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Veröffentlichte TTIP-Dokumente
"Der Neuigkeitswert ist gering"

Der CDU-Europapolitiker Daniel Caspary hält die Aufregung um die von Greenpeace veröffentlichten TTIP-Dokumente für übertrieben. Die ganzen europäischen Forderungen seien im Internet seit Wochen abrufbar, sagte er im DLF. Außerdem sprach er sich dafür aus, den Abschluss der Verhandlungen nicht zu überstürzen. Solange die Inhalte nicht stimmten, werde es kein TTIP-Abkommen geben.

Daniel Caspary im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Europaparlamentsmitglied Daniel Caspary (CDU) telefoniert am 06.04.2016 in Stuttgart mit seinem Handy.
    Europaparlamentsmitglied Daniel Caspary (CDU) (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Er und seine Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament hielten nichts von "dieser Panikmache", das Abkommen bis zum Jahresende abschließen zu müssen, sagte Caspary weiter. Kompromisse seien zwar wichtig, es "gehört aber zu den Verhandlungen auch immer dazu, dass es bei manchen Sachen keinen Graubereich gibt, sondern dass es da nur Schwarz und Weiß gibt." Lebensmittelsicherheit, Umweltstandards und Sozialstandards gehörten dazu und da werde es keine faulen Kompromisse und keine Graubereiche geben.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Zwei Zahlen illustrieren, worum es in den kommenden Minuten gehen soll. 800 Millionen Menschen erwirtschaften jährlich eine Wirtschaftsleistung von etwa 30 Billionen Euro. Das ist die Summe der Menschen und der Wirtschaftsdaten in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Beide Gebilde verhandeln über ein Freihandelsabkommen, das unter der Abkürzung TTIP läuft. Diese Verhandlungen laufen nicht gänzlich, aber doch weitgehend abseits der Öffentlichkeit.
    Die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR haben gemeinsam mit der Umweltorganisation Greenpeace 240 Seiten nun veröffentlicht. Das seien, so heißt es, Abschriften von Dokumenten, die einen Stand der Verhandlungen widerspiegelten. Greenpeace hat dieses Dokument heute Vormittag in Berlin vorgestellt.
    Am Telefon haben wir vor wenigen Minuten Daniel Caspary erreicht. Er ist CDU-Politiker und Abgeordneter im Europäischen Parlament und in der Fraktion der Europäischen Volkspartei zuständig für Handelspolitik, einer der richtigen Ansprechpartner für das Thema TTIP. Meine erste Frage an Daniel Caspary war, ob die Dokumente, die nun veröffentlicht worden sind, für ihn Überraschungen geborgen haben.
    Daniel Caspary: Überhaupt gar nicht und ich bin, ehrlich gesagt, auch verwundert über die Empörung, die es gibt. Wir wissen, dass wir in den genannten Bereichen extrem unterschiedliche Vorstellungen auf beiden Seiten des Atlantiks haben. Das ist auch üblich, dass beide Verhandlungsseiten ihre Positionen klar formulieren.
    Mein Eindruck ist, dass die Amerikaner extrem tough mit ihren Vorstellungen sind, um am Ende zumindest einen Teil zu bekommen. Aber klar ist: Wir haben klare rote Linien und ganz viele Sachen, die die Amerikaner hier fordern, die sind einfach undenkbar. Sonst gibt es TTIP nicht.
    Grieß: Wir kommen gleich noch zu Einzel- und Sachfragen, Herr Caspary. Ist es aus Ihrer Sicht ein guter Schritt und sinnvoll, dass die Öffentlichkeit jetzt mehr erfährt über die Verhandlungsgrundlage?
    Caspary: Ich glaube, realistisch gesehen erfährt die Öffentlichkeit so viel mehr gar nicht, denn die Dinge, die jetzt veröffentlicht sind, sind auf der einen Seite die Positionen der Europäischen Union. Die sind ja in diesen Themen schon seit Wochen auf der Homepage der Europäischen Kommission abrufbar. Und das Zweite: Es sind die Forderungen der amerikanischen Verhandler. Die Forderungen, die jetzt im Internet kursieren, sind ja im Prinzip identisch mit dem, was namhafte amerikanische Lobby-Organisationen auch schon seit Monaten und Jahren fordern. Von daher ist der Neuigkeitswert eigentlich gering.
    Grieß: Der Neuigkeitswert besteht möglicherweise darin, dass die EU-Kommission sich bislang so anhörte und vernehmen ließ, dass man in den Verhandlungen schon weiter sei. Schiedsgerichte zum Beispiel seien kein echter Streitpunkt mehr. Jetzt stehen aber dort nach wie vor zwei sehr unversöhnliche Positionen gegenüber?
