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"Versagen der nationalen Politik wie auch der europäischen"

Mit Blick auf die spanische Bankenkrise sieht der Finanzmarktexperte Bert van Roosbeke große Versäumnisse der europäischen Politik. Noch immer sei das Abwickeln von Banken ungeregelt. Auch im vierten Jahr der Finanzkrise sei Europa "rechtlich gar nicht gerüstet", glaubt Roosebeke.

Bert van Roosebeke im Gespräch mit Sandra Schulz | 20.07.2012
    Sandra Schulz: "Portugal ist nicht Griechenland, Spanien ist nicht Griechenland", das hat der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank Trichet gesagt – vor gut zwei Jahren war das -, eine Klarstellung, die es immer wieder gegeben hat und auch ja immer wieder gibt. Portugal beantragte im April vor einem Jahr EU-Hilfen und Spanien vor einigen Wochen. Griechenland, Portugal und Spanien sind also zumindest insofern vergleichbar, dass sie europäische Milliardenhilfe brauchen. Gestern hat der Bundestag die Spanien-Hilfen gebilligt, am Vormittag auch das finnische Parlament, und jetzt sind die Euro-Finanzminister am Zug.
    Die Einschnitte in Milliardenhöhe, die Spanien bevorstehen, sie sorgen im Land für wachsenden Protest. Hunderttausende Menschen gingen gestern dagegen auf die Straße, zehntausende heute, und die Opposition votierte gegen das Sparpaket.
    Und wir bleiben noch beim Thema: Bert van Roosebeke, Finanzmarktexperte beim Centrum für Europäische Politik in Freiburg, habe ich vor wenigen Minuten gefragt, ob Spanien denn jetzt gerettet sei.

    Bert van Roosebeke: Na gut, sagen wir so: Die Kredite würden auf jeden Fall ein großes Problem, das Spanien heute hat, etwas abmildern. Spanien ist zu unterscheiden von Ländern wie Griechenland. Spanien hat ein großes Bankenproblem und ist als Staat nicht in der Lage, diese Bankenhilfe aus eigener Tasche zu bezahlen. Dieser Zirkel sozusagen, dieses Problem, dass die Staaten nicht in der Lage sind, die Bankenhilfe zu bezahlen - wenn sie das tun würden, würde der Staat an sich auch in Probleme kommen -, dieses Problem hat man jetzt vorübergehend, sage ich jetzt mal, gelöst durch diese 100 Milliarden, die jetzt genehmigt worden sind.

    Schulz: Jetzt soll Spanien seinen Bankensektor sanieren. Für wie vielversprechend halten Sie denn die Ansätze?

    van Roosebeke: Der Fall ist jetzt neu, muss man sagen. Es gab bisher kein Land, das Hilfe bekommen hat ausschließlich für seine Banken. Die übrigen Länder, die haben als Staat die Hilfe für sich beantragt. Insoweit ist das jetzt neu. Wenn man sich die Bedingungen anschaut, das heißt das "Memorandum of Understanding", also die Bedingungen, die Spanien auferlegt bekommt, muss man sagen. Was man da letztlich macht, ist ziemlich ähnlich mit dem, was man in Deutschland gemacht hat mit der SoFFin: die Banken sollen abgewickelt werden, es soll das europäische Beihilferecht angewandt werden, es wird strikt kontrolliert durch die Europäische Kommission, ob diese Bedingungen auch erfüllt sind. Das Programm an sich, die Bedingungen an sich sind für die Banken eigentlich gar nicht so unvernünftig, würde ich sagen. Die Frage wird sein, wie strikt es tatsächlich umgesetzt wird und ob damit sämtliche spanische Probleme tatsächlich behoben werden, weil Fakt ist natürlich: Spanien hat in der Tat ein großes Bankenproblem, aber die Banken sind ja nicht das einzige Problem Spaniens.

    Schulz: Noch mal globaler gefragt: Wie kommt es denn, dass im Jahr X der Krise Europa europäische Banken retten muss?

    van Roosebeke: …, weil wir bis heute in Europa überhaupt keine Regeln haben oder keine überzeugenden Regeln, muss man sagen, wie man Banken abwickelt. Wir sind da rechtlich gar nicht gerüstet. Deutschland hat jetzt seit gut einem Jahr Regeln dafür, aber viele andere Mitgliedsstaaten haben einfach keinen Plan, muss man sagen, wie man solche Banken abwickelt, ohne große Verwerfungen am Markt zu verursachen.

    Schulz: Dann ist es ein Versagen der Politik, dass, obwohl diese Probleme ja nun auch schon wie gesagt seit Jahren diskutiert werden, da noch nichts passiert ist?

    van Roosebeke: Ganz sicher, ganz sicher: sowohl Versagen der nationalen Politik wie auch der europäischen. Die Europäische Kommission hat seit Jahren angekündigt, dass sie einen Legislativvorschlag vorlegen will, wie solche Banken abgewickelt werden; der Vorschlag ist seit gut drei Wochen, vier Wochen da. Der ist noch nicht abgestimmt, der ist nur vorgelegt. Es ist technisch alles sehr komplex, aber das kann sicher keine Ausrede dafür sein, dass es so lange dauert, diese Regeln einzuführen.

    Schulz: Ist das denn das einzige Problem, oder geht es auch oder nach wie vor auch um die Kontrolle der Finanzmärkte? Ist da genug passiert?

    van Roosebeke: Im Falle Spaniens würde ich schon sagen, dass das Hauptproblem eines der Bankenregulierung war, der Bankenaufsicht vorher. Ich würde mich jetzt sehr schwer tun, den Finanzmärkten, also den Investoren den schwarzen Peter zuzuschieben. Ich glaube, das Problem liegt eher bei den politisierten Sparkassen in Spanien, die zu lange zu viele Kredite vergeben haben, zum Beispiel in Bauprojekte, die einfach nicht tragfähig waren.

