich auch selber, zu sagen, das ist ein Thema, da können wir nicht einfach so tun, als ob es uns nichts anginge. Jeder muss für sich einen Umgang mit Sexualität suchen und finden. Aber ich glaube, mehr ist auch grad nicht nötig zu sagen, rede darüber, was dir im Moment auf dem Herzen ist. Und das ist schon mal die halbe Miete. Wenn jemand so tut, als ob es das nicht gibt oder wenn jemand sagt 'Ich bin ein Neutrum und habe damit gar nichts zu tun', da merke ich sofort, das reizt mich sehr, das provoziert mich auch."
Unzufrieden ist der Pfarrer mit der Deutschen Bischofskonferenz. Deren Vorgehensweise – die Opfer um Verzeihung zu bitten und strikte Maßnahmen zur Aufklärung und Vermeidung weiteren Missbrauchs anzukündigen - sind ihm zu unkonkret. Auch hätte er sich von Papst Benedikt XIV. eine Entschuldigung gewünscht. Eine Flut von Kirchenaustritten – wie sie derzeit in Teilen Bayern registriert wird - gibt es im Erzbistum Köln nicht.
Am zuständigen Amtsgericht beobachtet man sogar einen rückläufigen Trend - dahinter aber vermutet Richter Jörg Baack eher witterungsbedingte Gründe. 234 Kölner traten im Januar aus der katholischen Kirche aus, im Februar waren es 159. Zum Vergleich: 2009 hatten im gleichen Zeitraum 266 beziehungsweise 346 Kölner der Kirche den Rücken gekehrt. Konkrete Vorjahres-Zahlen für ganz Deutschland will die Deutsche Bischofskonferenz erst im Sommer veröffentlichen. Pfarrer Karl-Josef Schurf ist weniger optimistisch: Er fürchtet eine Austrittswelle, auch wenn die Zahlen in Köln derzeit noch anderes vermuten lassen.
"Das ist meistens so die Erfahrung, dass es ein halbes Jahr später kommt. Ich glaube, dass es jemanden beschäftigt, dass er sich natürlich mit anderen darüber austauscht. Und dass es irgendwann Anlässe gibt, ich kann jetzt nicht definieren, wie die sind, aber dass man dann irgendwann sagt, jetzt reicht's, ich möchte eine Entscheidung treffen, und deshalb trete ich jetzt aus."
Claudia Thome tritt aus. Für die 42-jährige Einzelhandelskauffrau kein leichter Schritt. Die Entscheidung musste auch bei ihr lange reifen. Doch mit dem Missbrauchsskandal ist das Maß voll:
"Das Fass ist jetzt zum Überlaufen gebracht bei mir. Ich bin richtig wütend darüber, was an den Tag kommt. Es ist unbegreiflich, unfassbar, was Menschen machen, die den Glauben vermitteln wollen, hinter geschlossenen Türen vollziehen. Anderen Menschen damit das Leben versauen, das kann ich nicht nachvollziehen, das geht überhaupt nicht."
Ihr Entschluss steht. Den Glauben wird sie nicht verlieren, ist sich Claudia Thome sicher. Aber: Sie will die katholische Kirche mit ihrem Geld nicht mehr unterstützen. Nach dem Gottesdienst in der St. Nikolaus-Kirche zündet sich ein Mann eine Pfeife an. Günther Walter ist nachdenklich. Er hat die Predigt von Pfarrer Schurf gehört. Eigentlich ist der Rentner Mitglied in der Nachbargemeinde. Dort aber schweigt der Pfarrer. Walter vertraut nicht darauf, dass die Kirche alleine einen Ausweg aus der Misere findet. Er findet, der Zölibat und der Umgang der Kirche mit Sexualität müssten ebenfalls offen angesprochen werden.
"Es gibt ja genug Priester, die Kinder haben, bei denen bis zum dritten Kind das Erzbistum Köln die Kindergelder bezahlt. Und das gehört sich ja auch nicht. Und dann sollten sie es nicht, wie sie es jetzt getan haben, verschweigen, und dem Staatsanwalt die Sache übergeben. So was gehört nicht in die Kirchen allein, um darüber zu richten und darüber zu urteilen, das gehört in die Hände vom Staatsanwalt."
Energisch zieht Walter an seiner Pfeife. Ihm tun die Pfarrer leid, die alleine mit der Situation klarkommen müssen, weil die Amtskirche sich nicht verhält. Gemeinschaft sähe anders aus. Doch genau wegen der sei er in der Kirche. Und dass die offener und weltgewandter werden müsse, daran müsse neben den Pfarrern eben auch die Mitglieder sorgen:
"Austritt jetzt nur wegen der sexuellen Sache ist nicht richtig. Man sollte drin bleiben in der Gemeinschaft und eben auch seinen Brei dazutun, ja. Das ist wesentlich."