Archiv


Versandhauskönig und Dressurreiter

Josef Neckermann war einer der erfolgreichsten Unternehmer in den 1950er Jahren. Sein Geschäftsmodell - billige Massenware auf Bestellung aus dem Katalog. Doch auch als Sportler war er erfolgreich: Als Dressurreiter räumte er bei Olympia und Weltmeisterschaften viele Medaillen ab.

Von Thomas Jaedicke |
    "Schreib an Neckermann!" – "Und bestell den Katalog!"

    Mitte der 50er-Jahre ist Josef Neckermann ein gemachter Mann. Im Kaufrausch der Wirtschaftswunderzeit stieg der am 5. Juni 1912 geborene Sohn eines Würzburger Kohlenhändlers rasant zum Versandhauskönig der Bundesrepublik auf. Billige Massenware auf Bestellung aus dem Katalog: Das war Neckermanns Geschäftsmodell.

    "Was auf diesen Seiten steht, spricht für Preis und Qualität. Darum schreib an Neckermann."

    Die Basis für seinen Erfolg legt der geschickte Netzwerker Josef Neckermann, nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen.

    Der 21-Jährige sucht die Nähe zu den NSDAP-Granden: Als SA-Chef Ernst Röhm einen reitenden Adjutanten braucht, tritt Pferdeliebhaber Neckermann sogleich den SA-Reitern bei. Von seinen Kontakten profitiert der gelernte Bankkaufmann vor allem geschäftlich. Im Zuge der sogenannten Arisierung erwirbt er zwischen 1935 und 1937 in seiner Heimatstadt Würzburg drei jüdische Textilgeschäfte.

    1938 folgt Neckermanns größter Coup: Er übernimmt den Nürnberger Textilbetrieb des jüdischen Geschäftsmanns Karl Amson Joel, damals das zweitgrößte Versandhaus im Deutschen Reich. Zwei Millionen Reichsmark sind als Kaufpreis vereinbart, obwohl der Betrieb sehr viel mehr wert ist. Neckermann zahlt auf ein Treuhandkonto, aber Joel bekommt davon nichts, weil er mit seiner Familie ins Exil fliehen muss. Die Karriere des Josef Neckermann verläuft dagegen immer steiler. 1939, kurz nach Kriegsbeginn, wird er stellvertretender Reichsbeauftragter für Kleidung.

    "Und im Rahmen dieser vielen Gespräche, die dann natürlich auch im Reichswirtschaftsministerium geführt wurden, ist man auf mich aufmerksam geworden. Und hat mir dann Aufgaben übertragen, mit denen ich vorher nicht rechnete."

    Neckermann ist nun auch für die Einkleidung der Wehrmacht zuständig. Während er 1942 auf Adolf Hitlers Geburtstagsfeier in der Wolfsschanze mit SS-Chef Himmler plaudert, nähen Zwangsarbeiterinnen im Ghetto von Bialystok Kleider verschleppter und ermordeter Juden für die deutsche Kriegswirtschaft um. Nach dem Krieg verbieten die Alliierten Neckermann zunächst jede wirtschaftliche Tätigkeit, aber er findet Schlupflöcher.

    "Ich bin 1948 nach Frankfurt verschlagen worden. Und habe dann in Frankfurt zunächst unter dem Namen meiner Frau einen Großhandelsbetrieb begonnen, das heißt, also nach der Währungsreform, und damit konnte ich eigentlich neu beginnen."

    Am 24. Januar 1955 treffen sich die Geschäftsmänner Neckermann und Joel vor der Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth wieder und einigen sich auf einen Vergleich. Der Versandhauskönig zahlt zwei Millionen D-Mark Abfindung an Joel. Wenig später muss Neckermann erste Rückschläge einstecken. Mitte der 70er-Jahre rutscht sein Unternehmen erstmals in die roten Zahlen und wird zu einem Konzern erweitert. Die erfolgreichen neuen Sparten Touristik, Versicherungen und Fertighäuser können die anhaltenden Verluste aus dem Warengeschäft zunächst ausgleichen.

    Josef Neckermann kann sich beruhigt aus der Firma zurückziehen und widmet sich nun ganz dem Pferdesport: ein Herrenreiter, hoch zu Pferde, stets in tadelloser Haltung. In Frack und Zylinder räumt er als Dressurreiter bei Olympia und Weltmeisterschaften viele Medaillen ab.

    "Man rechnet einfach mit den Medaillen. Man verlangt von unseren Sportlern, dass sie alles dafür aufbringen. Man macht sich aber einfach keine Gedanken darüber, welche Opfer jeder Sportler dafür erbringen muss."

    Für sein Engagement als langjähriger Vorsitzender der 1967 gegründeten Stiftung Deutsche Sporthilfe erhält er das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.

    1984 übernimmt Karstadt Neckermann. Im Konzern fehlt die Geschäftstüchtigkeit des Firmengründers, der am 13. Januar 1992 stirbt. Gegen das immer stärker aufkommende Internet ist das alte Geschäftsmodell auf Dauer chancenlos. In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal seit 1950 keinen gedruckten Katalog. Neckermann gibt es bald nur noch online.