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Vermögen als Chance

Der Soziologe Thomas Druyen macht sich für einen erweiterten Begriff von Vermögenden stark. Allzu oft werde der Begriff rein materiell gesehen. Es gebe aber durchaus viele Vermögende, die ihr Können und ihren finanziellen Reichtum zum Nutzen der Gesellschaft einsetzten. In diesem Sinne sei auch eine Professionalisierung des Stiftungswesens dringend geboten, sagte Druyen im Deutschlandfunk.

Moderation: Ursula Welter |
    Ursula Welter: Einen Casus Belli, einen Kriegsgrund hat der SPD-Vorsitzende Kurt Beck die Anregungen aus der Union genannt, die Erbschaftssteuer abzuschaffen, statt sie umzubauen, wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Das ginge für die Sozialdemokraten an das Eingemachte und könnte die zarten Bande zerreißen, die SPD und CDU/CSU in Berlin in der großen Koalition zusammenhalten. Die Diskussion um die Erbschaftssteuer ist naturgemäß keine steuertechnische Diskussion allein, sondern eine um politische Ideen, um Ideologien. Ich begrüße am Telefon Thomas Druyen, Professor für vergleichende Vermögenskultur an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien, Direktor des Forums für Vermögenskultur an der Universität Münster. Guten Tag!

    Thomas Druyen: Guten Tag, Frau Welter.

    Welter: Herr Druyen, Sie bringen in dieser Woche im Murmann Verlag, Hamburg ein Buch auf den Markt, das sich mit der Welt des Vermögens beschäftigt. "Goldkinder" ist der Titel des Buches. Was war der Antrieb für Ihre Untersuchung?

    Druyen: Bei meinen soziologischen Forschungen in den letzen Jahren habe ich festgestellt, dass das Thema Reichtum von wissenschaftlicher Seite gar nicht richtig beleuchtet ist. Deutlich wird das vor allen Dingen, wenn man sich die Berichte der Bundesregierung anschaut, die sich Armuts- und Reichtumsberichte nennen, dann sind 95 Prozent mit dem Thema Armut beschäftigt, aber nur verschwindend Geringe fünf Prozent mit dem Thema Reichtum. Da wir aber wissen, dass sich ja im Grunde fast alles um den Traum vom Reichtum im menschlichen Leben dreht, und wir im Moment ohnehin mit einer ökonomischen Weltsituation verbunden sind, wo man den Eindruck hat, dass das Geld doch das meiste im Leben dominiert, hatte ich den Eindruck, dass es dringend notwendig ist, dort mal hinter die Kulissen zu gucken.

    Welter: Und sind Sie bei Ihren Untersuchungen auch dahinter gekommen, warum in der Politik über Reichtum zwar vielleicht gesprochen, aber es nicht unbedingt tief untersucht wird?

    Druyen: Ich glaube, dass ich mich dem angenähert habe. Die Politik tut sich natürlich schwer, öffentlich über Reiche, Superreiche und Hochvermögende zu sprechen, weil sie in der Bevölkerung nicht den Eindruck erwecken will, dass es da besondere Formen der, ich sage mal in Anführungszeichen, "Sympathie" gibt, weil man natürlich immer für den Durchschnitt der Bevölkerung auch im Hinblick auch auf Wahlen zuständig sein will. Also das Thema Reichtum ist im Grunde in unserer Gesellschaft absolut tabuisiert. Das gilt im Übrigen, finde ich, doch sehr deutlich in vielen europäischen Staaten, während in Amerika die Mentalität da etwas anders ist. Da ist der Reiche oder Vermögende jemand, der durchaus mit anderen im Bedürfnis zu spenden oder etwas Konstruktives zu tun, treten die sehr oft in gute Form von Konkurrenz. Das ist bei uns nicht der Fall.

    Welter: Was haben Sie über die Reichen und Vermögenden in unserem Land herausgefunden?

    Druyen: Zuerst einmal die Differenzierung. Auf der einen Seite gibt es Reiche, also oberflächlich gesagt, Menschen, die sich nur um ihre eigenen Belange kümmern. Diese Form von Reichtum ist lediglich ein quantitativer Hinweis. Und die andere Gruppe, die ich die Vermögenden nenne, sind diejenigen, die auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Eine Witwe, deren Mann vor zwei Jahren verstorben ist, die eine knappe Rente hat und trotzdem dreimal in der Woche Plätzchen backt und Migrantenkinder einlädt, um ihnen die deutsche Sprache beizubringen, dann halte ich diese Dame auch für höchst vermögend.

    Dieser schöne Begriff des Vermögens wird ja oberflächlich immer nur mit materiellen Dingen gleichgesetzt. Aber Vermögen ist ja auch das, was der Mensch kann. Es hat mit Erfahrungen und Kompetenzen zu tun. Deshalb fand ich die Doppeldeutigkeit des Begriffs Vermögen sehr hilfreich. Und wir haben eine Menge von Vermögenden, die sehr viel Hilfreiches für die Gesellschaft tun. Das ist aber im öffentlichen Erscheinungsbild nicht feststellbar.