    Caspary: Das eine ist das, was auf der Verhandlerebene läuft. Da ist ja wirklich auch noch vieles offen. Und das andere ist: Ich glaube, das politische Commitment ist, das die amerikanische Seite auf der Führungsebene weiß, dass es die Investitionsschiedsgerichte nach dem alten Muster zwischen Europa und Amerika sicherlich nicht geben wird. Wir wollen die Investitionsschiedsgerichte weiterentwickeln. Da hat die Europäische Kommission einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Wir haben einen reformierten Ansatz im Kanada-Abkommen drin und auch in unserem Abkommen mit Vietnam, und daran werden sich auch die Amerikaner und andere Handelspartner in Zukunft orientieren müssen.
    "Das Thema öffentliche Gerichte zuzulassen und zu nehmen, ist für mich ein Pflichtprogramm"
    Grieß: Sie meinen das, was unter dem Stichwort Handelsgerichtshof läuft, öffentliche Richter zu bestellen, auch eine Berufung zuzulassen?
    Caspary: Genau. Das Thema öffentliche Gerichte zuzulassen und zu nehmen, ist für mich ein Pflichtprogramm. Das Thema Revision, da rate ich uns alle, dass wir noch mal darüber nachdenken. Ich halte es grundsätzlich auch außerordentlich für wünschenswert.
    Aber nehmen Sie mal unser Land Deutschland: Es gibt im Moment rund 70 Fälle im Zusammenhang mit Deutschland, davon 67 ungefähr, wo deutsche Unternehmen andere Staaten verklagt haben, und nur drei Fälle, in denen Deutschland verklagt wurde, wo noch kein einziges Urteil gegen Deutschland gesprochen wurde. Von daher ist in einer Revisionsmöglichkeit auch eine Gefahr für uns.
    "Über mögliche Nebenwirkungen vorher Gedanken machen"
    Grieß: Na gut, aber das ist wie mit Börsenkursen. Nur weil es bislang gut gelaufen ist, heißt das nichts über den nächsten Handelstag.
    Caspary: Genau! Deswegen sage ich auch, ich bin hier sehr offen für die Revisionsmöglichkeit. Ich halte das für einen sehr guten Ansatz, den ich grundsätzlich auch unterstütze. Aber wir sollten uns auch immer bei jedem Reformschritt über mögliche Nebenwirkungen vorher Gedanken machen.
    Grieß: Herr Caspary, das sind Themen. Schiedsgericht ist das eine. Das andere große Thema ist zum Beispiel die Gentechnik. Da wird seit Monaten, seit 2013, seit Jahren darüber verhandelt. Nun lesen wir das, was nun veröffentlicht worden ist, und wir sehen und erkennen, beide Seiten sind keinen Schritt weitergekommen.
    Caspary: Stimmt! Ich gehe auch davon aus, dass das der Bereich sein wird, der am Ende auf höchster Ebene entschieden werden muss. Wir haben einen massiven Lobby-Druck auf der amerikanischen Seite. Ich glaube nicht, dass irgendwelche Unterhändler hier irgendwelche Kompromisse aufseiten der Amerikaner eingehen können.
    Aber auf der anderen Seite ist für uns in Europa klar: Wir haben das versprochen und daran halten wir uns. Es wird keine Absenkung von Verbraucherschutzstandards in Europa durch TTIP geben. Wir wollen Hormonfleisch nicht, wir wollen genetisch veränderte Lebensmittel nicht. Die wird es durch TTIP nicht geben und das haben wir in Kanada ja bewiesen, dass das geht.
    Grieß: Und wo ist da der Kompromiss-Spielraum?
    Caspary: Der Kompromiss-Spielraum manchmal ist ein Graubereich, wenn man sich bei Kompromissen in der Mitte treffen kann. Ich war gerade bei uns in den Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg zwischen CDU und Grünen beteiligt. Da haben wir viele Kompromisse schließen können.
    Grieß: Soweit zur Natur von Kompromissen. Aber beim Stichwort Gentechnik, wo können die Europäer sagen, da treten wir zurück und öffnen uns den Interessen amerikanischer Industrien?
    Caspary: Darauf wollte ich ja gerade zurück. Es gehört aber zu den Verhandlungen auch immer dazu, dass es bei manchen Sachen keinen Graubereich gibt, sondern dass es da nur Schwarz und Weiß gibt, und da gehört dazu, dass sich bei manchen Seiten eine Seite durchsetzen muss, und da gibt es Bereiche wie der Bereich Lebensmittelsicherheit zum Beispiel, Umweltstandards, Sozialstandards, da wird es keine faulen Kompromisse, da wird es keine Graubereiche geben, sondern da werden wir das liefern, was wir versprochen haben, nämlich durch TTIP wird es zu keiner Veränderung in den Bereichen in Europa kommen.
