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Vermögensverteilung
"Mehr Gerechtigkeit führt zu mehr Wachstum"

Die Zahlen lügen nach Ansicht von Klaus Barthel nicht: Die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland wird immer ungerechter. Hier müsse steuerpolitisch gegengesteuert werden, forderte der Vorsitzende des SPD-Arbeitnehmerflügels im DLF. Denn sozial gerechtere Staaten würden am Ende wirtschaftlich besser dastehen.

Klaus Barthel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 26.01.2016
    Porträtbild des SPD-Politikers Klaus Barthel
    Der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (picture alliance / dpa/ Armin Weigel)
    Barthel reagierte auf Berichte, wonach die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland größer geworden sei. Es lasse sich nicht leugnen, dass die Verteilung von Vermögen und Einkommen immer ungerechter geworden sei, sagte Barthel im DLF. Der Vorsitzende des SPD-Arbeitnehmerflügels AfA nannte als Beispiele den gewachsenen Anteil der Arbeitnehmer an den Krankenkassenbeiträgen und die steigenden Mieten für Menschen, die sich kein Eigenheim leisten könnten.
    "Mehr Gerechtigkeit führt zu mehr Wachstum"
    Soziale Gerechtigkeit ist nach Ansicht Barthels aber nicht nur wichtig für die sozial Benachteiligten, sondern für den Staat insgesamt. Denn Länder, die gerechter aufgestellt seien, würden wirtschaftlich auch besser dastehen, meinte der AfA-Vorsitzende. Sozial eher polarisierte Gesellschaften hätten dagegen zunehmende Probleme mit dem Wachstum.
    "Müssen aus Fehlern lernen"
    Der SPD-Politiker räumte eine Mitverantwortung seiner Partei ein. Diese müsse aus Fehlern im Zuge der Hartz-Reformen lernen und habe dies auch bereits getan: Barthel verwies auf den von der SPD durchgesetzten Mindestlohn und die Verbesserungen bei der Pflege. Allerdings reichten diese Gegenmaßnahmen noch nicht aus. So wolle man den Arbeitsmarkt bei der Leiharbeit wieder vernünftig regeln.
    "Da ist mit der Union nicht zu reden"
    Vor allem müsse steuerlich stärker gegengesteuert werden, betonte Barthel. Deshalb verlange die SPD schon seit langem die Einführung einer Vermögenssteuer und die stärkere Besteuerung von Erbschaften. Es sei eine wachsende Ungerechtigkeit, dass Arbeit stärker besteuert werde als Vermögen, Erbschaften und Finanztransaktionen. Leider sei darüber mit der Union nicht zu reden, bedauerte Barthel. Die SPD werde die Vermögenssteuer aber im kommenden Bundestagswahlkampf wieder zum Thema machen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Zahlen, die das Sozialministerium gestern zur Vermögensverteilung in Deutschland veröffentlichte, sie waren eindrücklich. Demnach verfügen die reichsten zehn Prozent der Deutschen über mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens, nämlich knapp 52 Prozent, und die untere Hälfte der Haushalte kann insgesamt übrigens gerade einmal ein Prozent des Vermögens sein eigen nennen. Damit hat sich im Vergleich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet, und darüber möchten wir jetzt sprechen mit Klaus Barthel. Er ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz AFA. Das ist der Arbeitnehmerflügel der SPD. Guten Tag, Herr Barthel.
    Klaus Barthel: Schönen guten Morgen.
    Heckmann: Die Bundesregierung sagt jetzt, das stimme überhaupt gar nicht, dass die Schere weiter auseinandergeht, es komme immer auf den Vergleichszeitraum an, und verweist darauf, dass, wenn man die Entwicklung seit 2008 untersucht, dann die Schere nicht auseinandergegangen wäre, sondern im Gegenteil. Aber ist das Ganze auf lange Sicht betrachtet nicht ein Taschenspielertrick?
    Barthel: Ich glaube, es lässt sich nicht leugnen, dass die Vermögens- und Einkommensverteilung immer ungerechter wird. Es ist sicher so, dass wir seit der Einführung des Mindestlohns zum Beispiel auch gegenläufige Entwicklungen haben, aber die reichen nicht wirklich aus, um mehr Gerechtigkeit herzustellen. Und egal wie man die Statistiken dreht und wendet, die kommen alle zu demselben Ergebnis, nämlich dass sich da eine immer größere Kluft auftut.
    Die Menschen spüren wie Umverteilung funktioniert
    Heckmann: Im Jahr _98, da hatte die untere Hälfte der Haushalte noch über insgesamt drei Prozent des Vermögens verfügt. Im Jahr 2013 ist es gerade nur noch ein Prozent. Ich habe es gerade schon mal gesagt. Das ist ein Drittel des ursprünglichen Anteils. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in der Tat auseinander, und zwar so, dass es schon bedenklich ist, auch für die Demokratie hier in Deutschland?
    Barthel: Ja, ich glaube schon, dass das bedenklich ist, und die Menschen spüren das auch, wenn auch in vielen Fragen nur unbewusst. Aber wenn man genauer hinschaut, geht es natürlich um ganz konkrete Sachen, zum Beispiel um die Frage, wer bezahlt die Beiträge zur Krankenkasse. Hier zahlen die Arbeitnehmer immer mehr. Das Rentenniveau sinkt, die Hartz-Regelungen führen dazu, dass zum Beispiel Vermögen von Arbeitslosen ganz schnell aufgezehrt werden müssen. Der Wohnraum wird für die, die kein Eigenheim haben, immer teurer. Da gibt es eine ganze Menge von Faktoren, wo man dann konkret erleben kann, wie Umverteilung funktioniert.