    Welter: Sie schreiben an einer Stelle, unsere Vermögenden haben eine bessere Reputation verdient. Das klingt ein bisschen nach Mitleid.

    Druyen: Den Eindruck wollte ich nicht erwecken, wobei man in manchen Fällen durchaus sagen muss, dass das in einen Topf werfen von großen Sportlergehältern, von Vorstandsvorsitzenden, die Millionengehälter bekommen, von Filmstars, aber auch von Menschen, die große Unternehmungen haben und Tausenden von anderen Arbeitsplätze geben - all das wird bei uns in einen Topf geworfen. Meine wissenschaftliche Arbeit geht dahin, eben dass eine Gesellschaft besser unterscheiden kann, wer tut nun etwas mit seinem Vermögen Konstruktives für die Gesellschaft und wer tut nur etwas für sich selbst.

    Insofern glaube ich, dass es für uns alle von Vorteil ist, wenn wir auch bei den Vermögenden Vorbilder entdecken, die Ihren persönlichen Gewinn im Grunde auf eine bestimmte Art und Weise wieder teilen und andere eben dies überhaupt nicht tun. Ich denke, die Bevölkerung braucht ein besseres Bild von dem und von denen, die sich hinter dem oberflächlichen Begriff des Reichtums verbergen.

    Welter: Ein Ansatz also auch, der geeignet sein könnte zur Lösung der Probleme unserer Zeit?

    Druyen: Das ist natürlich als Soziologe der Anspruch, den ich hoffe, mit meiner Arbeit irgendwann mal erreichen zu können. Ich glaube, da der Sozialstaat ja ohne jeden Zweifel nicht mehr die gleiche materielle Kraft hat, die er in den Zeiten des Aufbaus unser Demokratie hatte, brauchen wir diejenigen, die über horrende finanzielle Möglichkeiten verfügen, um die Schere zwischen Arm und Reich wieder etwas zu schließen.

    Ich denke auch, dass zum Beispiel das Stiftungswesen bei uns in Deutschland eine ganz andere Aktualität bekommen muss und natürlich auch eine ganz andere Form von Professionalität. Und das ist auch meine Hoffnung, dass wir nicht nur um Gelder bitten bei Vermögenden, sondern vor allen Dingen auch deren unternehmerische Kompetenz gewinnen können, um neue soziale Projekte ins Leben zu rufen.

    Welter: Sie nennen das eine "professionelle Form unternehmerischer Philanthropie", also das Investieren in Bildung, in Gesundheit oder Kultur. Bräuchte es dazu Anreize?

    Druyen: Unbedingt. Wir haben ja in den letzten Jahren eigentlich zu verzeichnen, dass immer mehr Stiftungen und auch immer mehr Vereine gegründet werden. Sehr, sehr viele Bürger auch ohne große materielle Möglichkeiten sind humanitär und humanistisch tätig. Das ist eigentlich ein erfreuliches Zeichen. Aber nehmen wir mal ein einfaches Beispiel, jemand spendet gegen Leukämie, also für medizinische Forschung in diesem Thema, dann gibt es ganz viele Leute, die etwas tun, einen Betrag geben, aber gar nicht davon wissen, dass andere das auch tun. Würde man diese Kräfte jetzt bündeln, könnte man ganz andere Formen des Erfolges letztendlich zeitigen. Und ich glaube, diese Professionalisierung ist dringend notwendig.

    Welter: Das hieße für Vermögende aber auch, tue Gutes und rede darüber?

    Druyen: Das ist die große Frage. In Wien an der Universität mache ich Tiefeninterviews mit Menschen, die doch über enorme Vermögen verfügen. Und diese Interviews sind alle anonymisiert. Ich kann das gut verstehen. Machen wir uns nichts vor, wir leben in einer Neidgesellschaft und für viele Familien ist es durchaus gefährlich - im wahrsten Sinne des Wortes, da komme ich zurück auf Ihr Mitleid, es ist kein Mitleid, sondern eher Rücksichtnahme - dass diese Leute nicht unbedingt aller Öffentlichkeit preisgeben wollen, in welchen Verhältnissen sie leben.

    Deshalb sehe ich hier unsere Sozialwissenschaft gefordert, sozusagen anonym der Bevölkerung Hinweise zu geben, was getan wird, wie etwas getan wird und welche Vorteile sie als Gesamtgesellschaft davon haben. Also tue Gutes, sollte in jedem Fall weiterhin inspirierend betrieben werden, aber ob man zwingend die Leute dann auch vorführt, ist eine Frage, die natürlich auch durch die mediale Inanspruchnahme - Sie wissen das ja, wie heute bei uns mit Prominenz umgegangen wird, da wird jeder mal durch das Dorf getrieben. Ich glaube, da haben die Leute etwas Angst vor. Es geht mehr darum, sachlich und fachlich klar zu machen, dass wir ohne philanthropisches Handeln, glaube ich, die Herausforderungen der Zukunft nur schlecht umsetzen können.