    Grieß: Da wird es gar keine Kompromisse geben. - Kann es sein, dass das Abkommen am Ende an diesen Punkten, die Sie als in Stein gemeißelt darstellen, noch scheitern kann?
    Caspary: Ja klar! Deswegen geht es ja in den Verhandlungen darum, dass wir im Europäischen Parlament gar nichts halten von dieser Panikmache, man müsse das Abkommen bis zum Jahresende abschließen. Für uns im Europäischen Parlament gilt, wir wollen hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit, und da gibt es ja intelligente Lösungen zum Beispiel bei der Frage Fleisch. Die Kanadier wollten uns auch über Jahre hinweg ihr Hormonfleisch auf den europäischen Markt zwingen und wir haben dann gesagt, wir machen das nicht, und am Ende kam ein sehr guter Kompromiss heraus, nämlich die Kanadier dürfen auch künftig kein Hormonfleisch nach Europa schicken, aber wenn sie Bauernhöfe haben, Betriebe haben, die hormonfrei produzieren, dann kann dieses Fleisch, das unseren europäischen Standards entspricht, natürlich auf den europäischen Markt. Ich denke, wenn es den Amerikanern um Marktzugang geht und wenn es ihnen nicht darum geht, uns ihre Standards aufs Auge zu drücken, dann werden wir auch mit den Amerikanern in dem Bereich sinnvolle Lösungen finden.
    Und zum Zweiten: Es ist ja nicht nur so, dass wir Europäer manches aus Amerika nicht wollen, was für die ganz selbstverständlich ist, sondern nehmen Sie mal Dinge, die bei uns in Europa ganz selbstverständlich sind, wie Rohmilchkäse. Da hat mir mal ein Amerikaner gesagt, diese Biowaffe kommt uns nicht in den Markt.
    Solange es Sachen gibt, die wir nicht wollen und wo wir eisenhart sind, und solange es Sachen gibt, die die Amerikaner von uns nicht wollen, wo die eisenhart sind, ist es doch bitte möglich, sich bei Autos, Chemikalien und anderen Sachen zu einigen und bei bestimmten Lebensmitteln eben nicht.
    "Ich halte bei solchen komplexen Verhandlungen überhaupt gar nichts von Zeitmarken"
    Grieß: Herr Caspary, die beteiligten Seiten haben sich bislang eine Frist gesetzt bis zum Herbst dieses Jahres, was auch damit zusammenhängt, dass dann der amtierende US-Präsident aus dem Amt geht, zumindest zum Jahreswechsel. Geben Sie dem Abkommen in diesem Jahr noch eine Chance?
    Caspary: Noch mal: Mir geht es um Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ich halte bei solchen komplexen Verhandlungen überhaupt gar nichts von Zeitmarken. Und das Tolle in Amerika ist: Es findet gerade der Vorwahlkampf statt. Das heißt, ich bin zuversichtlich, wenn Obama Anfang nächsten Jahres in Ruhestand geht, dann wird es einen Nachfolger geben und dann muss eben mit dem verhandelt werden.
    "Inhalt geht vor Schnelligkeit"
    Grieß: Würden Sie sich schon an die Stelle wagen zu sagen, wir brauchen jetzt schon mehr Zeit?
    Caspary: Nein! Nicht, wir brauchen jetzt schon mehr Zeit, sondern wir sollten jetzt zwingend die Gelegenheit nutzen, die Verhandlungen wenn irgend möglich und inhaltlich in Ordnung dieses Jahr zu Ende zu führen. Aber noch mal: Dieses Jahr kann nicht der Endpunkt sein, wenn die Inhalte nicht stimmen. Inhalt geht vor Schnelligkeit.
    Grieß: Jetzt sind Dokumente an der Öffentlichkeit, Herr Caspary, die bislang nicht an der Öffentlichkeit waren. Befreit Sie das auch? Können Sie jetzt befreiter über TTIP sprechen in der Öffentlichkeit?
    Caspary: Ich kann und auch meine Kollegen, wir können schon immer befreit über TTIP in der Öffentlichkeit sprechen. Noch mal: Das was jetzt veröffentlicht ist, ist im Kern gar nichts Neues.
    Die ganzen europäischen Verhandlungspositionen sind im Internet seit Wochen abrufbar und auch die Forderungen der amerikanischen Seite können Sie den Medien seit Monaten und Jahren entnehmen.
    Grieß: Daniel Caspary, von der CDU im Europäischen Parlament, in der Fraktion der Europäischen Volkspartei zuständig unter anderem für Handelsfragen. Herr Caspary, danke schön für das Gespräch heute Mittag.
    Caspary: Vielen Dank, Herr Grieß!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.