    Schulz: Aber wir haben auch jetzt wieder gehört, dass die Hilfen dazu dienen sollen, die Finanzmärkte zu beruhigen. Spricht das nicht dafür, dass die Finanzmärkte nach wie vor zu aufgeregt sind?

    van Roosebeke: Ich würde sagen, dass sie zurecht aufgeregt sind. Die Zweifel, die die Märkte haben, ob Spanien in der Lage ist, diese Bankenprobleme zu finanzieren (aus eigener Tasche), die Zweifel sind richtig, die würde ich auch haben. Deswegen glaube ich jetzt nicht, dass man sagen kann, die Märkte treiben jetzt Spanien in ein Problem, das es so gar nicht hat. Ich glaube schon, dass die Einschätzung richtig ist.

    Schulz: Und Italien ist dann das nächste Land in der Reihe?

    van Roosebeke: Ja das wird man jetzt sehen müssen. Die Brisanz, die jetzt entsteht in der Debatte, ist natürlich, ob wir jetzt wirklich von einer Lockerung der Kreditbedingungen, also der Hilfe für diese Länder sprechen können. Da hat es jetzt ein bisschen Aufregung gegeben nach dem letzten Gipfel. Wir sind der Meinung, die Hilfen, die aus dem EFSF oder ESM kommen, ausgeschlossen ganz normaler Kredite, die Griechenland, Irland, Portugal bekommen haben, die Bedingungen für diese Hilfen sind gelockert worden de facto. Das könnte jetzt Italien versuchen zu nutzen und ähnlich wie Spanien solche Programme beantragen. Italien kann das aber nicht nutzen, um ein klassisches Darlehen zu beantragen. Wenn es das machen will, dann würde es die ganz normalen strikten makroökonomischen Bedingungen bekommen, und da werden wir jetzt wirklich sehen müssen, was Italien macht.

    Schulz: Was hieße es denn, wenn Italien jetzt auch europäische Rettungsmilliarden bräuchte? Wir sprechen ja dann immerhin schon über die drittgrößte europäische Volkswirtschaft.

    van Roosebeke: Klar! Die Mittel, die wir noch übrig haben im EFSF, die werden immer knapper. Der ESM hängt in Deutschland fest sozusagen, das Verfassungsgericht muss da erst mal entscheiden, ob der ESM-Vertrag in Deutschland überhaupt ratifiziert werden kann. Also wir müssten uns behelfen mit den Mitteln, die im EFSF-Topf sozusagen vorhanden sind. Je nachdem, was Italien machen wird – Italien kann wie gesagt ein normales Darlehen beantragen, dann würden wir von relativ hohen Summen sprechen, könnte aber auch den Ankauf auf dem Sekundärmarkt von Staatsanleihen beantragen, dann wären die Summen sehr wahrscheinlich nicht ganz so hoch -, also je nachdem, was die Italiener machen, wird es halt eben finanziell sehr eng werden.

    Schulz: Aber nach wie vor stimmt doch das Bild, dass die Staats- und Regierungschefs eigentlich von den Finanzmärkten getrieben werden?

    van Roosebeke: Ganz sicher! Es stimmt deswegen, weil wissen Sie: die Hilfen können das eigentliche Problem nicht lösen. Das ist schon oft gesagt, aber das bleibt richtig: die Hilfen können letztlich nur Zeit kaufen. Die Probleme liegen entweder bei Portugal etc. und Griechenland in strukturellen Problemen, die können nur durch politische Änderungen in diesen Ländern gelöst werden, und da passiert in vielen Ländern zu wenig, oder die Probleme liegen im Bankensektor, wie zum Beispiel jetzt in Spanien der Fall, und auch da muss die Politik ran. Die Hilfen sind einfach kein Ersatz für die Maßnahmen, die die Krise eigentlich lösen können.

    Schulz: Aber hat die Entwicklung in Griechenland, jetzt auch die neue Entwicklung in Spanien mit neuen Massenprotesten und einer Opposition, die jetzt auch umschwenkt, haben die nicht gezeigt, dass eine Sparpolitik die europäischen Probleme nicht lösen kann?

    van Roosebeke: Sie können die Probleme letztlich nicht lösen, wenn Sie die Unterstützung dafür in der Bevölkerung nicht haben – das ist richtig. Vor dem Hintergrund bin ich etwas kritisch, ob man in Griechenland da wirklich weiterkommen wird. In Spanien muss man sparen. Man hat da einfach einige Jahre lang etwas über seine Verhältnisse gelebt. Die Defizitzahlen sind aber nicht so schlimm natürlich wie in Griechenland. Und natürlich werden die Sparmaßnahmen in Spanien vorübergehend, kurzfristig wahrscheinlich zu einer Anhebung der Arbeitslosigkeit führen. Aber mittelfristig sind diese Sparmaßnahmen, diese Lockerungen auf dem Arbeitsmarkt genau das, was Spanien eigentlich brauchen wird. Aber der Hauptpunkt ist: der Politiker, der nationale Politiker wird seine Wähler zuhause von der Richtigkeit und Notwendigkeit dieser Maßnahmen überzeugen müssen.

    Schulz: Bert van Roosebeke, Finanzmarktexperte beim Centrum für Europäische Politik in Freiburg und heute in den "Informationen am Mittag".


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