    Heckmann: Jetzt hören Sie sich ein bisschen wie ein Oppositionspolitiker an, muss ich sagen. Man muss aber dazu sagen: Seit _98 führte die SPD die Regierung an oder war an ihr beteiligt. Ausnahme waren ja nur die vier Jahre schwarz-gelbe Koalition. Weshalb macht die Sozialdemokratie denn diesen Kurs mit?
    Den Arbeitsmarkt wieder vernünftig regeln
    Barthel: Nun, die Jahre nach 1998 waren ja vor allen Dingen auch geprägt von weltweiten Krisen. Auch die weltweite Finanzkrise hat ihren Beitrag geleistet. Der Druck, der von den internationalen Märkten kommt, ist da und wir sind ja jetzt dabei, genau am Beispiel Rentenpaket, am Beispiel Mindestlohn, am Beispiel Verbesserung in der Pflege hier das Rad wieder zurückzudrehen. Ich glaube, da müssen wir alle aus Fehlern lernen.
    Heckmann: Aus Fehlern lernen, das heißt genau genommen, die SPD hat da in den vergangenen Jahren Versäumnisse einzugestehen?
    Barthel: Nun ja. Seit 2005 waren wir ja nur der Juniorpartner in der Regierung, wenn wir überhaupt dabei waren.
    Heckmann: Aber immerhin sind Sie in einer Großen Koalition.
    Barthel: Das ist richtig, aber da haben wir unsere Möglichkeiten genutzt. Ich habe die Stichworte gerade genannt. Aber es ist richtig, da gab es und gibt es nach wie vor Korrekturbedarf, aber da sind wir ja gerade dabei, wenn Sie zum Beispiel anschauen, dass wir jetzt versuchen, auch mit Erfolg bei den Arbeitseinkommen wieder was zu tun, dadurch, dass wir den Arbeitsmarkt wieder vernünftig regeln bei Leiharbeit und Werkverträgen, dass wir Leistungen verbessern wieder. Ich glaube, da kann man schon erkennen, dass hier Konsequenzen gezogen werden, und ich glaube, da brauchen wir deutlich mehr, und ich hoffe, dass jetzt auch die Zahlen dazu führen, dass wieder mehr über die Frage von Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft diskutiert wird.
    Über Vermögenssteuer ist mit der Union nicht zu reden
    Heckmann: Ein Stichwort haben Sie jetzt nicht genannt, oder ich habe es überhört: das Stichwort Vermögenssteuer. Weshalb sind Sie da so zurückhaltend?
    Barthel: Ich selber bin da nicht zurückhaltend und es ist auch nach wie vor Beschlusslage der SPD, dass wir im Bereich der Besteuerung von Vermögen, aber auch von Erbschaften etwas tun müssen. Das ist einer der Gründe für die wachsende Ungerechtigkeit, dass Arbeit wesentlich höher besteuert wird als Kapitalerträge oder Vermögen oder auch zum Beispiel Spekulation. Wir haben ja damals durchgesetzt, dass die Finanztransaktionssteuer kommen soll. Das stockt jetzt in Europa und da müssen wir mehr politischen Druck entwickeln, dass auch bei den Steuern wieder mehr Gerechtigkeit einkehrt.
    Heckmann: Und wie soll das genau funktionieren in der Koalition mit der Union?
    Barthel: Ja gut, wir sind da im Koalitionsvertrag bei der Steuerfrage nicht weit gekommen. Das ist allgemein bekannt, weil darüber mit der Union nicht zu reden ist. Aber wir werden dann im Vorfeld der Bundestagswahlen da den Druck erhöhen und es ist dann eine Frage unseres Wahlprogramms, dass wir in diesem Bereich noch mal klare Forderungen aufstellen, und da gehört für mich die Besteuerung von Vermögen und von Spekulation mit dazu.
    Heckmann: Jetzt gibt es natürlich das Argument von konservativer oder auch liberaler Seite, die dann wieder gleich sehr schnell sagen, das ist die alte SPD-Umverteilungspolitik, die führt nicht weiter. Im Gegenteil: die kostet Wachstum.
    Gleichere Gesellschaften sind die erfolgreicheren
    Barthel: Da beweisen ja die Zahlen der letzten Jahre auch das Gegenteil, nämlich dass man sieht, dass die ungleiche Verteilung von Vermögen die Wirtschaft eher lähmt, dass gerade nicht das vorhandene Kapital investiert wird, sondern die privaten Investitionen sogar rückläufig sind, und dass der Staat auch viel aktiver wieder werden muss, zum Beispiel bei seinen Investitionen, damit überhaupt Wachstum entsteht. Der internationale Vergleich zeigt ja auch, dass gerade die Gesellschaften, die am meisten polarisiert sind, wie zum Beispiel in den Schwellenländern, jetzt große Wachstumsprobleme haben, und dass gleichere Gesellschaften die erfolgreicheren sind. Ich glaube, dass immer wieder versucht wird, diesen Widerspruch aufzumachen zwischen Wachstum und wirtschaftlichem Erfolg und Gerechtigkeit, dass das etwas ist, was die Realität auf den Kopf stellt. Es ist vielmehr so, dass mehr Gerechtigkeit auch zu mehr Arbeitsplätzen und zu mehr Wachstum führt.
    Heckmann: Wir sind gespannt, wie sich diese Entwicklung fortsetzt, und werden das beobachten. Ich schlage vor, wir verabreden uns jetzt schon mal für in ein oder zwei Jahren und werden das gleiche Thema dann wahrscheinlich noch mal diskutieren.
    Barthel: Gerne.
    Heckmann: Klaus Barthel war das, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz AFA. Das ist der Arbeitnehmerflügel der SPD. Herr Barthel, danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag.
    Barthel: Ja, Ihnen auch einen schönen Tag und auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.