Dienstag, 14. Mai 2024

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"Verluste leider unvermeidbar"

Das Mandat des Bundestags zum Afghanistaneinsatz bildet den Sachverhalt vor Ort eindeutig ab, meint Manfred Eisele, General a.D. Die neu entfachte Debatte über die Qualität der Ausbildung der Soldaten gehe seines Erachtens fehl, gleichwohl gebe es Defizite bei der Ausrüstung.

Manfred Eisele im Gespräch mit | 16.04.2010
    Gerd Breker: Gestern waren vier deutsche Soldaten durch einen Angriff radikal-islamischer Taliban getötet worden und fünf weitere verletzt. Der Beschuss ihrer gepanzerten Fahrzeuge, darunter auch ein Sanitätswagen, ereignete sich im Rahmen einer Operation von Bundeswehr und afghanischen Soldaten in der Provinz Baglan, südlich von Kundus. Der Zustand der verletzten Soldaten wurde heute Morgen von der Bundeswehr als stabil beschrieben. Der neuerliche Tod von vier Bundeswehrsoldaten in Afghanistan, er verschärft die innenpolitische Debatte über diesen Einsatz.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Manfred Eisele, General a.D. und ehemaliger beigeordneter Generalsekretär der Vereinten Nationen für Friedensmissionen. Guten Tag, Herr Eisele.

    Manfred Eisele: Grüß Gott, Herr Breker.

    Breker: Drei am Karfreitag, gestern vier weitere unserer Soldaten tot – wir waren und wir sind auf diese Nachrichten, auf diese Meldungen nicht vorbereitet, es trifft uns besonders hart.

    Eisele: Das kann man schon sagen. Man muss allerdings feststellen, dass die Vereinten Nationen in dem Zentraldokument des internationalen Rechts der UN-Charta den Begriff Krieg lediglich in der Präambel im Bezug auf den Zweiten Weltkrieg verwenden, und dementsprechend kann die Welt die derzeitige Diskussion um die Semantik zwischen dem nicht internationalen bewaffneten Konflikt, oder dem volkstümlich sogenannten Geschehen, das man als Krieg bezeichnet hat, nicht verstehen.

    Breker: Ist wenig hilfreich aus Ihrer Sicht?

    Eisele: Der Bundestag hat ja die Tatsachen des Geschehens in Afghanistan zur Grundlage seiner Entscheidung für die Mandatsverlängerung gemacht und dabei auch die begriffliche Klarheit nach den Bestimmungen des internationalen humanitären Völkerrechts eingehalten, und hier darf es eigentlich keine Diskussion darüber geben, dass das Mandat diesen Sachverhalt eindeutig abbildet und damit eine legitime Grundlage für den Einsatz der deutschen Soldaten am Hindukusch bietet.

    Breker: Gehen wir, Herr Eisele, mal weg von dieser wenig hilfreichen Debatte, welche Begrifflichkeit nun zutrifft. Der Einsatz ist lebensgefährlich, Soldaten sterben, und wir in der Heimat, wir sind darauf nicht vorbereitet, weil möglicherweise Politik uns vermittelt hat, dass wir dort Brunnen bohren, dass die Soldaten dort der Zivilbevölkerung helfen, und das ist das, weshalb wir jetzt so geschockt sind.

    Eisele: Das kann man durchaus verstehen. Die Soldaten, die in diesen Einsatz gegangen sind, beginnen mit der ersten Truppe unter dem General von Butler 2001/2002, haben diesen Sachverhalt allerdings als die normale Realität eines bewaffneten Einsatzes durchaus im Hinterkopf gehabt schon bei Beginn ihrer Ausbildung, und auch die heute immer wieder aufkommende Debatte über die Qualität der Ausbildung der Soldaten geht meines Erachtens fehl. Die Ausbildung der Bundeswehr für diesen Einsatz muss keinen internationalen Vergleich scheuen.

    Auf der anderen Seite ist eine gewisse Zaghaftigkeit in der Entscheidung der Ausrüstung der Soldaten durchaus zu konstatieren gewesen – bis zum heutigen Tag, denn die Ausstattung der Truppe in Afghanistan mit Waffen, die ihnen erlauben, Angreifer auf Abstand zu halten, ist jetzt erst durch die Entscheidung einer Entsendung von zwei Panzerhaubitzen 2000 korrigiert worden, und das eben auch nur mit angezogener Handbremse. Diese Dimension wird vielleicht deutlich, wenn man sieht, dass der Normaleinsatz von Artillerie in Bataillonsstärke erfahren würde, das heißt mit 18 Haubitzen, und es ist deutlich, dass sicher ein richtiger Schritt in die richtige Richtung mit der Entsendung von zwei Panzerhaubitzen gemacht wird, aber auch das wird den Führern vor Ort in Afghanistan nur eingeschränkte Flexibilität geben.

    Breker: Das heißt, es müsste mehr und schwerere Bewaffnung nach Afghanistan?

    Eisele: Zumindest muss man die dort verantwortlichen militärischen Führer in die Lage versetzen, ihre Soldaten auch so einzusetzen, dass sie nicht erst auf relativ nahe Entfernung in das Gefecht eintreten können.
    Darüber hinaus gibt es natürlich eine politisch gewollte und sicher auch hinzunehmende Gegebenheit. Das ist die Tatsache, dass der Aggressor stets die Initiative hat und wir als der Verteidiger, der Stabilisator, derjenige, der die Schutzverantwortung für Afghanistan übernimmt, immer nur reagieren können. Diesen strukturellen strategischen, politisch gewollten Nachteil kann man sicher nicht ausgleichen und dann sind Verluste leider unvermeidbar.

    Breker: Nun wurde ja gerade eben, Herr Eisele, die Strategie neu ausgerichtet. Nach der neuen Strategie sollen die Bundeswehrsoldaten mehr in die Fläche herausgehen, gemeinsam mit afghanischen Soldaten. Aber ist das nicht eigentlich noch lebensgefährlicher für unsere Rekruten dort?

    Eisele: Ich halte diese neue Strategie für absolut richtig. Sie ist sicher erst sehr spät als eine Lektion aus den Fehlern, die man bis dahin gemacht hatte, gezogen worden. Dabei kommt den Soldaten der ISAF, der internationalen Stabilisierungstruppe, natürlich eine wesentliche Rolle zu, weil die afghanischen Soldaten noch nicht so weit qualifiziert sind, dass man ihnen die Verantwortung heute schon alleine unbegleitet übertragen könnte. Das Risiko für die derart als Begleitsoldaten, als Mentoren eingesetzten internationalen Elemente bleibt natürlich dabei so lange hoch, wie die Qualität der afghanischen Truppen noch nicht das erforderliche Maß erreicht hat.

    Breker: Und sie heben dann die Distanz auf? Das heißt, sie gehen dichter an den Feind heran?

    Eisele: Na ja, hier ist natürlich eine Frage an die Ausrüstung gestellt. Es muss möglich sein, Aggressoren, wenn man sie denn aufgeklärt hat, auch auf Abstand bereits zu bekämpfen und damit das Maß der Gefährdung der eigenen Truppe auf ein Minimum zu reduzieren.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das General a.D. Manfred Eisele. Herr Eisele, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Eisele: Gerne.